Im Morgengrauen des 23. September zerstörten israelische Soldaten
das Haus einer 10-köpfigen Familie im Flüchtlingslager
Balata/Nablus.
Dieses Vorgehen war eine geplante kollektive Bestrafung dafür,
dass der älteste Sohn der Familie - der 26-jährige Ala - sich am
Vortag trotz Aufforderung der Soldaten nicht den Israelis
ergeben hat. Ala ist eine "wanted person", er gehört den
AlAqsa-Brigarden an und wird für die Vorbereitung einiger
Anschläge gegen Israelis in Palästina und Israel mit
verantwortlich gemacht.
Bestraft wurde nun eine ganze Familie, der es nie möglich war,
ihre jungen Kinder vom Steinewerfen gegen israelische Jeeps
abzuhalten, geschweige denn, ihren erwachsenen Sohn vom
bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung fernzuhalten.
Dieser Bericht schildert die Beschreibung der Mutter. Sie war
schon am gleichen Tag in der Lage, uns vom Geschehenen zu
berichten, lediglich Zeitmangel erlaubte ein Treffen erst am
Freitag Nachmittag.
"In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch schlugen um 2 Uhr
Soldaten unten an die Haustür, brachen sie dann auf und
verschafften sich mit 30 Mann Zutritt in unser Haus. In
aggressiven Ton, der sich die ganze Zeit nicht ändern sollte,
befahlen sie mir, meinem Mann und den anwesenden 6 Kindern (Ala
hält sich schon seit langem nicht mehr im Haus auf, eine Tochter
ist verheiratet und wohnt woanders), sich im Wohnzimmer zu
sammeln. Sie befragten uns nach der Anzahl unserer Kinder und
wieviele anwesend seien. Mein Mann antwortete ihnen. Sie fragten
nach Ala - über ihn konnten wir ihnen keine Auskunft geben. Dann
fragten sie nach den Waffen im Haus. Ich erzählte ihnen
wahrheitsgemäss, das keine vorhanden seien.
Sie fragten, ob Ala sich vielleicht im Haus seiner Schwester
aufhielte und wo dies denn sei. Ich antwortete, dass ich nicht
wisse, wo sie wohne (sie lacht). Daraufhin nahmen sie meinen
Mann aus dem Zimmer und fragten ihn nach dem Sohn. Er sagte
ihnen, dass es ihm nie möglich war, seine kleinen Kinder zu
kontrollieren. Wie könnten sie ernsthaft erwarten, dass er über
den Verbleib und die Absichten von Ala Bescheid wisse?
Danach nahmen sie meinen Sohn Ibrahim -13 Jahre alt - mit
hinaus. Sie schlugen ihn und fragten ihn nach seinem Bruder. Er
weiß natürlich genauso wenig wie wir alle. Als ich sein Schreien
hörte, wollte ich zu ihm. Dies wurde mir verweigert.
Die nächste Stunde sperrten sie uns wieder alle zusammen ein
und durchsuchten das ganze Haus nach Waffen. Dabei haben sie
nicht nur alle Schränke und Schubladen ausgeleert, sondern auch
zerstört, was sie zerstören konnten.
Danach verließen sie das Haus, nicht ohne meinem Mann
mitzuteilen, dass er seinen Sohn zur Aufgabe zwingen solle.
Andererseits würde unser Haus zerstört."
(Am Tag darauf suchten wir diese Familie in ihrem Haus auf, um
ihnen Unterstützung von Seiten ISM anzubieten. Sie lehnten
dankend ab, da sie noch keine Dringlichkeit sahen, würden uns
aber sobald sich daran etwas ändere, informieren und dann
willkommen heißen. Dies sollte nicht mehr möglich werden.)
"In der darauf folgenden Nacht kamen sie wieder, schlugen an
die Tür und brüllten, wenn wir ihnen nicht sofort öffnen würden,
würden sie schießen. Ich hatte nicht einmal Zeit, mein Kopftuch
umzubinden, mein Mann öffnete ihnen die Tür. Wieder gingen sie
äußerst brutal vor, sperrten uns alle in einen Raum. Mein Mann
sagte ihnen, dass er mit unserem Sohn gesprochen habe, dieser
sei unter keinen Umständen bereit, sich zu ergeben.
Die Soldaten sagten uns dann, wir hätten 10 Minuten Zeit, um
rauszubringen, was immer wir retten wollen. Ich sah mich in den
nächsten Minuten dann nicht nur gezwungen, meine Kinder
anzuziehen und zu beruhigen, sondern auch das Nötigste
einzupacken und herauszuschaffen. Es gelang uns lediglich, 2
Matratzen und einige Taschen mitzunehmen. Wir hatten wirklich
nicht mit dieser Schnelligkeit gerechnet, das ganze traf uns
unerwartet. Während ich noch schnell etwas zusammenpackte hatte
einer der Soldaten ein kleines Bild entdeckt, welches mein
3-jähriger Sohn um den Hals trug. Es zeigt einen kürzlich
getöteten Freund unserer Familie. Brutal riss der Soldat dem
Kleinen die Kette vom Hals und zerbrach das Bild.
Die Soldaten führten uns dann ins Nachbarhaus, wo wir wieder in
einen Raum gesperrt wurden. Ich wollte meine weinenden Kinder
beruhigen - einer der anwesenden Soldaten sagte jedoch zu mir
'Wenn Du eine Ton von Dir gibst, erschieße ich Dich.' Eine
Stunde mussten wir ungewiss ausharren. In dieser Zeit musste ich
mich ein paar mal übergeben, da ich ein nervöses Magenleiden
habe. Dann teilten uns die Soldaten mit, es würde gleich sehr
laut werden, wir sollen uns nicht erschrecken, sie würden jetzt
unser Haus in die Luft jagen. Es gab dann einen ohrenbetäubenden
Knall. Ich erfuhr später, dass durch die Druckwelle alle an
unser Haus anschließenden Wohnungen teilweise mit zerstört
wurden. In einer von ihnen verletzte eine berstende
Fensterscheibe 2 im Kinderbett davor schlafende Kleinkinder.
Ich möchte abschließend nur noch Gott danken, dass mein Sohn
noch lebt. Unser Haus werden wir baldmöglichst wieder aufbauen
und wiedereinziehen.
Einer der Soldaten hat einen bleibenden Eindruck auf mich
hinterlassen. Er sagte zum Schluss zu meinem Mann, dass er
unserem Sohn sagen soll, dass er auf sein Handy aufpassen solle.
Es würde abgehört. Und er respektiere, was er tue und
respektiere ihn als ein Kämpfer gegen die menschenverachtende
Besatzung."
Während des ganzen Gesprächs machte die müde aussehende Frau
einen sehr selbstsicheren, starken Eindruck. Immer wieder dankte
sie Gott, dass ihre Familie noch unverletzt und vollzählig ist.
Ich will versuchen, morgen einige Fotos des 'Hauses' mit zu
verschicken. Hoffentlich klappt es.
Viele Grüsse
Hanan