Kenneth Lewan führt am Beispiel
der FAZ vor, wie
ideologisiert die
Berichterstattung und
Kommentierung der zweiten
Intifada ist
Es
sind die Fragen, die verqueren
Einwürfe, die Denkanstöße, die
die Klugheit eines Professors
ausmachen. Und da kann sich
Kenneth Lewan in der Beurteilung
deutscher Nahostpolitik und
deutscher Medien durchaus
einiges zugute halten. Immer
wieder hat er dabei das, was wir
den "gesunden Menschenverstand"
nennen würden, ins Feld geführt,
um die abstrusen, gleichwohl
verbreiteten politischen und
ideologischen Vorurteile einer
gründlichen Prüfung zu
unterziehen.
Es
hat Charme, dass er sich
ausgerechnet die Frankfurter
Allgemeine Zeitung (FAZ),
ihre Korrespondenten und
Redakteure ausgesucht hat, um
auf Widersprüche in der
Berichterstattung über die
grausame und blutige Intifada
sowie deren Niederschlagung
durch die israelische Armee
aufmerksam zu machen. Zugleich
wirft er dabei berechtigte
Fragen zur Nahostpolitik des
viel gelobten deutschen
Außenministers auf, dessen Image
des neutralen Vermittlers er
anzweifelt.
Ein
Beispiel: "Gesetzt den Fall, die
Zionisten hätten die Herrschaft
nicht im geschwächten Arabien,
sondern in New York an sich
gerissen und dabei die
nichtjüdischen Bürger weitgehend
vertrieben. Hätte irgendein
deutscher Kanzler oder
Außenminister zu beteuern
gewagt, Deutschland sei dem
zionistischen Staat
verpflichtet, und hätte Geld und
Waffen für seine ,Sicherheit'
zur Verfügung gestellt?" Und man
möchte die Frage hinzufügen,
warum Joschka Fischer so
übereifrig die palästinensischen
Anschläge - ja durchaus zu Recht
- verurteilt, aber zu den
Übergriffen und
Vergeltungsmorden der
israelischen Regierung stets zu
schweigen weiß, von Scharons
verheerender Siedlungspolitik
einmal ganz zu schweigen.
Bereits 1970 veröffentlichte
Lewan ein Buch, das den
"Nahostkonflikt in der
westdeutschen Presse" und die
argumentative Unterstützung der
israelischen Eroberungspolitik
im Sechstagekrieg durch diverse
deutsche Medien kritisch
analysierte. In seinem jüngsten
Werk, "Die zweite Intifada",
konzentriert sich der 1925 in
Chicago geborene
Politikwissenschaftler auf die
FAZ. Er macht dort quasi
einen "Kampf zweier Linien" aus.
Und zwar zwischen jenen
Korrespondenten, die ortsnah aus
eigener Anschauung berichten und
kommentieren, und den
Redakteuren, die - um der
politischen Ausgewogenheit
willen - dagegenhalten zu müssen
glauben.
Allein aufgrund der Analyse von
FAZ- Zeitungsberichten
gelingt es Lewan, schlüssig
nachzuweisen, dass Israels
damaliger Premier Ehud Barak bei
den Verhandlungen in Camp David
im Spätsommer 2000 nie ein
Angebot, geschweige denn ein
"substanzielles" Angebot an
Arafat gemacht hat. Und dass es
nicht die geplante Strategie
eines hinterlistigen Arafat war,
die zur Auslösung der zweiten
Intifada führte, sondern vor
allem die willkürliche
Erschießung palästinensischer
Demonstranten am Tag nach dem
Auftritt Scharons auf dem
Tempelberg.
Die
Bewertung dieser Vorgänge in den
Kommentaren der FAZ
könnte widersprüchlicher kaum
sein. Lewans Argumentation ist
deshalb so überzeugend, weil er
immer wieder das Gegenteil
seiner eigenen Beweisführung
durchspielt, also eine
Plausibilitätsprüfung vornimmt:
Was wäre, wenn Scharon der Gute
ist, der Kämpfer gegen das Böse-
und Arafat der hinterhältige
kleine Bin Laden des Nahen
Ostens?
Die
Kritik Lewans an israelischer
und in der Folge deutscher oder
amerikanischer Politik im Nahen
Osten gipfelt in dem Vorwurf,
vielfach kritische Rationalität
zugunsten ideologisch verbrämter
Prämissen aufgegeben zu haben.
Nicht nur in den
Redaktionsstuben der FAZ
ist eine Diskussion des Buches
deshalb mehr als angebracht.
GEORG BALTISSEN
Kenneth Lewan: "Die zweite
Intifada. Zwiespalt in der
Frankfurter Allgemeinen
Zeitung".
Fischer & Fischer, Frankfurt am
Main 2003,
160 Seiten, 13,80 Euro