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Nahost:
Friedensverhandlungen und Kriegsgefahr
- Plädoyer für
eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren
Osten
von Clemens Ronnefeldt
„Die Kriegsgefahr im Nahen und Mittleren
Osten ist in den vergangenen Wochen dramatisch gewachsen. Vier Faktoren,
die jeder für sich schon destabilisierend sind, verstärken sich dabei:
Resignation, das Fehlverhalten lokaler Regierungen, ein regionales
Machtvakuum sowie das Fehlen externer Vermittlung“, schrieb Volker
Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP),
am 5. Juli 2010 in der Süddeutschen Zeitung (nachfolgend abgekürzt: SZ).
Überblick über Konflikte der Region Naher
und Mittlerer Osten
Wie die Vergangenheit zeigte, verliefen
bisher fast alle Versuche, Teilkonflikte im Nahen und Mittleren Osten
jeweils einzeln zu lösen, im Sande. Wie soll der
israelisch-palästinensische Kern-Konflikt gelöst werden, ohne die von
der Flüchtlingsfrage betroffenen Länder Libanon, Jordanien oder Syrien,
das zudem seit 1967 die Rückgabe der Golanhöhen einfordert.
Ägypten mit der gemeinsamen Grenze zum
Gazastreifen hatte sechs Monate vor dem jüngsten Gazakrieg 2008/2009
zwischen Hamas und israelischer Regierung die Einstellung des
Raketenbeschusses durch die Hamas bei gleichzeitiger israelischer
Grenzöffnung für Güter und Waren in den Gazastreifen ausgehandelt und
könnte auch in Zukunft eine konstruktive Rolle spielen, sofern das Land
nach dem Tod 82-jährigen Staatschefs Hosni Mubarak nicht ins Chaos
abgleitet.
Mit welcher überzeugenden Begründung kann
Iran am Bau von Atombomben gehindert werden, wenn gleichzeitig Israel,
Pakistan und Indien über Nuklearwaffen verfügen und sich weigern, mit
der Internationalen Atomorganisation in Wien (IAEA) zusammen zu
arbeiten?
Syrien, Iran, die Hisbollah und die
palästinensische Hamas haben sich zu einer "Achse des Widerstands"
zusammengeschlossen. Wie könnte die israelische Regierung Atomanlagen im
Iran angreifen, ohne Gefahr zu laufen, von den Raketen der Hisbollah im
Libanon beschossen zu werden?
Wie soll eine dauerhafte Befriedung des
Irak ohne Einbeziehung Teherans oder Syriens möglich sein?
Wie könnte Afghanistan stabilisiert werden,
ohne die Nachbarstaaten - insbesondere Pakistan und Iran -
an einer Gesamtlösung zu beteiligen?
Fast alle Staaten der Region haben
ethnische oder religiöse Minderheiten. Die kurdische Frage ist nach wie
vor in den vier hauptbetroffenen Ländern (Türkei, Syrien, Irak, Iran)
offen.
Sowohl in Iran wie auch in Pakistan gibt es
Belutschen, die auf ihre Autonomie drängen. Im Iran, das etwa zur Hälfe
persisch und zur anderen Hälfte von ethnischen Minderheiten (u.a.
Kurden, Aseri, Araber, Belutschen) bewohnt ist, liegen die größten
Erdölquellen ausgerechnet in der mehrheitlich arabischen Provinz
Khuzistan, nahe der irakischen Grenze.
Im überwiegend sunnitischen Saudi-Arabien
befinden sich die Haupterdölgebiete im Osten entlang des persischen
Golfes, wobei diese Gebiete etwa zur Hälfte von Schiiten bewohnt sind,
die immer wieder angefeindet und wirtschaftlich benachteiligt werden.
Aus der US-Invasion im Irak 2003 ging Iran
als Gewinner hervor. Nach langer Unterdrückung durch den Sunniten Saddam
Hussein übernahm die schiitische Bevölkerungsmehrheit
Regierungsverantwortung - unter großem Einfluss Teherans vor allem im
Süden Iraks. Mit der militärisch starken Stellung der Hisbollah im
Libanon sowie relevanten Minderheiten in mehreren arabischen Staaten hat
sich der schiitische Einfluss seit 2003 in der Region gegenüber den
mehrheitlich sunnitischen Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien oder
Jordanien stark vergrößert - mit entsprechenden
Rivalitätskämpfen. Eine weitere
Konkurrenzebene bildet zudem noch der immer wieder aufflammende Konflikt
zwischen Persern und Arabern.
Neben Iran möchte auch die Türkei eine
stärkere Rolle als Regionalmacht spielen. Der türkische
Nicht-EU-Beitritt lässt das Land verstärkt seine Partner im Osten
(Russland, Iran) suchen. Als regionaler Konfliktschlichter an der
Nahtstelle von Orient und Okzident könnte die Türkei eine wichtige Rolle
im Nahost-Konfliktmanagment übernehmen und sich dabei von Katar
unterstützen lassen, das z.B. in der Vergangenheit im Libanon
deeskalierend eingegriffen hat. Voraussetzung wäre, dass sich die
Regierung Netanjahu nach dem Angriff auf die Gazaflotille zu einer
internationalen Untersuchung mit Anhörung von israelischen Soldaten als
Zeugen sowie zu einer Entschuldigung für die getöteten türkischen
Aktivisten gegenüber Ankara durchringen könnte, um die
israelisch-türkischen Beziehungen zu entspannen.
Mit den USA, den EU-Staaten, Russland und
China werden, so lange deren Ökonomien vom "schwarzen Gold" abhängen,
alle diese Akteure auf die Öl- und Gasquellen der Region Naher und
Mittlerer Osten zurückgreifen.
Die jemenitische Hauptstadt Sanaa wird
ebenso wie zahlreiche andere Städte und Gebiete im Nahen und Mittleren
Osten in wenigen Jahren kaum noch mit Trinkwasser versorgt werden
können. Der Wert des Wassers könnte den des Erdöls schon bald
übersteigen.
Iran und Pakistan haben in wenigen
Jahrzehnten ihre Bevölkerungszahlen verdoppelt, die hohe
Jugendarbeitslosigkeit bildet u.a. auch in Saudi-Arabien einen
gefährlichen Nährboden für religiöse Extremisten, die verstärkt junge
Männer für Terrororganisationen anwerben. Menschenrechte, Frauenrechte
oder politische Teilhabe der Bevölkerung an Entscheidungen finden sich
in kaum einem Staat der Krisenregion.
Diese unvollständige Skizze der Akteure,
Interessen und Konflikte verdeutlicht, was viele
Friedensforschungsinstitute seit langem fordern: Der einzig sinnvolle
Weg, die Region Naher und Mittlerer Osten vor dem weiteren Abdriften in
eine Eskalationsspirale zu bewahren, bestünde in der Einberufung einer
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten
(KSZMNO), wo alle relevanten Themen wie z.B. Sicherheit, Wasser oder
Menschenrechte von allen jeweils betroffenen Ländern gemeinsam
angegangen werden.
Als Hoffnungszeichen kann gelten, dass die
189 Mitgliedsstaaten des Sperrvertrages auf der Überprüfungskonferenz
zum Atomwaffensperrvertrag im Sommer 2010 beschlossen haben, im Jahre
2012 eine Konferenz einzuberufen, deren Ziele eine atomwaffenfreie Zone
im Nahen Osten sowie das Verbot auch von allen anderen
Massenvernichtungswaffen sein sollen.
Konfliktverschärfende Faktoren im Herbst
2010
1. Inbetriebnahme des iranischen
Atomkraftwerkes in Buscher
Nach jahrelangen Verzögerungen durch die
russische Baufirma im Auftrag der Moskauer Regierung wurde Ende August
2010 der erste iranische Atomreaktor eingeweiht. Mit dem Anfahren des
Reaktors endet die Frist für die israelische Regierung, wo diese
Atomanlage noch ohne größere Umweltkatastrophe für die umliegenden
Länder - und die dort stationierten US- und anderen Nato-Soldaten -
bombardiert werden kann.
2. Prozessbeginn im Libanon wegen des
Hariri-Mordes
Im Herbst 2010 wird die Anklageerhebung des
UN-Sondertribunals wegen der Ermordung des libanesischen
Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Jahre 2005 erwartet. Auf die
Hisbollah sind starke Verdachtsmomente gefallen – und deren Chef
Nasrallah wird versuchen, den Druck von seiner Organisation abzuwenden.
3. Ende des Siedlungsstopps in der Westbank
Der unter US-Druck zugesagte - und nicht
eingehaltene - Siedlungs-Baustopp der israelischen Regierung für die
Westbank endet am 25.9.2010. Rechtsgerichtete Kräfte im Land haben
bereits angekündigt, die Regierung Netanjahu unter Druck zu setzen, den
Siedlungsbau in der Westbank mit neuem Schwung wieder aufzunehmen. Die
Proteste in den palästinensischen Gebieten sind vorhersehbar.
4. Neue Verhandlungsrunde im iranischen
Atomkonflikt
Im September 2010 werden die fünf ständigen
Mitglieder des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland ("P 5 plus
1"-Gruppe) mit Iran wieder Verhandlungen zur Lösung des Atomkonfliktes
aufnehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass aufgrund der verhärteten
Positionen beider Seiten auch diese Gespräche scheitern, ist recht hoch.
Die Sanktionen haben zwar Iran geschadet, die Regierung in Teheran
konnte allerdings dadurch auch von der eigenen Unfähigkeit bei der
Bewältigung großer ökonomischer Schwierigkeiten ablenken.
5. Die UN-Resolution 1929 zur Durchsuchung
iranischer Schiffe
Die UN-Resolution 1929 regelt die
Durchsuchung iranischer Schiffe sowohl in ausländischen Häfen als auch
auf hoher See. Jeder Staat darf Kriegsschiffe einsetzen, um Schiffe,
die sowohl iranische Häfen ansteuern als auch von diesen ablegen, zur
Inspektion aufzufordern. Die einzige Voraussetzung ist, dass dem
betreffenden Staat Informationen vorliegen müssen, dass sich an Bord des
Schiffes sanktionierte Güter - z.B. Waffen und Ausrüstungsteile für die
Atomindustrie - befinden könnten. Eine wesentliche Einschränkung ist,
dass das Land, unter dessen Flagge das betroffene Schiff fährt, der
Untersuchung zustimmen muss. Da Iran sich voraussichtlich weigern wird,
diese Inspektionen zuzulassen, sind Konflikte vorprogrammiert, die
leicht zu einem Kriegsanlass werden können.
6. Konfliktquelle Straße von Hormus
Im Juli 2010 wurde in der Straße von Hormus
ein mit 270 000 Tonnen Rohöl beladener japanischer Tanker von einem mit
Sprengstoff beladenen Kleinboot gerammt und erheblich beschädigt. Anfang
August 2010 bekannten sich die al-Qaida nahestehenden "Abdallah-al-Azzam-Brigaden"
zu dem Angriff und gaben als Begründung an, Ungläubige besetzten die
muslimische Welt und plünderten ihre Rohstoffe aus (vgl. SZ,
7./8.8.2010). Sollte sich Ähnliches wiederholen - vor allem mit einem
weniger glimpflichen Ausgang - wird dies vermutlich die im persischen
Golf präsenten US-Streitkräfte zum Eingreifen bewegen.
Nachfolgend möchte ich einige für den
Nahostkonflikt im engeren Sinne zentrale Akteure mit ihren jeweiligen
Interessen und Optionen etwas näher beleuchten und untersuchen, welche
(Gewalt-)Szenarien aktuell vorstellbar sind.
1. Zur Politik Israels
Die Regierung Netanjahu liegt seit längerem
mit der US-Regierung im Konflikt. Während US-Präsident Obama mit einem
neuen Anlauf direkter Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern im
Herbst 2010 eine Konfliktlösung sucht, bestand die israelische Regierung
bisher darauf, zunächst den Atomkonflikt mit Iran zu lösen.
Dass es die israelische Regierung mit ihren
Angriffsdrohungen auf die iranischen Atomanlagen ernst meint, stellte
sie erneut Ende Juli 2010 bei einem Hubschrauber-Manöver in den
rumänischen Karpaten unter Beweis, bei dem ein israelischer Hubschrauber
abstürzte: "Der Sikorsky CH-53-Helikopter war auf dem Flug von Israel
unterwegs in der Luft aufgetankt worden und hatte damit zu seinem Ziel
eine Entfernung wie die nach Iran zurückgelegt. Zweck der Übung war
offenbar das Abfeuern von Raketen, die tiefe Höhlen oder Bergstollen
zerstören können" (SZ, 5.8.2010).
Für eine über mehrere Wochen notwendige
Kriegführung gegenüber Iran mit seinen weit über das Land verteilten
Atomanlagen und Militäreinrichtungen verfügt die israelische Regierung
allein derzeit nicht über die notwendigen Kapazitäten, insbesondere auch
im Bereich der Luftbetankung.
Um den militärischen Drohungen gegenüber
Iran künftig mehr Nachdruck verleihen zu können und die Lufthoheit in
der Region bei gleichzeitiger massiver Aufrüstung einiger arabischer
Staaten mit US-Militärjets zu behalten, stimmte Verteidigungsminister
Ehud Barak Mitte August 2010 dem Kauf von 20 Tarnkappenbombern des Typs
F-35I des US-Konzerns Lockheed Martin zum Preis von rund 4 Milliarden
Dollar zu, die mit US-Militärhilfe finanziert werden sollen.
Damit das eigene Staatsgebiet vor
anfliegenden Kurzstreckenraketen geschützt werden kann, testete die
israelische Regierung im Juli 2010 erstmals erfolgreich ein
Abwehrsystem, das gleichzeitig mehrere Flugkörper abfangen kann. Bis
November 2010 soll die Stationierung an den Grenzen zum Gazastreifen und
zum Libanon abgeschlossen sein. US-Präsident Obama hatte bereits im Mai
2010 im Kongress 205 Millionen US-Dollar zur Unterstützung dieser
Maßnahme beantragt, die vor allem die Stadt Sderot an der Grenze zum
Gazastreifen schützen soll.
Das US-Magazin "Defense News" berichtete im
Juli 2010 von einem Konflikt zwischen der israelischen und der deutschen
Regierung: Die Bundesregierung habe ihre Zusage für eine
Finanzierungshilfe für ein von Israel gewünschtes sechstes U-Boot der
Dolphin-Klasse, das mit atomar bestückten Marschflugkörpern ausgestattet
werden kann, zurückgezogen. Dies habe sowohl bei der israelischen Marine
als auch bei der israelischen Regierung für erhebliche Verstimmung
gesorgt. Zusammen mit zwei weiteren Kriegsschiffen, die in Deutschland
gebaut und an Israel ausgeliefert werden sollen,
soll das Gesamtvolumen des Geschäftes für
das sechste U-Boot bei rund 1,6 Milliarden US-Dollar liegen.
An den drei ersten ausgelieferten
Dolphin-U-Booten in den Jahren 1999/2000 waren deutsche
SteuerzahlerInnen mit ca. 1,1 Milliarden D-Mark beteiligt, von den
Kosten in Höhe von ca. 1 Milliarde Euro für zwei Dolphin-Boote, die 2012
ausgeliefert werden sollen, ist Deutschland mit 330 Millionen Euro
beteiligt.
Mit diesen U-Booten kann die israelische
Regierung ihren Angriffsdrohungen gegenüber Iran mehr Glaubwürdigkeit
verleihen, da diese im persischen Golf nur schwer zu orten sind und
Ziele in Iran in relativ kurzer Zeit erreichen können.
Bezüglich der eigenen Atomwaffen gerät die
israelische Regierung immer stärker unter internationalen Druck. Am
9.6.2010 schrieb der frühere israelische Botschafter Avi Primor in der
SZ: "Die Tragödie auf der Mavi Marmara (unter türkischer Flagge
fahrendes Schiff, auf dem neun Friedensaktivisten von israelischen
Soldaten auf der Reise nach Gaza erschossen wurden, Anm.: C.R.)
ereignete sich nur wenige Tage nachdem Israel einen Schlag erhielt,
dessen Schwere die Welt vielleicht nicht genügend wahrgenommen hat. In
der Abschlusserklärung der Konferenz zur Überprüfung des
Atomwaffensperrvertrags am 28. Mai in New York wurde Israel - und nicht
Iran - an den Pranger gestellt. Israel wurde aufgefordert, seine
Atomanlagen einer Untersuchung der Weltgemeinschaft zu öffnen. (...) Für
Israel bleibt die Atomwaffe das letztgültige Abschreckungsmittel mit dem
Ziel der Wahrung seiner Existenz. Die Gefahr, gegen die die
Weltgemeinschaft sich wehren sollte, lauert anderswo. Dass die Welt -
und insbesondere die USA - dies heute nicht unbedingt so sieht, empört
die Israelis und drängt sie in eine versteinerte Position. Dies erklärt
ein wenig auch ihr Verhalten gegenüber der `Solidaritätsflotte´". So
weit Avi Primor. Der israelische Regierungschef Netanjahu nannte die
Abschlusserklärung "zutiefst fehlerhaft und heuchlerisch".
Seit vielen Jahren schon werden in Israel
Angriffsoptionen gegen Iran offen von Regierungsmitgliedern propagiert.
Parallel zu oder zeitlich vor einem Iran-Angriff ist mit einem
israelischen Militärschlag gegen das Raketenpotential der Hisbollah zu
rechnen, das hauptsächlich in der Bekaa-Ebene vermutet wird. Bei einem
solchen Szenario würden sehr schnell die Vereinten Nation aktiv werden,
deren rund 15 000 UNIFIL-SoldatInnen im südlichen Libanon akut bedroht
wären. Der israelischen Regierung würde aufgrund des internationalen
Druckes kaum Zeit bleiben, Angriffe auf die Hisbollah-Stellungen über
einen längeren Zeitraum wie z.B. beim 33-Tage-Krieg 2006 zu unternehmen.
In die für den Herbst 2010 angesetzten
direkten Friedensverhandlungen geht die israelische Regierung aus einer
Position der Stärke. Sie konnte gegenüber der US-Regierung die
Sprachregelung durchsetzen, dass die Verhandlungen "ohne Vorbedingungen"
stattfinden sollen. Längere Zeit vertrat Barack Obama die Position, dass
ohne die Vorbedingung eines Siedlungsbau-Stopps Friedensverhandlungen
keinen Sinn machen. Vorrangiges Interesse der israelischen Regierung
sind die eigenen Sicherheitsinteressen, weshalb ein künftiger
Palästinenserstaat entmilitarisiert sein müsste.
Ob angesichts der Zerrissenheit der
israelischen Regierung überhaupt ein Friedensabkommen, das diesen Namen
verdient, möglich ist, scheint mehr als fraglich: Außenminister Avigdor
Liebermann
wird noch einiges dazu tun, die
Verhandlungen zum Scheitern zu bringen, Verteidigungsminister Ehud Barak
hofft dagegen auf einen Erfolg und Netanjahus Regierungspartei Likud ist
in sich gespalten.
Der israelischen Regierung ist die
Verhinderung des Zusammengehens von Gazastreifen und Westbank durch
einen seit langem angedachten Verbindungskorridor im Rahmen einer
Zweistaatenlösung wichtig. Benjamin Netanjahu wäre vermutlich froh, wenn
Ägypten die Versorgung der rund 1,5 Millionen BewohnerInnen des
Gazastreifens über den Grenzübergang Rafah übernehmen würde. Dazu wird
Kairo allerdings auch in Zukunft nicht bereit sein, da neben den
finanziellen Kosten auch innenpolitisch negative Einflüsse für die
Regierung in Kairo bei einer geöffneten Grenze zu erwarten wären. Die
Hamas ist aus der ägyptischen Muslimbruderschaft hervorgegangen und
steht mit dieser in engem Kontakt. Die Muslimbrüder werden von Präsident
Hosni Mubarak als größte innenpolitische Gefahr angesehen und daher
erbittert bekämpft.
2. Zur palästinensischen Politik
Wie schon in Oslo 1993 und Camp David 2000
geht die palästinensische Seite in die neuen Friedensverhandlungen aus
einer Position der Schwäche. Premierminister Salam Fajad beklagte Ende
August 2010 zudem auch noch die extrem angespannte Finanzlage der
Autonomiebehörde, die in hohem Maße von Zahlungen aus dem Ausland
abhängig ist.
Ende Juli 2010 riefen sowohl die deutsche
Bundeskanzlerin als auch der französische Präsident bei
Palästinenserpräsident Abbas an, um ihn zur Einwilligung in direkte
Friedensgespräche mit der israelischen Seite zu drängen.
Nachdem US-Präsident Barack Obama lange
Zeit die palästinensische Forderung nach einem Stopp des israelischen
Siedlungsbaus unterstützt hatte, ließ die US-Führung im Sommer 2010
diese Bedingung für die Aufnahme von direkten Verhandlungen fallen - und
Präsident Abbas im Regen stehen. Der eigentlich für seine Neutralität
aus dem Nordirlandkonflikt bekannte US-Sondergesandte Mitchell soll -
nach einer Meldung der Nachrichtenagentur AP - Präsident Abbas sogar
erpresst haben: Entweder stimme er umgehend direkten Friedensgesprächen
zu - oder er verliere die Unterstützung der USA bei der Gründung eines
palästinensischen Staates.
Nachdem die US-Regierung ihre Verbündeten
Hosni Mubarak aus Ägypten und König Abdullah aus Jordanien mobilisiert
hatten, reisten diese sowohl zu Abbas wie auch zu Netanjahu, um beide zu
direkten Gesprächen zu drängen.
Die Amtszeit von Präsident Abbas ist
eigentlich längst abgelaufen. Sollte es wider Erwarten doch zu einem
Friedensvertrag mit ihm kommen, stellen sich schon jetzt Fragen nach der
Legitimität seiner Unterschrift.
Wahrscheinlicher als ein Erfolg der auf ein
Jahr hin angesetzten Verhandlungen ist das Scheitern der Gespräche. Vor
allem im Hinblick auf die US-Zwischenwahlen im November 2010 hat
US-Präsident Barack Obama die Alternative verworfen, die
israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen seiner
Außenministerin Hillary Clinton in Ägypten zu überlassen. Statt dessen
warf er sein ganzes Gewicht selbst in die Waagschale und lud persönlich
in die USA eingeladen - mit erheblichem eigenem Risiko.
Sollte die israelische Regierung den
Siedlungsbaustopp wie angekündigt nicht verlängern und gleichzeitig
damit die Verhandlungen scheitern, bevor sie überhaupt richtig begonnen
haben, droht eine dritte Intifada, in der sich die Frustration der
palästinensischen Seite gewaltsam entladen könnte.
Ausreichend Gründe für einen neuen Aufstand
gibt es, wie die nachfolgende unvollständige Auflistung zeigt:
- Am 20. Januar 2010 wurde der
Hamas-Funktionär Mahmud al-Mabhuh in seinem Hotelzimmer in Dubai
ermordet. Er soll angeblich Waffen aus Iran für die Hamas beschafft
haben. Die Mörder wurden sehr schnell u.a. anhand ihrer gefälschten
Pässe in den Reihen des israelischen Geheimdienstes vermutet. Nachdem
Polen einen der mutmaßlichen Täter nach Deutschland überstellte, ließ
die Bundesregierung ihn nach Israel ausreisen.
- Selbst nach dem Angriff auf die
Gazaflotille und dem dadurch erhöhten Druck auf Netanjahu werden
notwendige Güter für den Wiederaufbau des Gazastreifens nicht von der
israelischen Regierung zur Einfuhr freigegeben.
- Trotz gegenteiliger Ankündigung setzte
die israelische Regierung auch im Jahre 2010 den Siedlungsbau im
Westjordanland fort. Besonders in Ostjerusalem ließ die israelische
Regierung palästinensische Häuser in größerer Zahl abreißen, um
jüdischen Wohneinheiten zu schaffen.
- Die Brutalität der israelischen Armee
gegen Friedensaktivisten, die z.B. in Bilin oder Nihil gegen den
Mauerbau protestieren, hat auch im Jahre 2010 nicht nachgelassen.
- Die ägyptische Regierung versucht mit
einer tief in die Erde gerammten Stahlkonstruktion das Tunnelsystem zur
Versorgung der Menschen im Gazastreifen zu unterbinden.
Ein Ende des Elends und der
Perspektivlosigkeit der PalästinenserInnen scheint derzeit nicht in
Sicht.
Am 30. Juli 2010 feuerten palästinensische
Extremisten aus dem Gazastreifen eine Rakete auf die israelische Stadt
Aschkelon, die in einem Wohnblock Sachschaden anrichtete. "Opfer gab es
keine - außer dem Friedensprozess", schrieb Peter Münch in der SZ am
31.7./1.8.2010.
Die Schwäche der palästinensischen Seite
ist nach wie vor auch durch die tiefen Gräben zwischen Hamas und Fatah
bedingt. Die palästinensische Nationalinitiative unter Führung von Dr.
Mustafa Barghouti arbeitet seit einigen Jahren an der Überwindung dieser
Gräben.
Eine weitere Spaltung betrifft die Frage
des Einsatzes von Gewalt. Im Vorfeld des jüngsten Gazakrieges ließ die
Führung der Hamas Anhänger militant-extremistischer Gruppen, die trotz
des im Juni 2008 ausgehandelten Waffenstillstandes Raketen auf Israel
abgefeuert hatten, ins Gefängnis werfen.
Auch in den Reihen der Hamas - wie schon
seit 1988 bei der Fatah - gibt es relevante Kräfte, die auf der Basis
der Grenzen von 1967 - und damit der indirekten Anerkennung des
israelischen Staates - zu einem Friedensschluss mit Israel bereit sind.
Das Zitieren der Hamas-Charta auf israelischer Seite zur Begründung
dafür, dass mit der Hamas keine Gespräche möglich seien, führt in eine
Sackgasse. Als Israel mit der PLO unter Yassir Arafat Verhandlungen
aufnahm, waren die Aussagen der PLO-Grundlagendokumente denen der
Hamas-Charta noch recht ähnlich. Erst durch die Verhandlungen selbst und
die Perspektive eines eigenen Staates korrigierte die PLO ihre
Positionen bezüglich des israelischen Existenzrechtes - was nach einer
Anerkennung der Hamas als rechtmäßig gewählter Führung im Gazastreifen
und ihrer Anerkennung als Verhandlungspartner auch von der Hamas-Charta
erhofft werden kann.
Der bisher weitestgehende Kompromiss für
ein umfassendes Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern
stellt das Abschlussdokument der "Genfer Initiative" aus dem Jahre 2003
dar. In palästinensischen Kreisen stieß es auf Widerstände vor allem
wegen der weitgehenden Aufgabe des Rückkehrrechtes für die Flüchtlinge
gemäß UN-Resolution 194. In Israel stemmte sich die Siedlerbewegung
dagegen, da viele der illegal im Westjordanland errichteten Siedlungen
hätten geräumt werden müssen. Die Siedler drohten und drohen bis heute
mit einem innerisraelischen Bürgerkrieg,
sollte eine israelische Regierung es wagen,
mit Polizei und Militär die Siedlungen zu räumen, um damit die
Voraussetzung für einen palästinensischen Staat zu schaffen.
Bei den neuen israelisch-palästinensischen
Verhandlungen kann auf zahlreiche erzielte Kompromisse der "Genfer
Initiative" wie z.B. einen Gebietstausch, den Status von Ostjerusalem,
die Frage des Zugangs zu religiösen Stätten oder eine Lösung der
Wasserfrage zurückgegriffen werden.
3. Zur Politik Irans
Als Reaktion auf die internationalen
Sanktionen gegen Iran kündigte die Regierung in Teheran an, keine
internationalen Geschäfte mehr in den "schmutzigen" Währungen Dollar
und Euro abzuwickeln sowie jegliche Werbung für deutsche, englische oder
südkoreanische Produkte zu verbieten.
Beim UN-Sicherheitsrat-Beschluss am
9.6.2010 bezüglich dieser neuen Sanktionen gegenüber Iran stimmten zwölf
Staaten für eine Verschärfung - darunter auch Russland und China -, die
Türkei und Brasilien waren dagegen, Libanon enthielt sich
überraschenderweise. Einer der großen Nutznießer der Sanktionen ist die
Türkei: Seit 2002 haben sich die türkischen Exporte nach Iran
versechsfacht.
Im Zusammenhang mit einem vermutlichen
Anschlag auf Präsident Ahmadinedschad bei einem Besuch in Hamdan Anfang
August 2010, den er unverletzt überstand, sprach dieser erstmals von
"einer amerikanischen Verschwörung für einen komplexen Krieg" (SZ,
5.8.2010).
Ebenfalls Anfang August 2010 meldete die
iranische Nachrichtenagentur Fars, Iran solle in Kürze vier hochmoderne
S-300-Flugabwehr-Batterien erhalten. Ein entsprechender Liefervertrag
besteht seit vielen Jahren mit der russischen Regierung, die sich aber
bisher geweigert hat, das Waffensystem nach Iran zu bringen. Laut Fars
sollen zwei der Batterien angeblich aus Weißrussland kommen, zu den
beiden anderen wurden keine Angaben bezüglich der Herkunft gemacht. Die
S-300-Raketen würden das strategische Gleichgewicht im Nahen und
Mittleren Osten erheblich verändern, weil sie in der Lage wären,
israelische und US-amerikanische Kampfflugzeuge noch vor dem Abwurf von
Bomben auf iranische Atomanlagen abzuschießen. Die Wahrscheinlichkeit,
dass die angebliche S-300-Lieferung der bei allen Konfliktparteien
verstärkt einsetzenden psychologischen Kriegsführung zuzuorden ist,
erscheint recht hoch. Regelmäßig präsentiert Iran neue moderne
Rüstungsgüter auch aus eigener Produktion, so z.B. Langstreckendrohnen
mit bis zu 1000 Kilometer Reichweite.
Im Herbst 2010 werden die fünf ständigen
Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates (USA, Russland, China, Frankreich,
Großbritannien) zusammen mit Deutschland (P5 plus 1) wieder mit Irans
Unterhändler zusammenkommen, um über den Atomkonflikt zu verhandeln. "Es
war klar, dass Teheran nicht einfach den Forderungen des
Sicherheitsrates nachkommen würde. Die iranische Führung zeigte aber,
dass sie kein Interesse an einer weiteren Eskalation hat. Präsident
Ahmadinedschad will weiterhin, nicht zuletzt aus innenpolitischen
Gründen, mit den USA ins (politische) Geschäft kommen", schrieb Volker
Perthes am 5.8.2010 in der SZ.
Im Mai 2010 kam es zum so genannten "Teheran-Abkommen",
das Brasilien und die Türkei vermittelt hatten. Darin erklärte sich
Teheran bereit, in einem Tausch 1200 Kilogramm niedrig angereichertes
Uran gegen Brennelemente für einen Forschungsreaktor in Teheran in die
Türkei zu bringen. Der "P5 plus 1-Gruppe" ging dieser Kompromiss nicht
weit genug - kurze Zeit später wurden verschärfte UN-Sanktionen
verhängt. Dennoch kündigte die iranische Führung nicht wie angedroht das
"Teheran-Abkommen" auf und erklärte sich zum Dialog im Herbst 2010
bereit.
Während Iran als Regionalmacht anerkannt
werden möchte, fokussiert sich die "P5 plus 1-Gruppe"
auf die Forderung, Iran müsse die (hohe)
Anreicherung von Uran einstellen.
Volker Perthes, Berater der
Bundesregierung, sieht Auswege aus der Eskalations-Spirale, wenn neben
der eindimensionalen Fixierung auf die Nuklearfrage durch die "P5 plus
1-Gruppe" mit der Führung in Teheran auch über Fragen der regionalen
Sicherheit, über Afghanistan, Drogenhandel, Piraterie, die Bereitschaft
zur Zusammenarbeit und akademischen Austausch verhandelt würde, ebenso
über Menschenrechtsfragen.
4. Zur Politik Libanons
Im Herbst 2009 hat die Führung der
Hisbollah erstmals eine "Abschreckungsdoktrin" vorgelegt. Kerngedanke
ist, dass durch die eigenen Raketen ein neuer Krieg mit Israel
verhindert werde, weil trotz der nicht geleugneten eigenen militärischen
Unterlegenheit die israelische Gesellschaft im Falle eines Krieges nicht
in der Lage wäre, Opfer und Misserfolge zu verkraften. Diese wirksame
Abschreckung werde Netanjahu von einem neuem Krieg abhalten, so die
Argumentation der Hisbollah.
Legitimiert wird deren Bewaffnung, die
schlagkräftiger als die der gesamten libanesischen Armee ist, u.a.
damit, dass nach wie vor libanesisches Territorium von israelischen
Truppen besetzt ist. Es handelt sich um die so genannten Shebaa-Farmen
im Dreiländereck Libanon-Syrien-Israel, ein etwa 28 Quadratkilometer
großes Gebiet.
Die Räumung der militärisch wenig
bedeutsamen Shebaa-Farmen würde im Hinblick auf eine Deeskalation
politisch Sinn machen, weil dieser Vorgang die Hisbollah in ein
Legitimationsdefizit hinsichtlich der eigenen militärischen Bewaffnung
bringen würde, wird aber u.a. aus Wasser-Ressourcen-Gründen nicht
durchgeführt.
Am Fuß der Shebaa-Farmen verläuft die heute
verfallene Trasse eines Umleitungskanals, mit dessen Hilfe der Libanon
und Syrien ab dem Jahre 1965 die Quellflüsse des Jordans umleiten und
Israel so Wasser entziehen wollten. Ebenso findet sich dort ein
Abschnitt der Transarabian-Pipeline.
Libanon und Syrien, das im Jahr 2000
offiziell bekannt gab, die Shebaa-Farmen dem Libanon bereits 1951
geschenkt zu haben, erklären beide das Gebiet der Schebaa-Farmen zu
einem Teil des Libanons. Die Vereinten Nationen beschlossen 2005 in
einer Resolution, dass das Gebiet der Schebaa-Farmen syrisches Gebiet
sei und von Israel besetzt gehalten werde. Israel vertritt die Position,
dass die Shebaa-Farmen den 1967 eroberten Golanhöhen angehören, die 1981
völkerrechtswidrig vom israelischen Parlament annektiert wurden. Für
Israel ist das Gebiet heute für den Wintersport-Tourismus von Bedeutung.
Bis zu 6000 israelische SkifahrerInnen täglich werden in der
Wintersaison an den Liften der Shebaa-Farmen gezählt.
Nach wie vor überfliegt die israelische
Luftwaffe trotz UN-Resolutionsverbotes den libanesischen Luftraum. Wegen
eines Baumes, den israelische Soldaten Anfang August 2010 der besseren
Sicht wegen am Grenzzaun der Waffenstillstandslinie mit einem
Kranausleger fällen wollten, kam es zu einem stundenlangen Feuergefecht,
bei dem die israelische Armee Kampfhubschrauber, Artillerie und Panzer
einsetzte und vier Menschen ihr Leben verloren: ein israelischer Soldat,
zwei libanesische Reserveoffiziere und ein libanesischer Journalist.
Der schwere Vorfall zeigte, wie ein relativ
unbedeutsames Ereignis die spannungsgeladene Grundsituation sehr schnell
eskalieren lassen kann. Offensichtlich haben die seit 2006
stattfindenden regelmäßigen Treffen zwischen israelischen und
libanesischen Militärs auf Einladung der UNIFIL, welche die Gespräche
und Beratungen u.a. über die vielerorts nicht festgelegte Grenzziehung
zwischen Israel und Libanon moderiert, noch immer nicht zu einer
Entspannung der bilateralen Beziehungen beigetragen.
Die Hisbollah war nicht an dem Vorfall
beteiligt, versuchte allerdings politisch Kapital daraus zu schlagen, in
dem deren Chef Nasrallah die bedingungslose Unterstützung der
libanesischen Streitkräfte bei künftigen Vorfällen durch die Kampfkraft
der Hisbollah betonte. Diese sinnt noch immer auf Rache für die
Ermordung ihres Militärstrategen Imad Mognieh in Damaskus im Jahre 2008,
weil sie die Mörder in den Reihen des israelischen Geheimdienstes Mossad
vermutet.
Im Herbst 2010 wird die Anklageerhebung des
UN-Sondertribunals wegen der Ermordung des libanesischen
Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Jahre 2005 erwartet, wobei auf die
Hisbollah starke Verdachtsmomente gefallen sind. Saad Hariri,
sunnitischer Regierungschef und Sohn des ermordeten Rafik Hariri, steht
vor der Wahl, entweder mit dem UN-Sondertribunal voll zu kooperieren
oder die libanesische Regierung, in deren Kabinett auch zwei Minister
der Hisbollah ihre Aufgaben verrichten, in ihrem Fortbestand zu
gefährden. Um diese Zerreißprobe für den Libanon zu entschärfen, könnte
es hilfreich sein, die Verdächtigen persönlich mit Namen, jedoch ohne
Betonung der Organisationszugehörigkeit vor Gericht zu stellen.
Entschärfend für die Innen- wie Außenpolitik des Libanon könnte es sich
auch auswirken, wenn es gelänge, das starke militärische Potential der
Hisbollah in die libanesischen Streitkräfte zu integrieren.
Im Falle gezielter Angriffe Israels zur
Zerstörung des umfangreichen Raketenpotentials der Hisbollah
würde diese mit großer Wahrscheinlichkeit
versuchen, sowohl ihre iranischen Fateh-110 als auch die syrischen M-600
Raketen auf Israel abzufeuern. Die israelische Regierung beschuldigte
Damaskus im April 2010 sogar, Scud-B-Raketen an die Hisbollah geliefert
zu haben, die Städte und Dörfer nicht nur im Norden Israels, sondern
vermutlich auch Tel Aviv treffen könnten.
Schwieriger einzuschätzen ist, wie sich die
Hisbollah im Falle eines israelischen Angriffs auf Iran verhält.
Nasrallah selbst vermeidet jegliche Aussagen, welche Entscheidungen er
unter dem Druck Teherans treffen würde. Nach dem Verlust von rund 1200
Menschenleben im Libanonkrieg 2006 auf Seiten der Zedernrepublik - rund
160 Tote waren es auf israelischer Seite - und Zerstörungen in Höhe von
mehreren Milliarden US-Dollar hat die gesamte libanesische Führung kein
Interesse an einer erneuten Verwüstung. Würde die Hisbollah öffentlich
machen, dass sie z.B. im Falle eines israelischen Iran-Angriffes ihre
Raketen auf Israel abfeuern würde, wäre Nasrallah der starken
innenpolitischen Kritik ausgesetzt, Irans regionale Machtansprüche auf
dem Rücken der libanesischen Bevölkerung auszutragen, deren arabische
Sunniten und Christen kein Verständnis dafür hätten, ihr Leben für
persische Schiiten zu opfern.
Neben dem Druck, dem die Hisbollah von
Seiten Teherans ausgesetzt wäre, ihre Raketen als Vergeltung
abzuschießen, käme hinzu, dass im Falle eines israelischen
Iran-Angriffes das mögliche Ende der Regierung in Teheran auch das Ende
der Stärke der Hisbollah bedeuten würde. Die Widerstandsorganisation
wäre sowohl von finanziellen wie auch von militärischen Nachschubquellen
abgeschnitten und verlöre enorm an Einfluss und Bedeutung. Unter diesem
Gesichtspunkt bliebe Nasrallah und der Hisbollah allein schon aus Sorge
um das eigene Überlebens kaum eine andere Wahl, als den Verbündeten in
Iran beizuspringen und Israel zu bekämpfen (1).
Zwischen alle Fronten sind die
BewohnerInnen des Dorfes Ghajar im Dreiländereck Syrien, Israel und
Libanon geraten. Bei ihnen handelt es sich, da Ghajar bis 1967 zu Syrien
gehörte, um mehrheitlich alavitische SyrerInnen, die israelische Pässe
haben. Nach dem Rückzug Israels aus der südlibanesischen Sicherheitszone
im Mai 2000 wurde das Dorf zunächst von den Vereinten Nationen geteilt.
Südlich der Hauptstraße lebten die BewohnerInnen auf israelischem und
nördlich der Hauptstraße auf libanesischem Boden. Im Libanonkrieg 2006
besetzte die israelische Armee das Dorf mit seinen 2200 Einwohnern
wieder komplett. Die israelische Regierung verhandelte im Jahre 2010
mit den Vereinten Nationen über die Rückgabe des Teils nördlich der
Hauptstraße an Libanon unter UN-Kontrolle. DorfbewohnerInnen selbst
wollen "zunächst Israelis bleiben und hoffen auf einen Friedensvertrag,
bei dem der ganze Golan samt Ghajar an Syrien zurückgegeben wird" (SZ,
30./31.1.2010).
Jüngster Streitpunkt in den
israelisch-libanesischen Beziehungen ist die Entdeckung eines riesigen
Erdgasfeldes zwischen Haifa und Tyros, dessen 800 Milliarden Kubikmeter
Inhalt aktuell einem Marktwert von rund 100 Milliarden US-Dollar
entspricht. Die Förderrechte sind umstritten, da Israel in dieser Gegend
eine exklusive Wirtschaftszone beansprucht, deren Größe nicht definiert
ist und die libanesischen Anteile wegen der nicht geklärten Abgrenzung
der Seezonen beider Länder nicht bestimmt werden können. Bis es zu einer
praktikablen und konstruktiven Lösung kommt, wie sie z.B. China und
Japan mit einem "Abkommen zur Teilung der Profite" bezüglich der
Bodenschätze im Bereich der Senkagu-Inseln gefunden haben, dürfte noch
einige Zeit vergehen.
5. Zur Politik von Syrien
Bereits im Jahre 1999 waren sich Israel und
Syrien bei den Verhandlungen um die Golanhöhen "so nahe gekommen, dass
der amerikanische Gastgeber einen Vertragsentwurf verfasste" (2). Dieser
wurde durch eine Indiskretion in der Zeitung "Haaretz" vorab
veröffentlicht, woraufhin Syrien wegen dieses Vertrauensbruches die
Verhandlungen abbrach.
Kernpunkte waren gemeinsame Sicherheits-
und Normalisierungsmaßnahmen wie etwa bilaterale Handels- und
Wirtschaftsbeziehungen. Es sollte eine israelisch-syrische Wasserbehörde
eingerichtet werden. Israels Sicherheitsbedürfnis wollte Syrien durch
die Zustimmung zu einer Frühwarnstation auf den Golanhöhen entgegen
kommen, die von US- und französischen Soldaten hätte betrieben werden
sollen. Bis zum Libanonkrieg 2006 führten syrische und israelische
Unterhändler weitere nichtöffentliche Verhandlungen zur Konfliktlösung.
Im Falle einer Rückgabe der Golanhöhen
würde Syrien bis ans Ostufer des Sees Genezareth reichen. Die Quellen
von etwa zehn Prozent des Trinkwassers Israels würden bei einem solchen
Friedensschluss unter syrischer Kontrolle stehen, was für Israel ein
Problem darstellt.
Während der drei Jahrzehnte amtierende
syrische Präsident Hafez al-Assad Kompromisse aufgrund seiner Autorität
innenpolitisch hätte leichter durchsetzen können, dürfte es für seinen
Nachfolger und Sohn Baschar al-Assad vermutlich sehr viel schwerer
werden, solche Kompromisslösungen zu vermitteln.
Im Jahre 2007 flog die israelische
Luftwaffe einen Angriff auf eine vermutete syrische Nuklearanlage in der
Nähe der syrisch-irakischen Grenze, was kurzzeitig die israelisch-
syrischen Beziehungen an den Rand eines Krieges brachten.
Ende Juli 2010 reiste Baschar al-Assad
erstmals nach dem Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon wieder
nach Beirut, begleitet vom saudischen König Abdallah, und traf sich mit
dem libanesischen Präsidenten Suleiman. Für Baschar al-Assad war es ein
Triumph-Besuch, der gleichzeitig den wieder erstarkten Einfluss Syriens
gegenüber Libanon symbolisiert.
Um ihre eigenen Ansprüche zur Rückgabe der
Golanhöhen durchzusetzen und gleichzeitig das Risiko zu minimieren,
durch israelische Angriffe geschädigt zu werden, lässt Damaskus nicht
nur die Aufrüstung der Hisbollah mittels auf dem Landweg durch Syrien
gelieferter Waffen aus dem Iran zu, sondern soll auch selbst aktiv die
Aufrüstung der schiitischen Widerstandsorganisation im Libanon betrieben
haben. Die SZ berichtete am 14.4.2010: "Demnach entdeckte der
amerikanische Geheimdienst im vorigen Sommer, dass Damaskus die
Hisbollah mit Raketen großer Reichweite versorgen wollte und bereits
Hisbollah-Kämpfer in Syrien im Umgang mit diesen Waffen schulte. Israel
soll daraufhin mit der Bombardierung von Zielen sowohl im Libanon als
auch in Syrien gedroht haben - was schließlich die besorgte
amerikanische Diplomatie auf den Plan rief". Nach einem Besuch des
demokratischen Senators John Kerry in Damaskus Anfang April 2010 wurde
die noch im Februar 2010 angekündigte Entsendung eines US-Botschafters
nach Syrien wieder verschoben.
Beim Besuch des deutschen Außenministers
Guido Westerwelle in Damaskus im Mai 2010 wies der syrische
Außenminister Walid al-Muallim "den Vorwurf des Raketenschmuggels brüsk
zurück, lässt aber auch wissen, solange Krieg und Besatzung herrschten,
`wird Syrien nicht die Polizei spielen für Israel´" (SZ, 25.5.2010).
Mitte Mai 2010 berichtete die russische
Nachrichtenagentur "Itar-Tass", dass Syrien von Russland MiG-29
Kampfflugzeuge und Boden-Luft-Raketen des Typs Pantsir erhalten solle,
was sowohl in Washington wie auch in Israel für eine Verstimmung gesorgt
haben dürfte.
6. Zur Politik der USA
a) US-Aufrüstungs-Beispiele der Region
Naher und Mittlerer Osten
Auf verschiedenen Ebenen unterstützt die
US-Regierung ihre arabisch-sunnitischen Partner in der Golfregion gegen
den stärker werden iranisch-schiitischen Einfluss in der Region.
Bereits im Januar 2010 berichtete die "New
York Times", dass die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrein und
Kuweit jeweils zwei Batterien mit modernen Patriot-Luftabwehr-Raketen
erhalten sollten, um iranische Kurzstreckenraketen abschießen zu können.
Im August 2010 nannte das Pentagon auch den Preis der an Kuweit
auszuliefernden Patriot-Raketen: umgerechnet rund 700 Millionen Euro.
Das Emirat Abu Dhabi kaufte zusätzlich
THAAD-Abwehrraketen mit größerer Reichweite, die in der Vergangenheit
auch von den USA bereits an Israel und Saudi-Arabien geliefert worden
waren.
Von 2005 bis Sommer 2010 lieferten
US-Rüstungsfirmen an die Vereinigten Arabischen Emirate Waffensysteme im
Wert von rund 10 Milliarden Euro.
Ebenfalls im August 2010 wurde bekannt,
dass Saudi-Arabien von der US-Regierung 84 F-15-Kampfflugzeuge im Wert
von 30 Milliarden Euro kaufen wird. Um Israel zu beruhigen, werden
allerdings bestimmte weitreichende Waffensysteme nicht in die für
Saudi-Arabien bestimmten Jets eingebaut. Weiterhin möchte die Regierung
in Riad mehrere Dutzend Blackhawk-Hubschrauber von Washington erwerben.
Seit 2005 haben sich die US-Waffenexporte nach Saudi-Arabien mehr als
verdoppelt. Seit den 1940er Jahren hat Saudi-Arabien mehrstellige
Milliarden-Beträge in das Militär investiert, Waffen und Ausrüstung
kamen zumeist aus den USA (3).
Dank US-Hilfe verstärkt seit Anfang 2010
die saudische Regierung ihre dem Innenministerium unterstellte
Spezialtruppe zum Schutz von Häfen, Ölanlagen und
Wasserentsalzungsanlagen von bisher 10 000 auf künftig 30 000 Mann.
Im März 2010 bestellte die Regierung in
Bagdad die ersten 18 amerikanischen F-16-Kampfflugzeuge,
die ab 2013 ausgeliefert werden sollen.
Für Israel hat die US-Regierung für das
Jahr 2010 mit 2,8 Milliarden US-Dollar so viel Geld beim Kongress
beantragt wie niemals zuvor. Mit dieser Summe sollen u.a. drei
Raketenabfangprojekte (mit)finanziert werden: Das Iron-Dome-System
(Eiserne Kuppel) gegen Kurzstreckenraketen aus dem Gazastreifen und dem
Libanon, das Magic-Wand-System (Zauberstab) gegen Mittelstreckenraketen
und das Arrow-System (Pfeil) gegen Langstreckenraketen, wie sie z.B. aus
Iran abgefeuert werden könnten.
Um die Türkei zur Wiederannäherung an
Israel zu bewegen, soll Präsident Obama Druckmittel eingesetzt haben:
"Obama habe dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan gesagt,
sollte es in den USA Zweifel am Bündnispartner Türkei geben, könne dies
den Verkauf von Waffen an das Land erschweren" (SZ, 17.8.2010).
Noch im März 2009 hatte Barack Obama im
Wahlkampf den Rüstungskonzernen in den USA den Kampf angesagt: "Die
Zeiten, in denen den Rüstungsfirmen Blankoschecks ausgestellt wurden,
sind vorbei" (SZ, 10.3.2010).
Im Spätsommer 2010 zeigt sich, dass Barack
Obama die Macht und den Einfluss der US-Waffenschmieden, die zu den
großen Gewinnern der gegenseitigen Gewaltandrohungen im Nahen und
Mittleren Osten zählen, offenbar gewaltig unterschätzt hat, während er
offenbar die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten überschätzte.
b) Zum Verhältnis USA-Israel-Iran
Erhebliche Überzeugungsarbeit wird auf die
US-Administration noch zukommen, die israelische Führung von einem
Iran-Angriff abzuhalten, der bereits 2008 geplant war und u.a. von
US-Verteidigungsminister Robert Gates, damals noch in der Administration
von George W. Bush, verhindert wurde. Norman Birnbaum, ehemaliger
Professor am Law Center der Georgetown University in Washington D.C.,
schreibt zu den Motiven von Barack Obama, den alten
US-Verteidigungsminister auch zum neuen Pentagon-Chef zu ernennen: „Auf
Gates, der ein weiteres Jahr im Amt verbleiben wird, fiel die Wahl
deshalb, weil er zusammen mit der seinerzeitigen Außenministerin
Condoleezza Rice von Dick Cheneys hartnäckiger Aggressivität und dessen
Unilateralismus abgerückt war – und Israel im Jahre 2008 von einem
Angriff auf den Iran abhielt“ (4).
Seit geraumer Zeit bereitet sich auch die
US-Führung auf alle Möglichkeiten vor und baut militärische Kapazitäten
für einen möglichen Krieg gegen Iran auf. Am 14. März 2010 berichtete
die Zeitung „The Sunday Herald“, Hunderte der "US Bunker buster"-Bomben
seien von Kalifornien zur britischen Insel Diego Garcia im indischen
Ozean, einem der großen US-Militärstützpunkte, verschifft worden -
wahrscheinlich zur Vorbereitung eines Angriffs auf den Iran. „The Sunday
Herald“ schrieb, dass im Januar zehn Munitionscontainer auf die Insel
gekommen seien. Darunter sollen 387 „Blue"-Bomben gewesen sein, die zur
Zerstörung von unterirdischen Bauten benutzt werden können (5).
Im März 2009 beging das Oberkommando der
US-Streitkräfte einen politischen Tabubruch und bezeichnete Israel
erstmals als bedeutende Nuklearmacht. Im Mai 2009 nannte die
US-Staatssekretärin Rose Gottmoeller als fundamentales Ziel der neuen
US-Politik, Israel, Indien und Pakistan zum
Atomwaffensperrvertrag-Beitritt zu bewegen. Israels Außenministerium bat
daraufhin um Klarstellung und konnte diese Forderung kaum glauben.
Im Herbst 2009 fand ein außergewöhnlicher
israelisch-iranischer Dialog zum Thema Atomwaffen und ihre Abschaffung
statt, über den am 23. Oktober 2009 die "Süddeutsche Zeitung"
berichtete:
„Erstmals seit 30 Jahren haben Israel und
Iran an Gesprächen über eine atomwaffenfreie Zone in Nahost
teilgenommen. Die Begegnung fand bereits am 29. und 30. September in
Kairo statt. ... Von israelischer Seite handelte es sich um Meirav
Zafari-Odiz, zuständig für Rüstungskontrolle bei der Atombehörde. Iran
hatte seinen Botschafter bei der Internationalen Atomenergiebehörde
(IAEA), Ali Ashgar Soltanieh, und einen Botschafter im Ruhestand
entsandt. ... Anschließend habe Zafari-Odiz erklärt, dass Israel am Ende
eines umfassenden regionalen Friedensschlusses grundsätzlich zu einem
Dialog über eine nukleare Abrüstung im Nahen Osten bereit wäre“.
Bis zu wirklich substantiellen
Verhandlungen dürfte der Weg noch sehr weit sein:
„Von allen Atomwaffen in der Welt wird man
sich des israelischen Arsenals am schwierigsten entledigen können“,
prophezeite 1995 der frühere Direktor des Internationalen Stockholmer
Friedensforschungsinstitutes SIPRI, Dr. Frank Barnaby (6).
c) Israels Politik als Belastung für die
USA
Bei seinem Besuch in Israel im Frühjahr
2010 konfrontierte US-Vizepräsident Joe Biden die israelische Führung
mit dem Argument, die israelische Siedlungspolitik gefährde zunehmend
das Leben von US-Soldaten im Irak und in Afghanistan. Offiziell legte
das US-Außenministerium der israelischen Regierung einen
Forderungskatalog vor, die Entscheidung zum Neubau von 1600 Wohnungen in
Ostjerusalem rückgängig zu machen, dem die Regierung unter Benjamin
Netanjahu allerdings nicht nachgekommen ist.
Ähnliche Motive wie Joe Biden veranlassten
nach Angaben von „Foreign Policy“ bereits im Januar 2010 auch den
damaligen Centcom-Chef, US-General David Petraeus, im Pentagon in einer
sehr weit reichenden Angelegenheit vorstellig zu werden: Bisher gehören
die Westbank und der Gazastreifen zum „US-European-Command“, dessen
Kommando-Zentrale sich in Stuttgart befindet. Petraeus sieht - wie Biden
- verstärkt die Zusammenhänge zwischen Israels Politik in den
palästinensischen Gebieten und den erhöhten Sicherheitsrisiken für
US-Soldaten im Irak und in Afghanistan. Deswegen möchte er den
Gazastreifen und die Westbank dem von ihm kommandierten Centcom-Bereich
zuschlagen, der sich von Kenia bis Kasachstan und von Ägypten bis
Pakistan erstreckt (7).
Am 6.7.2010 war in der SZ zu lesen: "Die
amerikanischen Geheimdienste haben Israel als `strategische Belastung´
für die USA gegeißelt - eine Kategorisierung, die in Jerusalem
panikartige Reaktionen ausgelöst hat".
Fortschritte im Nahen und Mittleren Osten
hin zu einer diplomatischen Lösung der Konflikte wurden bisher u.a.
durch die sehr starke israelische Lobby in den USA und Europa
verhindert. Diese Israel-Lobby könnte es zukünftig mit einem starken
Gegner zu tun bekommen: Der US-amerikanischen Militärlobby, die um das
Leben der US-Soldaten im Irak und Afghanistan als Folge der israelischen
Politik fürchtet. Dies könnte neue Dynamiken für den gesamten Nahen und
Mittleren Osten mit einem offenem Ausgang der sich abzeichnenden
Konflikte in Gang setzen.
Fazit und Ausblick
Den Sicherheitsbedürfnissen von Iran und
Israel liegen Traumata zugrunde
In ihrem Buch „Die iranische Bombe.
Hintergründe einer globalen Gefahr“ schreiben die beiden Journalisten
der Wochenzeitung „Die Zeit“, Gero von Randow und Ulrich Ladurner:
„Der Iran trägt immerzu Trauerflor. Man
muss nicht lange suchen, um Gründe dafür zu finden. Ob in dem Kult um
Ali und Hussein, den ermordeten Propheten der Schiiten, ob in dem Krieg
gegen den Aggressor Irak, ob im Putsch der CIA gegen den
Ministerpräsidenten Mossadegh, ob in den Friedhöfen vor den Toren
Teherans, ob in den Machinationen (lat.: tückische Anschläge, Umtriebe,
Ränke, Anm.: C.R.) der Kolonialmächte, ob in der gegenwärtigen
Auseinandersetzung um die Atomenergie, ob in der dauernden Gegnerschaft
zu den USA. Wohin auch immer man schaut, überall finden Iraner Beweise
für das Unglück, das durch fremde Hand herbeigeführt wird. Der Iran ist
übersät mit Hunderttausenden Opfern eines fortgesetzten Verrats, der
nicht enden will und nie enden wird, denn er ist eine
existenzbegründende Begleiterscheinung des Iran. Es gibt dieses Land,
solange es Verrat gibt, ohne ihn scheint es nicht existieren zu können.
Oder wie sonst könnte man den tief verankerten Glauben der Iraner
erklären, dass draußen vor den Grenzen immer jemand am Werk ist, um
ihrem Land zu schaden, dass immer jemand das Land hindert, zur
Entfaltung zu kommen? Überall lauern böse Geister, Imperialisten,
Kolonialisten, Ausbeuter. Der Iran ist Opfer, war Opfer und wird es
immer sein. Nie wird er verstanden sein, nie wird er akzeptiert werden.
Darf man so die Gefühlslage einer Nation zusammenfassen? Darf man auf
diese Weise vereinfachen? Man darf. Denn um Politik zu machen, müssen
Einsichten verdichtet werden“ (8).
Keiner der 64 Giftgasangriffe Saddam
Husseins auf Iran während des Krieges von 1980 bis 1988 führte zur
Anrufung des UN-Sicherheitsrates, was wohl u.a. daran lag, dass die
US-Regierung eine Verurteilung ihres Verbündeten Irak vermutlich per
Veto verhindert hätte. Die irakischen Giftgasangriffe und die daraus
resultierenden enormen Opferzahlen sind einer der Gründe, warum die USA
im Iran bis heute als der „große Satan“ bezeichnet wird. Noch immer
leiden im Iran mehrere Zehntausend Personen an den Spätfolgen der
Giftgas-Einsätze. Gleichzeitig wurde durch diese Ereignisse das
Vertrauen Irans in die UNO und speziell in den Sicherheitsrat schwer
beschädigt.
Ohne Berücksichtigung dieser iranischen
Grundbefindlichkeiten von Seiten westlicher Staaten werden Verhandlungen
im Atomkonflikt weiterhin scheitern, ohne die Offenheit der iranischen
Verhandlungsführer für neue, positive Erfahrungen mit diesen westlichen
Staaten ebenso.
Auch in Israel spielt die Erfahrung
traumatischer Ereignisse in der Frage der eigenen Sicherheitsbedürfnisse
eine zentrale politische Rolle.
In seinem Buch „Hitler besiegen. Warum
Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss“
schreibt der ehemalige Berater von Shimon
Peres, Vorsitzende der Jewish Agency und Sprecher der Knesset, Avraham
Burg, Sohn des früheren israelischen Innenministers Josef Burg, über den
ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin:
„Sein damaliger Kabinettssekretär Arye Naor
erklärte, Begin habe sein Kabinett mit folgenden Worten überzeugt, den
Libanonkrieg anzufangen: `Sie wissen, was ich selbst und was wir alle
unternommen haben, um einen Krieg und Verluste an Leben zu verhindern.
Doch in Israel ist dies nun einmal unser Schicksal. Es gibt keine andere
Möglichkeit, als selbstlos zu kämpfen. Glauben Sie mir, die Alternative
ist Treblinka, und wir haben uns entschieden, dass es kein Treblinka
mehr geben wird.´ Zwei Wochen nach Beginn dieses unnötigen Krieges
erwiderte der Schriftsteller Amoz Oz darauf in der Zeitschrift Yediot
Aharonot: `Hitler ist schon tot, Herr Ministerpräsident ... Immer
wieder, Herr Begin, legen Sie vor den Augen der Öffentlichkeit ein
merkwürdiges Bedürfnis an den Tag, Hitler wiederzuerwecken, um ihn dann
in der Gestalt von Terroristen täglich neu zu töten ... Dieses
Bedürfnis, Hitler wiederzubeleben und ihn dann auszulöschen, ist das
Ergebnis einer Melancholie, der von Dichtern Ausdruck verliehen werden
kann. Unter Staatsmännern aber ist sie ein Risiko, das leicht zu einer
tödlichen Gefahr werden kann´“ (9).
Nicht nur die derzeitige israelische
Regierung ist bereits seit geraumer Zeit versucht, den iranischen
Präsidenten Ahmadinedschad zum „neuen Hitler“ aufzubauen - auch deutsche
Presseorgane helfen kräftig mit, diese Parallele und das Feindbild Iran
zu schüren.
In Deutschland liegt es an einer
verantwortungsbewussten, demokratisch gesinnten Gegenöffentlichkeit,
Bedingungen für eine zivile Konfliktlösung des iranisch-israelischen
Konflikts offen zu halten und allen Versuchen der Kriegshetze und
Feindbild-Propaganda entgegen zu treten. Noch immer taucht die
nachweislich falsche Behauptung auf, Ahmadinedschad habe gesagt, „Israel
müsse von der Landkarte getilgt werden“. Selbst die
Bundeszentrale für politische Bildung hat
diese falsche Übersetzung der Rede des iranischen Staatschefs vom
Oktober 2005 inzwischen korrigiert (10).
Den Menschen in Israel ist die Erfüllung
der Vision von Avraham Burg zu wünschen:
„Wenn wir aufwachen, wird die Geschichte
wieder weitergehen. Das Leben wird zum Leben zurückkehren, und es wird
klar werden, dass es unmöglich ist, sich für immer in den Gräben zu
verschanzen, die sich zwischen den Friedhöfen erstrecken. Jemand wird
erklären: `Das war´s. Es ist vorbei´. Ein anderer wird erklären: `Wir
können Hitler besiegen´. Weil es möglich ist, müssen wir es tun. Wir
müssen das Tal der Tränen, die Schatten des Todes hinter uns lassen und
den Berg der Hoffnung und des Optimismus erklimmen. Wir werden uns
erinnern, aber heil sein. Narben haben, aber ganz und ausgeglichen sein“
(11).
Die Erfüllung dieser Vision könnte ein
Schlüssel dazu sein, den gesamten Nahen und Mittleren Osten –
möglicherweise im Rahmen einer Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit – in eine friedvollere Zukunft zu führen.
Wenn die neuen israelisch-palästinensischen
Friedensverhandlungen eine Chance
zum Erfolg haben sollen, brauchen sie die
breite Unterstützung vieler Staaten, die
sich als ehrliche Makler für ein Ende
dieses Jahrhundertkonfliktes einsetzen.
Die so genannte Internationale Gemeinschaft
war bisher eher Teil des Problems
- und mitverantwortlich für die wachsende
Kriegsgefahr in der Region. Sie hat aber
auch das Potential, Teil einer gerechten
Friedenslösung zu werden.
Clemens Ronnefeldt,
Referent für Friedensfragen beim deutschen
Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes
Anmerkungen:
(1) vgl. Heiko Wimmen, Hisbollah vs.
Israel: Steht ein neuer Nahostkrieg bevor? SWP-Aktuell 56, Berlin, Juli
2010.
(2) Margret Johannson, Der Nahostkonflikt,
Wiesbaden 2006, S. 109.
(3) vgl. Bahman Nirumand, Der unerklärte
Weltkrieg. Akteure und Interessen in Nah- und Mittelost, Frankfurt 2007,
S. 124.
(4) Norman Birnbaum, Gefangener im Weißen
Haus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2010, S.
38.
(5) Vgl.
http://www.inamo.de/index.php/israel-palaestina.html
(6) Yoel Cohen, Die Vananu-Affäre. Israels
Geheimes Atompotential, Heidelberg 1995, aus dem Vorwort von Dr. Frank
Barnaby, S. 12.
(7) Vgl.:
www.heise.de/tp/blogs/8/print/147255
(8) Gero von Randow und Ulrich Ladurner,
Die iranische Bombe. Hintergründe einer globalen Gefahr, Hamburg 2006,
S. 70f.
(9) Avraham Burg, Hitler besiegen. Warum
Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss,
Frankfurt 2009, S. 72.
(10) Vgl.:
www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Iran/israel.html
(11) Avraham Burg, a.a.O., S. 264.
Stand: 1.9.2010
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