
Zum 70. Jahrestag des Massakers von Deir
Yassin
Wir gedenken heute, am 9. April 2018, dem 70.
Jahrestag des Massakers von Deir Yassin.
Vertretung des Staates Palästina in Österreich - Am
frühen Morgen des 9. April 1948 wurde das palästinensische
Dorf Deir Yassin (westlich von Jerusalem) mit etwa 600
EinwohnerInnen von 130 Mitgliedern der paramilitärischen
Verbände der extremistischen Organisationen Irgun Tzwai
Le’umi (IZL) und Lechi angegriffen und eingenommen. Jene
BewohnerInnen, die nicht fliehen konnten, wurden getötet,
Frauen vergewaltigt, Häuser geplündert und mit ihren
BewohnerInnen in die Luft gesprengt.
Die Vorfälle wurden als „Massaker von Deir Yassin“ bekannt.
Die genaue Opferzahl kann bis heute nicht eruiert werden,
israelische und palästinensische WissenschaftlerInnen sind
sich jedoch einig darüber, dass es mindestens hundert Tote
gegeben haben muss. Überlebende Männer, Frauen und Kinder
wurden durch die King George – Street in West-Jerusalem
getrieben, wo sie dem Spott und Hohn jüdischer
EinwohnerInnen ausgesetzt waren. 55 Waisenkinder aus Deir
Yassin wurden in der Altstadt von Jerusalem sich selbst
überlassen, wo sie von Hind Husseini gefunden und in ihr Dar
El-Tifl El-Arabi Waisenhaus in Ostjerusalem gebracht wurden.
Viele Palästinenser flüchteten aus Angst vor weiteren
Massakern, ihre Dörfer und ihr Land wurden von jüdischen
Einwanderern übernommen. Die Schockwirkung des Massakers war
auch deswegen so groß, weil Deir Yassin als ein
"kooperatives" Dorf galt, dessen Bevölkerung versucht hatte,
sich mit der wachsenden jüdischen Präsenz friedlich zu
arrangieren.
Nach Ansicht des israelischen Historikers Ilan Pappe war das
Massaker in Deir Yassin Teil einer planmäßigen ethnischen
Säuberung, mit der führende jüdische Politiker und
Kommandeure (unter ihnen auch der spätere israelische
Premierminister und Friedensnobelpreisträger Menachem Begin)
die arabische Bevölkerung aus jenen Teilen des
Mandatsgebiets vertrieben, die sie für den kommenden Staat
Israel vorsahen.
Ab dem Sommer 1948 wurde das Dorf planmäßig neu besiedelt
und an die Jerusalemer Infrastruktur angeschlossen. Die
neuen Bewohner der nun Giw'at Scha'ul genannten Siedlung
waren hauptsächlich EinwanderInnen aus Polen, Rumänien und
der Slowakei. Heute ist Giw’at Sha’ul Teil von Har Nof,
eines jüdisch-orthodoxen Gebietes.
Internationale Persönlichkeiten wie Martin Buber, Albert
Einstein und Hannah Arendt bezogen Stellung und verurteilten
das Massaker von Deir Yassin. So wandten sich prominente
amerikanische Juden – unter ihnen Einstein und Arendt – 1948
in einem offenen Brief in der New York Times gegen Menachem
Begin und die von ihm gegründete Partei, in dem sie auch
Deir Yassin erwähnten:
„(…) Am 9. April griffen terroristische Banden dieses
friedliche Dorf an, das kein militärisches Ziel darstellte,
töteten die meisten Einwohner (240 Männer, Frauen und
Kinder) und ließen ein paar am Leben, um sie als Gefangene
durch die Straßen Jerusalems zu treiben. […] Die
Terroristen, weit entfernt davon, sich ihrer Taten zu
schämen, waren stolz auf das Massaker, machten es weithin
bekannt und luden sämtliche Auslandskorrespondenten im Land
ein, die Leichenberge und die allgemeine Zerstörung in Deir
Yasin in Augenschein zu nehmen. (…)“
Bis heute sind große Teile des Materials, das das
Heeresarchiv über das Massaker besitzt, darunter Fotos und
Zeugenberichte, unter Verschluss. Im Jahr 2010 versuchte die
israelische Filmemacherin Neta Shoshani, am Höchstgericht
eine Veröffentlichung des Materials zu erwirken. Dies wurde
jedoch mit der Begründung, dass dies dem internationalen
Ansehen Israels schaden würde, abgewiesen. Shoshani drehte
den Dokumentarfilm „Born in Deir Yassin“ und besuchte dazu
Zeitzeugen.
Deir Yassin sollte nicht das einzige Massaker, begangen von
jüdischen Milizen und – in späterer Folge – israelischen
SoldatInnen, bleiben. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit
wiederholt sich bis heute das Verbrechen, unbewaffnete
palästinensische Zivilistinnen und Zivilisten zu ermorden.
So wurden in der vergangenen Woche beim gewaltfreien #GreatReturnMarch
in Gaza 30 unbewaffnete Palästinenser erschossen und
zahlreiche Personen verletzt.
>>>
Deir Yassin Remembered

Born in Deir Yassin (TRAILER)
>>>

VIDEO - Deir Yassin: The Agony

Das Deir Yassin Massaker
>>>
Deir Yassin Massaker - Fotos
>>>
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Mit dem Großen Rückkehrmarsch
fordern die Palästinenser ein Leben in Würde
- Ahmad Abu Rtemah -
06.04.2018 - Die Nakba ist nicht bloß eine
Erinnerung, sie ist eine fortwährende Realität. Wir können
akzeptieren, dass wir alle eines Tages sterben müssen; in
Gaza ist die Tragödie die, dass wir nicht
leben (können).
In den letzten acht Tagen haben zehntausende Demonstranten
in Gaza einen Ort mit Leben erfüllt, der nun langsam davon
geleert wird. Wir sind zusammen gekommen, haben skandiert
und ein Wiegenlied gesungen, nach dem wir uns alle gesehnt
haben -"Wir werden zurückkehren" – und haben alles, was wir
noch zu bieten haben, in einem Versuch unser Recht in
Freiheit und Gerechtigkeit zu leben dargebracht. Trotz
unseres friedlichen Marsches wurde uns mit Wolken von
Tränengas und scharfer Munition von israelischen Soldaten
begegnet. Leider ist das nichts Neues für die Palästinenser
in Gaza, die viele Kriege und eine brutale Belagerung und
Blockade durchlebt haben.
In Gaza leben etwa 1,9 Millionen Menschen, von denen 1,2
Millionen Flüchtlinge sind, die während der Errichtung des
Staates Israel vor 70 Jahren – für die Palästinenser die
Nakba (Katastrophe) - aus ihren Häusern und von ihrem Land
vertrieben wurden. Seit Beginn der Belagerung vor fast 11
Jahren hat sich die Aufgabe nur jeden Tag zu überleben als
Herausforderung erwiesen. Allein aufzuwachen und sauberes
Wasser und Strom zu haben, ist jetzt ein Luxus. Die
Belagerung ist vor allem für junge Leute hart, die unter
einer Arbeitslosigkeit von 58% leiden. Was schlimmer ist,
ist dass all das ein Ergebnis der israelischen Politik ist,
die geändert werden kann. Dieses harte und schwierige Leben
darf nicht die Realität in Gaza sein.
Es ist als wäre es nicht genug uns vertrieben zu haben;
es ist, als müsste die gesamte Erinnerung der
palästinensischen Flüchtlinge beherrscht und ausgelöscht
werden.
Fischer können nicht weiter als 6 Seemeilen hinausfahren;
genügend Fisch zu fangen, um ihre Familien zu erhalten, wird
zu einer Herausforderung. Nach Israels Kriegen gegen Gaza
von 2008/09, 2012 und 2014 und all den Tötungen inzwischen
haben die Menschen nicht einmal die Möglichkeit eines
Wiederaufbaus, da Israel seinen Griff auf die Einfuhr von
Baumaterial verstärkt hat. Der Zustand der Krankenhäuser ist
alarmierend, und Patienten wird selten die Chance einer
Behandlung außerhalb (des Gazastreifens) gegeben. Nicht zu
erwähnen de ständige Dunkelheit, in der wir leben, fast ohne
Strom und sauberes Wasser. Es ist, als wäre es nicht genug
uns vertrieben zu haben; es ist, als müsste die gesamte
Erinnerung der palästinensischen Flüchtlinge beherrscht und
ausgelöscht werden. Ich bin im Flüchtlingslager
>>>

Die Blockade des israelischen
Herzens - Gideon Levy - 08.04.2018 - Es ist schwer zu
verstehen, dass man auf zehntausende Menschen in ihrem Käfig
schaut und sie nicht sieht. Wie ist es möglich, auf diese
Demonstranten zu schauen und nicht das Desaster zu sehen,
das zuallererst von Israel gemacht ist?
Diesmal gibt es
keine Qassam-Raketen, keine Messer, nicht einmal Scheren. Es
gibt keinen Terror außer "Autoreifen-Terror" und den
"Terror-Marsch", wie es die Tageszeitung Israel Hayom
groteskerweise nennt. Dieses Mal ist der Protest kein
gewaltsamer.
Israel sieht
auch das nicht. Es sieht nicht das Weiße in den Augen der
Demonstranten, es sieht sie nicht als menschliche Wesen; es
sieht nicht ihre Verzweiflung; es sieht nicht die Bitterkeit
ihres Schicksals. Wenn die nächste Naturkatastrophe irgendwo
passiert, wird Israel ein Hilfsteam schicken und alle werden
Israels "jüdisches" Mitgefühl und seine Menschlichkeit
rühmen. Niemand kann aber die Hartherzigkeit leugnen, die es
befallen hat, und die so hart ist, dass sie Menschlichkeit
und Mitgefühl hindert das Herz zu erreichen, das ganz
vernarbt und permanent blockiert ist.
Welches
Vergnügen war es wieder am Freitag, als Journalisten und
Experten wetteiferten, wer der Originellste ist. Einer
twitterte, die Palästinenser hätten Goodyear-Reifen
verbrannt, ein anderer, dass Hamashäupter wegen ihres
Asthmas weggeblieben wären. Einer schrieb über den
"Supertanker", ein Feuerlösch-Flugzeug, das Israel zur
Bekämpfung von landesweiten Bränden 2016 herein gerufen
hatte. Jemand postete ein Foto von einem Demonstranten mit
Swastika und schrieb dazu: "Charmante Leute, um mit ihnen
Frieden zu schließen." Ein "moderater" Kommentator sagte,
weit unter seinem berühmten intellektuellen Niveau, im
Fernsehen, das sei ein "unvernünftiger Protest" gewesen. Sie
alle lobten wie gewohnt die Armee wegen ihrer Leistung:
Keine hat die Grenze überquert. Der Staat ist von seiner
Vernichtung gerettet worden. Weiter so, Israelische
Verteidigungskräfte.
Während
Witzleien und Schulterklopfen auf sozialen Medien die Runde
machten, rannten 20.000 verzweifelte Gazaner im Sand nahe
dem Grenzzaun herum, der sie einsperrt und schrien um Hilfe.
Sie trugen Lumpen, die meisten waren junge Leute, von denen
etwa 65% arbeitslos sind, sie atmeten im schwarzen Rauch der
(brennenden) Reifen und wußten, dass ihre Vergangenheit,
ihre Gegenwart und ihre Zukunft noch schwärzer ist. Einige
hielten das letzte Produkt der Waffenindustrie von Gaza:
Spiegeln. Schlafzimmerspiegel, Badezimmerspiegel sollten die
Scharfschützen blenden. Solch amüsante Schauspiele hat man
hier schon lange nicht gesehen: 1.350 Menschen wurden
verwundet, 293 von ihnen mit scharfer Munition, 20 von ihnen
sind in kritischem Zustand. Neun Leichen bis Samstag früh.
Die meisten
passten auf, nicht die Todeslinie zu überqueren, so wie es
in Ost-Deutschland war. Die Ost-Deutschen schossen auf
jeden, der versuchte das Land zu verlassen, es war
erschreckend; die Israelis schossen auf jeden, der sich
ihrem Grenzzaun näherte, und es ist amüsant. Bald könnte
dort ein elekrtischer Zaun sein, der die Scharfschützen der
Armee überflüssig macht.
Unter den
Getöteten war Hussein Mohammed Madi, ein 16-jähriger Junge,
und ein Nachrichten-Fotograf mit einer kugelsicheren Weste
mit der Aufschrift "Presse" in Englisch, die ihn überhaupt
nicht vor den moralischen Armee-Scharfschützen schützte, die
seine Brust trafen. Vielleicht konnten die Scharfschützen
nicht Englisch lesen. Yaser Murtaja war 30 und nie aus dem
Gazastreifen gekommen. Vor kurzem hatte er ein Foto
gepostet, das den Gazastreifen aus Vogelperspektive zeigt.
Murtaja schrieb, sein Traum wäre, ein solches Foto
aufzunehmen. Jetzt wird vielleicht sein Traum vom Himmel aus
wahr. Bei seinem Begräbnis am Samstag war sein Körper mit
der blauen Journalisten-Weste bedeckt. Er war nicht der
einzige Journalist, auf den die Scharfschützen der Armee am
Freitag schossen. Sechs weitere wurden verwundet. Ihr Blut
ist nicht röter als das von allen andern, aber die Tatsache,
dass auf sie geschossen wurde, beweist, dass die
Scharfschützen der Armee wahllos feuern und bei ihren Opfern
nicht wählerisch sind.
Und all das
führte zu schlauen Kommentaren in sozialen Medien und
Komplimenten für die Armee in der Presse. Es ist schwer zu
verstehen, wie jemand auf diese Demonstranten schauen kann
und das Desaster nicht sieht, das zuallererst die Armee
angerichtet hat. Wie können wir uns freisprechen, alles auf
die Hamas schieben und nicht schockiert sein angesichts des
Blutes von Unschuldigen, das IDF-Soldaten vergossen haben.
Wie kann ein früherer Geheimdienstchef von Shin Bet zu einem
wachsenden Protest wegen einer nichtssagenden Rede des
Premierministers in einer ebenso nichtssagenden Zeremonie
aufwiegeln, während dieses Massaker kaum zu einem Schluckauf
geführt hat?
Diesmal gab es
keine Qassam-Raketen, keine Messer, nicht einmal Scheren. Es
gibt keinen Terror außer "Autoreifen-Terror" und dem
"Terror-Marsch", wie die Tageszeitung Israel Hayom es nennt.
Dieses Mal ist der Protest nicht gewaltsam.
Israel sieht
auch das nicht. Es sieht nicht das Weisse in den Augen der
Demonstranten, es sieht sie nicht als menschliche Wesen, es
sieht nicht ihre Verzweiflung; es sieht nicht die Bitterkeit
ihres Schicksals. Wenn die nächste Naturkatastrophe irgendwo
passiert, wird Israel wieder ein Hilfsteam schicken, und
alle werden Israels "jüdisches" Mitgefühl und seine
Menschlichkeit rühmen. Aber niemand kann die Hartherzigkeit
leugnen, die es befallen hat, die so hart ist, dass sie
Menschlichkeit und Mitgefühl daran hindert, das Herz zu
erreichen, das ganz vernarbt und permanent blockiert ist.
Quelle
Übersetzung: K. Nebauer
Dokumentation - 2018 -
Gaza - 2018 - Gaza - Der "Große
Rückkehrmarsch"
>>>
Brief aus Gaza - Prof. Abed
Schokry - Sehr geehrte Damen und Herrn - Liebe
Freundinnen und Liebe Freunde, Gaza am 8. April, 2018 Ich
bin verzweifelt und ich bin auch wütend.
Gaza wehrt sich gegen die unmenschlichen Lebensbedingungen,
gegen die völkerrechtliche Abriegelung, die den Gazastreifen
zu einem Gefängnis für zwei Millionen Menschen macht.
Initiiert wurden die Proteste von verzweifelten Menschen, an
denen an beiden Wochenenden jeweils 20 000 - 30 000
teilnahmen.
Einer der Initiatoren ist der 43 Jahre alte Lehrer AI-Kurd,
der anlässlich der alljährlichen Erinnerung an Flucht und
Vertreibung der Palästinenser durch die Israelis bzw. wegen
der Staatsgründung Israels auf die desaströse Situation der
eingesperrten Menschen im Gazastreifen aufmerksam machen
will. Das Aufbegehren der Bewohner in diesem abgeriegelten
Küstenstreifen kam aus der Mitte der Gesellschaft.
In einem friedlichen Protest zogen die Menschen Richtung
Grenze, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, um die
Welt wachzurütteln. Fahnen der Hamas (oder anderen
politischen Gruppen) waren weit und breit nicht zu sehen,
wenn sich auch Mitglieder der Hamas (und Fatah) dem Protest
angeschlossen haben. Die Weltpresse, ganz besonders auch in
Deutschland verdreht diese Tatsache und beschuldigt die
Hamas, die Proteste initiiert und gesteuert zu haben. Die
Medien behaupten die Hamas habe die Jugendlichen mit Steinen
und brennenden Autoreifen an den Zaun geschickt, um in
dieser geradezu lächerlichen Unterlegenheit gegen eine der
am höchsten gerüsteten Armee der Welt vorzugehen.
Übrigens, die Hamas, deren Politik auch von Menschen in Gaza
kritisiert wird, wird in den deutschen Medien dämonisiert,
indem ihr immer das Etikett „radikal islamisch oder
islamistisch" angehängt wird. Ich habe in Deutschland gelebt
und weiß, dass mit dem Wort „radikal" nichts Gutes verbunden
wird. Und viele Menschen wittern beim Wort „islamisch" oder
„Islam" schon so etwas wie Gefahr. Mit dieser Etikettierung
werden wir alle in Gaza zu latent gefährlichen Menschen. So
funktioniert die Sprache, denke ich.
Ich bin wirklich erstaunt, dass die Menschen in Deutschland
und anderswo glauben, dass wir die Existenz Israels bedrohen
könnten. Opfer und Täter werden absichtlich verwechselt.
Heute sind WIR die Opfer. Ich glaube, das will man in der
Welt nicht sehen, weil die historische Schuld, die die Welt
und ganz besonders Deutschland zu tragen hat, es nicht
erlaubt zu sehen, dass heute uns Palästinensern großes
Unrecht zugefügt wird. UNS wurde das Land geraubt, WIR
wurden vertrieben, WIR leben eingezäunt wie „wilde Tiere"
unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Ich bin realistisch, was uns genommen wurde, werden wir
wahrscheinlich nicht zurückbekommen. Aber warum betrachtet
die Welt unseren Wunsch nach 70 Jahren in unser Land
zurückzukehren als unerhört und unverschämt, den Anspruch
der Israelis nach 2000 Jahren dahin zurückzukehren, wo sie
einst gelebt haben aber als völlig
legitim? Wie kann es sein, dass übersehen wird, dass sich
innerhalb von 2000 Jahren die territorialen Verhältnisse
geändert haben? Wie kann es sein, dass die Vertreibung und
Flucht der Palästinenser aus ihren Häusern, von ihren
Grundstücken, aus ihrer Heimat, in der sie Jahrhunderte
gelebt haben, nicht einmal thematisiert wird. Und wie kann
es sein, dass die Welt der Landenteignung durch die Siedler
meist stumm zuschaut oder sie sogar akzeptiert? Mit welchem
Recht geschieht mir und uns das alles?
Wenn wir heute auch nur ein menschenwürdiges Leben fordern,
wird auf uns in Gaza geschossen, werden wir in der Welt als
Terroristen bezeichnet, können die israelischen Soldaten auf
uns schießen, ohne dass es einen Aufschrei in der Welt gibt.
Das Vorgehen der israelischen Soldaten wird gebilligt,
einmal abgesehen, von kaum hörbaren Ermahnungen, die die
Israelische Regierung sowieso nicht interessieren, ganz
egal, ob laut oder leise vorgetragen.
Um diesen völkerrechtswidrigen und unmenschlichen Zustand zu
erhalten, schießen die Scharfschützen nach Angaben der
israelischen Armee gezielt auf Palästinenser, die angeblich
versuchen, den Grenzzaun zu beschädigen. Man muss es sich
einmal vorstellen, die Beschädigung eines Zaunes berechtigt
zum Schusswaffengebrauch. Eine nationale Grenze besteht
nicht zwischen dem Gazastreifen und Israel, denn Grenzen in
diesem Sinn bestehen nur zwischen souveränen Staaten. Israel
hat eine lückenlose Sperranlage mit einem Zaun, Pfosten,
Sensoren und Pufferzonen um den Gazastreifen gelegt. Eine
von Israel angelegte sogenannte Sicherheitszone ist 300
Meter breit. Hier herrscht Schießbefehl wie früher an der
Berliner Mauer. Dieser Bereich ist nicht deutlich markiert.
Auf bzw. hinter einem aufgeschütteten Sandwall liegend haben
die Soldaten an den vergangenen Freitagen in die Menge der
Protestierenden geschossen, die sich mindesten 300 Meter
entfernt dem Zaun auf dem Gebiet des Gazastreifens befanden.
Offenbar konnten sie aus dieser Entfernung genau erkennen,
wer ein Terrorist war, der möglicherweise einen Stein 300
Meter weit werfen und sie in Gefahr bringen könnte.
(Entschuldigen Sie meine Ironie!) Eine unterirdische Mauer
befindet sich übrigens im Bau. Gut beschrieben finden Sie
die Situation bei Wikipedia unter dem Stichwort
,,Sperranlage um den Gazastreifen".
Am Karfreitag, den 30. März und am Freitag, den 6. April
wurden zusammen mindestens 31 Palästinenser getötet und mehr
als 2800 verletzt, sehr viele von ihnen erlitten
Schussverletzungen. Allein am vergangenen Freitag, den 6.4.
wurden 491 Menschen durch gezielte Schüsse verletzt,
darunter auch Frauen und Kinder. Einige schweben in
Lebensgefahr, viele der Überlebenden mussten an ihren
Extremitäten amputiert werden. Kaum können die Verletzten
angemessen versorgt werden, weil es an medizinischem
Material fehlt. Verletzungen erlitten sehr viele Menschen
durch Tränengasbomben, die von Drohnen abgeworfen wurden.
Was war das „Verbrechen", auf das Israel mit ihrer
militärischen Übermacht reagierte? Ist es ein „Verbrechen",
wenn 30 000 und mehr Menschen gegen die unerträglichen
Lebensverhältnisse protestieren?
Sollen wir schweigen, wenn wir seit mehr als 10 Jahren in
einem Gefängnis leben müssen?
>>>
Schriftsteller und Künstler im
Gaza-Krieg - Verlorene Sprache - Krieg verändert
Gesellschaften und Kultur ist einer der Gradmesser. So auch
im Nahen Osten, wo Künstler und Intellektuelle derzeit
zwischen Resignation, innerer Emigration, Kritik, Wut,
Trauer und Hoffnung schwanken. Ulrike Schleicher informiert.
So radikal wie Sayed Kashuas Haltung hat bislang niemand
reagiert: Vor rund zwei Wochen verließ der
israelisch-arabische Schriftsteller und Kolumnist der
Zeitung "Haaretz" seine Heimat. Was als befristeter
Aufenthalt in den USA gedacht war, wurde zum Abschied für
immer. Ein Grund ist der Krieg, den Israel gegen die Hamas
in Gaza führt. Dieses Mal mit einer Härte, die den Tod
vieler unschuldiger Menschen in Kauf nimmt. Aber mehr noch
ist es die hasserfüllte Stimmung im eigenen Land, die ihn
nach 25 Jahren Schreiben "in der Hoffnung, dass eine
Koexistenz möglich ist", schließlich zur Aufgabe seines
Traumes zwang. "Wenn jüdische Jugendliche durch die Straßen
ziehen und den Tod von Arabern fordern, nur weil sie Araber
sind, dann habe ich meinen eigenen kleinen Kampf verloren",
beschreibt der 39-Jährige seine Gefühle in einer Kolumne.
Kein Mitleid mehr möglich? - Nicht nur Kashua ist
überzeugt, dass dieser Krieg tiefer in die Gesellschaft
eingreift als jene zuvor. Viele machen die Ermordung der
drei jüdischen Jugendlichen und des 16-jährigen
Palästinensers dafür verantwortlich. Angesichts dieser
Brutalität habe sich die Atmosphäre aufgeladen und "es kommt
zum Tabubruch", sagt der israelische Schriftsteller Assaf
Gavron ("Auf fremdem Land"), der wie seine Freunde "Trauer,
Angst und Frustration" empfindet. Um nicht von diesen
negativen Gefühlen verschlungen zu werden, lebt der
45-Jährige derzeit in zwei Welten: "Ich trenne Arbeit und
Alltag völlig, so geht es einigermaßen."
>>>
Dokumentation - 2018 -
Gaza - 2018 - Gaza - Der "Große
Rückkehrmarsch"
>>>
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Ein Lied wird geboren
Uri Avnery
7. April 2018
Ein Freund
aus Übersee sandte mir die Aufnahme eines Liedes. Ein
arabisches Lied, mit einer sanften Melodie, von einem
arabischen Mädchenchor gesungen und von einer Flöte
begleitet.
Es
geht, wie folgt:
Ahed /
Du bist das Versprechen und der Ruhm /
der so hoch wie ein Olivenbaum steht /
von der Wiege bis zur Gegenwart /
Deine Ehre wird nicht verletzt werden /
Palästina ist in uns gepflanzt worden/
wie ein Landungssteg für jedes Schiff /
Wir sind das Land und du bist das Wasser /
du bist mit blonden Haaren bedeckt /
du bist so rein wie Jerusalem /
Du lehrtest unsere Generation,
wie das vergessene Volk sich wehren sollte /
Sie dachten, die Palästinenser fürchteten sie,
weil sie eine Rüstung tragen und eine Waffe halten?
/
Palästina ist in uns gepflanzt worden /
wie ein Landungssteg für jedes Schiff /
Unsere Nation muss vereint sein und sich
widersetzen,
für die Freiheit Palästinas und der Gefangenen. /
Deine blauen Augen sind ein Leuchtturm /
für ein Land, das alle Religionen hat /
Du hast die Menschen vereint, fern und nah /
Du hast den Funken in all unseren Herzen entzündet/
Dein Kopf ist hoch erhoben und ermutigt uns /
Du hast das Licht in unserer Dunkelheit entzündet/
Trotz der Sanftheit deiner Hände /
haben deine Hände die Welt erschüttert /
Deine Hände gaben dem Besetzer den Schlag zurück /
und gaben der Nation die Wertschätzung zurück /
Palästina ist in uns gepflanzt worden/
wie ein Landungssteg für jedes Schiff /
Wir sind das Land und du bist das Wasser. |
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WENN ich ein Anhänger der Besetzung wäre, würde mich dieser
Song zutiefst erschrecken, weil die Kraft von Liedern
stärker ist als die von Waffen. Ein Gewehr nutzt sich ab,
aber ein Lied bleibt für immer. In den frühen Tagen der
israelischen Armee gab es einen Slogan, der in unserer
Kantine hing: „ Eine Armee, die singt, ist eine siegreiche
Armee!“ Die heutige palästinensische Generation hat
entschieden, ihren Kopf zu senken und zu warten, bis der
Sturm vorüber ist. Die kommende palästinensische Generation
könnte völlig anders handeln.
Am Vorabend meines 15. Geburtstags schloss ich mich einer
Untergrund- (oder „Terroristen“-)gruppe an, die gegen das
britische Kolonialregime kämpfte. Fast 80 Jahre danach
erinnere ich mich immer noch an jedes Lied aus dieser Zeit,
Wort für Wort. Lieder wie: „We are unknown soldiers without
uniforms...“ (Wir sind unbekannte Soldaten ohne Uniform) und
viele andere. Danach schrieb ich eine Hymne für meine
Kompanie.
Ich bin kein Poet, weit davon entfernt. Aber ich habe einige
Lieder in meiner Zeit geschrieben, darunter „Samsons
Füchse“, eine Hymne für meine Kommandoeinheit der
israelischen Armee. Daher kenne ich die Kraft eines Liedes,
vor allem eines Liedes über die Heldentat eines 16jähriges
Kind.
IN DEM AUGENBLICK, als ich das Szenario sah, in dem Ahed al
Tamimi einem israelischen Captain der Armee ins Gesicht
schlug, wusste ich, dass sich etwas Bedeutendes ereignet
hatte. (...)
IM MOMENT, wo ich die Szene im TV sah, als sie ihm ins
Gesicht boxte, wusste ich, etwas Großes war geschehen. Nun
hat das palästinensische Volk eine Nationalheldin. Die
palästinensische Jugend hat nun ein Vorbild zum Nacheifern.
Die israelische Öffentlichkeit hat sich an die Besetzung
gewöhnt. Sie glauben, dass das eine ganz normale Situation
ist, dass die Besetzung für immer weitergehen kann. Aber die
Besetzung ist keine natürliche Situation und eines Tages
wird sie beendet werden. (...)
Sie wird in drei Monaten entlassen. Aber das ist zu spät:
das Bild von Ahed ist bereits im Gedächtnis von jedem
palästinensischen Jungen oder Mädchen eingraviert. Ahed, das
Mädel mit dem blonden Haar, ihre blauen Augen, die wie ein
Leuchtturm leuchten. Ahed, die Heilige, Ahed die Retterin.
Die palästinensische Jeanne d’Arc, das Nationalsymbol.
DIE GESCHICHTE von Ahed al-Tamimi spielte sich in der
Westbank ab. Aber sie hallte wider bis in den Gazastreifen.
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Tania Maria Sakkal - Ahed, you
are the promise and the glory
(ENGLISH SUBTITLES)
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