TRANSLATE
78% der Humanitären Hilfe für die
Palästinenser endet in israelischen Kassen.
Jonathan Cook
Diplomaten können einen Ruf von Trostlosigkeit, Verschleierung, sogar
Heuchelei haben, aber nur wenige fanden sich selbst, mit einem
Serienmörder verglichen wieder, erst recht nicht mit einem, der
Menschenfleisch verschlingt.
Diese Ehre wurde Laars Faaborg-Anderson, dem
EU-Botschafter, letzte Woche in Israel zuteil, als jüdische Siedler eine
Kampagne durch die sozialen Medien starteten, die ihm die Rolle des
Hannibal Lecters zuschrieben, dieser grauenvollen Charakterfigur aus dem
Film „Das Schweigen der Lämmer“.
Ein Bild des dänischen Diplomaten, der Lecters
Gefängnis-Gesichtsmaske trägt, sollte ein Hinweis dafür sein, dass
Europa einen ähnlichen Maulkorb benötigt.
Die Beschwerde der Siedler richtet sich gegen das
europäische Hilfsprojekt, wodurch palästinensischen Beduinenfamilien
vorübergehend Zuflucht gewährt wurde, nachdem die israelische Armee
deren Häuser in den besetzten Gebieten in der Nähe von Jerusalem
zerstört hatte. Die Notbehausung hat ihnen dazu verholfen, auf dem Land
zu bleiben, das Israel und die Siedler begehrten.
Europäische Offizielle, die über den Vergleich mit
Lecter schockiert waren, haben Tel Aviv daran erinnert, dass, wenn
Israel das internationale Recht achten würde, nicht die EU, sondern
Israel die Verantwortung für das Wohlergehen der Familien übernähme.
Während Europa sich als Teil eines aufgeklärten
Westens sieht, indem es Hilfe einsetzt, um die palästinensischen Rechte
zu verteidigen, ist die Realität kaum beruhigend. Die Situation könnte
durch die Hilfe maßgeblich verschlechtert werden.
Shir Hever, ein israelischer Volkswirt, der einige
Jahre damit verbracht hat, die undurchsichtigen Wirtschaft der Besetzung
(wie ein Puzzle) zusammenzusetzen, veröffentlichte kürzlich einen
Bericht, der den Leser schockiert. Wie andere, so glaubt auch er, dass
die internationale Hilfe Israel ermöglicht hat, nicht die Rechnung
seiner jahrzehntelange Besetzung begleichen zu müssen. Aber er geht
noch weiter. Seine erstaunliche Schlussfolgerung, die die israelischen
Siedler völlig überraschen wird, ist, dass mindestens 78 Prozent der
huminitären Hilfe, die für die Palästinenser bestimmt ist, in Israels
Kassen landet.
Die Summen, um die es geht, sind riesig. Die
Palästinenser, die unter Besatzung stehen, gehören zu den Menschen, die
weltweit am meisten von Hilfe abhängig sind. Sie erhalten mehr als 2
Milliarden Dollar von der Internationalen Gemeinschaft pro Jahr. Laut
Hever konnten Spender bis zu einem Drittel der Besatzungskosten
subventionieren. Darauf, wie Israelis auf andere Arten von der Hilfe
profitieren, wurde in vorherigen Studien eingegangen. Im Jahre 2013
schätzte die Weltbank sehr vorsichtig, dass die Palästinenser mindestens
3,4 Milliarden Dollar pro Jahr durch von Israel geraubte Ressourcen
verlieren.
Außerdem benutzt man Israels Weigerung, Frieden mit
den Palästinensern und folglich auch mit dem Rest der Region zu
schließen, zur Rechtfertigung von Washingtons jährlicher Militärhilfe
in Höhe von drei Millarden Dollar.
Israel benutzt die besetzten Gebiete als
Laboratorien, um Waffen und Überwachungssysteme an den Palästinensern zu
testen und dann die Expertise daraus zu exportieren. Israels Militär-
und Cyber-Industrien sind äußerst profitabel. Sie erzeugen ein Einkommen
von vielen Milliarden Dollar jedes Jahr. Eine in der letzten Woche
veröffentlichte Umfrage fand heraus, dass das kleine Israel das acht-
mächtigste Land der Welt ist. Aber während diese Einkommensströme ein
erkennbarer , wenn auch beunruhigender, Gewinn der israelischen
Besatzung sind, ist die westliche humanitäre Hilfe ganz deutlich nur für
die Palästinenser bestimmt - für die Opfer, nicht für die Sieger.
Also, wieso schöpft Israel so viel ab? Das Problem,
sagt Hever, sei Israels selbstauferlegte Rolle als Mediator. Um die
Palästinenser zu erreichen, haben Spender keine andere Wahl., als via
Israel. Das verschafft günstige Gelegenheiten für das, was er als
„Subversion und Diversion“ der Hilfe (Umleitung der Hilfe) bezeichnet.
Die ersten Ergebnisse von den Palästinensern sind die
eines „gefangenen Marktes“. Sie haben Zugang nur zu wenigen
nicht-israelischen Waren und Dienstleistungen. Wer profitiert? Eine
israelische Organisation, die für Israel die wirtschaftlichen Vorteile
der Besatzung überwacht, urteilt, dass der Molkereibetrieb Tnuva ein
Monopol in der Westbank im Werte von 60 Millionen pro Jahr hält.
Die „Umleitung“ der Hilfe geschieht, weil Israel
sämtliche Bewegungen von Menschen und Waren kontrolliert. Die
israelischen Restriktionen ermöglichen ihm, Transport und
Lagerungskosten zu verlangen sowie Sicherheitsgebühren zu erheben.
Weitere Studien haben zusätzliche Profite durch die
Zerstörung von Hilfsprojekten nachgewiesen. Wenn Israel vom Ausland
finanzierte Hilfsprojekte zerstört, bedeutet das einen Verlust für die
Palästinenser, aber für Israel oft einen Gewinn.
Beispielsweise wird von dem Zement-Hersteller,Nesher
berichtet, er kontrolliere 85 % von allen Baumaßnahmen von Israelis und
Palästinensern, einschließlich der Lieferungen für den Wiederaufbau in
Gaza nach den wiederholten Zerstörungen durch Israel.
Bedeutende Segmente von Israels Gesellschaft, außer
denen in der Sicherheitsindustrie,
arbeiten durch die Besatzung in die eigene Tasche.
Paradoxerweise trifft die Bezeichnung:“ das weltweit am meisten von
Hilfe abhängige Volk“, die man normalerweise den Palästinensern
anheftet, wohl eher auf die Israelis zu.
Was kann getan werden? Der internationale
Rechtsexperte, Richard Falk, stellt fest, dass Israel ein Vakuum in der
Kontrolle der Hilfe ausnutzt: es gibt keine Vorschriften für Spender,
sicherzustellen, dass ihr Geld die beabsichtigten Empfänger auch
erreicht.
Was die Internationale Gemeinschaft in den letzten 20
Jahren des Oslo-Prozesses unbeabsichtigt oder beabsichtigt getan hat,
ist, Israel finanzielle Anreize zu bieten, um seine Vormachtstellung
über die Palästinenser festigen und verankern zu können. Israel kann
dies fast ohne jegliche Kosten tun.
Während Europa und Washington versucht haben, Israel
mit einem kleinen „diplomatischen Stock zu schlagen“, um seinen Griff an
den besetzten Gebiete zu lösen, halten sie Israel zugleich saftige
finanzielle Möhren vor die Nase, die es motivieren, seinen Griff zu
festigen.
Es gibt einen kleinen Hoffnungsstrahl. Die Politik
der westlichen Hilfe muss keine Selbst-Sabotage sein. Hevers Studie
zeigt, dass Israel gewachsen ist und genauso auf die Hilfe für die
Palästinenser angewiesen ist, wie die Palästinenser selbst. Die EU
stellte letzte Woche fest, dass Israel und nicht Brüssel für die
Beduinen zu sorgen habe, die es odachlos zurückgelassen hat. Europa
sollte sich seinen eigenen Rat zu Herzen nehmen und die wahren Kosten
für die Besatzung auf Israel zurück verlagern.
Das könnte schon bald geschehen, unabhängig davon,
was der Westen beschließt, wenn, wie sogar von Israel vorausgesagt wird,
die Palästinensische Autorität von Mahmoud Abbas bald zusammenbrechen
wird.
(Übersetzt von Inga Gelsdorf)
|