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Zweierlei Wahlen
Von Gila Svirsky

Jerusalem, 10. Januar 2005

Liebe Freunde

In Palästina gab es am gestrigen Sonntag scheinbar zwei verschiedene Wahlen, die eine im Westjordanland und in Gaza, die andere in Jerusalem.  Im Westjordanland und in Gaza war die Stimmung am Wahltag vielerorts heiter und festlich. Es wurde gesungen, getanzt, in die Luft geschossen, friedlich spazierten Familien zu den Wahllokalen. Wochenlang hatten palästinensische Frauenorganisationen Frauen zum Wählen ermutigt, und in der Tat gingen viele zum erstenmal wählen, vor allem in städtischen Gebieten. Zwar waren nicht alle (israelischen) Kontrollposten leichter passierbar, nicht alle Palästinenser waren bereit, unter einem Besatzungs-Regime zu wählen, aber im ganzen herrschte ein Klima der Hoffnung und des Neuanfangs.    

In Jerusalem indessen nahm der Wahltag einen misslichen Verlauf. Die israelische Regierung konnte die palästinensischen Bürger Jerusalems nicht von der Teilnahme an der Wahl ausschließen, aber sie wollte den Eindruck vermeiden, als unterstehe Jerusalem der Palästinensischen Behörde. Deswegen dachten sich die Behörden ein Wahlsystem aus, das eine wahre Perle talmudischer Spitzfindigkeit darstellte: Die Wahl wurde erlaubt, aber in Gestalt einer Abstimmung „im Ausland“, deren Ergebnis dann per Post an einen Palästinensischen Staat geschickt werden sollte, der sich „irgendwo anders“ befände. Deshalb konnte die Abstimmung nur in Postämtern stattfinden, wo die ausgefüllten Stimmzettel an Postangestellte übergeben wurden, die sie ihrerseits in besondere Briefkästen steckten, um sie per Post nach Palästina zu schicken. Wo an den Kästen sollte der Schlitz sein? Ein Schlitz oben auf dem Kasten, fanden die israelischen Behörden, würde dem Ganzen das Aussehen einer Wahlurne geben. Deshalb bekamen die Kästen ihre Schlitze auf der Seite. Fotos dokumentieren das Aussehen dieser roten Briefkasten-Wahlurnen, aufgestellt hinter einer Glasscheibe und für die Wähler nicht erreichbar. Ebenso offensichtlich das Fehlen der Geheimhaltung, da der Schalterbeamte und der nächste Wähler beim Ausfüllen des Stimmzettels zuschauen können. Am gravierendsten allerdings, dass nur 6.000 von insgesamt 125.000 Jerusalemer Bürgern in der Stadt selbst abstimmen durften; alle übrigen mussten in Büros außerhalb der Stadt wählen, wobei der Zugang dorthin durch Lockerungen an den Checkpoints zwar erleichtert, aber doch nicht wirklich leicht war. Unter diesen Bedingungen weigerten sich in Jerusalem viele Palästinenser, überhaupt zu wählen. Und viele hatten Angst zu wählen, aus Furcht, Israel könnte das als Vorwand benutzen, ihnen das Wohnrecht in Jerusalem abzuerkennen. Kein Wunder also, dass vor der Hauptpost auf der palästinensischen Seite von Jerusalem eine Palästinenserin mit einem Bündel Bananen stand und Zettel verteilte, auf denen Israel als „Bananen-Republik-Demokratie“ bezeichnet wurde.

Ich wollte mir selbst ein Bild machen, und so folgte ich einem Aufruf von Bat Shalom, einer FrauenFriedensOrganisation. Sie hatte um Hilfe gebeten, um die extremistische israelische Rechte daran zu hindern, ihre Drohungen gegen die Abhaltung der Wahl in die Tat umzusetzen. Zu sechs Frauen waren wir auf dem Weg auf die palästinensische Seite von Jerusalem, als wir von einem israelischen Polizisten angehalten wurden. Er kenne unsere Absicht, sagte er, und unsere Anwesenheit würde Gegendemonstrationen provozieren. Wir stritten eine Weile, und schließlich sagte er, wir seien verhaftet, um uns an einer Störung der öffentlichen Ordnung zu hindern. Wir waren schockiert – aber im nächsten Augenblick klingelte sein Telefon. Wir nutzen die Ablenkung und verdrückten uns unauffällig in die Nebenstraßen, einzeln oder zu zweit, so dass wir für eine etwaige Streife weniger leicht auszumachen waren. Man könnte meinen, die Polizei müsste sich eigentlich um wichtigere Bösewichter kümmern.

Trotz der vielen Schwierigkeiten und Israels ungern gewährter Unterstützung fand die Wahl statt und  versetzte viele Palästinenser und sogar Israelis in Hochstimmung. Es war eine echte Wahl, mit richtigem Wahlkampf und ohne Schlammschlachten. Der Kandidat, der durchgehend für ein Ende der Gewalt und für wirkliche Friedensverhandlungen angetreten war, erhielt eine Mehrheit von 62 %. Jetzt befindet sich der sprichwörtliche Ball im israelischen Feld, und jeder Vorwand, Verhandlungen zu verweigern, ist längst tot und begraben.

 

Und noch ein paar gute Nachrichten

24 Stunden später wurde im jüdischen Jerusalem die neue israelische Regierung vereidigt, die aus dem Likud, der Arbeitspartei und der ultra-orthodoxen Partei des Vereinten Torah-Judentums besteht. Zustande gebracht hatte sie  Sharon’s Trick- und Risiko-Poker mit den Extremisten seiner eigenen Partei, die gegen den Gaza-Rückzug sind. Jetzt hat die Regierung die nötige Parlamentsmehrheit, um aus Gaza herauszukommen, und Shimon Peres ist wieder an der Macht, ohne Rücksicht auf Alter, Weisheit und eine verblüffte Öffentlichkeit.

 Unterdessen schaufeln sich die Anti-Rückzugs-Siedler ihr eigenes Grab. Einst hielt man sie für die letzten Idealisten, aber mittlerweile haben ihre ständigen gewaltsamen Zusammenstöße mit israelischen Soldaten bei der Räumung von Siedlungsaußenposten die Sympathien vieler Israelis für die Siedlerbewegung drastisch reduziert. Heute gelten die Siedler als antidemokratische, wirrköpfige Randgruppe. In Wahrheit sind sie in ihrer großen Mehrheit viel moderater und würden die besetzten Gebiete gegen finanzielle Entschädigung verlassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch sind es inzwischen die Fanatiker, die den Ton angeben  und die Wahrnehmung prägen.

Und noch etwas: heute Abend hatte ich das Glück, den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, den obersten Wahlbeobachter im Nahen Osten, in einer kleinen Runde zu erleben, wo dieser ehrenwerte Mann sich dagegen verwahrte, die Mauer als Zaun zu bezeichnen. Jimmy im Originalton: „Es ist Israel gelungen, die Vereinigten Staaten davon zu überzeugen, dass dies ein harmloser Zaun sei, so etwas wie die Umzäunung einer Kuhwiese. Aber es ist in Wirklichkeit eine Trennmauer, und wir sollten sie so bezeichnen… Diese Mauer ist eine der schlimmsten Schwachstellen in der Politik von Sharon.“ Bravo, Mister Carter, für so klare Worte. 

Zu guter letzt ein Wort zur ‘Tragödie im Indischen Ozean. Ein paar religiösen Fanatikern haben wir es zu verdanken, dass wir jetzt Bescheid wissen. Ein muslimischer Geistlicher hatte erklärt, an der Tsunami seien die Zionisten schuld. Das wurde praktisch bestätigt von einem Rabbiner in Israel, der verkündete, Gott möge keine Nicht-Juden, und deshalb habe er diese Wassermassen über sie gegossen. Endlich ein jüdisch-muslimischer Konsens, der uns hilft, Gottes geheimnisvolle Wege (oder Wellen ?) zu verstehen.

 

Mit Friedensgrüßen aus Jerusalem
Gila Svirsky
Coalition of Women for Peace
www.coalitionofwomen.org

 

(Übersetzung aus dem Englischen: Ulrike Vestring)

 

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