Paula Abrams-Hourani
Rede am Sonntag, 10. Mai 2009, – Protest gegen „
Tel Aviv Beach“ in Wien
Ich möchte alle hier Versammelten um eine
Schweigeminute bitten, um an die in
Gaza eingekesselten und leidenden Menschen zu
denken, an die Opfer der letzten
israelischen Angriffe auf den Gaza-Streifen mit
dem Codenamen „Operation
gegossenes Blei“.
• an die 1.415 Toten und Tausenden von
Verwundeten von Gaza,
• an die Opfer der
illegalen chemischen Waffen, die von der israelischen Armee
in Dezember und Januar dort eingesetzt wurden,
• an die
palästinensischen Opfer der ständigen Abriegelungen, die vom
Staat Israel über die palästinensische Bevölkerung
verhängt worden sind, die eine Ausreise aus Gaza unmöglich machen, um
notwendige medizinische Hilfe zu bekommen und die in der Folge gestorben sind und
weiter sterben.
Denken wir an die Kinder von Gaza – die Hälfte
der Bevölkerung von ca. 1.500.000 Menschen – die unter unmenschlichen Zuständen –
israelischen Bombardierungen, Besatzung, Unterdrückung und Gewalt –
aufwachsen. Denken wir heute an die palästinensischen Kinder in allen besetzten
Gebieten, die auf Grund der israelischen Besatzung traumatisiert sind und ihre Kindheit
nicht ausleben dürfen.
Ich hätte noch viel zu Gaza und seinen Menschen
zu sagen. Heute allerdings will ich von Tel Aviv sprechen, die Stadt, die von der
Stadt Wien mit dem gegenüberliegenden Strand geehrt wird.
Der Monat Mai ist für Palästinenser und Israeli
ein wichtiger Monat, denn im Mai 1948 wurde der Staat Israel auf 78% des
ursprünglichen palästinensischen Bodens gegründet. Schon voriges Jahr gab es viele
Protestbriefe und Artikel zum Thema „60 Jahre Israel“, die betitelt wurden: „Kein Grund
zum Feiern“.
Und heuer? Nach den Kriegsverbrechen in Gaza – was wäre die Meinung
dieser Menschen heute?
Diesen Monat erinnern wir uns an die Nakba, die
vor 61 Jahren stattgefunden hat. Wir erinnern uns der 750,000 Palästinenser, die
1948 durch Massaker und Krieg vertrieben wurden, gezwungen ihr Land, Hab und
Gut zu verlassen. An die Flüchtlinge, denen von Israel bis heute nicht
erlaubt ist, in ihr Land und zu ihren Häusern zurückzukehren, obwohl das eine
Bedingung der UNO für die Gründung des Staates Israel war – nämlich: Das Recht auf
Rückkehr.
Wir denken an die 150.000 Palästinenser, die in dem Teil von Palästina
geblieben sind, der am 15. Mai 1948
Israel geworden ist; tausende wurden Flüchtlinge
im eigenen Land. Wir denken an die über 500 palästinensischen Dörfer, die
während der Nakba und auch später zerstört wurden.
Wir erinnern uns heute der Geschichte der Stadt
Tel Aviv und der ethnischen Säuberungen, die dort im Jahre 1948
stattgefunden haben, an die Zerstörung von palästinensischen Häusern und Besitztum in der
einmal florierenden palästinensischen Stadt Jaffa, die noch heute
andauert und von keinem unserer Medien erwähnt wird.
Im Jahre 1909 haben sich 66 jüdische Familien an
einem Strand nördlich von Jaffa versammelt um an einer Verlosung von
Landparzellen, auf denen die ersten Häuser gebaut wurden, teilzunehmen. Einige Monate
später – im Jahre 1910 – wurde diese Ausweitung des Hafens von Jaffa Tel Aviv
genannt. Tel Aviv weitete sich aus auf Kosten palästinensisch-arabischer Dörfer. Ein
Teil dieser Stadt steht auf dem Boden von im Jahre 1948 zerstörten Dörfern, deren
Bevölkerung der ethnischen Säuberung zum Opfer fiel.
Das Dorf Scheich Munis: Im Jahre 1944 gab es
dort 273 Häuser, 1.930 Einwohner, Landwirtschaft, Plantagen. Im März
1948 wurde dieses Dorf von jüdischen terroristischen Milizen – den „Lechi“
(sogenannte „Stern Gang“) eingenommen, deren Führer der spätere
israelische Premierminister Yitzhak Shamir war.
Die Einwohner wurden vertrieben und das
Dorf von jüdischen Einwandererfamilien besetzt. Heute steht auf
diesem Grund die Universität von Tel Aviv und das elegante Wohnviertel Ramat Aviv.
Der Fakultäts-Club der Universität Tel Aviv wird
„das Grüne Haus“ genannt. Vor 1948 war dieses Gebäude das Haus des
Bürgermeisters des Dorfes Scheich Munis, aber diese Tatsache wird an der Universität
nicht erwähnt. Nach Ilan Pappe ist „das Grüne Haus“ der Inbegriff der Verdrängung des
zionistischen Meisterplans für die ethnische Säuberung Palästinas, die in Tel Aviv
im Roten Haus in der Yarkon Strasse finalisiert wurde. Erhalten ist noch die Baalbek
Moschee.
Heute befinden sich dort das Dolphinarium, Hotels, Büros und das Museum
der „Irgun“.
Das Dorf Mantekat Al-Sayadin war ein
Fischerdorf an der Mündung des Jarkon Flusses, im Norden Tel Avivs. Es wurde 1948
zerstört und die Bewohner vertrieben. Heute steht dort ein Kraftwerk.
In der Nähe,
nördlich des Hafens von Tel Aviv, lebte der Beduinenstamm Abu Jabne, der ebenfalls
vertrieben worden ist.
Weitere damals zerstörte Orte:
Das Dorf Samayl: 1870 zum ersten Mal
erwähnt. Es gab 187 Häuser, 850 Einwohner, Plantagen, Viehzucht, Handwerk. In
März 1948 wurde Samayl von der Haganah, der Vorläuferin der israelischen Armee,
geräumt, die Bewohner vertrieben.
Heute steht auf diesem Grund des Arlosoroff/Ibn
Gvirol Viertel. Das Dorf Jammasin al-Gharbi war bereits 1596
in osmanischen Grundbüchern registriert. Im 18 Jahrhundert gründeten
Beduinen aus dem Jordantal das Dorf neu.
Es gab Plantagen und Büffelzucht. Im Januar 1948
wurden die Einwohner von der Haganah vertrieben. Dieses Dorf lag im Nordosten
Tel Avivs im Bavli Viertel.
Das Dorf Salama wird schon im 16.
Jahrhundert erwähnt. Im Jahr 1944 lebten hier 6.670 Einwohner. Aufgrund des Widerstandes 1948
wurde Salama bombadiert, die Bewohner vertrieben, die übrig gebliebenen
Häuser von jüdischen Familien besetzt. Das Dorf stand südlich vom heutigen Givatayim
und die Ruinen sind heute noch zu sehen.
Das Dorf Al Manshiya bestand Anfang des 19.
Jahrhunderts als ethnisch und religiös gemischtes Viertel. Dort befand sich
das erste jüdische Spital. Im Jahre 1948 wurde dieser Ort besetzt und von der
irregulären rechtsradikalen Miliz, der „Irgun“, zerstört, deren Führer der spätere
Premierminister Menachem Begin war.
Die palästinensisch-arabischen Einwohner wurden
vertrieben. Erhalten ist noch die Baalbek Moschee. Heute befinden sich dort das Dolphinarium, Hotels, Büros und das Museum der „Irgun“.
Das Dorf Mantekat Al-Sayadin war ein
Fischerdorf an der Mündung des Jarkon Flusses, im Norden Tel Avivs. Es wurde 1948
zerstört und die Bewohner vertrieben. Heute steht dort ein Kraftwerk. In der Nähe,
nördlich des Hafens von Tel Aviv, lebte der Beduinenstamm Abu Jabne, der ebenfalls
vertrieben worden ist.
Die hier Versammelten protestieren heute nicht
nur wegen der Kriegsverbrechen, die viele Jahre gegen die im Gaza-Streifen
eingeschlossenen Menschen stattgefunden haben, Opfer von unvorstellbarer Unterdrückung,
die von der israelischen Regierung, durch die Armee und jüdische Siedler ausgeführt
wurde.
Wir protestieren auch gegen das Stillschweigen,
die Feigheit, den Opportunismus der Politiker der internationalen Gemeinschaft
bezüglich einer Verurteilung dieser Verbrechen.
Wir protestieren gegen die doppelten
Maßstäbe, die für Israelis und Palästinenser gelten: zum Beispiel was die neu
gewählte rechtsextremistische Regierung Israels betrifft. Sie wird weder
boykottiert, noch leidet sie unter Sanktionen.
Die Stadt Wien bietet uns an, Tel Aviv als eine
Vergnügungsstätte zu betrachten und nicht als Hauptstadt des Staates, der
Kriegsverbrechen durch die Militäraggression in Gaza vor nur wenigen Monaten begangen hat.
Besatzung, Zerstörung und Unterdrückung in den
besetzten Gebieten halten an. Die Menschen in Gaza leben immer noch in Ruinen und
entbehren wichtigste Lebensnotwendigkeiten, trotz der
Spenderkonferenz, die vor einigen Monaten stattgefunden hat. So viel ich weiß, ist kein
Geld für den Wiederaufbau bis jetzt freigegeben worden.
Es ist unerlässlich für die Zivilgesellschaft
durch Boykott, Investitionsstopp und Sanktionen gegen dieses Unrecht zu protestieren
– so lange zu protestieren bis auch Palästinenser die Rechte erhalten, wie sie allen
Menschen dieser Erde zugestanden werden müssen – die Rechte auf Selbstbestimmung
und Freiheit.
Wir werden die Menschen in Gaza nicht vergessen und sagen:
Gaza muss leben!