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Kritik der „Story im Ersten“: „Antisemitismus heute – Wie
judenfeindlich ist Deutschland?“
Gesendet in der ARD am Montag, 28.10. 2013, 22:45 - 23:30
Wiederholung: Bayerisches Fernsehen, Mittwoch, 08.01.2014, 21:00 bis
21:45 Uhr
Jürgen Jung - 22. 1. 2014
Von einer mit Mitteln des öffentlich-rechtlichen Rundfunks realisierten
„Dokumentation“ zu einem so wichtigen Thema darf man wohl erwarten, daß
sie den Mindestansprüchen eines professionellen, eines redlichen
Journalismus genügt. Aber statt seriöser Information und Analyse bekommt
der Zuschauer mehr oder minder geschickte Manipulation serviert und
fragt sich am Ende, wer hierzulande eigentlich kein Antisemit ist?
Zu Beginn des Films (fast eine Viertelstunde lang) wird der
Antisemitismus der Rechten mit erschreckenden Details vorgestellt.
Allerdings - so der Film - „kannten wir diesen AS bereits“. Wenn dem so
ist, warum wird dann gerade dieser traditionellen Geisteskrankheit
derart viel Raum (ja, auch zur Selbstdarstellung) eingeräumt. Auf eine
wirklich relevante neue Tendenz in diesem rechten Sumpf, nämlich die
zunehmende Israelfreundschaft aus einer anti-islamischen Motivation und
der freundliche Empfang, der ihren Protagonisten (Geert Wilders,
Heinz-Christian Strache, neuerdings anscheinend auch Marine Le Pen ...)
von Vertretern der israelischen Regierung bereitet wird, geht der Film
dagegen überhaupt nicht ein.
Der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, deutet zwar den
größeren Zusammenhang von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus an, in den
das antijüdische Ressentiment einzuordnen wäre, allein dieser richtige
Ansatz bleibt leider folgenlos für die Argumentationslogik des Films. Es
hätte zumindest erwähnt werden dürfen, daß xenophobe Einstellungen sich
in unserer Gesellschaft mittlerweile vorwiegend gegen Moslems, gegen
Araber, gegen Asylanten.... richten (siehe die „NSU“-Morde, die Angriffe
auf Moscheen, Asylantenheime usw.).
Dieser Hinweis soll nicht missverstanden werden als Relativierung der
Judenfeindschaft, die bei uns allerdings mitnichten – wie der Film
alarmistisch behauptet – nennenswert zunimmt. (In Ländern wie Ungarn
oder Frankreich mag dies anders sein.) Auch Vorfälle wie der brutale
Überfall auf den Berliner Rabbiner Daniel Alter beweisen keineswegs das
Gegenteil.
Die Doku dringt dann vom rechten Rand in „die Mitte der Gesellschaft“
vor, wo sich – so die Filmemacher - ein Antisemitismus „gebildeter
Leute“ ausmachen lässt, deren Bildungsgrad sie keineswegs gegen
rassistische Vorurteile immunisiere. Diese Abneigung gegen Juden wird
von ihren Vertretern zumeist mit deren Erfolg im Geldgeschäft und der
daraus resultierenden gesellschaftlich-politischen Macht gerechtfertigt
(siehe dazu die Straßen-Interviews im Film).
Hier haben die Filmemacher die Chance versäumt, in einem
selbstkritisch-aufklärenden Sinne auf die historischen Wurzeln dieses
Phänomens im christlichen Anti-Judaismus - die Juden als „Mörder Jesu
Christi“ - zumindest hinzuweisen. Das „christlich-abendländische“ Europa
hat seine jüdische Minderheit geradezu abgedrängt in die Geldsphäre -
brave Christenmenschen durften sich die Hände ja nicht schmutzig machen
mit dem „schnöden Mammon“ -, wo sie dann logischerweise auch besonders
erfolgreich wurde.
Das Übergehen dieses historisch-sozialen Zusammenhangs im gängigen
Diskurs ist insofern geeignet, von unserer christlich-abendländischen
Schuld am Phänomen der jüdischen Geldorientierung abzulenken mit der
Folge, dass man sich bereits als Antisemit verurteilt sieht, wenn man
den unbezweifelbaren Erfolg der Juden im Geldgeschäft auch nur erwähnt -
was gewiß nicht zu einem Abbau des Antisemitismus beiträgt. (Nebenbei:
der Hinweis auf die überproportional hohe Zahl jüdischer
Nobelpreisträger wird schließlich auch nicht als antisemitisch
verurteilt.)
Nur allzu verständlich übrigens, dass sich jüdische Deutsche, wie etwa
die im Film vorgestellte Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde
in Niedersachsen, zurückziehen von nicht-jüdischen Bekannten und
Freunden, wenn sie sich immer wieder auf diese ihnen zugeschriebene
Eigenart reduziert sehen und ihnen „Moralpredigten“ gehalten, gute
Ratschläge erteilt werden, wie sie sich zu verhalten hätten, um nur ja
keine antisemitischen Reaktionen hervorzurufen, und sie sich ständig
einem diesbezüglichen Rechtfertigungszwang unterworfen sehen. Allerdings
drängt sich die Frage auf, was für zweifelhafte Freunde sie sich da
ausgesucht haben.
Dass 16.5 % der Deutschen meinen, Juden hätten „zu viel Einfluss“, mag
zwar im Einzelfall, muß aber nicht generell – wie der Film nahelegt -,
als Ausweis für Antisemitismus gelten, sondern ist angesichts von gerade
einmal 0.2 % Juden in der Bevölkerung eher eine Tatsachenfeststellung.
Und 16,5 Prozent – in vergleichbaren Ländern ist dieser Prozentsatz
ähnlich hoch, wenn nicht höher - sind ja nun kein Grund zur Panik.
Durch die Lektüre der gründlichen Untersuchung zum überproportionalen
Einfluss der Juden etwa auf die Nahost-Politik der USA von zwei
renommierten konservativen amerikanischen Politologen (Walt/Mearsheimer,
Die Israel-Lobby, 2007) hätten die Autoren des Films ein angemesseneres
Problembewusstsein hinsichtlich des unverhältnismäßigen Einflusses der
Israel-Lobby bekommen können, der sich allerdings auch deshalb so
wirkmächtig zur Geltung bringen kann, weil die Interessen Israels mit
den geopolitischen Interessen der USA im Nahen Osten bislang weitgehend
identisch sind. Angesichts der deutschen Judenvernichtung dürfte mit
thematisch ähnlichen Arbeiten hierzulande kaum zu rechnen sein.
Erschreckend unzulänglich wird die Doku da, wo sie sich an die
Darstellung des angeblich „islamischen“ Antisemitismus macht. Dabei wird
außer Acht gelassen, daß es im arabisch-muslimischen Raum ursprünglich
keine dem europäischen Antisemitismus vergleichbare rassistische
Judenfeindschaft gab (siehe dazu die grundlegende Arbeit von Gilbert
Achcard, Die Araber und der Holocaust, 2012). Die Palästinenser im
Besonderen waren auch gänzlich unschuldig an der im fernen Europa
geschehenen Judenverfolgung und -vernichtung, für die sie allerdings vom
schuldbeladenen und –bewußten Westen zu zahlen gezwungen wurden - mit
dem Verlust ihrer Heimat und ihrer Freiheit. Die Probleme in Palästina
zwischen den europäischen Siedler-Kolonialisten und der indigenen
Bevölkerung begannen überhaupt erst – so der jüdische Orientalist Maxime
Rodinson - mit dem „zionistischen Herrschaftsanspruch“.
Den Filmemachern ist der Gedanke, den ein so integerer und als
Politologe überdies sachkundiger Mann wie der Jude Alfred Grosser
geäußert hat, nämlich daß der Antisemitismus durch die Politik Israels
gefördert wird, offensichtlich fremd. Und die ersten und unmittelbaren
Opfer dieser Politik, die Palästinenser - der Zeuge und Überlebende von
Auschwitz, der italienische Schriftsteller Primo Levi bezeichnete sie
als „die Juden der Israelis“ -, sehen sich seit annähernd einem
Jahrhundert einer systematischen Enteignung und Vertreibung aus ihrem
angestammten Land ausgesetzt. In der Wissenschaft und im Völkerrecht
wird dies ethnische Säuberung genannt. Von daher entwickelten sie
naturgemäß zunächst einmal eine starke Aversion gegen das zionistische
Projekt – und eben nicht gegen „die Juden“. Dieser historisch plausible
und von etlichen israelischen und nicht-israelischen Juden geteilte
Antizionismus wird im Film unzulässigerweise weitgehend mit
Antisemitismus gleichgesetzt.
Nun darf man, wenn man sich im Jahr 2013 mit diesem Thema befaßt, nicht
über die Ergebnisse hinweggehen, die die jüngste, gründlichste und
methodisch anspruchsvollste „Studie zu Antisemitismus und Israelkritik“
der Universität Konstanz (Lehrstuhl Wilhelm Kempf) von 2012 erbrachte.
Dazu gehört zum einen, daß die allerorten beklagte Zunahme des
Antisemitismus sich nicht verifizieren ließ. Die Studie weist vor allem
nach, daß es – anders als der Film nahelegt - einen einfachen linearen
Zusammenhang von Antisemitismus und Antizionismus nicht gibt. Im
Gegenteil: Die 15% der Befragten, die antizionistische Äußerungen für
rechtfertigbar hielten, lehnten antisemitische Äußerungen kategorisch
ab.
Daß die Grenzen zwischen Antizionismus und Antisemitismus sich aufgrund
der konkreten Erfahrungen der Palästinenser mit dem zionistischen
Siedlerkolonialismus im „Kampf um das Heilige Land“ - gerade auch wegen
der von zionistischer Seite stets behaupteten Identität zwischen
Zionismus bzw. Israel und Judentum - im arabischen Raum immer mehr
verwischten, ist insofern nicht verwunderlich, wobei diese eher
nicht-rassistische Form des Antisemitismus vor allem auf
verschwörungstheoretische Vorstellungen von der Macht des
„Weltjudentums“ rekurriert.
Der Auftritt des in Deutschland aufgewachsenen israelischen
Armeesprechers Ari Shalika, der die Auffassung vertritt, der islamische
Antisemitismus habe „nur begrenzt zu tun mit dem Nahen Osten“, ist in
diesem Zusammenhang von geringem Erkenntniswert. Er folgert dies nämlich
aus dem Umstand, dass sein „Kronzeuge“ schließlich ein Inder sei. Aber
auch ein indischer oder indonesischer Moslem dürfte aus religiösen
Gründen schlecht zu sprechen sein auf die zionistischen Unterdrücker der
muslimischen Glaubensbrüder, die Besatzer der heiligen Stätten des
Islams in Jerusalem.
Der palästinensisch-israelische Psychologe, Ahmad Mansour, immerhin
Mitautor des Films, der „klare Aufrufe zur Gewalt“ beklagt und
behauptet, der „Judenhass “ sei „alles, was die Menschen hier [auf den
Demonstrationen gegen die israelische Politik] verbindet“, scheint sich
dieser Zusammenhänge auch nicht wirklich bewusst. Sein sicherlich gut
gemeinter Versuch, dem von ihm konstatierten „muslimischen
Antisemitismus“ entgegenzuwirken (etwa durch seine Mitarbeit am „Projekt
Hero“), indem muslimische Jugendliche im Rollenspiel lernen, daß die von
den Arabern in Palästina konkret als Täter erlebten Juden eigentlich die
Opfer (des europäischen Antisemitismus) sind, wird dann problematisch,
wenn u. a. die unbezweifelbare Tatsache der bis auf den heutigen Tag
andauernden zionistisch-kolonialistischen Landnahme in ein von den
Eltern vermitteltes „anti-jüdisches Vorurteil“ verkehrt wird.
Vor diesem Hintergrund ist auch das „Schwein“ in der Rock-Show von Roger
Waters ganz gewiß nicht – wie der Film unterstellt - Ausdruck
antisemitischer Gesinnung, sondern, wie „The Wall“ insgesamt, Symbol
repressiver Verhältnisse und Ideologien. Neben dem hier skandalisierten
Davidstern (den das grundsätzlich auf eine Politik der Gewalt setzende
Israel für sich reklamiert) finden sich auf dem Ballon nämlich auch das
christliche Kreuz, Hammer und Sichel, Firmenlogi wie Coca Cola,
MacDonalds etc. Insofern ist die Unterstellung, „The Wall“ bediene
antisemitische Klischees, schlicht unredlich.
Auf die in der Doku gestellte Frage „Wer liefert die Zutaten für dieses
gefährliche Gemisch von alten judenfeindlichen Klischees, religiös
geprägtem Antisemitismus und Nahost-Konflikt“ werden mutig „Schuldige“
benannt: neben Erziehung und Medien die angeblichen intellektuellen
„Stichwortgeber“ (explizit Günter Grass und Jakob Augstein), die,
„Sprache als manipulatives Instrument“ nutzend, „öffentlich aussprechen,
was viele [heimliche Antisemiten] meinen“ – so der „Publizist“ Hendrik
M. Broder, der – man faßt es kaum - als „Experte“ vor die Kamera gebeten
wird. Ausgerechnet Broder, der Großmeister der Demagogie, für dessen
Auszeichnung mit dem Börne-Preis der schon erwähnte Alfred Grosser sich
seinerzeit (2007) öffentlich schämte.
Und eben dieser Broder – eine Ungeheuerlichkeit! - darf Grass
unwidersprochen des Antisemitismus bezichtigen, konkret: der
„Wiederbelebung des antisemitischen Klischees vom Juden als
Kriegstreiber“, weil er sich in seinem Gedicht („Was gesagt werden muß“)
darauf hinzuweisen gestattet hatte, dass der (auch atomar) hochgerüstete
Staat Israel eine „Gefahr für den ohnehin brüchigen Weltfrieden“ sei
(was 1982 schon der UNO-Sicherheitsrat anläßlich der israelischen
Bombardierung des irakischen Atomreaktors Osirak - sogar mit der Stimme
der USA - festgestellt hat). Angesichts der seit ca. 20 Jahren
wiederholten und in jüngster Zeit immer intensiveren (eindeutig
völkerrechtswidrigen) Drohungen Israels mit einem Militärschlag gegen
die lediglich – so Grass - „vermutete Atommacht“ Iran ist dies eine
durchaus plausible Warnung. Vom „Experten“ Broder aber wird sie schlicht
als „Unsinn“ abgetan, der bei den Leuten so ankomme – „wie Grass es
gemeint hat – nämlich als Antisemitismus“!
Zum Konflikt um das Gedicht des Nobelpreisträgers hätten die Filmemacher
auch die Stellungnahmen z. B. des israelischen Historikers und
Soziologen Prof. Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv zu Rate
ziehen können, die wohl das Klügste waren, was dazu zu sagen war (s.
Anhang). Warum hat man so ein intellektuelles Schwergewicht wie
Zuckermann, der perfekt Deutsch spricht und den Diskurs in Deutschland
genau kennt, nicht als Antipoden zu Broder eingeladen? Dann wäre der
Film dem öffentlich-rechtlichen Anspruch auf „Ausgewogenheit“ vielleicht
ein wenig näher gekommen.
Der „streitbare Journalist“ Broder darf dann auch überleiten zum
angeblichen „Antisemitismus der Linken“ - der filmische Gipfel
manipulativer Irreführung - mit seiner zynischen Bemerkung, er
„bewundere das gute Gewissen der Linken, weil sie ja gegen den
Imperialismus sind, für die Gleichheit der Völker und weil sie nichts
dagegen haben, dass die Juden in die Synagoge gehen“.
Der im Film zitierte Jakob Augstein hat es gewagt, Gaza mit „einem
Gefängnis, einem Lager“ zu vergleichen – womit er sich prompt als
Antisemit entpuppt hat, denn Vergleiche von Israelis und Nazis sind ja
angeblich von vornherein antisemitisch. Da spielt es auch keine Rolle,
dass es im Gazastreifen, aufgrund der israelischen Blockade - eine
eindeutig völkerrechtswidrige Kollektivstrafe - nur noch sporadisch
Strom und sauberes Trinkwasser und keine angemessene medizinische
Versorgung mehr gibt. Die Abwasser-Pumpen sind auch nicht mehr zu
betreiben, so daß die Abwässer, wie jüngst erst, unkontrolliert
Wohngebiete überschwemmen. Die UNO sagt voraus, dass der Streifen in 5
Jahren nicht mehr bewohnbar sein wird, sollte der israelische Würgegriff
nicht beendet werden. Man lese die in unseren Medien weitgehend
ignorierten erschütternden jährlichen Berichte v. a. israelischer
Menschenrechtsorganisationen sowie der UNO. Die Autoren hätten – so
informiert - vielleicht verstanden, was „die Linken“ motiviert, sich für
Gerechtigkeit in Palästina einzusetzen.
Stellt sich überdies die Frage, wieso „eine der größten Gestalten des
Judentums in den letzten Generationen“ – so der damalige israelische
Staatspräsident Ezer Weizmann -, wieso Yeshayahu Leibowitz, der
israelische Religionsphilosoph, die israelischen Besatzungs-soldaten als
„Judennazis“ bezeichnete und bereits 1968 voraussah, dass Israel sich zu
einem „korrupten kolonialistischen Geheimdienststaat“ entwickeln werde.
45 Jahre später bestätigt der ehemalige Chef des Inlandsgeheimdienstes
(von 2005 – 11), Yuval Diskin – also ganz gewiß kein „linker Spinner“ -,
diese Voraussage „Wort für Wort. Die Lage, in der wir uns gegenüber den
Palästinensern befinden, hat zweifellos Zustände erzeugt, die dem
ähneln, was Yeshayahu Leibowitz prophezeiht hat.“ (so im israelischen,
von der ARD mitfinanzierten Dokumentarfilm „Töte zuerst“ von 2013). Im
gleichen Film sagt Avraham Shalom, Shin-Bet-Chef von 1980-86, das
israelische Militär sei „eine grausame Besatzungsarmee, die an die
Deutschen im 2. Weltkrieg erinnert ...Ich meine, wie sie sich gegenüber
den Polen, Belgiern und Holländern verhalten haben, gegenüber den
Tschechen. Das ist ein sehr negativer Charakterzug, den wir da
übernommen haben, als wir ... grausam wurden gegenüber uns selbst,
besonders aber gegenüber der Bevölkerung, über die wir herrschen. Und
das alles unter dem Vorwand (!) des Krieges gegen den Terror.“
Nicht gänzlich abwegig also, wenn 40 % der Deutschen, wie die Doku
berichtet, die Aussage bejahen: „Israel behandelt die Palästinenser im
Prinzip so wie die Nationalsozialisten die Juden.“
Wenn man die Logik der „Dokumentation“ ernst nehmen wollte, dann wären
die zuvor genannten Säulen des israelischen Sicherheitsapparats üble
Antisemiten, bzw. „jüdische Selbsthasser“ – absurd und bezeichnend für
das dürftige argumentative Niveau der Sendung.
Auf der anderen Seite erlaubt es sich der Film, seinerseits die
(vorwiegend linken) Vertreter der BDS-Kampagne (Boycott, Desinvestment,
Sanctions) ungeniert in die Nähe der Nazis zu rücken, weil sie u. a. zu
einem Boykott israelischer Waren aufrufen. Zur Erinnerung: der
rassistische deutsche Staat wollte die wirtschaftliche Existenz seiner
jüdischen Bürger vernichten („Kauft nicht bei Juden!“), während die
Befürworter der BDS-Kampagne – orientiert am Kampf gegen das damalige
Apartheid-Regime Südafrikas – versuchen, den israelischen Staat mit
ihrem Boykott, also mit ausdrücklich und ausschließlich friedlichen
Mitteln, zur Einhaltung von Menschen- und Völkerrecht, sprich zu einem
Ende der brutalen Besatzung zu bewegen.
Die in der EU diskutierte und auch von der im Film befragten
Abgeordneten Kerstin Müller (stellvertretend für die Grünen)
befürwortete Kennzeichnung israelischer Waren, die in den
völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen hergestellt werden, als
Siedlungsprodukte, soll dem Konsumenten eine bewußte Kaufentscheidung
ermöglichen: nämlich, ob er die Besatzung unterstützen will oder eben
nicht.
Auch die EU-Kommission hat in ihren am 19.7.2013 erlassenen Leitlinien
jegliche Kooperation mit diesen Siedlungen nunmehr ausgeschlossen.
Selbst die deutsche Regierung ist mittlerweile bemüht, eine
entsprechende Territorialklausel für ihre zukünftige Kooperation mit
Israel durchzusetzen.
Der Film aber entblödet sich nicht, diesen Teil mit der scheinheiligen
Frage abzuschließen: „Verbraucherschutz als politische Waffe oder doch
Antisemitismus?“ Drängt sich die Frage an die Filmemacher auf: „Seriöse
Aufklärung oder doch manipulative Irreführung?“
Einen weiteren beliebten Antisemitismus-„Nachweis“ läßt der Film Dieter
Graumann vom Zentralrat der Juden vortragen, nämlich daß Israel „allein
an den Pranger gestellt“ werde: „Wenn für Juden, für Israel andere
Maßstäbe gelten als für den Rest der Welt, ist das Antisemitismus“. Nun
gelten für die Politik Israels in der Tat – anders allerdings als
Graumann meint – andere Maßstäbe als für den Rest der Staatenwelt: es
genießt faktisch Straffreiheit, darf etwa systematisch die
Menschenrechte und alle UNO-Resulutionen ignorieren, eine
völkerrechtswidrige Besatzung Tag für Tag sanktionslos ausweiten, die
1,7 Millionen Bewohner des Gazastreifens durch eine rigide, gleichfalls
völkerrechtswidrige Blockade nahezu erdrosseln, um nur einige wenige
Beispiele zu nennen.
Laut Film haben 38 % der Deutschen Verständnis dafür, dass man -
aufgrund der Politik, die Israel betreibt - , „etwas gegen Juden hat“.
Das ist nicht sonderlich überraschend angesichts der auch von Graumann
(s. o.) vorgenommenen, durchaus nicht selbstverständlichen (und
keineswegs von allen Juden geteilten) Gleichsetzung von Juden und
zionistischem Israel, das behauptet, im Namen und im Interesse der Juden
weltweit zu sprechen und zu handeln. Solange sich diese nicht von der
Politik Israels distanzieren, müssen sie es sich wohl oder übel gefallen
lassen, mit ihr identifiziert zu werden.
Die zahlreichen israelkritischen Stimmen von Juden in- und außerhalb
Israels kommen in dieser höchst einseitigen „Dokumentation“ überhaupt
nicht zu Gehör - ein grober journalistisch-handwerklicher Fehler. Man
hätte z. B. Alfred Grosser oder den Lübecker Psychologen Prof. Rolf
Verleger von der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ zum
Gespräch bitten können, einen gläubigen Juden, dem es ein Anliegen ist,
„dem durch Israels Politik anwachsenden Groll gegen Juden
entgegenzuwirken“.
Israel wird von den Linken – so hören wir im Film - „als Apartheid-Staat
diffamiert“. Auch dies sei – wer hätte das gedacht - Ausdruck ihrer
antisemitischen Gesinnung. Das Völkerrecht definiert Apartheid als
systematische und institutionalisierte Herrschaft einer
ethnisch-religiösen Gruppe über eine andere, was auf Israel bei
genauerem Hinsehen zweifelsfrei zutrifft. Auch die international
renommierte Professorin für Komparatistik und Linguistik an der
Hebräischen Universität (in Jerusalem), Nurit Peled-Elhanan, bezeichnet
Israel als „ein System der Apartheid“. Es lasse sich „eine durchgängige
kolonialistische Haltung“ feststellen. „Die Judaisierungs-Ideologie geht
mit der Forderung der Ent-Arabisierung des Landes einher ... Rassismus
und Militarismus beherrschen hier alles.....Israel nähert sich dem
Faschismus in einer Geschwindigkeit, die sich niemand vorstellen
konnte.“ Nurit Peled-Elhanan ist übrigens Trägerin des Sacharow-Preises
für geistige Freiheit des Europa-Parlaments.
Statt sich mit derartigen Einschätzungen auseinanderzusetzen, darf die
im Film befragte deutsche Antisemitismus-Forscherin Monika
Schwarz-Friesel ihr Wunschbild von Israel zeichnen: „In Israel gibt es
keine Vergewaltigung von Frauen, werden die Menschenrechte beachtet,
gibt es eine freie Presse, Meinungsfreiheit. Deswegen liegt hier eine
ganz schiefe Argumentationslage vor.“
Abgesehen davon, daß Demokratie und Meinungsfreiheit ethnokratisch in
erster Linie für Juden gelten – mittlerweile ist gar das öffentliche
Gedenken der Nakba (arabisch für „Katastrophe“) von 1948 unter Strafe
gestellt -, wie mag die Berliner Professorin wohl die
„Argumentationslage“ des Aufrufs „an Juden in aller Welt“ qualifizieren
(„Wenn Ihr Euch Sorgen um Israel macht, dann solltet ihr nicht länger
schweigen!“ – siehe Anhang), den im Mai 2013 Hunderte von nahmhaften
jüdischen Israelis (darunter etliche Israel-Preisträger,
Jerusalem-Ehrenbürger, Alon-Preisträger...) unterschrieben haben? Darin
wird Israel aufgefordert, „ zu den friedlichen, moralischen,
demokratischen und humanistischen Werten, die uns lieb und wert sind,
zurückzukehren..... Die andauernde Besatzung des Westjordanlandes und
die Expansion der jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten
verletzen die elementaren Menschen- und kollektiven Rechte der
Palästinenser und reißen das moralische Gefüge der israelischen
Gesellschaft auseinander.....Was auf dem Spiel steht, ist nichts weniger
als die Zukunft des Staates Israel, der israelischen Gesellschaft und
des jüdischen Volkes..... Dies ist ein ultimativer Ausdruck unserer
Sorge und Liebe zu Israel. Wir müssen alle Teil der gemeinsamen
Anstrengungen sein, Israel vor den nationalistischen, antidemokratischen
und fremdenfeindlichen Strömungen zu retten, die es jetzt noch fest im
Griff halten.“
Der Film aber kommt zu dem nicht mehr sonderlich überraschenden Schluß:
„So ist Israelkritik die moderne Möglichkeit, wie sich
Judenfeindlichkeit neue Wege bahnen kann.“
Nach dem gleichfalls vor die Kamera gebetenen Prof. Andreas Zick
„glauben die meisten Menschen [in Deutschland], dass man einen
Schlussstrich ziehen sollte, weil man die Schande [des Holocaust]
loswerden will.“ Dies mag für etliche Zeitgenossen zutreffen, wobei es
allerdings auch durchaus ehrenwerte Gründe für die Ablehnung der
ritualisierten öffentlichen Dauerbeschwörung des Holocaust geben kann,
etwa dessen Banalisierung durch eine vielfach in Routine erstarrte
„Gedenkkultur“. Gerade die in dieser „Dokumentation“ so gescholtenen
„Linken“ sind es, die einen Schlußstrich unter die Vergangenheit
entschieden ablehnen. Menschen- und völkerrechts-rechtsorientiert
beharren sie aber darauf, daß die Lehre aus der deutschen Geschichte
keine partikularistische sein kann - „Das darf den Juden nie wieder
passieren“ – sondern allein die universalistische: „So etwas darf
niemandem jemals wieder passieren“.
Fazit: Der Film leistet dem Kampf gegen den Antisemitismus, falls dies
je seine Intention gewesen sein sollte, einen Bärendienst. Für das
selektive Vorgehen, die Auslassung wesentlicher zum Verständnis
erforderlicher Zusammenhänge, das unverhältnismäßige Aufblasen anderer,
die Unterstellung, daß der Antisemitismus überall auf dem Vormarsch sei,
die einseitige Auswahl der befragten „Experten“, sowie für die
durchgängige begriffliche Ungenauigkeit verdient dieses journalistische
Machwerk, das ziemlich genau die angekränkelte deutsche „Befindlichkeit“
reproduziert und damit verfestigt, nur das Pradikat: ungenügend!
Warum wird so ein Film, der bei der Analyse dieses so wichtigen
Sachverhalts offensichtlich kläglich versagt, in der ARD ausgestrahlt
und in den dritten Programmen, z. B im Bayerischen Fernsehen, auch noch
wiederholt?
Eine mögliche Antwort findet sich bei dem erwähnten Moshe Zuckermann. Er
sieht – ähnlich wie die Unterzeichner des oben zitierten Aufrufs - in
der inflationären Verwendung des Antisemitismus-Vorwurfs, derer sich
auch der Film befleißigt, ein Herrschaftsinstrument zur Abwehr
berechtigter Israel-Kritik.
Redaktion: Eckhard Lenner
SALAM SHALOM Arbeitskreis Palästina-Israel e.V. www.salamshalom-ev.de
salamshalom.ak@googlemail.com
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