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Der us-amerikanische Friede und die
arabische Dummheit
Abdel-Bari Atwan
Die
Assistenten von US-Präsident Barak Obama sind eifrig damit beschäftigt,
eine neue Friedensinitiative für den arabisch-israelischen Konflikt
auszuarbeiten. Es ist zu erwarten, daß diese auf der Sitzung der
Generalversammlung der UNO im letzten Drittel des Monats September
vorgestellt wird. Senator Mitchell, der eigentliche Architekt der
Initiative zieht es vor, im Geheimen und abseits der Medien zu arbeiten.
Was jedoch bis jetzt über diese Initiative bekannt geworden ist, zeigt,
daß sie sich in den meisten Abschnitten mit einigen substanziellen
Veränderungen auf die arabische Friedensinitiative stützen wird. Das
Rückkehrrecht wird gestrichen und für das besetzte Jerusalem eine
zweideutige Formulierung gefunden, die es zur Hauptstadt beider Staaten
macht. Das heißt, die gegenwärtige Lage der Stadt wird, von
geringfügigen kosmetischen Korrekturen abgesehen, bestehen bleiben.
Die
kommende Phase wird von der graduellen Umsetzung der Initiative
gekennzeichnet sein. Zu erwarten ist, daß die Arabischen Initiative auf
den Kopf gestellt wird, indem die Normalisierung der Beziehungen der
arabischen Staaten zu Israel, wie vom israelischen Ministerpräsidenten
Benjamin Netanyahu gefordert, einem israelischen Rückzug aus den
besetzten Gebieten vorausgehen wird. Das erklärt den intensiven Druck
der USA auf die arabischen Staaten, vor allem in der Golfregion und im
arabischen Maghreb, erste Schritte zur Normalisierung zu unternehmen
wie die Eröffnung von Handelsbüros und die Erlaubnis für israelische El
Al-Flugzeuge, den arabischen Luftraum zu überqueren im Gegenzug dafür,
daß Netanyahu die Expansion der Siedlungen in der Westbank, nicht aber
in Jerusalem einfriert.
Der
Druck der Obama-Administration könnte in den kommenden Wochen seine
Früchte zeigen. Es ist nicht auzuschließen, daß es am Rande der
Konferenzen der UN-Generalversammlung Händeschütteln, Treffen und
gegenseitige Lächeln zwischen arabischen Führern und Netanyahu geben
wird, die das Eis brechen sollen, worauf praktische diplomatische
Schritte folgen werden.
In
diesem Rahmen sind (auch) auf palästinensischer Ebene die Vorbereitungen
in vollem Gange. Sie wurden auf sehr sorgfältige Weise gemäß
us-amerikanischer und europäischer Instruktionen und mit indirektem
israelischen Segen ausgearbeitet, um das palästinensische Haus intern
auf die neue Initiative vorzubereiten.
Diese
Vorbereitungen lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:
1)
Mahmoud Abbas, der
Regierungspräsident in Ramallah, hat die Abhaltung der allgemeinen
Konferenz der Bewegung Fatah und „die Wahl“ eines neuen Exekutivkomitees
initiiert. Das Komitee umfaßt vier ehemalige Führer der
Sicherheitsapparate und schließt die meisten Mitglieder der alten Garde,
die als Symbole gegen den Oslo-Weg standen, aus. Einige der neuen
Mitglieder haben jedoch einen Ruf als gute Patrioten und eine
unabhängige Meinung, aber das sind nur wenige.
2)
Abbas konnte mit Erfolg eine
außerordentliche Sitzung des palästinensischen Nationalrats abhalten, um
die Legitimität des Exekutivkomitees der PLO durch die Wahl von sechs
neuen Mitgliedern zu erhöhen. Bemerkenswert ist, daß die beiden
hauptsächlich für die Verhandlungen Verantwortlichen, Ahmed Qurei und
Saeb Erakat, in das Komitee aufgenommen wurden. Das bedeutet, daß sie
in Zukunft nicht als Repräsentanten der Bewegung Fatah, sondern im Namen
der PLO, der einzig legitimen Repräsentantin des palästinensischen
Volkes, über die neue Friedensinitiative verhandeln werden.
3)
Der palästinensische
Ministerpräsident Salam Fayyad hat einen neuen Plan zum Aufbau der
Infrastruktur eines palästinensischen Staates bekanntgegeben, dessen
Errichtung innerhalb der nächsten zwei Jahre erwartet wird. Diese
Struktur wird aus zwei Teilen bestehen: einer Sicherheitsstruktur, die
ihre Verkörperung im Aufbau von palästinensischen Sicherheitskräften
nach us-amerikanischer Vorgaben und unter Aufsicht von US-General Dayton
findet und den israelischen, jordanischen, ägyptischen und
palästinensischen Segen hat. Der andere Teil der Struktur ist
ökonomischer Art und konzentriert sich auf die Verbesserung der
Lebensbedingungen der Bewohner/innen der Westbank. Dadurch sollen sie
die Intifada vergessen, vom Widerstand abrücken und diesen für die
Instabilität und das Leiden der Bevölkerung verantwortlich machen.
Das
Gefährlichste was denen, die den palästinensischen Präsidenten Mahmoud
Abbas umgeben, gelungen ist, ist die vom europäischen
„Friedensbeauftragten“ Tony Blair geplante Beschränkung der
Palästina-Frage auf die Westbank und die Streichung ihres Kerns - der
Flüchtlingsfrage - sowie ihre Verwandlung in eine bloße ökonomische
Angelegenheit, die bestimmt wird von den Lebensbedingungen der
Bevölkerung in der Westbank.
Gegenwärtig wird die Lage der palästinensischen Bevölkerung nicht mehr
verglichen mit der Lage auf dem Höhepunkt der ersten und zweiten
Intifada oder der Phase davor. Jetzt wird der Vergleich angestellt
zwischen der Verschlechterung der ökonomischen und
sicherheitspolitischen Lage im Gaza-Streifen unter der Regierung der
Hamas und deren Florieren in der Westbank unter der Regierung der
Autonomiebehörde.
Die
ökonomische Lage in Gaza verschlechtert sich und was die Sicherheit
angeht, so gibt es eine strike Kontrolle. Die ökonomische
Verschlechterung geht auf die strangulierende Blockade zurück, die von
der Welt vorsätzlich vergessen wird. Die strikte Kontrolle geht zurück
auf die eiserne Faust der Hamas-Polizei, die sich in der Erstürmung der
Ibn Taimiya-Moschee in Rafah zur „Zerschlagung“ der Bewegung Ansar
Jundallah auf beispiellos blutige Weise gezeigt hat sowie in der
Verhinderung von Fedayin-Operationen und Raketenabschüssen aus dem
Gaza-Streifen.
Was
die ökonomische Blüte in der Westbank angeht, so ist sie darauf
zurückzuführen, daß die USA, Europa und die arabischen Staaten der
Autonomiebehörde Milliarden zuströmen lassen. Letztere sind großzügig im
Geben und folgen us-amerikanischen Anweisungen. Diese Blüte ist eine
buchstäbliche Umsetzung des Planes von Tony Blair und Netanyahu für
einen sogenannten „ökonomischen Frieden“. Das ist ein Friede, der
faktisch das Vergessen der Grundbegriffe und Prinzipien der
Palästina-Frage bedeutet, selbst wenn es nur vorübergehend sein sollte.
Die Frage, die alle Seiten zu beantworten sich weigern, ist, welcher Art
der versprochene palästinensische Staat sein soll angesichts der
Existenz von 249 israelischen Siedlungen, in denen ½ Million Siedler
leben in Ergänzung zu den 600 israelischen Straßensperren, die unter dem
Vorwand der Sicherheit errichtet wurden. Der gegenwärtige
„byzantinische“ Streit dreht sich nicht darum, ob die Siedlungen legal
oder illegal sind, sondern um ihr natürliches Wachstum und darum, ob
dieses Wachstum voll und ganz akzeptabel ist oder nur teilweise sowie um
den Preis, den die Araber in Form der Normalisierung zahlen müssen.
Die
neuste Entwicklung, die sich gegenwärtig abzeichnet, ist der Erfolg der
israelischen „Erpressung“ zur Durchsetzung der israelischen Bedingungen,
nicht nur hinsichtlich der Streichung des Rückkehrrechts oder der
„Aufweichung“ der Frage des besetzten Jerusalems, sondern auch bei der
Verknüpfung jedes „befristeten Einfrierens“ des Siedlungsbaus mit der
Verhängung einer Luft-, See- und Landblockade gegen den Iran als
Ausgleich für dieses große israelische „Zugeständnis“. So wie die
Madrider Friedenskonferenz 1991 als Deckmantel für den Angriff auf den
Irak, dessen Zerstörung und Belagerung benutzt wurde, so soll die neue
US-Friedensinitiative verknüpft werden mit der Frage der iranischen
Atomreaktoren, d.h. dem Abbau dieser Reaktoren durch eine Blockade oder
militärische Aktion im Gegenzug für Versprechungen, bloße Versprechungen
einer us-amerikanischen Lösung der Palästina-Frage auf eine Weise, die
Israel nicht verärgert und die gemäßigten Araber zufrieden stellt. Die
Verknüpfung wird hier nicht hergestellt zwischen dem israelischen
Kernreaktor, der bis jetzt 300 Atomsprengköpfe hergestellt hat und dem
iranischen Kernreaktor, der noch immer im „embryonalen“ Stadium ist,
sondern zwischen letzterem und einem Bündel von arabischen
Zugeständnissen über die unveräußerlichen palästinensischen Rechte im
Gegenzug für Versprechungen zu einer Regelung. Versprechungen dieser
Art, die nach der Erreichung der Ziele der USA verpufft sind, haben wir
schon viele gehört.
Das
große Problem liegt gegenwärtig in der Schwäche des arabischen und der
Korrosion des palästinensischen Ablehnungslagers. Syrien ist gegenwärtig
damit beschäftigt, die USA zu beschwichtigen, indem es sich ihnen
gegenüber öffnet und Delegationen aus den USA empfängt (…). Was die
Bewegung Hamas angeht, so sitzt sie in der „Falle“ Gaza-Streifen und ist
damit beschäftigt, den 1 ½ Millionen Palästinensern dort Brot zu
verschaffen und Kanäle mit dem Westen unter dem Vorwand der Freilassung
des Soldaten Shalit zu eröffnen. Die Bewegung Hamas erhebt die Fahne der
Opposition nicht mehr in dem Maße wie es von einer kämpfenden
islamischen Organisation zu erwarten wäre, und derjenige ihrer Flügel,
der nach Anerkennung durch den Westen strebt, hat der Bewegung sehr
geschadet. Dieser Flügel hat nicht nur Kontakte mit dem Westen, sondern
hat auch in Genf gemeinsam mit Israelis an einer Konferenz teilgenommen,
um zu suggerieren, daß die Hamas eine gemäßigte, realistische Bewegung
ist, mit der man zusammenarbeiten und der man die Macht anvertrauen
kann.
Die
Palästina-Frage in der Form, wie wir sie bisher kennen, liegt
gegenwärtig auf dem Operationstisch eines us-amerikanischen „Schönheits“chirurgen,
der ihr neue Konturen verpaßt. Die arabischen und vor allem die
palästinensischen Marketingstrategen verkaufen sie an diejenigen, die
vom ökonomischen Frieden, der Sicherheit und der florierenden Wirtschaft
in der Westbank getäuscht werden.
Al-Quds al-arabi, 1.9.2009
Übersetzt und leicht gekürzt von Petra Wild
(Al-Quds
ist eine in London erscheinende unabhängige Tageszeitung, die in der
kritischen arabischen Öffentlichkeit sehr einflußreich ist. Abdel-Bari
Atwan ist ihr Herausgeber.)
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