Der
Pfad des Widerstandes: den Mächtigen
Palästina bewusst machen
Sonja Karkar. Australien Juli 2012
Heute
gibt es keine Entschuldigung mehr dafür, dass man die Wahrheit über
Palästina nicht weiß. Selbst wenn man die Desinformation der
Mainstream-Medien berücksichtigt, gibt es genug Einblicke in ein
unterdrücktes Volk in Gaza, auf der Westbank und in Ostjerusalem,
die uns zwingen sollten, zu fragen. Das Internet ist dabei eine
große Hilfe. Wo einst Israel die Medien manipulierte, können jetzt
Millionen Videos ansehen und Zeugenberichte über Israels Besatzung
in aller schrecklichen Hässlichkeit ansehen bzw. lesen . Globale
Initiativen wie die kühne Free-Gaza-Flotille zwingen die
Mainstream-Medien diese Nachrichten zu bringen, wenn auch flüchtig.
Konsequenterweise wollen die Leute selbst sehen, was in Palästina
geschieht und kommen mit Geschichten zurück, die sie zu tiefst
erschüttert haben.
Geschichten von endlosen Menschenschlangen an den Checkpoints, die
auf Genehmigung warten. Bewaffnete Soldaten entscheiden, ob sie
passieren dürfen; zugrunde gerichtete Familien, die versuchen, vor
ihrer Hausruine in den Trümmern noch etwas Brauchbares zu finden,
während Bulldozer sich zur nächsten gezielten Hauszerstörung
bewegen; untröstliche Farmer trauern über ihre Jahrhunderte alten
jetzt ausgerissenen Olivenbäume und verbrannten Obstgärten; schon
traumatisierte Kinder fragen sich, wann die nächste Rakete oder
Bombe diesmal ihre Familien oder Freunde auslöschen; erschreckte
Bürger warten auf das Geräusch von Armeetrupps, die wer weiß wen in
den frühen Morgenstunden verhaften kommen; und der Schatten jener
habgierigen Mauer, die die Landschaft verdunkelt, ja sogar die
Palästinenser von der Welt abschneidet und wie in Gefängnisse
einsperrt.
All
dies sind nur die offensichtlichen Zeichen von Israels
Apartheidsplänen, die es auf einen exklusiven jüdischen Staat hin
bewegt - in einem Land , das die Heimat für fast die gleichgroße
Anzahl von Palästinensern ist, und weitere Millionen warten im Exil
auf die Rückkehr nach Hause.
Die
Alarmglocken sollten geläutet worden sein, als diese Information
durchsickerte, doch da gibt es nur eine Mauer des Schweigens,
während unsere politischen Führer Israel ewige Lehnstreue erklären
oder unbekümmert es als Ehrenabzeichen tragen oder sich auf
Staatskosten eine Reise nach Israel gönnen. Und diese Glocken
sollten noch alarmierender läuten, nachdem Israels Kriegsverbrechen
in Berichten von Menschenrechtsgruppen dokumentiert und offizielle
Untersuchungen scharf angegriffen und dann ignoriert werden.
Doch die Welt ist mutlos (und feige). Die Menschen haben Angst als
Antisemiten hingestellt zu werden. Sogar Palästinenser, die selbst
Semiten sind, fürchten sich, benachteiligt zu werden und in den
Ländern ausgestoßen zu werden, die ihnen Zuflucht gewährten. Die
Leute fürchten nicht nur ein Nachspiel, die Wahrheit auszusprechen
oder auch nur zu hören, nimmt ihnen die Ruhe. Sie fürchten, ihr
beunruhigtes Gewissen fordere von ihnen zu handeln, also stecken sie
ihren Kopf noch tiefer in den Sand, wo sie hoffen, auch die
Geräusche des Schweigens würden gelöscht.
Dies ist dann die Herausforderung für die Advokaten in aller Welt:
Wie macht man den Mächtigen Palästina bewusst, wenn man nicht
einmal den Menschen Palästina bewusst machen kann, weil sie sich vor
den Mächtigen ängstigen?
Angesichts der zionistischen Sättigungsmedien und den neuen „Israel-Marke“-Kampagnen
könnten sich viele Leute, die sich für Palästina einsetzen wollen,
abgelehnt fühlen, aber immer wieder sehen wir, dass wenn ein
Einzelner gegenüber den Mächtigen die Wahrheit sagt, es sehr wirksam
sein kann.
Der
inzwischen verstorbene Wissenschaftler und Intellektuelle Edward
Said zeigte mehr als jeder andere, dass der einzelne einen
Unterschied in der allgemeinen Verteidigung Palästinas machen kann.
Er sah besonders, dass die Stimmen der Intellektuellen, „Resonanz“
haben.
Natürlich ist es nicht nötig, ein Intellektueller zu sein. Saids
Worte können für jeden von uns gelten. Er sagt, das Schweigen war
„verwerflich“ und beschrieb es als dieses „charakteristische sich
Abwenden von einer schwierigen und grundsätzlichen Position, von
der man weiß, dass sie richtig ist, die man aber nicht einnimmt. Man
will nicht zu politisch erscheinen, man fürchtet zu kontrovers zu
erscheinen; man benötigt einen Boss oder eine autoritäre Person; man
möchte den Ruf behalten, ausgewogen, objektiv, moderat zu sein; man
hofft innerhalb des verantwortlichen Mainstream zu bleiben …
Darstellung des Intellektuellen. (1)
Als
Intellektueller hatte Said seine akademische Leistung, seinen
professionellen Standpunkt, seine Forschung und seine Publikationen,
die seinen Aussagen Gewicht geben , aber er benötigte nicht weniger
Mut als jemand anders, um das akzeptierte Paradigma herauszufordern.
Die Herausforderung ergibt sich aus dem Wissen der Wahrheit; der Mut
ergibt sich aus der Verpflichtung gegenüber dem Prinzip, angesichts
einer kollektiven Verurteilung. Dies trifft auch gegenüber dem
zionistischen Sperrfeuer von Lügen zu , wie auch gegenüber
entsprechenden Erklärungen, die von jenen vorbereitet sind, die den
Mächtigen um eigener Zwecke willen entgegenkommen.
Als
1993 fast jeder glaubte, das Händeschütteln auf den Stufen des
Weißen Hauses würde die verhandelten Oslo-Verträge besiegeln und
endlich den Palästinensern ihre Freiheit geben und der Region den
Frieden bringen, sah Edward Said, dass diese Verträge Israel nur den
Vorwand liefern würde, seine koloniale Expansion zu verfolgen und
seine Besatzung zu festigen. Doch wusste er, Oslo zu kritisieren,
bedeutet in Wirklichkeit, einen Standpunkt gegen die „Hoffnung“ und
den „Frieden“ einzunehmen. Seine Entscheidung, dies zu tun, setzte
sich über jede Autorität der palästinensischen revolutionären
Führung hinweg, die um einen eigenen Staat gehandelt hatte.
Obwohl Said für diese Ansichten angeprangert wurde, war er nicht
bereit, sich mit der Täuschung einzukaufen, die, wie er wusste, die
Palästinenser weder mit Hoffnung noch Frieden lassen würde. Und
genau wie er vorausgesagt hatte, offenbarte jedes fruchtlose Jahr
des Friedenmachens schließlich die schreckliche Realität von Oslo,
als Palästinenser sich selbst als die Opfer von Israels Kontrolle
fanden … Und diese Herrschaft eines Volkes über ein anderes, ohne
jede Absicht, sich mit den Ungerechtigkeiten gegenüber den
Palästinensern zu befassen, die aus ihrer Heimat ethnisch gesäubert
wurden, haben Israel unweigerlich zu einen Apartheidstaat gemacht.
Den
Palästinensern ist nichts übrig geblieben, das man einen Staat
nennen könnte. An allen Fronten stehen sie einer existentiellen
Bedrohung gegenüber. Doch Intellektuelle reden weiter über eine
Zwei-Staaten-Lösung in Übereinstimmung mit den Politikern, ein
Mantra, das unkritisch, ja verlogen in den Mainstream-Medien
wiederholt wird. Medien-Experten/Panditen behaupten, dass Israel
einer existentiellen Bedrohung gegenüber steht. Aber es wird jeden
Tag deutlich, dass die Palästinenser gegen Israel keine Chance
haben: Israel ist bis an die Zähne mit nuklearen und konventionellen
Waffen bewaffnet . Die Palästinenser hatten nie eine Armee und keine
ausreichenden Mittel, um gegen ihre eigene Enteignung und die
Besatzung ihres Landes zu kämpfen. Es ist kein Wunder, dass die
Zwei-Staaten-Lösung zu einer Art Allheilmittel für den
palästinensischen Kampf der Selbstbestimmung wurde.
Dieses Eingehen auf eine Idee nun schon seit zwanzig langen Jahren
wird von den heftigen Geräuschen der Baumaschinen und Hämmer
unterminiert, die aus den illegalen Siedlungen durch die ganze
Westbank und Ost-Jerusalem widerhallen und die katastrophale
gesellschaftliche Brüche im Gazastreifen in die Wege leiten. Nun
werden diese Geräusche durch die Rhetorik des „wirtschaftlichen
Friedens“, das „Bauen von Institutionen“, der „Demokratie“, der
„internationalen Sicherheit“ und „Staatenbildung“ gedämpft. Diese
Wörter müssen bei jeder Gelegenheit in Frage gestellt werden, denn
sie sind nicht nur Wörter, sondern gefährliche Begriffe, wenn sie
von der Wahrheit vor Ort isoliert werden.
Es
hat keinen Sinn über einen „wirtschaftlichen Frieden“ zu reden, wenn
man nicht versteht, dass Industrie für palästinensische Arbeiter mit
der Absicht gebaut werden, Israel mit Sklavenarbeit und billigen
Waren zu versorgen. Es ist sinnlos, das „Bauen von Institutionen“ zu
unterstützen, wenn Israel weiter die Programme unterminiert und
zerstört, die schon darum kämpfen, der palästinensischen
Gesellschaft zu dienen. Es ist eine Lüge, von „Demokratie“ zu
sprechen, als 2006 faire Wahlen stattfanden und Israel und die Welt,
der Hamas das Recht zu regieren verweigerten. Es ist ein
Affentheater „interne Sicherheit“ zu akzeptieren, wenn Palästinenser
bewaffnet und trainiert werden, um ihr eigenes Volk zu überwachen -
nach Israels und Amerikas ‚Teile-und-herrsche’-Schema. Es ist hohles
Geschwätz, von „Staatenbildung“ zu reden, wenn Israel weiter Land
stiehlt und illegale Siedlungen baut, was die Palästinenser von
ihren Häusern und ihrem Lebensunterhalt trennt und sie in isolierte
und eingemauerte Ghettos verdrängt.
Edward Said hat leider Recht behalten.
Nun
ist es an uns, die Wahrheit auszusprechen und furchtlos zu handeln,
ohne Rücksicht auf die Zensur, die uns wahrscheinlich zuteil wird.
Vom deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer nimmt man an, er habe
gesagt, die Wahrheit gehe durch drei Stadien: „Zuerst wird sie
lächerlich gemacht, dann wird man sich ihr gewaltsam widersetzen,
drittens, sie wird als selbstverständlich hingenommen.“ Heute
befinden wir uns im dritten Stadium: die 11 Millionen Palästinenser,
egal ob sie unter Besatzung oder als Zweite-Klasse-Bürger in Israel
leben, als staatenlose Flüchtlinge oder in der Diaspora leben, sie
leben die Wahrheit. Hier liegt Israels Achilles-Sehne, und Israel
weiß es.
Die
Palästinenser sind nicht mehr die bescheidenen Hirten und Bauern,
die zionistische Militärkräfte terrorisierten, damit sie fliehen und
den Weg für den jüdischen Staat Israel freimachen. Eine neue
Generation wünscht Gerechtigkeit und verlangt dies mit beredten
Worten, gewaltlos und strategisch. Ihre Botschaft heißt: keine
normalen Beziehungen mit Israel, während dieses Palästinenser
unterdrückt, ihnen die Rechte verweigert und das Völkerrecht
verletzt. Und Boykott Divestment und Sanktionen sind legitime
Mittel, um einen Staat herauszufordern, der für sich einen
Ausnahmezustand beansprucht und der extreme und kriminelle Aktionen
ausführt, um diesen Zustand abzusichern.
Die
Menschen sind natürlich immer versucht, den Weg des geringsten
Widerstandes zu gehen, besonders wenn sie sich nicht in diejenigen
hineinversetzen können, die so erfolgreich von den westlichen Medien
falsch dargestellt und dämonisiert worden sind. Doch die Welt
ändert sich und langsam wird den Menschen klar, dass auch sie
verletzlich sind, da westliche Gesellschaften unter dem Gewicht der
Regierungskräfte beginnen, sich aufzulösen, die ohne
Sicherungssysteme außer Kontrolle geraten. Die universalen
Menschenrechte und Prinzipien des internationalen humanitären
Gesetzes, die einmal Stütze unserer Demokratien waren, sind während
der Panik „ Krieg gegen den Terror“ führen zu müssen, beiseite
geworfen worden . Nur wenige hatten den Mut, das augenblickliche
System herauszufordern.
Es
ist tatsächlich für uns alle möglich, „die Realität von einigen
ihrer Möglichkeiten herauszuquetschen“ sagt Prof. Ghassan
Hage(Universität von Melbourne)(2). Dies wird in jenen utopischen
Momenten sein, wenn wir unsere Gedanken, Ängsten und Vorurteilen
herausfordern. In diesem Raum liegt die unerschlossene Macht, nach
der wir streben, um die Wahrheit ganz gerecht auszusprechen. In
diesem Raum liegt das Potential für politischen Wandel. In diesem
Raum werden immer die sein, die widerstehen und den Mächtigen
Palästina bewusst machen.
-
Edward Said „ Representations of the Intellectuel.London:
Vintage.1994 p.74
-
Ghassan Hage ,“The Real, the Potential and the Political“ ein
Aufsatz in Res Artis Conference, Sydney,10.-16. August 2004
http://www.palestinechronicle.com/view_article_details.php?id=19424
(dt. Ellen Rohlfs)
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