Hallo,
unversehrt aus Assira zurückgekommen sende ich
Euch viele Grüsse! Leider ist es so aufwendig, auf diesem Weg
Olivenöl zu verschicken, ansonsten hätte ich nicht gezögert... Das
Oel aus Assira ist berühmt, genauso wie die Oliven!!
Von deren Schönheit und Reife konnten wir uns
gestern überzeugen. Am frühen Morgen haben wir uns zu viert auf den
Weg gemacht, sind ohne Probleme durch den Checkpoint hinter Nablus
gekommen, womit keiner so wirklich gerechnet hatte...Und das, obwohl
Sami nur eine Passkopie dabei hatte...Hinter dem Checkpoint nahmen
wir ein Taxi nach Assira, wo wir auch ohne Probleme ankamen. Dort
trafen wir den Rest der Gruppe, zu acht ging es dann auf einem
Traktor zusammen mit ca. 6 Frauen und 4 Männer, den Bauern, in die
Berge. Unser Ziel waren Olivenhaine, die sehr nahe an einer
Militärbasis sind; hier konnten die Bewohner seit 4 Jahren nicht
pflücken, da sie bei jedem Versuch von den Soldaten belästigt und
vertrieben wurden. Wir rechneten für diesen Tag eigentlich mit
allem, doch tatsächlich blieb es den ganzen Tag ruhig!! Die
Palästinenser, mit denen wir pflückten waren selig, wir alle
genossen den Tag, das Picknick unter den Bäumen, die wärmende Sonne,
das Scherzen der Bauern. Ab und an schossen die Soldaten von fern,
vom Berghügel, auf dem die Militärbasis zu finden ist, über unsere
Köpfe, das zischte dann immer ganz schön, aber sie ließen sich nicht
blicken. Ein Jeep fuhr vorbei, doch niemand stieg aus. Nachmittags
ging es dann zurück ins Dorf, wir hatten viel Spass auf dem Traktor.
Im Dorf angekommen, wurden wir zu einem
herrlichen Essen eingeladen - Maklubi - danach kamen wir zur
Krisensitzung zusammen: wir hatten erfahren, dass eines der
Nachbardörfer von Assira seit 5 Tagen unter Ausgangssperre ist, die
Menschen dort langsam richtig ernsthafte Schwierigkeiten hätten. Der
Weg dahin sei mit Soldaten gespickt, einige flying checkpoints auf
dem Weg... Wir entschieden uns, Brot hinzubringen, wollten
wenigstens versuchen, hinzukommen. Keiner glaubte so recht, dass wir
es schaffen könnten. Doch am Ende verhandelten wir erfolgreich mit
den Soldaten auf dem Weg, wichtigtuerisch verlangten die erstmal
unsere Pässe, ich gab meinen gar nicht erst hin, halbherzig blickten
sie dann in sie, gaben sie uns zurück. Genauso wichtigtuerisch wurde
dann noch das Taxi gecheckt, dann ließen sie uns irgendwann
tatsächlich fahren... Wir sahen noch einige Soldaten auf dem Weg, im
Dorf dann angekommen, waren wir sofort umringt von einer
Riesentraube junger, ganz schön aufgedreht oder traumatisiert
wirkenden jungen Männern, die die Ausgangssperre nicht
berücksichtigten, dann lieferten wir das Brot zum Laden und machten
uns wegen Mangels eines Ansprechpartners im Dorf wieder zurück. Auf
dem Rückweg fast die gleiche lächerliche Prozedur der Soldaten, ich
fing an, mich mit dem einen Soldaten, einem Afrikaner, zu
unterhalten und konnte am Ende aus ihm herausholen, dass sie die
Ausgangssperre lockern wollen und morgen dann auch Krankenwagen
passieren dürften...( Tatsächlich war heute dann die Ausgangssperre
Gott sei Dank aufgehoben; zwar waren immer noch viele Soldaten in
der Gegend, aber das ist leider in dieser so sehr betroffenen Gegend
fast traurige Normalität).
Wir verzogen uns dann bald zum Schlafengehen.
Heute morgen nieselte es leider und die Bauern wollten daher nicht
ernten. Wir machten uns auf den Rückweg, vorher habe ich noch mit
dem Arzt telefoniert, er sprach fließend Deutsch, welcher auch die
Dörfer der Umgebung versorgt. Er versicherte mir, dass er sich bei
uns melden würde, wenn unsere Unterstützung noch mal irgendwie
sinnvoll sein könnte.
Der Rückweg war ebenso erstaunlich leicht wie
schon der Hinweg. Selbst unsere 8er Gruppe wurde am Checkpoint nach
Nablus durchgelassen... Wir erzählten allerdings nicht, dass wir
nach Nablus wollten, sondern schoben ein Dorf in der Nähe vor...
Unsere Kontaktperson in Assira, Kanan, hat uns
so einige Geschichten erzählt, die wesentlich anders verliefen, als
unsere An- und Abreise. In einem der letzten Winter war er eines
Tages frueh morgens nach Nablus aufgebrochen, um Winterkleidung für
seinen kleinen Sohn zu kaufen. Für den Rückweg wählte er nicht den
Weg über den Checkpoint, sondern einen anderen durch ein Tal
zwischen Nablus und Assira. Es war um die Mittagszeit, als er auf
Soldaten traf. Diese nahmen ihm seinen Ausweis ab, um ihn zu
checken. Dieses dauerte ca. 2 Stunden, in denen er sich recht
angeregt mit dem commander über alles mögliche unterhielt.
Dann änderte sich irgendwann die Atmosphäre,
die Soldaten zwangen Kanan, sich komplett auszuziehen, dies, nachdem
er sich geweigert hatte, vor laufender Videokamera abfällige
Bemerkungen über Palästinenser auf hebräischer Sprache zu
wiederholen. Sie schlugen ihn und zwangen ihn dann, sich auf den
Boden in eine Wasserpfütze zu legen. Dort musste er die nächste
Stunde ausharren. Während dieser wurde er ständig gefilmt und
fotografiert, noch immer nackt. Dann fuhr ein Panzer vor, die
Soldaten drohten nun, ihn zu überrollen. Er bat den commander, die
gekauften Kinderkleider wenigstens seiner Frau in Assira zukommen zu
lassen. Daraufhin verbrannten die Soldaten die gekauften Dinge,
danach auch seine Kleidung.
Im Endeffekt haben sie ihn dann nicht mit dem
Panzer überrollt. Sie packten ihn und warfen ihn den Berghang
hinunter, er stürzte und kam auf einem Felsvorsprung zum Liegen.
Dabei brach er sich unter anderem den Arm. Die Bewohner eines in der
Nähe liegenden Hauses fanden ihn und versorgten ihn mit dem
Nötigsten. Es war inzwischen fast Mitternacht. Die Foto- und
Filmaufnahmen existieren noch immer. Es gibt viele Soldaten , die
solche Streifen als Trophäe aufbewahren.
Dies ist nur eine Geschichte von soo vielen.
Stellvertretend für all die anderen habe ich sie euch
aufgeschrieben. So sehr, wie sie uns berühren - wie muss es für die
Menschen sein, die unmittelbar betroffen sind??
Viele Grüsse
Hanan
--