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Crazy Country: Occupier’s democracy
Adam Keller, 18.3 15
Ein bitterer
Morgen. Ein Morgen der Enttäuschungen und zerschmetterter
Hoffnungen – nach einem angespannten Wahltag und einer
schlaflosen Nacht.
Man braucht nicht
weiter darüber diskutieren und debattieren, ob eine israelische
Labor-Partei-Regierung ein Friedensabkommen mit den
Palästinensern erreichen wird oder nicht und darüber, ob Yitzak
Herzog ein guter Ministerpräsident werden kann.
In der gerade
gedruckten Ausgabe von „Yediot Aharonot“ schreibt Sima Kadmon:
„Diejenigen die hofften, im Morgengrauen eines neuen Tages
aufzuwachen, finden sich wie an einem der letzten Morgen. Der
Staat Israel bekommt heute einen Super-Netanjahu, einen
Meister-Wahlkämpfer, der es in drei Tagen fertigbrachte, den
negativen Impuls seiner Partei in einen tollen Sieg zu
verwandeln. Aber Netanjahus Sieg kann die Tatsache nicht
verbergen, dass Israel gespalten und polarisiert ist. Für die
Hälfte von uns war das gestrige Ergebnis wie ein Faustschlag in
den Magen.
Erst gestern
Morgen hörte ich die Nachrichten von „Stimme Israels“, die
darüber berichten, dass der Richter vom Obersten Gericht Salim
Jubran, der Chef des zentralen Wahlkomitees, die
Ofer-Militärbasis nahe Jerusalem besuchte, um die Wahl der
Soldaten dort zu verfolgen. Der Reporter hatte das Gespräch des
Richters mit zwei jungen Soldatinnen umkodiert , die damit
beauftragt waren, die Wahl ihrer Kameraden vorzubereiten. Der
Richter gratulierte den beiden zu ihrem Anteil des
entscheidungs-machenden Prozesses der israelischen Demokratie.
Der Reporter
erwähnte nicht, was die Ofer-Militärbasis ist und wozu die IDF
sie benützt. Ofer ist ein militärisches Haftzentrum auf Land der
Westbank, nahe Ramallah. Es hält Gefangene fest, die bei den
nacht-nächtlichen Überfällen in Städten und Dörfern der Westbank
gefangen genommen werden. Viele von ihnen werden in
Administrativhaft gehalten, also ohne Gerichtsverhandlung. Man
muss nicht betonen, dass diese Gefangenen keinen Anteil am
demokratischen Prozess haben und also keinen Wahlzettel in die
Wahlurne werfen, die nur für ihre Wächter bestimmt ist. Was
mochte wirklich durch den Kopf von Salim Jubran gehen, dem
ersten Araber, der je in Israels Obersten Gericht ernannt wurde.
Es sind schon 48
Jahre, dass der Staat Israel so ein Doppelsystem aufrecht
erhält. Auf der einen Seite gibt es die parlamentarische
viel-Parteien Demokratie, in der die Bürger Israels – über 80%
Juden und 20 % Araber – die Regierung wählen, die über sie
herrschen und deren Legislative die Gesetze macht; auf der
andern Seite ein Militärdiktator, der den Generalkommandeur
ernennt, der der allmächtige Gouverneur, Gesetzesmacher und
Richter ist, der über das Leben von Millionen Palästinenser
herrscht und der seine Kompetenz nicht ernsthaft gemildert hat,
als vor 20 Jahren den Palästinensern erlaubt wurde, eine
„palästinensische Behörde“ zu haben, der der General-Kommandeur
eine begrenzte Kompetenz vermachte.
Selbst wir, die
total gegen diese Zustände sind und eine Veränderung anstreben,
haben uns daran gewöhnt. Nach jeder allgemeinen Wahl
veröffentlicht das zentrale Wahlkomitee das genaue und
detaillierte Ergebnis; wir haben uns daran gewöhnt, dass jedes
Mal dieser Bericht eine Kolumne, mit „Hebron“ bezeichnet,
enthält, die eine Information über die Wahlabstimmung der ca.
500 israelischen Siedler enthält, die in der bewaffneten Enklave
im Herzen von Hebron leben. (Sie wählen alle für die extreme
Rechte) Diese Kolumne enthält keinen Hinweis auf die 200 000
Palästinenser, die in der Stadt wohnen, die keine Stimme bei
israelischen Wahlen haben.
Bei diesen Wahlen
hatten wir eine Illusion, die ein paar Wochen anhielt. Die
Illusion, dass die Mehrheit der Bürger Israels unter diesen
Regeln der israelischen Demokratie frei für eine Regierung
wählen würde, die die bewaffneten Kräfte aus den besetzten
palästinensischen Gebieten abziehen würde. In diesem Fall
würden endlich bei den nächsten Wahlen alle, über die die
israelische Regierung herrscht, an der Wahl der Regierung
beteiligt sein. Dies geschah vorher in anderen Ländern, in denen
diejenigen, die über die Wahl entschieden, die koloniale oder
militärische Herrschaft über andere beendeten. Aber so war es
nicht – nicht in Israel, nicht bei diesen Wahlen.
Nicht, dass wir
die Illusion hatten, dass das Problem der Besatzung und das der
Palästinenser unter Besatzung als solches im Mittelpunkt der
Aufmerksamkeit der israelischen Wähler stand. Im Gegenteil,
während des Wahlkampfes war es klar, dass genau dies das Thema
war, das Israelis vermieden, beim Namen zu nennen. Aber es gab
gute Gründe, das Gefühl zu haben, dass die meisten israelischen
Bürger von der Herrschaft eines Benjamin Netanjahu genug hatten,
und zwar wegen der sozial-wirtschaftlichen Nöte, die 2011
Hunderttausende auf die Straße brachte und die auch danach nicht
ernsthaft angegangen wurden. Und falls die Labor-Partei an die
Macht kommen sollte – auch wenn aus anderen Gründen -
vielleicht würden dann seine Führer auch das schwierige und
schmerzliche palästinensische Problem anpacken.
Was geschah also
hier? Waren all die Dutzenden von Meinungsumfragen grundsätzlich
falsch, als sie beharrlich die Labor-Partei („das Zionistische
Lager“ wie es sich jetzt nennt) zeigten, wie sie eine Bresche in
Netanjahus Likud schlagen? Oder waren die Meinungsumfragen bis
zuletzt genau, aber „Hexenmeister Bibi“ schaffte es, den Trend
umzuwerfen, was Likud-Unterstützer bewegte auf seine intensiv
aufwieglerische Wahlkampagne der letzten Tage in Massen
wegzugehen: Es gibt ein internationales Komplott gegen mich,
zehn Millionen Dollar kamen von Europa und besonders aus
Skandinavien, um eine Diffamierungskampagne gegen mich und meine
Frau zu finanzieren, um die Linke wieder an die Macht zu bringen
und dass Land aufgibt, das von radikalen Islamisten benützt
wird, um Raketenbasen aufzubauen. Die Herrschaft des rechten
Flügels ist in Gefahr, die arabischen Wähler kommen in hellen
Scharen zu den Wahlurnen, die Linken Vereinigungen sammeln sie
ein, die Araber kommen zu den Wahlurnen, Gefahr, Gefahr, Gefahr
…
Sicherlich gibt
es Dutzende, ja Hunderte von detaillierten Analysen dieser
Wahlen. Aber das Entscheidende dieses bitteren Morgens ist
offensichtlich und klar: Netanyahu hat ein eindeutiges Mandat
erhalten und er wird wieder Israels Ministerpräsident. Er hat
in seine eigene Partei die meisten Stimmen der extrem rechten
Partner gezogen, indem er eine große und mächtige Likud-Fraktion
in der neuen Knesset schuf. Um die extrem-rechten Wähler zu
gewinnen, machte Netanjahu eine eindeutige Erklärung: „Wenn ich
der wieder gewählte Ministerpräsident bin, wird es keinen
Palästinastaat geben“ Punkt. Ganz klar. Keine Bar Ilan Rede,
kein weiteres Lippenbekenntnis, keine weiteren mehrdeutigen
Formulierungen. Der alt gediente Saeb Erekat – der anscheinend
nicht so bald mit den Israelis verhandeln wird, reagierte:
„Klar, die Palästinenser haben keinen Partner für Frieden. Jetzt
muss die internationale Gemeinschaft sich mehr als bisher hinter
die palästinensischen Bemühungen stellen und unsern Kampf mit
Hilfe des Internationalen Gerichtshofes um Würde und Freiheit zu
internationalisieren. Der erste Fall, der von den Palästinensern
nach Den Haag gebracht wird, ist Anfang April fällig.
Unterdessen
bleibt die Resolution der PLO-Institutionen, die Zusammenarbeit
der palästinensischen Sicherheitskräfte mit Israel zu beenden,
auf der Tagesordnung. Es ist eine Zusammenarbeit, die unter
Palästinensern äußerst unpopulär ist. Diese Resolution hat nur
den Status einer Empfehlung – aber jetzt sollte Präsident Abbas
es noch schwieriger finden, dies zu ignorieren. Die israelischen
Sicherheitskräfte richten sich nach den Akten, die feststellen,
dass wenn die palästinensische Sicherheitszusammenarbeit endet,
könnte dies zu Unruhen und zum Ausbruch von Gewalttaten in der
ganzen Westbank führen. Wie man sich erinnert, führte anfangs
dieses Monats die Armee weiträumige Übungen durch, indem sie
verschiedene Szenarien eines Ausbruchs einer neuen Intifada
simulierte.
Unmittelbar nach
der Bildung eines neuen Kabinetts pflegte der israelische
Ministerpräsident das Weiße Haus zu besuchen. Aber Netanjahu ist
ja kein neuer MP, er ist wohl bekannt – und nicht besonders
beliebt – in Washington. Was wird dort wohl gesagt werden, wenn
Netanjahu unverblümt seine neue Position erklärt: „Kein
Palästinenserstaat. Punkt? „Was wird im Auswärtigen Amt
geschehen? In den europäischen Hauptstädten? In der
UN-Vollversammlung und im Sicherheitsrat und bei der nächsten
Gelegenheit, wenn das Problem des amerikanischen Vetos aktuell
wird? …
Welche Art von
Regierung wird Netanjahu bilden? Nach den Wahlergebnissen, wird
er keine Schwierigkeiten haben, eine Regierungskoalition mit -
wie er nennt – „meinen natürlichen Partnern“, der ganzen
Kollektion der extrem Rechten, den religiösen und
ultra-orthodoxen Parteien . Solch einer Regierung gegenüber zu
stehen, sollte es möglich sein, eine große und starke
parlamentarische Opposition zu bilden – das zionistische Lager
(anderweitig bekannt als) Laborpartei, die keine Macht erhielt,
deren Repräsentation aber bedeutend zugenommen hat; die neu
gebildete Gemeinsame Arabische Liste der es gelang, die
Stimmenanzahl unter Israels Arabern bedeutend zu erhöhen; die
Meretz-Partei verlor viele Stimmen, es gelang ihr aber zu
überleben und in die Knesset zu kommen; und Yesh Atid, von Yair
Lapid geleitet, der zwei Jahre lang Netanjahus Finanzminister
war, bis er raus-geschmissen wurde und der darauf besteht , kein
Linker zu sein, sondern der Mitte angehöre. Können all diese in
einer ausgewogenen parlamentarischen Opposition zusammen
arbeiten, die neue Netanjahu-Regierung vom ersten Tag an stören
und ihre Lebenszeit verkürzen?...
Das
Knessetmitglied Stav Shafir, die in der Laborpartei ist und zur
sozialen Protestbewegung von 2011 gehörte, und die in der
letzten Knesset sich durch einen unerbittlichen Kampf gegen die
Finanzierung der Westbank-Siedlungen unterschied, war die erste,
die heute Morgen, unmittelbar nachdem die Wahlergebnisse klar
wurden, ihre Sinne wiederfand. Im Namen der linken
parlamentarischen Opposition brachte sie den alten Slogan der
israelischen Rechten „das ewige Volk fürchtet sich nicht vor
einem langen und mühsamen Weg“.
Sie schrieb:
„Freunde, dies ist keine Zeit für Selbstmitleid. Es ist die Zeit
für harte Arbeit, um den Kampfgeist und die Hoffnung aufrecht zu
erhalten, und zwar mit derselben Entschlossenheit und demselben
Mut, die bei früheren entscheidenden Augenblicken in der
Geschichte des Landes gezeigt wurden.
Es ist der Morgen
danach, und es ist keine leichte Zeit. Dies sind nicht die
erwarteten Ergebnisse. Der Ministerpräsident hat einen
schändlichen Wahlkampf geführt und systematisch zum Hass
aufgehetzt. Einen Wahlkampf von Anstiftung gegen die Medien,
Hetze gegen die Handelsunionen, gegen die Araber und gegen die
Linken. Mit andern Worten Hetze gegen jeden, der nicht mit ihm
übereinstimmte.
Trotz allem ist
unsere Partei, unser Lager stärker geworden. Ein großer Teil der
Öffentlichkeit hat kein Vertrauen mehr in Bibis Weg. Das
Problem, dem wir jetzt gegenüberstehen, ist, dem großen Teil der
Öffentlichkeit Führung anzubieten und eine Vision. Und am
wichtigsten – zusammen zu arbeiten außerhalb der
Oppositionsbank, um eine Alternative zur Missregierung, ihrer
Gewalt und Korruption, aufzubauen.
Bibis neue
Regierung wird eine schlechte Regierung sein. Eine Regierung,
die weiter soziale Polarisierung entzündet, die Israel in der
Welt isoliert und Israels Sicherheit gefährdet. Wir werden
unbarmherzig gegen diese Regierung kämpfen.
Wir müssen uns
nicht in mörderische Kämpfe hineinziehen lassen. Im Gegenteil:
alle Kräfte, die soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden und
wirkliche Sicherheit zum Ziel haben, müssen zusammenstehen. Wir
müssen eine klare und umfassende Vision aufzeigen und an ihr
festhalten und mit all unsrer Kraft dafür kämpfen-
Guten Morgen,
Israel!
http://adam-keller2.blogspot.co.il/2015/03/a-bitter-morning.html
(dt. und
geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)
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