Ein Palästinenser in Yad VaShem *
Ghassan Abdallah *
Es war ein
Versuch. Ich musste mich sehr überwinden, als Palästinenser diese Fahrt
zu unternehmen. Und ich tat es erst, nachdem ich mit einer deutschen
Bekannten ein intensives Gespräch über das Dreieckverhältnis zwischen
Deutschland, den Juden und den Palästinensern. Dieser Besuch hatte auf
mich in vieler Hinsicht eine tiefe Wirkung. Ich bin dann sogar noch ein
zweites Mal dort gewesen, um die ersten Eindrücke zu vertiefen und die
Reaktionen deutlicher werden zu lassen.
Ich ging zur Yad
VaShem-Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem mit der üblichen Überzeugung
eines palästinensischen Arabers: Wir waren nie für das Pogrom und die
Diskriminierung gegenüber den Juden verantwortlich, weder in der
Vergangenheit noch während der Nazizeit. Weshalb also sollten die
Palästinenser für die Verbrechen der Europäer an den Juden zahlen? Die
Juden haben in der Vergangenheit im allgemeinen in arabischen und
muslimischen Ländern in Frieden mit einander gelebt und sie litten
gewöhnlich in der selben Weise wie der Rest der Bevölkerung. Araber
sind selbst Semiten und deshalb ist lächerlich über einen arabischen
„Antisemitismus“ zu reden. Wogegen die Araber und die Palästinenser
sind, das ist der moderne politische Zionismus mit seinem Einfall in
unser historisches Land und in unsere Kultur, indem es falsche Mythen
und vorwände benützt.
Was mir zunächst
auffiel, war die große Zahl an Touristen und Schulbussen in der Nähe des
Einganges von Yad VaShem, ganz zu schweigen von den PKWs und
öffentlichen Verkehrsmittel auf den Parkplätzen und Straßen rund herum.
Mir wurde erzählt, dass jeder israelische Schüler und Soldat
verpflichtet ist, die Gedenkstätte wenigstens einmal zu besuchen. Der
Besuch ist auch auf dem Besuchsplan vieler lokaler Touristenagenturen –
und natürlich ist der Besuch ein Muss jeden offiziellen ausländischen
Würdenträger.
Der Ort mit seinen
vielen Ausstellungsteilen ist mit seinen visuellen und archetektonischen
Konstruktionen sehr eindruckvoll . Besonders das Design und der Eindruck
der Kindergedenkstätte war sehr bewegend und das Tal der Gemeinden sehr
dramatisch.
Das historische
Museum ist bemerkenswert effektiv und überbringt die Botschaft in einer
Weise, die keine übertriebene Ausdrucksweise nötig hat. Die Wirklichkeit
ist schockierend genug. Eine erste Reaktion bei mir war, dass die
Palästinenser von der Gedenkstätte viel lernen können, wie man die
eigenen Märtyrer und seine Geschichte ehrend memoriert.
Wenn ich an die
Millionen Wörter denke, mit denen Menschen, die Yad VaShem besuchten,
ihren Eindruck des Holocaust beschrieben, bin ich mir nicht sicher, ob
ich noch Originelles über den Horror und die Abscheu dessen, was
unter den Nazis geschehen ist, Ausdruck verleihen kann. Ein
palästinensischer Flüchtling kann sich teilweise die endlosen
Dimensionen des Leidens der Opfer und der Überlebenden vorstellen. Die
Überlebenden, mögen, nachdem sie Angehörige, das Haus und wertvollen
Besitz verloren haben und Gemeinschaften und Beziehungen auseinander
gerissen wurden, die Toten beneiden.
Aber ich kann mir
nicht helfen, ich sehe dies mit einem palästinensischen Auge und Herz.
Und meine Reaktionen
können nicht von der jüngsten Geschichte unseres Landes getrennt werden,
das überfallen, mit Gewalt, Geld, Intrigen und der Verbindung mit den
Gewaltigen von heute geraubt wurde. Kurz gesagt und wie Palästinenser es
verstehen: Palästina wurde seinen ursprünglichen Bewohnern genommen,
die die Nachfahren aller Völker sind, die einmal im Lande wohnten.
Israel übernahm nicht nur die Geographie von Palästina und beansprucht
es für sich, sondern auch seine Geschichte, Religion, Sprache,
Mythologie, Kultur – ja sogar die Falafeln und den Hummus.
Der Holocaust wird
uns gegenüber hauptsächlich als Rechtfertigung für die Siedler
–Kolonisierung unseres Landes gegenüber der Welt - und selbst gegenüber
Juden überall - benützt. Viele Schriftsteller/ Journalisten,
einschließlich einiger Israelis und Juden sonst wo haben diese
Manipulation des Leidens der Juden aufgedeckt. Im Historischen Museum
war der Verlauf der Katastrophe spannend zu beobachten. Es war fast
schmerzlich zu sehen, wohin fanatische Ideologie den Menschen treiben
kann.
Doch das politische
Ziel des Museums drückte eine Plakette am Eingang eindeutig aus: „Alles
was den Juden passiert ist, passierte, weil sie keinen Staat hatten.“
Als ich all den
scheußlichen Bildern vom Aufstieg des Nationalismus, dem wachsenden
Antisemitismus und der diskriminierenden Behandlung der Juden folgte,
und wie es zu den Todeslagern kam, war es ein bestimmtes Bild und der
Kommentar, der mich besonders traf: ein Foto von Haj Amin Husseini, der
Goebbels die Hand schüttelte, blies eine Menge meiner Empathie hinweg.
Mir schien es unpassend, dass nach all der Schwere und dem Ernst der
vorausgegangenen Tragödien, der Auslöschung jüdischer Gemeinden in
Europa, wofür die Nazis standen, nun der palästinensischer Kampf gegen
fremde Invasoren zusammen in einen Topf geworfen werden. Hadj Amin, der
von den meisten palästinensischen Historikern kritisiert wurde, hat nur
die jahrhundert alte Politik „ der Feind meines Feindes“ praktiziert,
bevor die ganze Bandbreite dessen bekannt wurde, was im Holocaust
geschehen war. Und wenn er den Ausdruck „Jihad“ ( Kampf) gegen die
Juden benützte, benützte er nur die übliche Redeweise seines
islamischen Hintergrundes der damaligen Zeit, bevor die Juden Israelis
wurden. Haj Amin al-Husseini’s in einem Brief an Ribbentrop zitierter
Satz: um ein Abkommen mit den Briten und den USA zu verhindern, damit
Juden nach Eretz Israel einwandern“, wurde auch anders gebracht und so
gelesen: „Um ausländische zionistische Siedler daran zu hindern,
Palästina zu übernehmen.“ Dies aus dem Kontext zu reißen und als
Fortsetzung der Naziaktionen hinzustellen, ist eine Geschichtslüge und
eine Lüge an sich.
Während meines
Rundganges durch die Ausstellung, konnte ich auch die Nakbeh ( die
palästinensische Katastrophe ) im Werden erkennen. Besonders bei meiner
2. Runde hatte ich den seltsamen Eindruck des Déjà-vu: immer wieder sah
ich Parallelen zwischen dem, was in Yad Vashem entwickelt wird und dem.
Was dem Palästinensern später von den Zionisten zugefügt wurde.
Die von den
Zionisten gegen die Palästinenser angewandten Methoden schienen alle
hier vorzukommen. Die Entmenschlichung des Feindes und besonders des
Opfers. So wie der Terminus „Juden“ in Deutschland benützt wurde, so
findet man in Israel den Terminus „Araber“. Für die für Juden verbotenen
Örtlichkeiten, sind ihre Vertreter, die Palästinenser nun diejenigen,
die ihr eigenes Land nicht betreten dürfen. Anstelle der rassischen Nazi
–Klassifizierung und dem Brandmarken der Opfer mit dem gelben Judenstern
tritt nun der orange Personalausweis, die streng gehandhabten
Genehmigungen, die besonderen Autokennzeichen und die Aufteilung der
Palästinenser in Drusen, Muslime, Beduinen, Christen, Vertriebene, nicht
Anerkannte, 1967-Flüchtlinge, Jerusalemiten, Rückkehrer, Flüchtlinge
etc.
Die „illegale
Einwanderung“ nach „Erez Israel“ erinnert mich an palästinensischen
Flüchtlinge, die versuchten 1948-49 „illegal“ zu ihren eigenen Häusern
und zu ihrem eigenen Land zu schleichen. Und so könnte ich nun
weitermachen: der Stacheldraht des Warschauer Ghettos vertritt den
Stacheldraht rund um den Gazastreifen und seinen palästinensischen
Zugangskäfig am Erez-Kontrollpunkt. Und der Versuch der Juden, durch
Tunnels aus den KZs auszubrechen, erinnert an palästinensische und
libanesische Versuche, aus Gefängnissen, durch Grenzen und Haftzentren,
die von Israelis geschaffen wurden, auszubrechen.
Wie erklärt man, die
in Felsen eingravierten Namen jüdischer Gemeinden im Tal jüdischer
Gemeinden, während palästinensische Gemeinden zerstört und mehr als 400
ihrer Dörfer dem Erdboden gleich gemacht wurden. Selbst der Aufstand im
Warschauer Ghetto erinnert an das Standhalten der palästinensischen
Flüchtlinge in Tel Zaatar, Sabra und Shatila und andere Lager im Libanon
– alles letztlich veranlasst durch ihre Enteignung durch jüdische Hände.
Wie die Nazis im
Nürnberger Prozess leugnet auch Ariel Sharon, dass er palästinensisches
Blut an den seinen eigenen Händen hat. Der Ausdruck „Endlösung“ ist
inzwischen auch oft für die Palästinenser gebraucht worden, ganz zu
schweigen vom oft gehörten Hassschrei unter Israelis: „Tod den
Arabern!“ und der Ruf nach „Transfer“ oder der Deportation von
Palästinensern von ihrem Land. Und parallel zu den Holocaustleugnern
finden wir noch immer Nakbeh-Leugner unter Juden und Israelis. Man wird
daran erinnert, wie Nelson Mandela darüber sprach, wie angewandte
Apartheid den Afrikaans das falsche Gefühl der Überlegenheit gab und so
ihre unmenschlichen Aktionen rechtfertigte.
Eine seltsame
Wendung findet in Palästina statt. Wenn das Warschauer Ghetto heute
Erinnerung ist, so sind die ghetto-ähnlichen Westbank- und Gaza-Kolonien
der israelischen Siedlern eine von Juden selbst geschaffenen lebendige
Erinnerung mit Stacheldraht, Wachtürmen, gleißenden Lichtern,
bewaffneten Wächtern und Hunden. Man fragt sich oft, was für ein Leben
und welche Zukunft werden jüdische Kinder in diesen kolonialen
Siedlungen haben, verglichen mit denen in den palästinensischen Städten
und Dörfern rund herum?
Wie Juden in Yad
Vashem ihre Toten ehren, könnte Palästinensern für ihr eigenes Gedenken
eine Lektion sein. Aber wenn die Palästinenser eines Tages dahin kommen,
ihre Gedenkstätten zu schaffen, dann hoffe ich, dass sie in zwei
Hinsichten anders sein werden : dass sie das Leiden des Volkes nicht
dazu ausnützt, um um Material und politische Unterstützung zu bitten
und ohne gegen andere noch mehr Hass zu wecken.
Kein wirklicher und
dauerhafter Friede zwischen Israel und den Palästinensern wird jemals
durch gefälschte Geschichte Bestand haben. Die Israelis und Juden in
aller Welt müssen einen ernsthaften Prozess durchlaufen, in dem ihnen
bewusst wird, was sie dem palästinensischen Volk angetan haben. Sie
müssen sich den Fakten stellen und ihre Verantwortung anerkennen. Und
egal welche Kompromisse die Führer beider Seiten eingehen, so werden die
Palästinenser nicht vergeben können, wenn die Israelis nicht
eingestehen, was sie den Palästinensern angetan haben. Vielleicht ist es
die historische Rolle der Palästinenser, den zionistischen Israelis und
Juden zu helfen, ihre tiefe rassistische und fremdenfeindliche Haltung
loszuwerden. Israel kann nie ein normales, von der ganzen Welt
anerkanntes Land werden, solange die Palästinenser nicht vergeben haben
– genau wie die Juden gegenüber den Deutschen.
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die Besuche fanden 1999 und 2000
statt. Quelle: Jerusalem Quarterly, 2001, G.A ist ein
Programm-Analytiker und Aktivist.
abdullah(at)palnet.com
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Zugemailt von Machsom Watch, 10.5.05
(dt. Ellen
Rohlfs) |