Ramadan – Monat der
Gegensätze
Krieg oder Vertrauen: Der
islamische Fastenmonat steht für Vieles
DT vom 19.10.2004
Von Johannes Zang
Die angeblichen Folgen des Fastenmonats
Ramadan geben Grund zur Hoffnung für den Nahen Osten: Das Vertrauen
und die Freundlichkeit unter den Leuten nehme zu, viele Menschen
würden ruhiger, geduldiger, höflicher und anständiger.
Der Ramadan, der neunte Monat des arabischen
Kalenders, ist der einzige Monat, der im Koran erwähnt ist. Die
Wurzel des Wortes Ramadan beschreibt Hitze, Ruhelosigkeit und Härte,
was unterschiedliche Bedeutungen zur Folge hat. Der Monat fordert
von jedem Muslim – Kinder, Schwangere und Kranke ausgenommen – das
Fasten vom Sonnenaufgang bis zum Untergang. Außerdem verlangt er
Anstrengungen der Selbsterziehung. Denn vollkommenes Fas-ten
verbrenne die Sünden und schlechte Charaktereigenschaften.
Statistiken zufolge nehmen während des Fastenmonats Ramadan Mord,
Diebstahl und Streitereien deutlich ab.
Eine weitere Bedeutung von Ramadan besteht
jedoch im „Schärfen und Spitzen“ des Schwertes oder Speeres, um sich
für den Kampf vorzubereiten. Der Muslim soll während des
Fastenmonats das Schwert seiner Vernunft schärfen und den Speer
seines Glaubens spitzen, um die Wahrheit des Islam besser zu
verstehen und gegen alle inneren und äußeren Feinde gut gerüstet
kämpfen zu können – zur Beseitigung von Unterdrückung,
Gewaltherrschaft und Ungerechtigkeit.
Begriffe wie „islamisches Vergeltungsgebot als
göttliches Strafrecht“ und „islamische Kriegsführung als heilige
Verteidigung des Islam“ gehören ebenfalls zum Vokabular. Die großen
und entscheidenden Kriege in der Zeit des Propheten Mohammed seien
während des Fastenmonats Ramadan gefochten worden. „So ermahnt uns
Ramadan noch einmal mit der Stimme der Offenbarung, dass wir die
obdachlosen Muslime aus Palästina, Afghanistan, Libanon und viele
andere nicht vernachlässigen“, heißt es im Buch „Fasten – Sinn und
Vorteile“ des in Delmenhorst ansässigen Vereins „Islamischer Weg
e.V.“.
Aber was ist mit „vernachlässigen“ gemeint?
Lassen sich Zunahme der Freundlichkeit einerseits und Kämpfen
andererseits vereinbaren? Ruft der Fastenmonat gar zum heiligen
Krieg auf?
Ihren Kleinkrieg im Gaza-Streifen hat
zumindest die israelische Armee vorerst beendet. Nach siebzehn Tagen
und 130 getöteten Palästinensern haben sich die israelischen
Verteidigungsstreitkräfte wieder aus dem nördlichen Gazastreifen
zurückgezogen. Ministerpräsident Scharon und Verteidigungsminister
Schaul Mofaz hatten zuvor entschieden, dass die Armee bis zum Beginn
des Fastenmonats Ramadan wieder aus den Wohnorten im Gazastreifen
abziehen muss.
Aus israelischen Sicherheitskreisen ist jedoch
zu hören, dass trotz der Pause zahlreiche Kräfte im nördlichen
Gazastreifen stationiert bleiben, um bei erneutem Beschuss
israelischer Ziele durch Qassam-Raketen wieder in den Landstrich von
der Größe Bremens eindringen zu können. „Die Operation im
Gazasteifen wird andauern und ausgeweitet werden, solange es auf der
israelischen Seite Verletzte gibt“, machte Ministerpräsident Scharon
noch Ende vergangener Woche deutlich. Unter Beschuss gebe es keinen
Rückzug. Scharon forderte von der Leitung des Verteidigungsressorts
mehr Entschlossenheit, dabei sollte auch in Betracht gezogen werden,
zivile Ziele anzugreifen.
Die Palästinenser: Volk mit einem
Selbstvernichtungstrieb?
Auch der israelische Botschafter in
Deutschland, Schimon Stein, äußerte sich zu den gezielten
Terrorabwehrmaßnahmen der israelischen Armee im Gazastreifen: „Wir
ziehen uns einseitig zurück und die Antwort ist Terror – dagegen
wird sich Israel wehren“, so der Botschafter, der zudem die Frage
stellt, was die Ziele der palästinensischen Behörde seien. Im
September 2000, in Camp David, sei sie der Staatsgründung so nah wie
nie zuvor gewesen. „Auch wenn sie über das Angebot nicht zufrieden
waren – musste die Antwort Terror sein?“
Das sei traurig. Stein sieht auch keinen
Partner für Verhandlungen, sonst hätte man über den Friedensfahrplan
agieren können, „das Instrument zur Realisierung der Vision von
einem palästinensischen Staat friedlich neben Israel“. Stein
bezweifelt zudem, ob die palästinensische Autonomiebehörde Interesse
an einer friedlichen Lösung habe. „Trotzdem haben wir die
historische Entscheidung getroffen, uns bedingungslos aus dem
Gazastreifen zurückzuziehen. An sich müssten die Palästinenser doch
zufrieden sein.“ Dabei habe man es „mit einem Volk zu tun, das an
einer Art Selbstvernichtungstrieb leidet“.
Der Israeli Michael Warschawski, Mitglied des
Friedensblocks Gusch Schalom und Vorsitzender des „Alternative
Information Center“, spricht ebenfalls von Selbstzerstörung, meint
dabei aber die eigene Regierung und Bevölkerung. Er, der Ende der
achtziger Jahre zu dreißig Monaten Haft wegen „Unterstützung
illegaler palästinensischer Organisationen“ verurteilt war, hat
gerade sein neues Buch „Mit Höllentempo“ veröffentlicht. „Mit
geschlossenen Augen, in rasendem Tempo“ bewege sich Israel auf den
Abgrund zu. Die Mehrheit der Bevölkerung wolle das nicht wahrhaben.
„Wir haben die Selbstkontrolle verloren. Wir provozieren immer
wieder Gewalt und ernten immer mehr Gewalt.“
Zu glauben, dass Israel den Krieg gewinnt,
weil es die Mauer und Nuklearwaffen habe, sei tödlich. Deutlich
spricht der in Straßburg geborene Friedensaktivist Israels
Schattenseiten an: „Israel verletzt Hunderte von UN-Resolutionen und
begeht laufend Kriegsverbrechen.“ Als Beispiel nennt er den Abwurf
einer 1000-Kilo-Bombe über einer dicht bevölkerten Gegend, „um einen
Menschen zu töten, von dem man annimmt, er sei ein Terrorist. Für
Warschawski ist das ein klarer Bruch der Haager Konvention. Den
Osloprozess sieht er als beendet an, er könne auch nicht wieder
belebt werden. Und der Friedensfahrplan sei nur ein Stück Papier.
„Was wir jetzt brauchen, steht noch nicht auf der Agenda: eine
starke kritische internationale Öffentlichkeit und Einmischung, um
alle Aggressionen zu stoppen, das Morden, die Besetzung, die
Siedlungspolitik.“
Zeit des Ramadan – vielleicht die richtige
Zeit der Einkehr für alle Beteiligten, Israelis, Palästinenser, die
Vereinigten Staaten und die Europäische Union? Jedenfalls hat der
israelische Staatspräsident Mosche Katsav den Fastenmonat als eine
„Zeit zum Gebet für besseres Verständnis und Brüderlichkeit unter
allen Völkern und allen Mitgliedern der monotheistischen Religionen
im Besonderen“ bezeichnet.
Vielleicht stellen sich bei den
Konfliktparteien ja die guten Seiten des Ramadan ein: Freundlichkeit
und Anstand, Höflichkeit, Geduld und – vielleicht das Wichtigste von
allen – Vertrauen. Denn dieses dürfte mit jedem der 130 Toten der
Operation „Tage der Buße“ schwer beschädigt worden sein.
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