Wir müssen
umdenken
Ein
sensationell offenes Buch – Selbstzeugnisse von israelischen
Elitesoldaten
Von Rupert Neudeck - 2.7.08
Dieses
Buch könnte uns gut-willigen Deutschen kräftig den Kopf
waschen. Und diese Wäsche könnte so gründlich sein, dass wir
dorthin nicht mehr zurückgehen können, wo es für uns so
bequem war. Denn es war sehr bequem, in der alten klaren
Vorstellung zu verharren, dass da ein Staat ist, der nur das
Gute will und das Gute tut. Wenn er ausnahmsweise etwas
kollateral Böses tut, dann macht er das nur bedauernd und
missbilligend. Aber die Verhältnisse, die sind eben so, dass
er nicht anders kann als auch mal zwischendurch gegen seinen
Willen auszugleiten und etwas Böses zu tun.
Ihm gegenüber stehen die
Bösen, die alle Feinde sind, die alle irgendwo das Messer
wenn nicht zwischen den Zähnen, so doch ganz in den
Schubladen versteckt halten, um den Guten zu ermorden oder
ins Meer zu werfen. Manichäisch wie die Verhältnisse bei den
Regierungen sind, waren und sind (?) die Juden-Israelis
immer die Guten, die Palästinenser-Araber immer die Bösen.
Aber es gab etwas, was diesen Manichäismus immer in Frage
stellt: die Öffentliche Meinung und die Pressefreiheit in
Israel. Es gibt nirgends auf der Welt so kluge, so gerechte,
so halsstarrig sture Sachwalter der Sache der Palästinenser
wie in Israel. Da gibt es und darf es keinen Zweifel geben.
Das Buch ist ein großes
reifes Werk, denn die Autorin lässt sich nicht auf den Weg
der moralischen Daueranklage oder der emotionalen
Tränenseligkeit ein. Nein, sie beschreibt, was sie selbst
erlebt, sie hat die Gespräche alle aufgenommen, die sie mit
Soldaten und Soldatinnen geführt hat. Sie ist bisher nicht
bekannt in der Riege derer, die in Europa und Deutschland
eine Stimme haben. Deshalb hat der Verlag auch begütigend
den bekannten jahrzehntelang regierenden Experten Arnold
Hottinger ihr zur Seite gestellt. Sie ist eine Schweizerin,
ist nicht Parteigänger der einen wie der anderen.
Das Buch hat seine
Einmaligkeit in den 80 Seiten der „Soldatenerzählungen“, die
das ganze Übrige in den Schatten stellen. Sie spricht mit
meist jungen Israelis, die in den besetzten Gebieten als
Soldaten eingesetzt waren und dort kämpfen mussten, gegen
Steine werfende Kindersoldaten, gegen Familien, die sie aus
ihren Wohnungen schmeißen mussten, auf keinen Fall waren sie
in einem richtigen Krieg, den man psychisch vielleicht noch
aushalten würde.
Es sind einzelne Menschen,
die in der Erzählung ein klares Profil bekommen, aber es ist
das Profil von hemmungsloser Verzweifelung mit kantischer
Moralpräzision: Was tue ich hier alles, was ich nicht will?
Idan, der ehemalige
Panzerschütze, beschreibt diese völlig unverhältnismäßige
Übermacht, mit der eine Panzerarmee nicht nur nach Nablus,
sondern auch noch nach Balata einrückt. Balata ist das
Flüchtlingslager seit 40 Jahren in Nablus. „Mit den Panzern
konnten wir in Balata nur durch eine Hauptstrasse und zwei
kleine Nebenstrassen fahren. Natürlich demolierten wir so
Häuser. Panzer sind nicht stadtfreundlich.“ Er steckt den
Kopf aus der Panzerluke und sieht keine Bewohner. Das war
unheimlich, weil „ich wusste, dass sie mich hinter ihren
zugezogenen Gardinen beobachteten“. Wenn er heute an Balata
denkt, versteht er, weshalb von dort so viele Terroristen
kommen. Aber er hält sich immer noch an das, was Soldaten
immer tun: Befehl ist Befehl. Als Soldat befolgt man
Anweisungen, solange sie legal sind.
„Wir wissen doch, dass
Soldaten überall auf der Welt Gebiete besetzen“. Mag sein,
aber 40 Jahre, jetzt 41 Jahre mit der Aussicht auf weitere
20 Jahre – das gibt es nur in Israel/ Palästina. Idan wird
verwundet, schwer verwundet, ein Kampfhelikopter zog ihn aus
der Gefahrenzone, er wurde zusammengeflickt.
Oren hatte sich für die
härteste Armee Gruppe entschieden: die Fallschirmjäger. Er
kommt als Ausbilder und Offizier einer Einheit im Jahr 2002
auch nach Balata. „Einmal durchsuchten wir das ganze Lager,
Haus für Haus. Familien, Kinder, Alte, alle paar Minuten
neue Leute, die vor dir stehen und doch voller Angst
anstarren. Und zuschauen, wie du kommst und ihre Kleider aus
dem Schrank reisst, ihre Sofas umschmeisst, um Waffen zu
finden. Für mich waren es Menschen, die ein kümmerliches
Dasein fristeten“. Nicht Feinde. Sie aber – so sagte er es –
„kannten keine Israeli mehr, die Menschen waren, sie
begegneten nur noch Soldaten“.
Dann kam es zu einem
Angriff auf einen Militärposten in der Nähe von Ramallah,
wohlgemerkt, besetztes Gebiet, seit 40 Jahren. Ein
Palästinenser hatte 5 Soldaten getötet. Für die israelische
Armee sei das eine „unbeschreibliche Schande“ gewesen. In
derselben Nacht hätten sie den Befehl bekommen, die völlig
unbescholtenen palästinensischen Polizisten rund um Nablus
anzugreifen. Oren: „Rache, pure Rache. Nie hätte ich
gedacht, dass unsere Armee so funktioniert. Der Befehl war
simpel: Attackiert den Polizeiposten und tötet alle“.
Innerhalb von zwei Stunden
waren die Palästinensischen Polizisten in ihrem Status
andere geworden. „Nun waren sie Feinde“. Avichay, ehemaliger
Infanterist, kommt darauf, wie der Soldat im Kampf gegen
eine Zivilbevölkerung abstumpft. In Nablus war für ihn ein
Haus kein Haus mehr, sondern etwas, „das man nach Waffen
durchkämmen muss, wie ein Wildschwein den Waldboden nach
Trüffeln.“ Zwanzig Soldaten, die im Namen der Sicherheit
jede Bluse aus dem Schrank reissen, jedes Sofa aufschlitzen.
„Für uns war das die Routine der Besetzung. Es geht hier
nicht um Schlachten und Schiessereien. Es geht um eine
Familie, deren Haus so oft zerstört wird, bis die Familie es
satt hat und weit fort zieht. Weg aus diesem Land“. Darauf,
dass das die Absicht der Befehlshaber sein könnte, kommt
Avichay noch nicht. Er habe niemanden geschlagen, aber viele
misshandelt. Oder sei das keine Misshandlung, wenn man
morgens um drei Uhr in ein Haus einfällt und die
Grossmutter, die Kinder, die Eltern auf die Strasse zerrt?
„Ist das keine
Misshandlung?“
So geht das noch weiter,
die Autorin spricht auch mit einer F16 Kampfjet
Navigatorin. Das Gespräch wird im Beisein von zwei
Zensorinnen der Israelischen Armee geführt. Diese
Navigatorin ist von dem Krieg angetan. Diese Frau lebt ganz
im Einklang mit dem Narrativ, dass die anderen die
Unruhe-Stifter, Feinde und Mörder sind, dagegen sei die
eigene Armee eine „moralische Armee“. „Ich spiele keine
politischen Spiele, sondern tue nur meine Pflicht“.
Achivay sagt zum Schluß
seines Interviews: Er hätte nicht mehr schweigen können.
„Für mich ist Schweigen eine der größten Sünden. Wenn wir
erst einmal selbstverständlich erscheint, darüber zu
schweigen, was in den besetzten Gebieten passiert, werden
wir lernen, dass man das alles wegschweigen kann“.
In immer neuen
Soldatenerzählungen wird deutlich, was dieser
Besatzungskrieg in den Köpfen der Palästinenser, aber auch
der Israelis anrichtet. Manchmal sind die Konfessionen so
brutal, dass man sie durchstreichen möchte, so sehr stehen
sie unserer allgemein akzeptierten Anschauung von Israel im
Wege:
„Was hat die Besatzung aus
Dir gemacht?“, fragt sich der Soldat, der aus dieser Gruppe
kommt, die das Schweigen bricht: Er hat lange in Kalkilya
Dienst getan. „Ich war zwei Monate Fahrer eines
Panzerfahrzeugs. Es war ganz normal, die Wagen der
Palästinenser zu demolieren und Häuser anzurempeln. Aus
Spass, das war wirklich eine Menge Spass.“ Am Donnerstag sei
er zu seinen Eltern nach Kfar Saba zurückgefahren, nur 4 km
entfernt. „Glaubst du, ich hätte an einem Rotlicht
gehalten?“
Man kann eben nicht
vergessen, was man im Leben getan hat. „Wenn Du einen
Menschen tötest, musst Du dein Leben lang damit klar kommen,
dass du ein Mörder bist. Der andere aber ist tot.“ Der
Soldat beklagt die Folgen: „Schau uns an! Korruption in der
Regierung, Gewalt und Zerfall in unserer Gesellschaft. Das
sind die Folgen unserer Besetzungspolitik. Sie zerstört uns
alle. Nicht nur die Palästinenser“.
Die Soldaten hauen danach
ab. Sie wollen nur vergessen. Jedes Jahr werden 50.000
Soldaten aus der IDF entlassen. Und jedes Jahr stellt Indien
30.000 Touristenvisa für Israeli aus. Dort sei man weit weg
vom Krieg. „Niemand kennt dich. Niemand weiss, was du getan
hast“.
Die Autorin hat Zugang
bekommen zu einer Organisation von ehemaligen Soldaten, die
sich „Breaking the Silence“ nennt. Bei dieser Organisation
legt der Staat Israel auch nicht mehr die übliche
demokratische Toleranz an den Tag. Eine Ausstellung der
ex-Soldaten Organisation
mit Photos von den Misshandlungen der Bevölkerung von Hebron
wurde in Tel Aviv und Jaffa gewaltsam weggeräumt. Da hört
die Toleranz dann auf.
Die Autorin hat wie kaum
eine andere, länger in Israel und auf dem Gaza Streifen und
in Ramallah gelebt; sie hat nicht nur arabisch gepaukt: Sie
hat arabisch an der palästinensischen Birzeit Universität
gelernt unter dem Erlebnis von immer wieder neuen
Ausgangssperren und Drangsalierung durch die Israelische
Armee. Sie hat das alles gesehen, das macht ihr Buch so
glaubwürdig.
Freitagspicknick am Strand
im Norden von Gaza: 6. Juni 2006. Blut hat den Sand
kupferrot verfärbt. Fünf Kinder und die Eltern sind von
einer Rakete zerhackt worden. Die Toten werden gekühlt.
Kinderkörper in Freitagskleidung. Zwei auf der Bahre.
Kinderköpfe offen. Blick auf ein halbes Gehirn. Eine
Expertengruppe von Human Rights Watch war gekommen, um das
Verbrechen am Strand zu untersuchen. „Wir sind zu neunzig
Prozent sicher, dass es eine fehlgeleitete israelische
Granate war.“
Die Autorin berichtet
nüchtern, wie der Aktualitätsterror läuft: Nach wenigen
Tagen sei der Vorfall kein Thema mehr. Kampfhelikopter
kommen zurück. „Einer feuert eine Rakete auf ein Auto. Sie
tötet Militante, aber auch Kinder und Nothelfer am
Straßenrand“. Weder berichten die Medien, noch empört sich
die uns bekannte Welt.
Das Buch enthält ein
beglaubigendes Nachwort von dem Experten aus der Schweiz,
Arnold Hottinger. Hottinger aber gibt der Informationsfülle
des Buches nur noch mal eine Art lexikalischen
Resonanzboden. Er bestätigt, es gäbe eine von Menschen
gemachte
Hölle auf Erden und die
liege zwischen Nablus und Balata. Der menschliche Ursprung
sei gut erkennbar: Alle Beteiligten wollen sich
entschuldigen. Die Kämpfer Terroristen sagen; die
Israelische Seite begreife nur dann, was sie den
Palästinensern antut, wenn sie selbst Ähnliches an Schmerz
erduldet. Die Armee und sonstige Repressionsorgane Israels
handeln in dem irrigen Glauben, dass sie damit ihrem Volk
Sicherheit verschaffen. Sie wollen nicht wissen, dass sie in
Wirklichkeit eingesetzt werden, um den vier Mio
Palästinensern die Besatzung weiter aufzuzwingen und
möglichst viel von ihrem Land zu stehlen. Die unübersehbare
Präsenz von fast 300.000 Siedlern in dem fremden Gebiet, das
schon jahrelang als Staat ausgerufen werden soll, belegt
diese Tatsache.
Ein Buch, das man nach der
Lektüre voller Trauer aus der Hand legt darüber, was unter
Menschen möglich ist. Und darüber, was unter dieser
Besatzung seit über 40 Jahren geschieht. Und: Dass wir uns
darüber wundern, dass in solcher Situation Menschen, zumal
junge Menschen voller Verzweifelung irgendeine Wahnsinnstat
begehen.
Karin Wenger: Checkpoint
Huwara. Israelische Elitesoldaten und palästinensische
Widerstandskämpfer brechen das Schweigen. Diederichs
Hugendubel Verlag Kreuzlingen München 2008
Checkpoint Huwara
Israelische
Elitesoldaten und
palästinensische
Widerstandskämpfer brechen das
Schweigen
Karin
Wenger, Kai Wiedenhöfer
Die Gewaltspirale im Nahen Osten
dreht sich seit Ausbruch der
zweiten Intifada im Jahr 2000
immer schneller. Der Konflikt
polarisiert wie kein anderer.
Wahrgenommen werden jedoch vor
allem jene Ereignisse, die
Schlagzeilen machen:
palästinensische
Selbstmordanschläge, israelische
Militärinvasionen und
gescheiterte
Friedensverhandlungen. In
Checkpoint Huwara lässt Karin
Wenger israelische und
palästinensische «Helden» von
ihrem Alltag erzählen. >>>Karin
Wenger: Checkpoint Huwara
|