Fischen verboten!
Luisa
Morgantini *, Il Manifesto , 18.6.08
Im
Gazastreifen ist das Meer ein großer Checkpoint
Alle
palästinensischen Fischer bestehen auf ihrem Recht zu fischen, auf ihrem Recht
zu leben. Sie demonstrierten am 16.Juni mit ihren Booten gegen die israelische
Besatzung.
Das Meer in
Gaza ist blau, doch wegen der Verschmutzung auch grün, weil an vielen Stellen
Abwässer frei ins Meer laufen, nachdem sie sichtbar durch die Straßen von
Gazastadt und andere Städte im Streifen fließen. Es besteht kein
Kläranlagensystem mehr, weil dieses durch israelische Angriffe zerstört wurde
oder wegen fehlender Ersatzteile außer Betrieb ist. Diese können wegen des von
israelischen Behörden verhängten Embargos nicht geliefert werden. Das hat ernste
Folgen für die Umwelt und die lokale Wirtschaft.
Die
Meeresküste in Gaza ist immer eine große natürliche Ressource und wäre auch für
Tourismus interessant gewesen. Nach dem Oslo-Abkommen hofften die Palästinenser,
dass die Strände von Gaza werden einmal bevölkert sein. Es wurden viele Hotels
gebaut und Restaurants und Cafes eröffnet. Doch das war von kurzer Dauer: die
Hotels sind fast alle verlassen und Touristen können natürlich nicht nach Gaza
fahren. Die palästinensischen Bürger in Israel, auf die es der palästinensische
Tourismus vor allem abgesehen hatte, werden daran gehindert, den Gazastreifen
zu betreten, da alle Grenzen allein von der israelischen Regierung kontrolliert
werden und allen israelischen Bürgern es verboten ist, in den Gazastreifen oder
in die Westbank zu reisen.
Die letzten
fünf Jahre waren die schlimmsten.
In den
90er-Jahren, als Fischerboote noch 12 Meilen vor der Küste des Gazastreifens
segeln konnten, konnten Fischer 3000 t Fische im Jahr fangen, mit ihnen handeln
und sie exportieren.
Während dieser
Jahre bestand das Wachstum im Fischereisektor darin, dass Tausende von
Palästinensern, die daran gehindert wurden, nach Israel zu reisen, um dort zu
arbeiten, ertranken. Die Übergänge waren geschlossen – so versuchten sie, übers
Meer zu kommen. Sie folgten dem Beispiel einiger Fischerfamilien, von denen
viele, ja Tausende 1948 aus Jaffa kamen.
Während der 1.
Intifada war es leicht, nach Gaza zu kommen. Ich ging immer wieder mit
Delegationen dort hin, um ausgezeichneten frischen Fisch in einem Restaurant,
das Salam/ Frieden heißt, zu essen. Das Restaurant gibt es noch immer, aber der
Fisch ist verschwunden, und auch Sardinen können kaum mehr gefangen werden.
Tatsächlich
wurde der Fischfang im Gazastreifen sehr dezimiert, besonders in den letzten
fünf Jahren – auf Grund militärischer Restriktionen, die von den israelischen
Behörden verhängt wurden und eines Verbotes, der die Fischer daran hindert,
sich mehr als 3 Meilen von der Küste zu entfernen, obwohl das Oslo-Abkommen die
Grenze auf 20 Meilen Entfernung von der Küste festgelegt hat und dass
Bertini-UN-Abkommen vom August 2002 mit Israel 12 Meilen abgestimmt hat.
2007 wurden
im Ganzen nur 500 Tonnen Fisch von 3500 Berufsfischern gefangen, die entlang
der 40km Küstenlinie arbeiteten. Von denen sind nur noch 700 in einem Sektor
beschäftigt, der mindestens für 40 000 Menschen Arbeitsplätze hatte,
einschließlich Mechanikern, Fischhändlern und Tausenden von Familien, die heute
kaum in einer Wirtschaft überleben können, die von der Belagerung derart
unterdrückt wird.
Die kleinen
Boote verlassen gewöhnlich bei Dunkelheit der Nacht die Küste und kommen etwa
um 6 Uhr morgens zurück, wo LKWs warten, um die Ladung frischer Fische zum
Markt zu bringen: 70 in Plastikbehältern abgepackte Fische und Sardinen können
für etwa 3500 Schekel verkauft werden, aber allein 2000 Schekel wurden für
Dieselöl und für Gas für die Gaslampen benötigt. Und diese Preise sind als
Folge der Brennstoffkürzungen gestiegen, die die israelischen Behörden
beschlossen.
Um mit dem
Wegfallen von 40 000 l Brennstoff und Gas während der Hochsaison des Fischfangs
fertig zu werden, benützen Fischer Kochöl für ihre Maschinen . Deshalb liegt auf
dem Mittelmeer um den Gazastreifen eine stinkende Ölschicht.
Die restlichen
Einkünfte ( 1500.-) werden unter der ganzen Schiffsmannschaft geteilt – was je
nach Bootsgröße verschieden ist – im Durchschnitt aber bei 75 Schekel liegt,
also fast 15 Euro für die Arbeit während einer Nacht.
Aber heute
gibt es immer wenige Fische direkt an der Küste, weil das Wasser zu sehr
verschmutzt und die Gewässer zu sehr ausgebeutet wurden und nun unergiebig
sind. Sie müssten 20 Meilen aufs Meer hinaus fahren, um im Frühling auf die
vom Nildelta kommenden großen Sardinenschwärme zu stoßen.
Nach der
Menschenrechtsorganisation von PCHR hat Israel den Fischern des Gazastreifens
nie die 20Meilen-Zone erlaubt, die im Abkommen festgelegt worden ist. Die
Gaza-Fischer prangern die Tatsache an, dass sie nicht ohne Risiko 2,5 km aufs
Meer hinaus können. Sie kämen dann unter Beschuss (der Israelis). Ihre Netze und
Boote würden beschädigt, während israelische Patrouillenboote sie zwingen
würden, zur Küste zurückzufahren. Diese Situation hat sich seit 2003 immer
wieder wiederholt. In den letzten Jahren hat sich dies sogar verschlimmert; mit
israelischen Granaten und Helikoptern sei man gegen Fischer vorgegangen.
Nach dem
Rafah-Fischerverband kontrollieren im südlichen Gazastreifen israelische
Militärboote die Meeresküste rund um die Uhr und sieben Tage in der Woche -
unter dem Vorwand von „Sicherheit“ und dem Kampf gegen Waffenschmuggel. 2007
wurden mehr als 70 Fischer verhaftet und ihre Boote mit der ganzen Ausrüstung
zerstört. Seit Monaten werden Tausende von Fischern daran gehindert, den
Fischerhafen zu verlassen.
B’tselems
Berichte über Misshandlungen.
In einem
Bericht der isr. Menschenrechtsorganisation B’tselem sind einige Geschichten
über diese Fischer gesammelt und veröffentlicht worden.
Am 1. Januar
2007 fuhr Ismail Basleh mit seinem Bruder Samir und seinem Freund Aymen al-Jabur
aufs Meer hinaus. Sie fischten, als sie ein israelisches Kriegsschiff sich
nähern sahen. Es hielt etwa 30m von ihnen entfernt an und fing an, in die Luft
zu schießen. Der Kapitän des israelischen Schiffes befahl Ismail ihm 6,5km zu
folgen, dann zu halten, den Motor abzustellen, seine Kleidung auszuziehen und im
kalten Wasser zu seinem Schiff zu schwimmen.
Aber das
israelische Schiff fuhr immer weiter weg und Ismael wäre beinahe ertrunken. Die
übrige Geschichte spricht von gefesselten Armen und Beinen, über Drohungen und
Einschüchterungen, von Schlafverhinderung und erniedrigender und unmenschlicher
Behandlung.
Adnan
al-Badwil beschrieb auch sein Missgeschick auf dem Meer. Er war mit seinem
Bruder bis morgens 5 Uhr draußen und sie hatten gerade die Netze mit den
gefangenen Fischen eingeholt, als sie aus der Dunkelheit Schießen hörten. Das
Boot wurde getroffen und begann sehr zu schaukeln. Beide fielen ins Wasser und
wurden von Granatsplittern verletzt. Sie mussten drei Tage ins Krankenhaus.
Aber trotz der
Lebensgefahr fahren Fischer weiter aufs Meer hinaus, um auch jenseits der
3km-Zone zu fischen – einfach um zu überleben. Im Augenblick können sie nur
Ruderboote benützen, weil es keinen Treibstoff in Gaza gibt…. Es ist eine
Kollektivstrafe für die ganze Bevölkerung.
Die Situation ist unerträglich
Am Montag ,
den 16. Juni, fuhren die Fischer von Gaza mit der palästinensischen Flagge
hinaus aufs Meer, um für ein offenes Meer, das Recht zu fischen, das Recht zu
leben und für das Recht auf Freiheit zu plädieren.
An der
Kampagne “Schluss mit der Belagerung“ (
www.end-gaza-siege.ps/) beteiligten sich Frauen und Männer, Ärzte,
Professoren, Intellektuelle und palästinensische Menschenrechts-Aktivisten, die
die Demonstration organisierten. Sie appellierten an die Welt, am selben Tag aus
Solidarität mit den Fischern von Gaza ähnliche Initiativen auf dem Meer und an
den Küsten zu organisieren. Dieser Appell wurde von einigen italienischen
Fischern aufgegriffen, die im Augenblick gegen die hohen Benzinpreise kämpfen,
auch von der Lega Pesca – der ältesten und größten Organisation italienischer
Kooperativen mit mehr als 400 000 Fischern - besonders aus Solidarität mit den
Fischern im Gazastreifen. Sie schickten der Kampagne „Schluss mit der
Belagerung“ ihre Fotos mit den Slogans: „Schluss mit der Belagerung Gazas“, „Ein
Recht auf Leben“ , „Ein Recht zu fischen“.
( eine Demo
ähnlicher Art gab es aus Solidarität mit den Fischern im Gazastreifen im Hafen
von Herzlia von Gush Shalom. Der Kapitän des Bootes weigerte sich aber, weil die
Gush Shalom-Fahne aus der israelischen und palästinensische Fahne besteht, die
Aktivisten hinaus zu fahren. Die Demo wurde dann an Land durchgeführt)
Während der
Eröffnung der Plenarsitzung in Straßburg am selben Tag erinnerte der Präsident
des EU-Parlamentes H.G.Pöttering an die Dringlichkeit eines Endes der
Belagerung. Er stellte fest: „Während wir heute hier sind, sind die Fischer des
Gazastreifens aufs Meer gefahren. Wegen der Belagerung breitet sich eine
schreckliche Umweltverschmutzung aus und bedroht das Leben der Fischer, die
gegen die Belagerung protestieren. Sie demonstrieren für das Recht auf
Fischfang, für das Recht auf Leben und für Freiheit und für Frieden. Unsere
Europäische Parlaments-Delegation versprach, die Fischer zu unterstützen.
Deshalb will ich im Namen von uns allen unsere Solidarität mit diesen Fischern
ausdrücken.“
L. Morgantini,
Vizepräsidentin des EU-Parlamentes.
(dt. Ellen
Rohlfs)
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