NABLUS. Um 1 Uhr in der Nacht auf Mittwoch den
15.9.2004 griff die israelische Armee ein Haus in Nablus an. Fünf
palästinensische Kämpfer, Nader Aswad (22), der neue Anführer der
Al-Aqsa Brigades in Nablus, Abdel Halim Salem (22), Munham Abu
Jamileh (24), Halim Aqqad (22), und Mohamed Mareh (23), alle
Mitglieder der Al-Aqsa Brigaden bzw. der DFLP, wurden in den frühen
Morgenstunden getötet. Den medizinischen Rettungsteams wurde bis 11
Uhr Morgens der Zugang verwehrt. Ein elfjähriges Mädchen wurde etwa
um 11 Uhr von israelischen Scharfschützen ins Gesicht geschossen,
während sie von ihren Balkon aus die Bergung der Leichen
beobachtete. Sie erlag ihren Verletzungen noch bevor sie das
Krankenhaus erreichte.
Friedensaktivisten der International
Solidarity Movement, begleiteten die palästinensischen Rettungsteams
bei der Bergung der Leichen und interviewten später den Direktor des
Rafidia Krankenhauses, Dr. Samir Abu Srour, in das die Leichen
gebracht wurden. Die medizinischen Untersuchungen weisen darauf hin,
dass die fünf Männer exekutiert wurden – ein Kriegsverbrechen. Laut
Dr. Srour, wurden mindestens vier der fünf Männer aus kürzester
Entfernung in den Kopf geschossen. Darauf deutet die Tatsache hin,
dass die Kugeln nicht durch ihre Köpfe gegangen, sondern in den Kopf
explodiert sind.
Ein Mann hatte einen Stiefelabdruck auf seiner
Brust, was darauf hindeutet, dass er überwältigt wurde, bevor er
erschossen wurde. Bei einem anderer Mann trat die Kugel im Nacken
von unten nach oben ein und hinterließ Blutspuren hoch an der Wand.
Dieser Schußwinkel läßt stark vermuten, dass der Getötete
festgenommen und dann aus kurzer Entfernung erschossen wurde. Ein
dritter Mann hatte eine Messerwunde am Arm. Alle fünf Leichen wurden
nahe bei einander gefunden.
Die Nachrichten über die sechs Getöteten
lösten in der ganzen Stadt Auseinandersetzungen zwischen der
israelischen Armee und Steine werfenden Jugendlichen aus, bei denen
mindestens 35 weitere Menschen verletzt wurden. Ein elfjähriger
befindet sich in einem äußerst kritischen Zustand, nachdem ihm aus
kurzer Entfernung mit einer plastikummantelten Stahlkugel in den
Kopf geschossen wurde, wobei Teile seines Gehirns zerstört wurden.
Ein 35jähriger geistig behinderter Mann hat ebenfalls eine Kopfschuß
erlitten.
Laut Augenzeugenberichten besetzte die Armee
auch mehrere Häuser und eine Kirche. Sie hielten Bewohner eines zu
der Kirche gehörenden Heims über viele Stunden in einem Raum ohne
Wasser und Essen fest, darunter 13 Behinderte Kinder und alte Männer
und Frauen. Als der Priester versuchte, die Kirche zu betreten um
nach sich nach dem Befinden der Festgehaltenen zu erkundigen,
hielten ihm ein israelischer Soldat sein Maschinengewehr an den Kopf
und drohte damit, ihn zu erschießen.
In Jenin wurden am Mittwoch ebenfalls vier
militante Palästinenser von israelischen Under-Cover-Units gezielt
getötet.
Die Exekution bereits gefangener Kämpfer und
die Tötung ist nach internationalem Recht ein Kriegsverbrechen. ISM
verlangt daher eine nachdrücklich eine unabhängige Untersuchung der
Vorfälle und daß, sollte sich der Verdacht bestätigen, die
beteiligten Soldaten sowie die militärischen und politischen
Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Es folgt der Augenzeugenbericht der Hamburger
ISM-Aktivistin Hanan, die auch für Interviews zu Verfügung steht
(Kontakt s.u).
Nablus, 16.9.04
Die Nacht auf Mittwoch, den 15.9.04 habe ich
im Haus von zwei alten Damen und ihrem behinderten Bruder verbracht,
welches aufgrund seiner strategischen Lage oft nachts von Soldaten
besetzt wird. Ab 22 Uhr abends hörten wir unbemannte "spion-planes",
die für die nächsten 6 Stunden über Nablus kreisten. Nachdem der
Muezzin dann morgens gegen halb 5 zum Gebet rief und es langsam hell
wurde, hörten wir Apache-Hubschrauber kreisen und dann recht bald
einige Explosionen. Etwa um Sieben erhielten wir die Nachricht, daß
5 Männer vom israelischen Militär getötet wurden und die
palästinensischen Ambulanzen keinen Zugang zum Ort des Geschehens
erhalten. Die Situation sei noch sehr angespannt.
Wir fuhren zum Ort des Geschehens in einem
zentralem Stadtteil von Nablus. Dort standen viele Ambulanzen. 2
Jeeps fuhren in einer Nebenstrasse auf und ab und Jugendliche
schmissen Steine. Zwei Bulldozer waren dabei, ein Haus zu zerstören.
Die Strasse vor dem Haus war vom Militär besetzt. Wir versuchten zu
verhandeln, damit die Rettungskräfte Zugang zu dem Gartengelände
hinter dem halb zerstörten Haus bekämen, wo die Toten vermutet
wurden, die nun schon mehrere Stunden dort lagen. Nach einiger Zeit
zogen die Soldaten ab und die Rettungskräfte, all die anderen jungen
Männer und wir bekamen Zugang.
Drei von uns gingen mit drei von ihnen zuerst
in das zerstörte Haus, welches von außen mit Bulldozern, von innen
mit Granaten und von Hand sehr schlimm zugerichtet worden war. Dann
begaben uns in das terrassenartige Gelände hinter dem Haus, wo die
fünf Leichen gefunden wurden. Vollkommen außer sich trugen die
anwesenden Palästinenser die Leichen über das Grundstuck in Richtung
der Ambulanzen. Eine Angehörige einer der Toten war zugegen und in
völliger Hysterie versuchte sie sich der Leiche, die von 8 Männern
weggetragen wurde, zu nähern. Ich versuchte sie zu beruhigen und
davon abzuhalten, da Leiche unbeschreiblich entstellt war. Ich
wollte nicht, dass sie sie so sieht. Die Frau fiel kurz danach in
Ohnmacht und das palästinensische Rettungsteam brachten sie zum
Krankenwagen.
Während all dies geschah wurden wir
informiert, dass nach wie vor Scharfschützen in zwei umliegenden
Häusern positioniert waren, die wir auch schnell ausfindig machen
konnten. Wir machten uns deutlich als Internationale bemerkbar und
baten sie eindringlich, sich zurückzuhalten. Nichtsdestotrotz
erfuhren wir später, dass sie ungefähr zur gleichen Zeit auf ein 11
Jahre altes Mädchen im Nachbarhaus, welches ans Fenster gekommen
war, geschossen haben. Sie starb später im Krankenhaus. Die Soldaten
verzogen sich dann fast vollzählig. Insgesamt hinterließen sie an
dem Tag in Nablus 6 Tote und 35 Verletzte, unter ihnen einen Jungen,
dem sie in den Kopf geschossen haben.
Drei von uns gingen später noch ins
Krankenhaus, der Arzt erzählte ihnen, dass mindestens vier der fünf
getöteten Kämpfer höchst wahrscheinlich aus nächster Nähe exekutiert
worden sind. Eeiner hatte einen Fußabdruck auf der Brust, ein
anderer einen komplett aufgeschlitzten Arm. Offenbar haben sie sich
ergeben, und sind dann getötet worden. Hanan
Für weitere Informationen
Von:
ism-germany(at)gmx.net [mailto:ism-germany(at)gmx.net]
Für weitere
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Hanan (deutsch):
00972-52-511 694 oder 00972-59-296 292 oder 00972-544-372 152
e-mail:
hananhamburg(at)web.de
ISM Media Office (Englisch):
00972-2-277-4602 oder 0097-547-358-579
www.palsolidarity.org
ISM (International
Solidarity Movement) ist einer Bewegung palästinensischer,
internationaler und israelischer Friedens- und
Menschenrechtsaktivistinnen, die mit gewaltfreien Mitteln für ein
Ende der israelischen Besatzung arbeiten und sich für einen
gerechten Frieden in ISrael und Palästina einsetzen.