Eure Magnifizenz,
sehr geehrter Herr Professor Dr. Winckler:
Ich habe den von Dr. Ruth Contreras und Dr.
Wolfgang Neugebauer an Sie adressierten Brief bezüglich des
Vortrags, den Professor Norman Finkelstein an der Universität
halten sollte, gelesen und nehme an, dass dieser Brief und
möglicherweise einige andere von der pro-israelischen Lobby in
Wien verfasste Schreiben ähnlichen Inhalts der Grund für die
Rückgängigmachung der Reservierung des Hörsaal C1 im
Universitätscampus (Altes AKH) für den 27. Mai 2009 war. Diese
Entscheidung wurde ungeachtet der Tatsache getroffen, dass
bereits ein Vertrag abgeschlossen und die Zahlung erfolgt war.
Als Mitglied von zwei jener Gruppen, die
diesen Vortrag von einem der anerkannten, renommierten
US-amerikanischen Politikwissenschafter auf dem Gebiet des
israelisch-palästinensischen Konflikts gesponsert haben, bin ich
über die Entscheidung der Universität Wien schockiert, diese
akademische Debatte zu unterbinden und die Meinungsfreiheit
aufgrund des durch die pro-israelische Lobby in Wien ausgeübten
Drucks zu verhindern.
Es ist genau diese Taktik, die Norman
Finkelstein in seinem Buch „Antisemitismus als politische Waffe:
Israel, Amerika und der Missbrauch der Geschichte“ („Beyond
Chutzpah: The Misuse of Anti-Semitism and Abuse of History“)
beschreibt und erinnert an die skandalöse Absage des in der
Freud-Gesellschaft geplanten Vortrags des prominenten
palästinensischen Intellektuellen Edward Said, der über Freuds
Einfluss außerhalb Europas sprechen sollte.
Es wurde nicht nur Druck auf die Universität
ausgeübt, um Professor Finkelstein daran zu hindern, über ein
Thema zu sprechen, das für den Weltfrieden von größter Bedeutung
ist: über den palästinensisch-israelischen Konflikt oder,
genauer gesagt, die Besetzung der palästinensischen Gebiete
durch Israel, ein Konflikt, der seit Jahren die Schlagzeilen
beherrscht, besonders während der Gaza-Offensive letzten
Dezember und Jänner und im Libanon 2006. Professor Finkelstein
wurde überdies in dem erwähnten Brief mit der Formulierung „der
jüdische David Irving“ diffamiert und beleidigt.
Professor Finkelsteins Buch „Antisemitismus
als politische Waffe“ wurde von wirklichen Experten, unter denen
einige Juden und jüdisch-israelische Wissenschafter sind, in
höchsten Tönen gelobt.
Um nur einige zu zitieren (aus dem Englischen
wiedergegeben): „Antisemitismus als politische Waffe: Israel,
Amerika und der Missbrauch der Geschichte“ ist das umfassendste,
systematischste und best-dokumentierte Werk auf diesem Gebiet.
Es ist einer der kritischsten, rationalen und nicht-emotionalen
Texte über den Alltag unter der Besatzung und den Bau
israelischer Siedlungen in den palästinensischen Gebieten und
zeigt in brillanter Weise, wie und warum jene, die Israel blind
verteidigen und deren Argumente auf falschen Fakten und Zahlen
beruhen, ihrer Sache mehr Schaden zufügen als sie ihr nützen.“
Baruch Kimmerling, George S. Wise Professor für Soziologie,
Hebrew University, Jerusalem)
„Eine mutiges, kühnes und sorgfältig
recherchiertes Buch. Ein Muss für jeden, der sich für einen
gerechten und andauernden Frieden im Nahen Osten engagiert.“ Amy
Goodman, Democracy Now, Gewinnerin des Right Livelihood Award
2008 (Alternativer Nobelpreis).
„Antisemitismus als politische Waffe“ ist
eine brillante, aufschlussreiche Analyse, die aufzeigt, wie weit
einige amerikanische Juden im Bestreben, Israel positiv
darzustellen, gehen. Hier zeigen sich alle hervorragenden
Eigenschaften, für die Finkelstein mittlerweile bekannt ist:
Gelehrsamkeit, Originalität, ein sprühender Geist, sorgfältiger
Umgang mit Detailfragen, intellektuelle Integrität, Mut und
hervorragende juristische Kenntnisse
“
Sara Roy, Senior Research Scholar, Centre for Middle Eastern
Studies, Harvard University.
„Ein hochwissenschaftliches Werk. Finkelstein
hat seine Hausaufgaben erledigt und hat dabei unter großem
Einsatz eine atemberaubende Bandbreite von Materialien
herangezogen: Primärquellen und Dokumente, wissenschaftliche
Arbeiten, alte und neue Berichte, relevante Korrespondenz und
zahlreiche andere Quellen.“ Mouin Rabbani, Contributing Editor,
Middle East Report.
„Ein sehr solides, wichtiges und höchst
informatives Buch. Norman Finkelstein bietet zahlreiche Details
und eine Analyse mit beachtenswerter historischer Tiefe und
professioneller Recherche, die sich auf eine große Bandbreite
von Themen im Zusammenhang mit Israel, den Palästinensern und
den USA erstreckt.“ Noam Chomsky, Institute Professor,
Massachusetts Institute of Technology.
Dr. Contreras und Dr. Neugebauer waren über
Professor Finkelsteins Kritik an Benny Morris und Alan
Dershowitz aufgebracht. Man sollte an dieser Stelle daran
erinnern, dass Benny Morris, der einer der bewunderten „neuen
israelischen Historiker“ war, in den letzten zwei Jahren zwei
kontroverse und schockierende Interviews gegeben hat. In einem
stellte er fest, dass die Juden in Israel, sogar innerhalb der
Grenzen von 1967, aufgrund der demographischen Entwicklung eines
Tages in der Minderheit sein würden. Die radikale Lösung, die er
unterstützen würde, um dieser „demographischen Bedrohung“ – ein
Ausdruck, der natürlich rassistisch ist – zu begegnen, wäre der
„Transfer“ der arabischen Bevölkerung.
Diese Lösung wurde bisher nur von den
rechtsextremen Stimmen in Israel, wie Meir Kahane, dessen Partei
in Israel vor Jahren verboten wurde, befürwortet. Mit dem neuen
israelischen Außenminister Avigdor Lieberman, der offen den
„Transfer“ (bzw. die Deportation) der palästinensischen Israelis
gefordert hat, ist Kahane, beziehungsweise seine Ideologie,
wieder salonfähig geworden.
Das zweite Interview erschien in der New York
Times im Juli 2008: Der erste Satz lautet: „Israel wird ziemlich
sicher die nuklearen Einrichtungen im Iran in den nächsten vier
bis sieben Monaten angreifen – und die politische Führung in
Washington und sogar in Teheran sollten hoffen, dass der Angriff
erfolgreich genug sein wird, um zumindest eine signifikante
Verzögerung im iranischen Programm zu bewirken, wenn schon keine
völlige Zerstörung des nuklearen Programms dieses Landes....
Aber sollte Israels konventioneller Angriff nicht in der Lage
sein, dem iranischen Programm einen schweren Schlag zu versetzen
oder es aufzuhalten, wird der israelisch-iranische Konflikt
höchstwahrscheinlich in Form eines nuklearen Krieges ausgetragen
werden... .“ Morris fügte hinzu, dass Israel sogar sein eigenes
Atomwaffenarsenal gegen den Iran einsetzen könnte.
Benny Morris war ein Gast bei einem von der
Gruppe „Stop the Bomb“ organisierten Symposium, das letztes Jahr
an der Universität Wien stattfand und an dem auch die selben
„Scholars for Middle East Peace“, die im erwähnten Brief von Dr.
Contreras vertreten werden, teilnahmen.
Was Alan Dershowitz anbelangt, so hat er vor
einigen Jahren viele Menschen durch seine Unterstützung von
Foltermethoden bei der Befragung von Verdächtigen schockiert,
was man wohl nicht von einem Professor der Universität Harvard
erwarten würde. Dershowitz ist der Verfasser des Buches „The
Case for Israel“, dessen Zuverlässigkeit von Norman Finkelstein
in Frage gestellt wurde.
Er war einer der Verteidiger im bekannten und
kontroversen Fall O. J. Simpson und davor im Mordfall Claus von
Bülow.
Finkelsteins Kritik an diesen beiden Personen
spricht aufgrund dieser Tatsachen wohl eher für ihn.
Abschließend möchte ich feststellen, dass die
Weigerung der Universität Wien, Professor Finkelstein zu
gestatten, einen Vortrag zu halten, eine Schande für die
Freiheit der Wissenschaft, Meinungsfreiheit und die Reputation
der Universität darstellt. Darf ehrliche Kritik an Israels
massiven Menschenrechtsverletzungen verboten werden?
Darf Israel für Verbrechen, die es in den
besetzten Gebieten begeht und die als Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet wurden, Immunität
in Anspruch nehmen, nur weil Österreich aufgrund seiner
Verantwortung für die Gräuel des Nazi-Regimes Schuldgefühle hat?
Außerdem ist es nicht einzusehen, dass wir
Juden, die wir Israels Taten und seiner Politik kritisch
gegenüberstehen mit dem Ziel, andere glauben zu machen, alle
Juden seien mit Israels Politik einverstanden, mundtot gemacht
werden sollen.
Viele von uns sind der Meinung, dass dieses
Verhalten erst recht zu einer Zunahme des Antisemitismus führen
wird. Die Schwäche der Universität Wien in dieser Angelegenheit
betrachte ich als beschämend.
Mit freundlichem Gruß,
Paula Abrams-Hourani
Gründungsmitglied, Jüdische Stimme für gerechten Frieden in
Nahost
(Österreich)