Zu einem aufregenden Buch von
Avraham Burg
Von Rupert Neudeck
2.02.09
Das ist ein sehr
unkonventionelles Buch, das einen im Nachdenken über die
unsäglichen Zeitläufte regelrecht zurechtbringt. Alles ist
zugleich auch provokativ für unsere deutschen Köpfe. Der
Titel ist fast blasphemisch für uns Deutsche, die wir uns
eingeigelt haben wie unsere israelischen Counterparts. Das
Buch ist deshalb genau so gegen eine israelische Denkweise
gerichtet wie gegen eine deutsche. Avraham Burg habe ich
immer mit Freude gehört, selbst wenn es ganz aussichtslos
war zwischen Israel und Palästina. Er hatte seinerzeit einen
Satz, der mich herausgeführt hat an die frische Luft des
freien Denkens, abseits der Denkschablonen und Prothesen,
die wir uns angezogen haben und die uns leider so wärmen,
dass wir nicht daraus aus eigener Kraft hervorkommen.
Dieser Satz lautete damals
2003, als klar wurde, dass es so nicht weitergehen kann:
„Wir sind in die Dummheit der
Palästinenser verliebt!“ Ein schneidender und – wie ich bis
heute fürchte – politisch korrekt analysierender Satz.
Jetzt geht es weiter. Wie unser
Rolf Verleger in Deutschland schreibt er sich seine großen
Sorgen als religiös bewusster Jude, nicht als Israeli von
der Seele.
Eines der Paradoxe, die er
feststellt, ist so erkenntnisstark wie für manche fast
beleidigend: Es sei diese ganz starke Partnerschaft mit
Deutschland, die sich stark unterscheidet von unserer
Nichtpartnerschaft und Feindschaft im Nahen Osten. Die
hastige Versöhnung mit Deutschland sei eines der bleibenden
Paradoxe des Traumes der Erinnerung, das die feindlichen
Beziehungen zu unseren Nahost Nachbarn noch einmal
verschärft. Eine große Entfremdung in bezug auf die Jüdische
Identität habe damit zu tun, dass wir Deutschland viel zu
hastig vergeben haben. Die Verhandlungen, die Vereinbarungen
und die Diplomatischen Beziehungen wurden wegen handfester
und praktischer Gründe und der Interessen des Staates
aufgebaut, aber sie kamen nicht über eine emotionale
Akzeptanz zustande. „Heute hören wir die deutsche Sprache
überall. Die Deutschen Autos genießen ein Statussymbol und
selbst die deutsche Fußballmannschaft hat sehr viele Fans
und Sympathisanten in Israel.“
Dagegen – so Burg - werden wir
Israelis niemals den Arabern vergeben, denn sie sind
schlimmer als die Deutschen.
Englisch klingt
der folgende Satz noch deutlicher und markanter: „We habe
displaced our anger and revenge from one people to another,
from an old foe to an new adversary“.
Also „wir Israelis“ haben die
Feindschaft umgepolt.
Avraham Burg ist zusätzlich zu
seinem Scharfsinn noch ein glänzender Pädagoge. Er berichtet
von einer Schulveranstaltung an einer der Hohen
Traditionsschulen, in der Zeit, in der er noch als Präsident
in der Knesseth saß. Die Schüler waren voller Hass und Zorn
auf die Palästinenser und argumentierten ganz offen für die
Deportation und den Transfer von Palästinensern aus ihren
Gebieten. „Rache war eine ganz akzeptierte Philosophie und
das Töten von unschuldigen Zivilisten ein legitimes Mittel
der Abschreckung“. Der Schulleiter war ganz ausser sich und
sagte ihnen: Ihr sprecht genau so wie sie 60 Jahre vorher
über und zu uns gesprochen haben. Aber die Schüler fanden
das nicht gut. „Mein Freund, sagte einer, wurde in einem
terroristischen Akt getötet und ich werde ihnen (=den
Arabern) nie vergeben“. Und er steigerte das noch. „Das
schlimmste, was den Juden passieren konnte, waren die
Araber“. Darauf versuchte es Burg auf eine andere Art. Er
fragte den Heissporn Schüler, was für ein Auto sein Vater
fährt: „Einen Volkswagen Passat“. „Und Ihre Mutter?“
„Einen alten Audi“.
Burg: „Ihr habt den Deutschen
vergeben?“
„Ja,. sie haben mir nichts
Böses getan. Die waren nicht so furchtbar wie die Araber!“
Dann gab es eine große Stille
und der Junge brach noch einmal, während die Schulschelle
läutet aus und sagte: „Sie sind ein furchtbarer Demagoge,
sie haben mich ausgetrickst“. Burg aber meint, dass diese
Szene die verwundete Psyche der israelischen Nation zeigte,
die die Wahrheit sprach. Die erneuerten Beziehungen zu den
Deutschen und dem Westen „haben uns deutsche Reparationen
und viel Kompensationsgeld gebracht“. In der gleichen Zeit
lamentieren wir bis heute über das furchtbare Schicksal, um
den Zorn auszudrücken, „in dem wir den Nazi Geist in dem
Arabischen Körper reinkarnierten.“
Avraham Burg kennt die deutsche
Geschichte zu gut, dass ihm nicht vieles auffallen würde,
was auch in dem englischen Text deutsch auftaucht. In
Deutschland gab es in den 20 und 30 Jahren die „November
Verbrecher“. Die haben jetzt ihr Pendant in der Geschichte
Israels in den „Oslo Verbrechern“, unter denen ja einer wie
Itzhak Rabin war, der dafür ermordet wurde, ein „Oslo
Verbrecher“ gewesen zu sein, der also 1993 die Oslo Verträge
mit unterschrieben hat.
Wenn er jetzt an der Mauer in
Israels Schriftzeichen lesen würde wie „Arabs out“ oder
„Transfer Now“ – was ist daran anders als bei dem damaligen
„Juden raus“?
Die Deutschen suchten in der
verblödenden imperialistischen Phase unter Wilhelm dem II.
einen Platz an der Sonne. Netanyahu schrieb jüngst ein
politisches Buch mit dem verräterischen Titel: „A Place
under the Sun?“
Burg zitiert mit Zustimmung den
großen Philosophen Yeshayahu Leibowich, der in Riga am
Beginn des 20. Jahrhunderts geboren wurde und Hannah Arendt,
die davon sprechen, wie weit sich dieser neue Staat über die
Kriege hinweg zu einem entwickelt hat, in dem die Araber die
Arbeiter und Heloten sind und die Juden die Manager,
Supervisoren und Polizisten.
Burg hat als den entscheidenden
Fehler die Zeit zwischen dem Eichmann Tribunal und dem
Rudolf Kastner Tribunal (das den Leiter der ungarischen
jüdischen Gemeinde verurteilte, der mit Eichmann eine
Vereinbarung getroffen hatte) erkannt, an dem es für Israel
von dort an falsch lief. Und nach interessanten Passagen
kommt er zu dem entscheidenden Fehler: Die Shoah wurde von
Israel nationalisiert, eigensüchtig benutzt: „We took the
Shoa to be exclusively our own“. Dadurch versäumten wir
Juden, so Burg, die Möglichkeit, diese Schrecken der
Menschheit als ein universales Ereignis zu verstehen. „Es
ist nämlich nicht ein Ereignis zwischen uns Juden und der
gesamten Welt. Es ist eines zwischen allen Guten in der Welt
gegen alle Schlechten. Kurz: „Wir nationalisierten die
Shoah, wir monopolisierten und wir internalisierten sie.
Avraham Burg ist immer noch ein
jüdischer Enthusiast. Es sei auch für den Staat Israel noch
nicht zu spät, die Erfahrung der Shoah universal umzudrehen.
Denn in dieser Zeit, in der die Welt vorangeht, um immer
mehr „Jüdisch“ wird im Sinne der alten jüdischen Moral,
werden „wir Israelis“ immer provinzieller. Das moderne
Israel ist ein immenser Schatz von nicht erfüllten
Potentialen. „Ich will glauben, dass wir eines Tages Teile
eines weltweiten universalen Prozesses sind und einer Kraft
die die Kluft zwischen Nationen und Kulturen überbrückt“.
Im nächsten Kapitel beschreibt
Burg die falsche Politik, die darin besteht, den eigenen
Holocaust einfach zu besitzen und damit über allen Völkern
und Verbrechen zu stehen. So wird aus Realinteressen des
Staates Israel der Armenier Holocaust auch geleugnet, weil
der Staat der Türken diese Leugnung mag. Außer Yossi Beilin
und Yossi Sarid haben alle israelischen Offiziellen diese
Haltung mitgemacht. Und der Autor zitiert den erschreckenden
Satz aus dem Amt des Premierministers: „Die Eskimos und die
Armenier interessieren uns nicht, uns interessieren nur die
Juden“.
Avraham Burg zitiert die
großartige Leistung des polnischen Juden und Völkerrechtlers
Richard Lemkin, der 1944 den Ausdruck Genozid begründete und
die Konvention über die Verhütung und die Bestrafung des
Verbrechens des Völkermordes formulierte, die im Januar 1951
in Kraft trat. In Anwendung der Kriterien des Buches von
Avraham Burg muß ich sagen: Obwohl juristisch diese
Konvention im Januar 1951 ratifiziert war, ist sie bis heute
noch nicht in Kraft getreten. Immer wenn sie in Kraft hätte
treten müssen (Kambodscha, Ruanda), hat sie versagt. Immer
dann haben auch der Staat Israel und die jüdische Lobby in
den USA versagt. Wo waren denn 1994 die großen Gestalten der
jüdischen US-Lobby, die später 2003 den George W. Bush so
heftig unterstützt haben bei seinem Krieg im Irak? Als es
darum ging, einen gerade beginnenden Völkermord in Ruanda zu
stoppen und dem kanadischen General Romeo Dallaire, der die
Blauhelme Truppe leitete, durch weitere Soldaten und
beherzte Politik den Rücken zu stärken?
Schweigen. Beschämendes
Schweigen auch in Israel. Immerhin wären da über eine
Million Menschen, Ruander, Afrikaner, Tutsis zu retten
gewesen in dem schnellsten Völkermord aller Zeiten.
Avraham Burg ist damit noch
nicht am Ende. Er bezeichnet seine israelischen Mitbürger
und Politiker als apathische Beobachter, die die Genozide
nur beobachteten mit dem entschuldigenden Satz. „Macht
nichts, Euer Holocaust kann nicht so groß und wichtig sein
wie unser jüdischer!“ Das hörte ich ebenfalls vom Israel
Botschafter in Ruanda.
Burg: Der Beiseitesteher, der
nicht verhindert, dass das Verbrechen geschieht, ist ein
Komplize. In das Israel Gesetz „Zur Verfolgung von Nazis und
ihren Kollaborateuren“ von 1950, das man brauchte, um
Eichmann zu verurteilen, schrieb die Knesset drei
Urteilskriterien: Verbrechen gegen das Jüdische Volk,
Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen. Burg
meint, die Knesset sollte die Klausel „Verbrechen gegen das
jüdische Volk“ streichen, denn: Sind die Juden nicht Teil
der Menschheit?
Die Interessen des jüdischen
Staates haben dabei mitgespielt, den Armenischen Völkermord
zu leugnen (und das ausgerechnet durch den jetzigen
Staatspräsidenten Simon Peres). Als Burg als
Knesset-Präsident den Dalai Lama eingeladen hatte, einen
Mann des Friedens, kam ein Anruf auf dem Auswärtigen Amt in
Israel.
-
Sie können den Dalai
Lama nicht empfangen.
-
Warum?
- Das ist gegen die Auswärtige
Politik Israels.
- Sie müssen den Besuch canceln.
Burg erzählt: Er habe tief Luft
geholt, bis zehn gezählt und dann so weich wie möglich
gesagt: „Dieser Besuch wird stattfinden. Ich werde darüber
in Israel und in der Welt so viel publizieren wie möglich.
Wenn die Außenpolitik Israels auf Waffenverkäufen für die
Mörder vom Tiananmen Platz begründet ist, dann möchte ich
daran keinen Anteil haben“.
Der Besuch fand statt und war
eine wunderbare Gelegenheit, die gewaltlose Politik des
Dalai Lama zu bewundern. Gleichermaßen fand der Besuch des
Chinesischen Diktators statt
Israel hat auch Waffen an
Ruanda geliefert und war damit mitschuldig am Genozid.
„Zwischen Tibet und China
sollten wir Tibet wählen. Wir dürfen nicht indifferent sein
mit Bezug auf den Kosovo, Jugoslawien, Indonesien, Ost
Timor.“ Israel sollte eine Supermacht der moralischen
Führerschaft sein.
Als das Abschlachten der
Muslime und der Kroaten durch die paramilitärischen Serben
begann, stellten sich der Staat Israel auf die Seite von
Serbien. Professor Igor Primorek von der Hebräischen
Universität in Jerusalem begründete das so.
„Die Juden sind historisch
verpflichtet, immer auf der Seite Serbiens zu sein und die
serbischen Interessen zu unterstützen“.
Dieser Test ist falsch. Er
manifestiert das Scheitern eines Staates, der die Shoah
enteignet hat, eingeschlossen das Recht und die Pflicht für
die Opfer und die Überlebenden zu sprechen. Nur diese Opfer
sind unsere Verpflichtung. Unsere serbischen und ruandischen
Partner und Klienten mögen sie abschlachten. „Wenn wir
unsere israelische Jurisdiktion erweitert hätten, dann
hätten wir die Israel Kollaborateure, die Milosevic
unterstützt haben, verfolgen können.“
Burg schließt seine Forderungen
mit einer, die Ruanda in dem Genozid Museum in der eigenen
Hauptstadt Kigali erfüllt hat. In Kigali gibt es ein sehr
würdiges großes Museum zum Gedenken an die über eine Million
Genozid Opfer. Das Museum enthält gleichzeitig ausführliche
Abteilungen über alle bisher stattgehabten Völkermorde,
einschließlich des Deutschen, des Armenischen, des
Kambodschanischen (u.a.).
Burg plädiert dafür, dass das
Tribunal zur Aburteilung von Menschheitsverbrechen seinen
besten Platz in Israel hätte. Und Yad Vashem müsste eine
Stätte sein des Gedenkens auch an den Armenischen und den
Herero Aufstand und den Volkermord an den Hereros in
Namibia, sowie den Genozid in Ruanda. Beide, der
Internationale Gerichtshof und das Museum würden als
Internationale Institutionen noch besser anerkannt, würden
sie auf Dauer ihren Platz in Israel einnehmen. Ihr Land, auf
dem sie stehen würde international werden und der Boden
würde der Menschheitsfamilie gehören.
Es wird das nach Avraham Burg
eine Welt sein, in der die anderen Holocausts auch unsere
sein werden. Um ganz neu zu beginnen, müssen wir uns auch
selbst in die Augen schauen und die neuen Wurzeln eines
jüdischen Rassismus ausreißen, der uns von unserer Mitte her
bedroht. Dieser neue Rassismus sei für ihn, Avraham Burg,
total entfremdend und sei das Gegenteil von all dem, was er
in seiner Familie gelernt habe. Er sei auch fremd dem
eigenen jüdischen Volk.
Avraham Burg: “The Holocaust is
over. We must rise from its Ashes”. Mac Millan New York
2008 254 Seiten
PRAISE
“This is an important book by a very courageous man.
The shadow of the Shoah and its abusive application
to the contemporary Middle East have been a
catastrophe for Jews, Israelis and Arabs alike. In
Burg's view Israel must move beyond Hitler's
poisoned legacy. If they cannot or will not do this,
the Middle East will never see peace and Israel has
no future.” -- Tony Judt, bestselling author of
Postwar: A History of Europe Since 1945 and
Professor at New York University
“An
Israeli-born son of Holocaust survivors, Burg
addresses a heartfelt plea to his countrymen:
remember the past, but do not be its slaves;
pathology is neither patriotism nor statescraft. A
compelling and eloquent cri de coeur from a veteran
of Israel's wars and politics.” -- Howard M. Sachar,
bestselling author of A History of the Jews in
the Modern World and
A History of Israel
"Burg takes a blunt, loving, painful and desperately
important look at the state of the Jewish soul today.
Anyone who cares about the future of the Middle East
and the fate of victimized peoples needs to read
this book and think hard." -- J.J. Goldberg, author
of Jewish Power: Inside the American Jewish
Establishment and Editorial Director of
The Forward
“This fascinating and thought-provoking book should
be read by every person who cares about Israel.
Burg's central theme is that Israeli leaders use the
memory of the Holocaust in ways that are warping the
country's soul, creating unnecessary fear, and
making it impossible to achieve peace with the
Palestinians.” -- John J. Mearsheimer, bestselling
author of The Israel Lobby and US Foreign Policy and
Professor of Political Science at the University of
Chicago
"[An] assured and provocative polemic. . . . [A]
lecture with much wisdom . . . worthy of global
consideration."
-- Kirkus Reviews
“An
honest reflection of a tormented man searching for
the universal values in Judaism.”
-- Le Figaro
“In
this book of memories and reflections, the former
Knesset Speaker delivers his disquieting findings
about Israel that 'became a Kingdom without a
prophesy.'... Foremost a book of hope from a man who
wants to find ways to return Judaism to its
universal calling.”
--Le Monde
“Short of being Prime Minister, Burg could not be
higher in the Zionist establishment.” David Remnick,
The New
Yorker
"Mr. Burg...wrote a
powerful book, an indictment of how Zionism and
the Holocaust have been used."--Globe
and Mail
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