Die
Ein-Staat-Realität,
Ben White, The Electronic Intifada, 13.11.07
Vor ein paar Wochen
hielt die Oxford-Universitätsunion eine Debatte über die Ein-Staat-Lösung in
Israel-Palästina. Bevor die Referenten auch nur das Podium erreichten, war der
Vorfall schon Mittelpunkt einer intensiven Debatte wegen Behauptungen, dass die
Organisatoren der Union unter Druck, Norman Finkelsteins Erscheinen zu
verhindern, nachgegeben hätten. Ghada Karmi, Ilan Pappe und Avi Shlaim, die auf
der anderen Seite des Podiums reden sollten, zogen aus Solidarität gemeinsam ab.
Das Theater
überschattete den Kern des eingebrachten Themas – eine dringend nötige
Diskussion über den besten Weg für Palästina/Israel. Während private Initiativen
mit kreativen Lösungen von allen Seiten des politischen Spektrums kommen , so
ist ihre Innovation typischerweise darauf beschränkt, wie man den israelischen
Landraub sorgfältig verschönern oder wie man die Weigerung, die wichtigsten
palästinensischen Rechte zu erfüllen, vertuschen kann.
Die wirkliche
beispielhafte Veränderung wird nicht darin gefunden, dass man über die
„Zwei-Staaten gegen die Ein-Staat“-Lösung redet oder irgend etwas zwischen
beidem, weil diese Debatte am Eigentlichen vorbeigeht. Es geht nämlich nicht
darum, eine „Ein-Staat-Lösung“ vorzuschlagen, sondern darum die
„Ein-Staat-Realität“ anzuerkennen. Durch Israels Integration Ost-Jerusalems und
der Westbank in die Infrastruktur und rechtliche Struktur des jüdischen Staates
seit 1967 ist es zwar noch keine de jure aber schon eine de facto Annexion.
Dies ist vor Ort
eindeutig zu beobachten, z.B. wenn man von Tel Aviv nach Gush Etzion fährt, da
gibt es keine erkennbare Veränderung durch territoriale Herrschaft. Das
Straßennetzwerk, das die Westbank durchschneidet, ist ein Teil der
territorialen Homogenität vom Jordan bis zum Mittelmeer. Dieselben
unterirdischen Aquifers liefern das Wasser für Palästinenser und Israelis, doch
augenblicklich auf einer von Israel bestimmten diskriminierenden Basis . Von
Grenz-„Sicherheitspufferzonen“ bis zu den Siedlungen sind die besetzten Gebiete
zerstückelt und physisch und bürokratisch absorbiert worden.
Noch deutlicher wird es
in den Gebieten, wo palästinensisches Land in der Westbank konfisziert wurde -
der israelische Architekt Eyal Weizman nennt es ein nicht zusammenhängendes
Archipel von tausend Inseln – dort wird das israelische Gesetz angewandt. Dieses
„Staatsland“ wurde geschaffen, damit sich die in den Siedlungen lebenden
Siedler der normalen Rechte erfreuen können, genau wie (jüdische ) israelische
Bürger.
Seltsamerweise hat
israelische Propaganda immer behauptet, es gäbe tatsächlich gar keine
Besatzung gäbe, sondern nur „Verwaltung“ ; die Sprache und der Kontext der
Besatzung hat in gewisser Weise bei der israelischen Kolonisierung der
„Gebiete“ geholfen. Indem man der Besatzung einen vorläufigen Zustand
impliziert, hat man den „Sicherheits“ -Maßnahmen (sprich Siedlungsbau) einen
Anstrich von Legitimität gegeben – trotz ihrer beabsichtigten Dauerhaftigkeit.
Die beiden
gewöhnlichsten Kritiken an einer Ein-Staat-Lösung ist, dass es ein Rezept für
massives Blutvergießen sein wird, und dass es unmöglich sei, sie zu erfüllen.
Die eine wie die andere Position wird nicht nur von zionistischen Apologeten
wie Alan Dershowitz eingenommen, sondern auch von wohlmeinenden Beobachtern.
Während er den „Tod“ der Oxford-Union verkündigte, behauptete Dershowitz das die
sog. Ein-Staat-Lösung einfach ein Weg sei, um das Ziel durch Demographie zu
erreichen, was die arabische Welt nicht mit Hilfe der Armee erreicht hat.
‚Demographie’ ist ein höfliches Wort für ‚Volk’ . Mit Rhetorik, über die jeder
rassistische Supremat , der etwas auf sich hält, stolz sein würde, werden die
Palästinenser individuell und kollektiv als Bedrohung bezeichnet.
Außerdem ist es äußerst
unaufrichtig, die Zukunft einer Ein-Staat-Lösung apokalyptisch als Blutbad
oder einen Genozid gegen Juden zu predigen. Es besteht schon ‚ein Staat’ und es
bleibt nur noch die Frage und reale Debatte über seinen Charakter: Werden
weiterhin Gesetze und Rechte der Bevölkerung auf Grund der Volkszugehörigkeit
ihrer Teile zugeordnet? Wird es ein exklusiver, Apartheidstaat – oder eine
Demokratie sein, in der Juden nicht mehr privilegiert sein werden als
Palästinenser?
(In einer Konferenz
in London Mitte November geht es um Konzepte wie Bi-Nationalismus, Föderalismus,
Multikultur, um den langen Prozess einer neuen politischen Landschaft zu
fördern, in der es keine Exklusivität für irgend eine Gruppe gibt. )
Diejenigen, die zu
dieser Konferenz eingeladen wurden, sind Historiker, Geographen, Politik- und
Entwicklungswissenschaftler ( Ilan Pappe, Joseph Massad, Nur Masalha,
Tikva-Parnass, Ali Abunima und Ghada Karmi) sie hatten schon über den ethischen
Imperativ und die praktische Durchführbarkeit eines Ein-Staat-Modelles
geschrieben. Andere allgemein verfügbare Bücher sind auch Joel Kovels Buch
„Überwindung des Zionismus“ Jamil Hilals „ „Where now for Palestine?“ und
Virginia Tilleys „Die Ein-Staat-Lösung“.
Zu sagen, dass die
‚Ein-Staat-Lösung’ nicht durchführbar ist und der Zerstörung Israels gleich zu
setzen sei, ist ein schlecht versteckter Code, um das Nicht-zu-Rechtfertigende
und ein Rezept zu verteidigen, das für einen Dauerkonflikt in einem Land sorgt,
das unmöglich zu teilen ist. Man sollte allen Widrigkeiten zum Trotz die
zionistische Fiktion aufrecht erhalten, dass Palästina ein Land ohne Volk für
ein Volk ohne Land war. Man sollte die Fantasie nähren, dass die besetzten
Gebiete von Israel so umfassend kolonialisiert wurden, dass sie zu einem
‚palästinensischen Staat’ werden können, der nicht nur dem Namen nach Apartheid
ist.
Der Autor ist freier,
britischer Journalist, der sich auf Palästina/ Israel spezialisiert hat.
www.benwhite.org.uk ben@benwhite.org.uk
( dt. und geringfügig
gekürzt Ellen Rohlfs)
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