Gott
segne Putin
Uri Avnery, 8.3.14
BENJAMIN
NETANJAHU ist ein sehr guter Redner, besonders vor Juden,
Neokonservativen und ähnlichen Leuten, die aufspringen und
ihm wild applaudieren, egal, was er sagt, einschließlich ,
dass morgen die Sonne im Westen aufgeht.
Die Frage
besteht: ist er auch sonst gut?
Sein Vater,
ein ultra-ultra-Rechter, sagte einmal über ihn: Dass er sich
gar nicht als Ministerpräsident eignen würde, aber er könnte
ein guter Außenminister werden. Was er meinte, war, dass
Benjamin nicht die nötige Tiefe des Verständnisses hat, das
nötig sei, um eine Nation zu führen, aber dass er gut sei,
irgendeine Politik, die von einem echten Führer bestimmt
worden sei, zu verkaufen.
(Erinnern wir
uns an die Charakterisierung Abba Ebans durch David Ben
Gurion: „Er kann sehr gut erklären, aber man muss ihm sagen,
was er erklären soll.“)
In dieser
Woche wurde Netanjahu nach Washington gerufen. Er sollte
vermutlich John Kerrys neues „Rahmenabkommen“ billigen, das
als Grundlage eines neuen Startes für die
Friedensverhandlungen dienen solle, die bis jetzt zu nichts
geführt haben.
Am Vorabend
des Ereignisses gab Präsident Barack Obama einem jüdischen
Journalisten ein Interview, in dem er Netanjahu
beschuldigte, den „Friedensprozess“ so hinauszuzögern, als
ob es wirklich einen Friedensprozess gegeben hätte.
Netanjahu kam
mit einer leeren Aktentasche - womit ich meine, mit einer
Tasche voll leerer Parolen. Die israelische Führung hatte
mächtig für Frieden gekämpft, kam aber wegen der
Palästinenser überhaupt nicht voran. Mahmoud Abbas sollte
man anklagen, weil er sich weigert, Israel als den
Nationalstaat des jüdischen Volkes anzuerkennen.
Und was ….hmm
….ist mit den Siedlungen, die während des letzten Jahres
mit rasender Geschwindigkeit erweitert wurden? Warum
sollten die Palästinenser endlos verhandeln, während die
israelische Regierung immer mehr Land in Besitz nimmt, das
zur Substanz der Verhandlungen gehört? (s. das klassisch
palästinensische Argument: „Wir verhandeln über die Teilung
einer Pizza. und in der Zwischenzeit isst Israel die Pizza
auf“)
Obama
wappnete sich, sich mit Netanjahu, der AIPAC und ihren
Strohmännern des Kongresses auseinanderzusetzen. Er war
dabei, Netanjahu die Arme hinterm Rücken zu verdrehen, bis
er aufgibt und Kerrys „Rahmenabkommen“ annimmt, das bis
jetzt so verwässert worden ist, dass es fast wie ein
zionistisches Manifest aussieht. Kerry arbeitet fieberhaft
an einem Abkommen egal, ob man mit ihm zufrieden oder
unzufrieden ist.
Netanjahu,
der nach etwas schaute, um den Angriff zurückzuweisen, war
bereit, wie gewöhnlich „Iran! Iran! Iran!“ zu schreien – als
etwas Unvorhergesehenes geschah.
NAPOLEON
MACHTE einmal den berühmten Ausspruch: „Gebt mir Generäle,
die Glück haben!“ Er hätte General Bibi geliebt.
Weil, als er
unterwegs zu einem wieder gekräftigten Obama war, um ihm
gegenüber zu treten, es eine Explosion gab, die die Welt
erschütterte.
Die Ukraine.
Es war wie
die Schüsse, die vor hundert Jahren aus Sarajevo drangen.
Die internationale Ruhe war plötzlich zerstört. Die
Möglichkeit eines größeren Krieges lag in der Luft.
Netanjahus
Besuch verschwand aus den Nachrichten. Obama war mit einer
historischen Krise beschäftigt, und wünschte, Netanjahu so
schnell wie möglich los zu werden. Anstelle eines strengen
Verweises vom israelischen Führer, kam er mit einigen hohlen
Komplimenten davon. All die wunderbaren Reden, die
Netanjahu vorbereite hatte, wurden nicht gehalten. Sogar
seine gewöhnlich triumphierende Rede vor der AIPAC erweckte
kein Interesse.
Alles nur
wegen des Aufstandes in Kiew.
BIS JETZT
sind schon unzählige Artikel über die Krise geschrieben
worden. Historische Assoziationen gibt es en masse.
Obwohl
Ukraine „Grenzland“ bedeutet, war es oft im Zentrum
europäischer Ereignisse .Die ukrainischen Schulkinder muss
man bedauern. Die Veränderungen in der Geschichte ihres
Landes waren konstant und extrem. Während verschiedener
Zeiten war die Ukraine eine europäische Macht und ein armes
heruntergekommenes Land, extrem reich (Der „Brotkorb
Europas“) oder erbärmlich arm, von den Nachbarn
angegriffen, die ihre Leute gefangen nahmen, um sie als
Sklaven zu verkaufen oder ihre Nachbarn angriffen, um ihr
Land zu vergrößern.
Die
Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland sind sogar
noch komplizierter. In einer Weise ist die Ukraine das
Herzland der russischen Kultur, Religion und der
Orthographie. Kiew war bei weitem bedeutender als Moskau,
bevor dieses zum Mittelpunkt des Moskauer Imperialismus‘
wurde
Im Krimkrieg
1850 kämpfte Russland tapfer gegen eine Koalition von
Großbritannien, Frankreich, das Ottomanische Reich und
Sardinien und verlor schließlich. Der Krieg war wegen der
christlichen Rechte in Jerusalem ausgebrochen und schloss
eine lange Belagerung von Sewastapol ein. Die Welt erinnert
sich noch an den Angriff „der Leichten Brigade“. Eine
Engländerin mit Namen Florence Nightingale baute die erste
Organisation auf, die sich um Verwundete auf dem
Schlachtfeld kümmerte. Daraus entstand das Rote Kreuz.
Während
meiner Lebenszeit mordete Stalin Millionen von Ukrainern
durch bewusstes Aushungern. Eine Folge davon war, dass die
meisten Ukrainer die deutsche Wehrmacht 1941 als Befreier
willkommen hieß. Es hätte der Beginn einer wunderbaren
Freundschaft sein können, aber leider hatte Hitler vor, die
ukrainischen „Untermenschen“ auszurotten, um die Ukraine in
den deutschen „Lebensraum“ zu integrieren.
Die
Krimbevölkerung litt schrecklich. Das tartarische Volk, das
die Halbinsel in der Vergangenheit beherrschte, wurde nach
Zentralasien deportiert, Jahrzehnte später wurde ihm
erlaubt, zurückzukehren. Jetzt sind sie eine Minderheit,
anscheinend unsicher, wo ihre Loyalität liegt.
DIE BEZIEHUNG
zwischen der Ukraine und den Juden ist nicht weniger
kompliziert.
Einige
jüdische Schriftsteller wie Arthur Köstler und Schlomo Sand
glauben, dass das Khazarenreich, das vor tausend Jahren die
Krim und die benachbarten Gebiete beherrschte, zum
Judentum konvertierte, und dass die meisten Aschkenazim von
ihnen abstammen. Dies würde uns alle zu Ukrainern machen
(Viele frühe zionistische Führer kamen tatsächlich aus der
Ukraine.)
Als die
Ukraine ein Teil des umfangreichen polnischen Reiches war,
nahmen viele polnische Adlige große Ländereien dort in
Besitz. Sie beschäftigten Juden als ihre Manager. So
schauten die ukrainischen Bauern auf die Juden als Agenten
ihrer Unterdrücker, und Antisemitismus wurde zum Teil der
nationalen Kultur der Ukraine.
Wie wir in
der Schule lernten, wurden bei jedem Wandel in der
ukrainischen Geschichte Juden ermordet. Die Namen der
meisten ukrainischen Volkshelden, Führer und Rebellen, die
in ihrer Heimat verehrt wurden, sind im jüdischen
Bewusstsein mit schrecklichen Pogromen verbunden.
Der Kossake
Hetman (Führer) Bohdan Chmeinytsky, der die Ukraine vom
polnischen Joch befreite, und von den Ukrainern als Vater
der Nation angesehen wird, war einer der schlimmsten
Massenmörder in der jüdischen Geschichte. Symon Petliura,
der die Ukrainer gegen die Bolschewiken nach dem 1.
Weltkrieg führte, wurde von einem jüdischen Rächer in Paris
getötet.
Für einige
ältere, jüdische Immigranten in Israel war es schwer zu
entscheiden, wen sie mehr hassten, die Ukrainer oder die
Russen (von den Polen ganz zu schweigen)
VÖLKER RUND
um die Erde finden es ebenso schwierig, welche Seite sie
wählen sollen
Die
gewöhnlichen kalten Krieger haben es einfacher – sie
hassen aus Gewohnheit entweder die Amerikaner oder die
Russen.
Was mich
betrifft: je mehr ich mich mit der Situation beschäftige,
umso unsicherer werde ich. Dies ist keine Schwarz- oder
Weiß-Situation. Die erste Sympathie geht zu den Maidan
Rebellen (Maidan ist ein arabisches Wort und bedeutet
Stadtplatz. Seltsam, wie es nach Kiew kam. Wahrscheinlich
via Istanbul)
Sie wollen
sich mit dem Westen verbinden, sich der Unabhängigkeit und
der Demokratie erfreuen. Was ist falsch daran?
Nichts, außer
dass sie zweifelhafte Genossen haben. Neo-Nazis in ihren
nachgeahmten Nazi-Uniformen, die mit dem Hitlergruß
grüßen, und den Mund voll antisemitischer Sprüche haben,
sind nicht sehr attraktiv. Die Ermutigung, die sie von
westlichen Verbündeten erhalten, einschließlich der
abstoßenden Neokonservativen, ist auch wenig einladend.
Auf der
anderen Seite ist Wladimir Putin auch nicht sehr einnehmend.
Es ist der alte russische Imperialismus - immer wieder.
Der von den
Russen benützte Slogan: die Notwendigkeit, die russisch
sprechenden Leute im Nachbarland zu schützen, klingt doch
unheimlich bekannt. Es ist eine genaue Kopie von Hitlers
Behauptung, 1938 die Sudetendeutschen vor dem tschechischen
Monster zu schützen.
Aber Putin
hat einige Logik auf seiner Seite. Sewastopol – das die
heroischen Belagerungen im Krim-Krieg und im 2. Weltkrieg
erlitt - waren wesentlich für seine Marine. Die Verbindung
mit der Ukraine ist ein wichtiger Teil des russischen
Strebens nach einer Weltmacht.
Als
kaltblütiger berechnender Typ, wie er jetzt selten in der
Welt vorkommt, benützt Putin die guten Karten, die er hat,
aber ist sehr vorsichtig, nicht zu viele Risiken auf sich zu
nehmen. Er managt die Krise, scharfsinnig benützt er die
offensichtlichen Vorteile Russlands: Europa benötigt sein
Öl und Gas, er benötigt Europas Kapital und Handel. Russland
spielt in Syrien und Iran eine führende Rolle. Die USA steht
plötzlich wie ein Zuschauer daneben.
Ich vermute,
dass es am Ende einen Kompromiss gibt. Russland will einen
Fuß in der kommenden ukrainischen Führung haben. Beide
Seiten werden den Sieg verkünden, und das ist gut
(Übrigens für
unsere Anhänger der „Ein-Staat-Lösung“: wieder scheint ein
multikultureller Staat auseinander zu brechen.)
WO WIRD uns
Netanjahu hinführen? Netanjahu hat einige Monate oder Jahre
gewonnen ohne irgendeine Bewegung in Richtung Frieden, und
in der Zwischenzeit kann er die Besatzung fortführen und
den Siedlungsbau mit großer Geschwindigkeit fortsetzen.
Das ist die
traditionelle zionistische Strategie. Zeit ist alles. Jeder
Aufschub gibt weitere Möglichkeiten, neue Tatsachen vor
Ort zu schaffen Netanjahus Gebete sind erhört worden.
Netanjahus
Beter beten: Gott segne Putin.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)