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in die felder geritzte riesige davidsterne
ISM - bericht aus palästina (erste woche)
24.2.2011
seit einer woche bin ich hier und habe noch nicht
einen bericht auf deutsch geschrieben. darum ist
dieser leider wieder einmal sehr lang, eine woche
ist viel und ich schreibe ihn fuer verschiedenste
leute, darunter welche von euch, die ihr die
situation hier kennt und welche, die sie nicht
kennen. fuer die, die schon vieles wissen wird
einiges bekannt sein, ich entschuldige mich also
fuer die widerholung von dingen die ihr vielleicht
schon wisst.
ich muss mich fuer die qualitaet meines schreibens
auch entschuldigen, der bildschirm des computers,
mit dem ich arbeite ist so schlecht, dass ich raten
muss, was ich schreibe...
begonnen hat die woche mit dem letzten freitag.
nachdem ich am donnerstag in tel aviv gelandet war,
bot es sich an zu den freitags demonstrationen in
den besetzten palaestinensischen gebieten gemeinsam
mit einigen der israelischen aktivistInnen zu
reisen.
jeden freitag finden diese demonstrationen in
verschiedenen doerfern statt, die sich entscheiden
gewaltfrei gegen den raub ihres landes zu
protestieren. die meisten von ihnen haben ihr land
durch den bau der mauer verloren, 85% dieses enormen
baus von ueber 600 km schlaengeln sich nicht auf der
grenze von 1967, sondern schneiden tief in
palaestinensisches gebiet ein, rauben die
fruchtbarsten landwirtschaftlichen flaechen. bei den
meisten betroffenen doerfern ist sie so gebaut, dass
das dorf, mit den unerwuenschten palaestinensern von
israel aus-, das land des dorfes allerdings
eingeschlossen, israelische siedlungen annektiert
werden. mehrere tausend palaestinenserInnen leben
seit dem bau der mauer eingeschlossen zwischen mauer
und eigentlicher grenze und haben somit nur
begrenzten zugang zum restlichen land, sie kommen
also nicht zur schule, ins krankenhaus oder an
andere teile der zivilen infrastruktur.
so entsteht mehr und mehr ein palaestinensisches
land, welches nur noch aus dichtbesiedelten
staedtchen und doerfern besteht, teilweise vielfach
voneinander abgetrennt durch ein kompliziertes
system aus kontrollposten, strassensperren und
strassen selbst. die israelischen siedlungen tronen
meist auf den huegeln, sie sind versorgt durch ihr
eigenes strassennetz, strassen, die quer durch
palaestinesisches gebiet schneiden und in vielen
faellen - daher der name apartheidsstrassen nicht
von palaestrinenserInnen benutzt werden duerfen. sie
sind nur fuer juedische israelis vorgesehen.
ich hatte letzten freitag pech, es gab keinen platz
mehr in einem auto welches in das dorf fuhr in das
ich wollte. ich entschied mich mit einer anderen
gruppe in ein anderes westbank dorf zu fahren, die
israelis, die den protest der palaestinenser
unterstuetzen kennen die schleichwege, die sie
nutzen koennen, um ueber israelische strassen in
seitenwege abzubiegen und sich durch die kontrollen
zu schlaengeln, um mit ihren palaestinesischen
partnern gemeinsam zu demonstrieren. so fuhr ich
eerst etwas suedlicher nach bil'in, ein dorf welches
seit 6 jahren (dies war ihr jubilaeumstag) den
gewaltfreien protest organisiert und seitdem jeden
freitag (und an vielen anderen tagen)
demonstrationen und andere gewaltfreie aktionen
organisieren um sich gegen den landraub zu wehren.
sie zahlen einen hohen preis fuer ihren gewaltfreien
widerstand: zwei dorfbewohner wurden in dieser zeit
ermordet : bassem abu rahme vor ca 1,5 jahren (er
wurde aus direkter naehe mit einem
weitflug-traenengasgeschoss erschossen und seine
schwester jawahir abu rahme, die dieses jahr in der
sylvesternacht durch uebermengen an traengas
erstickt und vergiftet wurde, bis es zu einem
herzstillstand kam.
unzaehlige sind verletzt worden, nachtrazzien und
verhaftungen sind ein haeufiges repressionsmittel.
hierbei werden auch kinder verschleppt, ab 12 jahren
gilt unter israelischem militaerrecht jeder
palaestinenser als erwachsen und kann so in eines
der vielen militaergefaengnisse/lager verschleppt
werden. die sogenannte administrativhaft, bedarf
keiner beschuldigung oder anklage und so ist ein
rechtliches vorgehen durch anwaelte dagegen auch
kaum moeglich.
zurueck zum letzten freitag: wir erreichten das dorf
vor bil'in, ddoch von dort ging es zufuss weiter.
die soldaten hatten strassensperren errichtet.
sie wollen nicht, dass es internationale oder
israelische zeugen und aktivistInnen gibt in den
doerfern. so sind wir durch die huegel und
olivenhaine aussenherum geklettert bis wir bil'in
und die demonstration erreicht hatten. spaeter
lockerten sich die sperren um das dorf wieder und
ich bekam einen lift in das naechstgelegene dorf von
dem aus es hiess jemand wuerde in das dorf fahren in
das ich eigentlich wollte. mein zwischenstopp wuerde
in nialin sein, wiederum ein dorf, welches grosse
teile seiner landwirtschaftlichen flaechen durch den
mauerbau und durch die massiv expandierenden
siedlungen verloren hat. auch in nialin sind
unzaehlige im gewaltfreien protest verhaftet und
verletzt worden, hier wurden vier junge dorfbewohner
bei den demonstrationen ermordet unter ihnen ein
zehnjaehriger junge.
in nialin stieg ich in das auto, welches mich
endlich zu meinem ziel 'an nabi saleh' bringen
sollte. noch auf dem weg bekamen wir anrufe, in
bilin war jemand durch ein kleinkalibriges 2,2 mm
geschoss am bein verletzt und in nabi saleh, wo wir
hin wollten waren bereits einige aktivistInnen
verhafet worden.
wie immer sind die verhaftungen von internationalen
und israelischen aktivistInnen in dem kontext zu
sehen, dass dies den versuch der israelischen
besatzung darstellt zeugen zu verhindern, fuer die
gewalt mit der sie die palaestinesischen
dorfbewohner bestrafen fuer ihren protest.
anders als die palaestineser werden wir fast nie
laenger festgehalten, gibt es gegen uns keine
prozesse und verurteilungen, wir fallen unter
'normales recht' eine anklage haette vor einem
'normalen gericht' kaum chancen, da es sich ja um
gewaltfreien protest handelt. so ist es eine reine
einschuechterungsmassnahme (es ist einschuechternd!)
und erfuellt vor allem den zweck uns von diesem ort
zu entfernen, um 'freier' gegen die palaestinesische
bevoelkerung agieren zu koennen.
nabi saleh ist an diesem tag wieder einmal von allen
seiten abgeriegelt, wir lassen unser auto in den
bergen zurueck und kontaktieren verschiedenen\
dorfbewohner um einen ueberblick zu bekommen wo
ueberall soldaten positioniert sind. wir treffen
eine gruppe jungs aus dem dorf in den bergen und
gemeinsam mit ihnen (sie kennen die wege durch ihre
olivenhaine natuerlich sehr viel besser!) brauchen
wir zwar ca 3 stunden erreichen aber letztendlich
das dorf.
die armee ist ueberall im dorf, traenengas erfuellt
strassen und teilweise haeuser, plastikummantelte
stahlkugeln (die sogenannten gummigeschosse)
schwirren durch die luft und dann kommt auch noch
der wasserwerfer.
das 'wasser' ist nicht einfach wasser. eine
eigenartige blaue farbe hat es und einen gestank der
schier unertraeglich ist. ('wie ein toter esel, fuer
ein paar wochen in einer zysterne gelagert') wer
davon beruehrt wird bekommt den gestank mehrere tage
nicht mehr ab, es verursacht kopfschmerzen und
uebelkeit, die chemische zusammensetzung ist uns
nicht bekannt. mehrere haeuser und strassen werden
komplett geduscht, manchmal werden sie so fuer
einige zeit unbewohnbar, auf jeden fall aber werden
die wasservorraete, die in grossen behaeltern auf
dem dach gelagert sind zerstoert.
jetzt ist fruehling, die zeit des regens und das
wasser welches die bewohner erfolgreich auf ihren
daechern gesammelt hatten war nun hin.
der tag endet also hiermit, einigen verletzten, vier
verhafteten israelischen aktivistInnen, einem
internationalen und zwei palaestinesischen. anders
als bei dem internationalen und den israelischen
verhafteten war es wieder einmal schier unmoeglich
den ort und die dauer der verschleppung der beiden
palaestineser herauszufinden. in absolut allen
punkten des lebens sind unsere rechte hier
privilegien, die fuer die eigentliche bevoelkerung
nicht gelten.
die naechsten tage verbringe ich mit freunden und
mit recherchen zur landwirtschaftlichen situation
hier. es ist nicht ganz einfach in dem wirrwarr an
nichtregierungsorganisationen einen faden zu finden,
es gibt kaum eine zentralisierte datenbank zu zahlen
und fakten von land- und wasserraub, verletzten und
toten aus dem landwirtschaftlichen sektor wie mir
scheint.
ich kenne viele berichte der letzten jahre, doch sie
alle einzeln aufzulisten waere sache einer
organisation, eine aufgabe, die ich hier in so
kurzer zeit nicht bewaeltigen kann.
die baeuerlichen gewerkschaften hier sind so
zerplittert, wie die palaestinensische regierung,
wie mir gesagt wird gibt es eine gewerkschaft von
jeder partei und ganz gleich wie mein politisches
herz schlagen mag, ich moechte keine ideologische
einfaerbung von berichten und zahlen. ich werde mich
an diesem wochenende mit zwei groesseren
landwirtschaftlichen nichtregierungsorganisationen
treffen, also an anderer stelle darueber berichten.
waehrend dieser tage tobt in den laendern um uns
herum eine revolution heftiger als die andere.
waehrend die in aegypten fuer die palaestinenser
eine sehr direkte auswirkung haben kann, ist die in
lybien politisch fuer die situation hier nicht so
direkt in ihrem einfluss auf die situation in
palaestina. nichts desto trotz verfolgen wir hier
alle mit schrecken die erreignisse, werden die
stunden gezaehlt bis zu gaddafis ende und dem ende
des massakers welches er gerade in diesem moment an
'seiner' bevoelkerung veruebt.
die doppelmoral des westens wird von allen genau
beobachtet, ist es doch diese doppelmoral die die
zerstoerung des palaestinesischen lebens seit
jahrzehnten zu laesst. die menschen hier haben so
viele bombardierungen, zerstoerungen und
repressionen erlebt, erleben sie noch, fuer das
einfache recht auf ihr recht zu bestehen. und so
fuehlen sie mit den menschen in lybien, algerien,
bahrain, jemen, sudan....
doch die palaestinenser fuehlen und beobachten, sie
trauen sich nicht, die besatzung geht weiter, tag
fuer tag, stunde fuer stunde mit den vielen
kleineren und groesseren invasionen und
erniedrigungen, alltaeglich und ueberall.
'die revolution,' sagt mir ein bauer 'wo soll sie
hier beginnen und gegen wen? gegen die israelische
besatzung, gegen unsere korrupte palaestinesische
authoritaet, die mit ihr kollaboriert, gegen die
siedler, die uns taeglich als gewalttaetige
hooligans angreifen, gegen hamas, gegen fatah? in
der westbank oder in gaza oder auch in isarel 48?'
die politische spaltung der bevoelkerung, die
praktische segregation durch die besatzung machen
jedes agieren schier unmoeglich, so viele fronten
muessten eroeffnet werden, doch die menschen wollen
keine fronten mehr, sie wollen einfach leben.
ob das wunder geschehen wird und das leben kommt
ohne den kampf und die fronten, dass allerdings
glaubt widerum auch niemand.
vorgestern und gestern 22-23.2.:
ich bin in nablus, wir sind wenige aktivistInnen
hier und unsere aufgabe ist es da zu sein, wenn in
einem der vielen doerfer aussenherum etwas passiert.
oder wenn landwirte zur fruehjahrsbestellung auf
ihre felder muessen an orten, wo sie angriffen von
siedlern und soldaten bei ihrer arbeit ausgesetzt
sind. dann pfluegen, saehen und pflanzen wir
gemeinsam mit ihnen, oder im herbst ernten wir.
vorgestern allerdings wurden wir angerufen, da in
burin, einem dorf nahe bei nablus eine horde von
siedlern durch das dorf wuetete. sie sind
ueberzeugte rechte. wie es ihnen beliebt kommen sie
von ihren auf den huegelkuppen tronenden siedlungen
heraus und terrorisieren die dorfbewohner. sie
ziehen durch die felder und doerfer, sie haben
waffen, knueppel, messer, steine.
in den letzten vier wochen sind 3 palaestineser von
ihnen erschossen und erstochen worden. sie zuenden
autos, felder und hunderte jahre alte olivenbaeume
an. sie spruehen erniedrigende graffities an
palaestinensische haeuser.
vorgestern haben sie in burin (einer der drei toten
war ein 17 jaehriger landwirt eben aus diesem dorf
und wurde vor ein wenig mehr als zwei wochen von
siedlern bei seiner arbeit erschossen) 'nur'
gepruegelt und randaliert.
sie haben mit molotowcocktails zwei autos verbrannt,
fuer die familien ein wert den sie selbst nicht
werden ersetzen koennen, sie haben farbbomben gegen
die fenster eines kleinen bauernhofes geworfen.
die israelische armee und polizei tut nichts gegen
die straftaten dieser staatsbuerger. sie stehen
dabei und eskortieren die siedler.
wie so oft konnten wir natuerlich nichts verhindern.
wir kommen am morgen danach (die informationen
erreichen uns zu spaet und wieder sperren die
soldaten die strasse, obwohl internationales recht
sagt, dass die besatzungsmaht verantwortlich fuer
das wohlergehen der besetzten bevoelkerung traegt -
aber internationales recht sagt so vieles...die
dorfbewohner sind also den uebergriffen schutzlos
ausgeliefert.
obwohl es unzaehlige aufnahmen gibt, die die
uebergriffe dokumentieren, die die taeter beim
verueben ihrer taten zeigen, werden die
gewalttaetigen israelischen siedler nie vor gericht
gebracht.
wir koennen also nur dokumentieren, eine baeuerin
ist es leid und sagt es uns auch: 'was werdet ihr
tun? was koennt ihr tun? wir sind alleine, keiner
zahlt uns den schaden, keiner schuetzt uns. sie
erschiessen unsere tiere, unsere jungen.
in den letzten zehn jahren haben wir 16000 unserer
olivenbaeume durch sie verloren.. ihr schreibt euren
bericht und aendert doch nichts an der situation."
wie recht sie hat. ich schaeme mich und denke an die
bewegungslosigkeit und das desinteresse
zuhause.
alles das ein grund, das auch die deutsche regierung
weiterhin die besatzung mit allen mitteln
unterstuetzt und es keinen druck aus unserer
bevoelkerung gibt dies zu verhindern.
die olivenhaine werden oft in der dorfgemeinschaft
gemeinsam gepflegt und verwaltet, die famlie hat
selbst 5 dunum (1 und einen viertel hektar) land von
dem sie ausschliesslich leben.
ihr pech ist es zusaetzlich ausserhalb des dorfes zu
leben, auf einem hang in direktem sichtkontakt
gleich unterhalb der siedlung. so sind sie bei jedem
der uebergriffe die ersten an denen die
randalierenden siedler vorueberkommen. ausserdem
sind sie diesen taeglichen angriffen durch ihre
alleinlage auch sehr alleine ausgesetzt.
der wunderschoene ort, ein frei galoppierendes
fohlen, die herde grasender schafe und ziegen,
zwitschernde spatzen, handbearbeitete kleine felder
und terrassen, mit der jahreszeit ueblichen
leguminosen als nahrung und gruenduengung zwischen
den alten baeumen - alles das kontrastiert in
absurdem kitsch und
idylle gegen die antennen und
wachtuerme der modernen siedlung oberhalb, gegen die
zeichen der verwuestung hinterlassen durch die
siedler.
die einen bauern, wie aus einer vergangenen zeit,
das bild des alten landes in dem milch und honig
flossen und die hochentwickelte technik darueber,
darueber oertlich, rechtlich und in der verteilung
der macht.
seit 1982 existiert die siedlung, seitdem sind die
dorfbewohner diesen unrechtmaessigen angriffen
ausgesetzt. doch sie sind bauern, sie bestellen ihre
felder weiter wie bisher, sie ignorieren die
beleidigungen, durch in die felder geritzte riesige
davidsterne, sie bieten uns tee an waehrend wir
einen weiteren der tausenden berichte ueber ihren
verlust und ihre entrechtung schreiben der nichts,
aber auch gar nichts an ihrer situation aendern
wird.
danach besuchen wir das dorf, besuchen weitere
menschen hoeren weitere berichte der vergangenen
nacht, des unrechts der vergangenen jahre. schreiben
weitere berichte.
eines tages vielleicht werden die tausende berichte
an dem tisch eines internationalen gerichtshofes
eine zuhoererschaft finden.
p/s/wieder einmal versagt die technik und ich kann
euch keine der neuen bilder anhaengen. ihr bekommt
also aeltere aus dem selben dorf, als siedler die
olivenhaine und felder angezuendet haben und baeume
zerstoert.
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