Bethlehems Bürgermeister offeriert
Bethlehem-Pass und Ehrenbürgerschaft
Amelia Thomas
BETHLEHEM,
Palästinensische Gebiete – Am Mittwoch kam Victor Batarseh,
Bürgermeister von Bethlehem mit seiner Kollegin Leila Sansour in
London an, um seine neue Initiative „Offenes Bethlehem“ zu
lancieren. Das Vorhaben, das beabsichtigt, die erlahmende
Wirtschaftskraft der Stadt anzukurbeln und Unternehmertum, Kultur
und Fremdenverkehr zurück in die Region zu bringen, hat eine
einmalige und ungewöhnliche Besonderheit. Jeder weltweit, der einen
wichtigen Beitrag für die Stadt leistet, qualifiziert sich, einen
Bethlehemer Pass zu erhalten und damit Ehrenbürger der
palästinensischen Stadt zu werden.
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Victor Batarseh
Bürgermeister von Bethlehem |
Seit Beginn der
jüngsten Intifada im September 2000 ist die größtenteils auf
christlichem Tourismus beruhende Wirtschaft Bethlehems fast auf
Null abgestürzt. Vor dem Jahr 2000 empfingen die ansässigen Hotels,
Kaffees und Souvenirgeschäfte jährlich etwa 92.000 Besucher; 2004
waren es nur noch 7.000 Gäste pro Jahr.
Ein solcher
Schlag für diese Stadt mit ungefähr 140.000 Bürgern bedeutete
steigende Arbeitslosigkeit, das Schließen Dutzender hiesiger
Unternehmen und ein Abwandern von 9,3 % der christlichen
Bevölkerung Bethlehems in den vergangenen fünf Jahren.
Augenblicklich
leben laut den Beauftragten des Vorhabens „Offenes Bethlehem“
mehr Menschen aus Bethlehem in Chile als in Bethlehem selbst.
Gemeinden Bethlehemer Bürger gibt es in Skandinavien, Zentral- und
Nordamerika und über den restlichen Erdball verstreut. Kürzlich
fanden Präsidentschaftswahlen in El Salvador statt; beide
miteinander konkurrierende Kandidaten stammten ursprünglich aus
Bethlehem.
Der Plan will
nicht nur diese Emigranten zu ihren Wurzeln zurücklocken, sondern
auch neue Verbindungen zwischen Bethlehem und Bürgern aller
Nationalitäten und Religionen rund um den Globus schaffen.
Begibt man sich
heutzutage auf eine Reise nach Bethlehem und will Kirche und
Geburtsgrotte in der Manger Square besuchen, muss man in die Stadt
durch einen Militärcheckpoint in Israels zwölf Meter hoher
Grenzanlage hineinfahren – eine Trennmauer, welche die Stadt fast
total umschließt. Das alleine sei schon Grund genug, erklärt Leila
Sansour, Geschäftsführerin des Vorhabens „Offenes Bethlehem“,
für die Entscheidung Bethlehems, seinen eigenen Pass herauszugeben.
„Dies ist beispiellos“, meinte sie bei der
offiziellen Vorstellung des Planes „dass eine Stadt ihren eigenen
Pass herausgibt. Es könnte als arrogant bezeichnet werden. Warum
sollte eine kleine Stadt sich eine der zentralen Rollen einer Nation
anmaßen? Der Grund dafür ist einfach: Wir wurden von einer Mauer
umzingelt aber wir weigern uns, in deren Schatten zu leben. Der Pass
ist eine Selbstbestimmungserklärung.“
Das Konzept,
würdige Personen mit einem „Schlüssel zur Stadt“ zu belohnen, ist
nicht neu, aber es scheint dennoch besonders anrührend, wenn es auf
eine Stadt angewandt wird, in welcher die Bewegungsfreiheit ihrer
Bewohner so empfindlich eingeschränkt ist.
Rachels Grab, die Begräbnisstätte von
Jakobs Frau, erinnert beispielsweise an das Alte Testament. Es ist
jetzt von einer Betontrennmauer umgeben und nur den Israelis und
nicht den christlichen Bewohnern der Stadt Bethlehem zugänglich.
Ebenso wurde
Cremisan, der einzige Stadterholungswald und Weingarten aufgrund
des Verlaufes der Grenzbarriere von Bethlehem abgetrennt.
Reisegenehmigungen sind schwierig zu bekommen; übertünchte
Graffitis beim Hauptcheckpoint zeugen von Frustration und Leiden der
Bevölkerung innerhalb der Mauer.
Genau deshalb,
sagt Leila Sansour, sei das Vorhaben „Offenes Bethlehem“ so
entscheidend für die Zukunft der Stadt.
„Hinter der Mauer“, führt sie weiter aus,
„befindet sich eine mannigfaltige und offene Gesellschaft … Wir
kämpfen für eine offene Gesellschaft, in welcher die Menschen wählen
können, wo sie in Freiheit leben wollen. Bethlehem hat als
multireligiöse und multikulturelle Stadt überlebt, während andere
Städte vor langer Zeit durch ethnische Säuberung und
Bevölkerungsaustausch ausgelöscht worden sind.“
Bethlehem, so
meint sie, habe Jahrhunderte lang Pilger, Reisende und Urlauber
aller Glaubensbekenntnisse mit offenen Armen willkommen geheißen.
Die Einwohnerschaft setze sich immer schon aus friedlich Seite an
Seite lebenden Christen und Muslimen zusammen. Das stünde in krassem
Gegensatz zum heutigen Bethlehem, wo sich Rassentrennung stetig in
Form der verstärkten illegalen jüdischen Siedlungen auf den Hügeln
abzeichne, welche die Stadt von allen Seiten bedrängten.
Der
Bethlehem-Pass steht grundsätzlich jeder Person zur Verfügung, die
Bethlehem bei einem seiner Grundanliegen hilft.
Das erste
Anliegen wäre, der Stadt eine lebensnotwendige finanzielle
Unterstützung zuteil werden zu lassen, indem etwa ein besonderes
Vorhaben gesponsert wird, oder Geschäftsfelder von außerhalb nach
Bethlehem gebracht werden.
Zweitens wird
der Pass demjenigen zugesprochen, der einen bedeutenden Beitrag zur
kulturellen Entfaltung Bethlehems leistet – sei es Kunst, Musik,
Festivals, Sportveranstaltungen oder die Ausrichtung internationaler
Konferenzen.
Drittens wird
jeder, der die Verpflichtung für einen ausgedehnten Aufenthalt in
der Stadt eingeht, indem er Seite an Seite der Bethlehemer Bürger
lebt und somit die Erfahrung in einem „Gefängnis“ innerhalb der
Trennmauer macht, für den Pass infrage kommen.
Ausgezeichnet
durch ein Gremium aus Repräsentanten des Bürgermeisteramtes, der
Stadtverwaltung und mit der Unterstützung der Palästinensischen
Nationalbehörde wird den Empfängern ein Lederpass überreicht,
dessen Seiten mit Wasserzeichen versehen sind, und auf dessen
Einband der Stern von Bethlehem sowie St. George, der Schutzheilige
Bethlehems, bzw. Al Khadir, ein Heiliger sowohl für Muslime als auch
für Christen, dargestellt sind.
Der Pass muss
jedoch durch harte Arbeit verdient werden.
„Es ist eine sehr große Ehre,
ihn verliehen zu bekommen“, meinte Sansour. „Er
beinhaltet ein reales wichtiges Engagement für Bethlehem. Wir
arbeiten mit Kirchen in der ganzen Welt, Regierungen und auf
kommunaler Ebene zusammen, um abzusichern, dass die Privilegien, die
den Passinhabern eingeräumt werden, ebenso bedeutsam sein werden.“
Sansour betonte
die Dringlichkeit, welche der Einführung des Vorhabens obliegt.
„Unsere Stadt hat 4.000 Jahre
lang überlebt“, merkte sie an, „aber heute
kann sie nur noch ihre letzte Energiereserve mobilisieren. Deshalb
schaffen wir es nicht alleine. Der Pass steht jedem offen, der sich
dauerhaft für das Überleben unserer Stadt engagiert. Bethlehem ist
an Weltherrschaften gescheitert aber es kann ihm durch
Einzelpersonen geholfen werden.“
Sie wies auf die
Allgegenwart der Grenzmauer hin, die sowohl ein Symbol der
Gefangenschaft als auch gleichzeitig der Hoffnung auf Zukunft ist.
„Auch der Bürgermeister ist der
Meinung“, fuhr sie fort, „dass an
einem Tag wie heute die Berliner Mauer fiel, und dass genau so eines
Tages die Mauer um Bethlehem herum fallen wird. Deshalb strecken die
Repräsentanten aus Bethlehem ihre Hände aus und bitten die Welt um
Hilfe. Wir wissen, dass die Mauer auf Besucher abschreckend wirkt“,
meint Sansour, „aber wenn die Menschen einen Schritt machen, um
durch sie hindurchzugehen, werden sie eine Gesellschaft antreffen,
mit welcher sie sich identifizieren und verstehen können.“
Während die
Schöpfer des Projektes „Offenes Bethlehem“ ein düsteres Bild
der gegenwärtigen Lebensumstände für die Bürger zeichnen, ist die
Botschaft im Pass eine der Hoffnung.
„Der Inhaber dieses Passes ist
ein Bürger Bethlehems“, steht hier,
„Bürger, die es
würdigen, dass diese historische Stadt ein Licht für die Welt und
für alle Menschen, welche die Werte einer gerechten und offenen
Gesellschaft aufrechterhalten, bereitstellt. Bürger, die Bethlehem
während seiner Gefangenschaft in treuer Freundschaft verbunden
bleiben werden …
Wir bitten Sie,
den Inhaber dieses Passes zu respektieren und ihn ungehindert
passieren zu lassen.“
Middle East Times
- Internationale
Ausgabe - 11. November 2005
12.11.2005,
Übers. v. Gabriele Al Dahouk |