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Wieder Sehen nach 2 Jahren:
Unfrieden bei anhaltender Besatzung ohne Gerechtigkeit
Subjektive, einseitige und
parteiliche Eindrücke von der Begegnungsfahrt Pax Christi/IPPNW
nach Palästina und Israel in der Zeit vom 18. bis 30.
September 2016
Dr. Eva Renate Marx-Mollière
Es ist – wie erwartet - eine eher
kleine Gruppe, angesichts der aktuellen politischen
Verhältnisse, die sich im Sommer 2016 in Frankfurt am Main
trifft. Denn man weiss ja nicht, wie gefährlich es jetzt ist.
Ob wir in der Rolle der teilnehmenden Beobachter bleiben können
oder ob Misstrauen, Wut und Verzweiflung Tränengas, Messer und
Schüsse auch unsere Seelen und Körper treffen werden.
Also wird es ein eher stilles,
ernstes Treffen der Reiseteilnehmer, die neben ihrer Neugier und
ihrem Wunsch nach eigenen Augenblicken eine Gemeinsamkeit haben.
Die so häufig ausgedrückte Haltung aus dem sozialen Umfeld:
Müsst Ihr ausgerechnet jetzt
da hin? Ja, erst
jetzt und jetzt erst recht
Am Morgen des Abreisetages sitzt
der frühere ARD Nahost- Korrespondent Richard C. Schneider in
München am Gate und fliegt mit uns nach Tel Aviv. Nach
reiflicher Vorbereitung erreichen anschließend am 18. September
alle Teilnehmer den Ben Gurion-Flughafen . Neben mir im Flugzeug
und auch in der Warteschlange einer unserer Reiseleiter, dessen
Mitgliedschaft bei Pax Christi und der Erklärung des
Weltkirchenrates vom 14.9.16 zu mehrfacher Befragung und
Rücktransport nach Frankfurt führt. Man hat ihn der Lüge
bezichtigt und grundsätzlich alle Reiseversuche in der Zukunft
in Frage gestellt. Das ist ein Upgrade gegenüber anderen
Reisenden, „Willkommen in der einzigen Demokratie des Nahen
Ostens“-
Also, wie wir uns wiederholt
überzeugen können werden, keine Ausnahme. Das wird uns in Israel
immer wieder begegnen, die Gegner-/Feindesvermutung. In den
besetzten palästinensischen Gebieten sieht es in der Regel
anders aus. Hier gilt die Freundesvermutung. Even the feelings
are apart......
Wir brauchen noch nicht einmal die
neueste Karte von ARIJ zu sehen. Rund um den Flughafen fällt
auf, dass nicht auf allen Schildern die Bezeichnung in der 2.
Amtssprache Arabisch vorhanden ist. Zudem sind einige Orte
nicht korrekt arabisch geschrieben, aber wer merkt das schon in
Israel ? Wir fahren an palästinensischen Dörfern vorbei, die
nicht an die Strasse angeschlossen sind oder deren Zufahrt
blockiert ist. Wir haben ja kein Problem mit unserem yellow
plate (israelisches Kennzeichen), die Dorfbewohner haben ein
green plate (palästinensisches Kennzeichen), das berechtigt hier
zu nichts. Unser highway ist nur für yellow
plate-Fahrzeuge The colours cause being apart, on- oder
offroad. Das erscheint einzigartig auf der ganzen Welt:
für verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Strassen.
Nur die echten newcomer staunen darüber. Die Herrschenden
sollen Vorfahrt haben. Antisemitische Infrastruktur, die sich
gegen die Alltagsbedürfnisse des semitischen Volkes der
Palästinenser richtet.
Das Strassennetz lässt es
erfahren: who is a part and who is beeing apart ?
In der Abenddämmerung und
schließlich Dunkelheit fallen die Checkpoints nicht unbedingt
auf, der yellow plate Bus fährt durch.
Gut zu sehen sind die zahlreichen
Städte auf den Hügelkämmen, helles Gestein und rote Ziegeldächer
und Zufahrtstrassen. Zugleich die älter, zum Teil auch
schmuddelig aussehenden Häuser mit den Wassertanks auf den
Dächern. Immer wieder nur teilweise zu sehen wegen der Mauer.
Die sieht aber gar nicht so hoch aus. ;Manchmal ist sie gar
nicht zu sehen, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie grün
bemalt ist und die davor angepflanzten Bäume gut wachsen. Die
Erdaufschüttung auf dieser Seite tut ein Übriges: manchmal
verschwindet die Mauer nahezu aus dem Blickfeld.
Die Mauer des Nichtsehens, des
Nichtwissens. Sie verbirgt Menschen voreinander und
Lebensverhältnisse und dient der emotionalen Gewissheit in
einem guten Land zu leben. Also denjenigen, die nicht in die
Zone A dürfen. Das sind die israelischen Staatsbürger.
Früher stand auf den roten Schildern: „It is
life threatening for Israelian Citizens and forbidden by law“,
jetzt findet sich hier folgende Erklärung: „This road leads to
Palestinian Village. The entrance for Israeli Citizens is
dangerous“
Ja das stimmt. Was passiert, wenn
das Erleben von Besatzung und Menschen unterschiedlicher
Lebensberechtigung aus dem Bewusststein nicht mehr verdrängt
werden kann?
This is dangerous for Israeli citizens ......and especially
dangerous for the Israelian Government..
Living apart without awareness of
reality, also ein getrenntes Leben ohne Wahrnehmung der
vollständigen Realität betrügt alle und versagt allen die
lebensnotwendige tägliche Empathie, ohne die auch die eigene
Seele, das eigene Leben und die Werte der Religion und
Menschlichkeit verkümmern.
Aber da gibt es noch
Entwicklungsmöglichkeiten:
Wer Menschen unsichtbar macht,
benötigt noch nicht einmal mehr ein Feindbild. Nur unter dieser
Voraussetzung ist die Umkehr vom Besatzer zum schützenswerten
Opfer so umfassend möglich. Die Exklusivstrassen, Wasser – und
Stromleitungen wurden schon früher in allen Kolonien gezogen
und sollten vor den Eingeborenen schützen. Mit dem Ziel der
Deportation der Eingeborenen fällt auch die Notwendigkeit weg,
Wege der Zwangs-“integration“ zu erschließen.
Zochrot in Tel Aviv setzt sich für
den Kampf gegen das Unsichtbarmachen der gewesenen
palästinensischen Dörfer ein, die jetzt auch mit der Nakba –App
gefunden werden können. Zochrot versucht also, das Handeln, das
Verschwinden der Dörfer der Palästinenser „zugunsten“
Naturschutz, Freizeitanlagen oder neuer Städte mit hebräischen
Namen, transparent zu machen. Die Organisation steht auch auf
der Zielliste des NGO-Gesetzes, dem sogenannten Transparency
Law, dass letztendlich zum Verbot aller Institutionen führen
soll, die mit Mitteln aus dem Ausland unterstützt werden.
Schade, dass dieses nicht für Benjamin Netanjahu und seinen
großzügigen Unterstützer Sheldon Adelson gilt, der zudem auch
noch Teile der israelischen Presse kaufte.
Das ist doch eine
Weiterentwicklung und geht weit über das traditionelle „Lernen
aus der Geschichte“ hinaus. Und unter dieser Voraussetzung kann
doch auch das vorübergehende Eingemauert werden und Parzellieren
im Kauf genommen werden. Die von google maps bereits getilgten
Mauern lassen Erez Israel schon einmal virtuell erscheinen.
Das Ziel wird also schon in optisch greifbare Nähe gerückt.
Das Ziel all derer, die an die Apartheid glauben und die
Berechtigung, durch unterschiedliche Rechtssysteme und auf der
Grundlage zahlreicher Brüche des Völkerrechts Unrecht,
Ungleichheit und Unmenschlichkeit legalisieren zu können. Das
großdeutsche Unrechtsystem als Export mit upgrade. Ein weiteres
Alleinstellungsmerkmal.
In Ostjerusalem ist das Paulushaus
gegenüber vom Damaskustor eine Oase, um sich zu beruhigen
.Innen kann man sich sehr geschützt fühlen , auch wenn von der
Dachterrasse die rennenden Soldaten, Einsatzfahrzeuge und
Kontrollen und Strassensperren zu sehen sind. Morgens die
Schulkinder und gegenüber der Stadtmauer die Läden der
Palästinenser. Ein Nachtgang, vorbei an den Soldaten durch das
Damaskustor. Leere Gassen, kaum Menschen unterwegs. Aber diese
sind umso dankbarer über einen Kontakt: „Es ist gut, dass Ihr
zu uns kommt. Wir haben hier doch keine Zukunft und es wird
immer schlimmer. Wir brauchen auch Eure Hilfe, lasst Alle
wissen, was hier geschieht“ Diese Gedanken werden in den
nächsten 2 Wochen immer wieder ausgesprochen, unabhängig vom
Alter, unabhängig vom Geschlecht, unabhängig vom Glauben, aber
abhängig davon , unter der Besatzung leben zu müssen.
Lebensunwertes Leben ? Nicht
geschätzt, begrenzt, tägliche Erlebnisse von Selektion und
Diskriminierung. Nicht registriert ohne Wohnrecht in der
Familie, ohne Medizinische Versorgung und ohne Zugang zu
Bildung, Ob in Ostjerusalem, oder in den nach 1948 nicht
registrierten 6 Dörfern bei Qalqilya. Wer amtlich verschwiegen
wird, lebt nicht im Bewusstsein anderer, d.h. er spielt keinen
schlechten Part, er spielt gar keinen. Er ist kein Teil einer
Gesellschaft, den es zu schützen gilt. Details dazu liefert uns
St. Yves in Jerusalem sowie Hillel Schenker und sein
palästinensischer Kollege vom Palestinian Israel Journal.
Gleich am nächsten Tag kommen auch
wir in den Genuss einer Kollektivstrafe. Nach einem
Messerangriff am Damaskustor müssen die Läden rund um das
Paulushaus und die Nablus Road schießen. Es werden auch Strassen
gesperrt. Deswegen folgt die Tour mit ICAHD (Israelian Comittee
agiainst House Demolitions) heute einer anderen Route.
Ein Paradox: es wachsen die Mauern
und zugleich sinken die Hemmschwellen: da müssen sich
beispielsweise Erwachsene, Frauen und Männer am Checkpoint
nackt ausziehen, „weil der Metalldetektor gepiepst hat „ . Oder
wir lauschen dem Bericht eines 60 Jährigen Mannes, dem die
Maschinenpistole erst an den Kopf und dann auf den Brustkorb
gehalten wurde zusammen mit dem einmaligen Angebot, auswählen zu
dürfen, wie er erschossen werden möchte. Wer die Qual hat, hat
die Wahl.
Eines von vielen Erlebnissen: da
laufen Kinder herum mit Maschinengewehren, d.h. ganz junge
Soldaten in Jerusalem, die durchaus ängstlich aussehen und
deren Akne noch nicht abgeklungen ist. Die z.B. in der
Strassenbahn sitzen. Maschinengewehr auf dem Schoß, der Lauf ist
auf die Fahrgäste gerichtet und sie daddeln auf ihren
Smartphones. Zyniker könnten denken, was wird hier gespielt ?
Palestinian go? Arabs go ? Oder doch nur Pokemon go?
Mann muss sich nicht verstecken,
auch nicht in Hebron / Al Khalil. Hier erleben wir ganz auf das
Individuum abgestimmte Kommunikation am Ausgang der Shuhada –
Strasse: Zu uns Deutschen: „Wellcome to Israel, enjoy your stay
„und mit einer Pause von weniger von einer Sekunde zu unseren
palästinensischen Begleitern: „bullshit“.
Das bezeichnet man im Fußball als
schnelles Umschalten . Die IDF hat offensichtlich ein gutes
Trainingsprogramm.
Vielleicht war ja auch Folgendes
eine Übung oder der Versuch, die Langweile zu vertreiben: In
Jerusalem ergreifen sich 4 Soldaten vor dem Österreichischen
Hospiz in der Nachmittagssonne 4 Palästinenser ohne jeglichen
Anlass. Die Soldatin schaut zu. Das Spiel läuft folgendermaßen
ab. Jeweils 3 Palästinenser werden in Schach gehalten, einer
mit dem Gesicht an die Mauer gedrückt, abgetastet, ein Arm auf
dem Rücken verdreht, dann wird der Hosengürtel abgezogen, die
Hose geöffnet und vorne hineingegriffen. Das einzig Tröstliche
ist der wortreiche Protest der Betroffenen und der Umstehenden.
Und anschließend gehen die Soldaten wieder zur Tagesordnung
über. Eine öffentliche Reihenuntersuchung. Soll immer wieder
vorkommen, höre ich auf Nachfrage, es sei alltäglich.
Das passt gut zusammen: die
Informationen von ARIJ inklusive der kartografischen Abbildung
aller settlements, checkpoints, Mauern und Zäune und Strassen
mit unterschiedlicher Zugangsberechtigung. Bei dieser
anschaulichen Botschaft kann man sprachlos sein oder werden.
Das passt gut zusammen mit der
Erkundungsfahrt und dem Landgang mit dem Hydrogeologen Clemens
Messerschmidt. Hier trafen wir in Salfit den Bürgermeister und
die Wasseringenieure, in der Stadt, die über einem grossen
Grundwasserreservoir liegt, dass aber nur die Siedlungsstädte
nutzen dürfen. Die Gemeinde muss ihr Wasser von israelischen
Wassergesellschaft kaufen und ihr wurde letzten Sommer für
mehrere Tage der Hahn komplett zugedreht ohne Vorankündigung,
eine tödliche Massnahme, um die neuen Anpflanzungen aus den
Siedlungen zu bewässern. Settlers life matters, settlers
plants first… Auch der Bericht über die Wassersituation in der
Westbank war potentiell tödlich. Markus Rösch vom Bayerischen
Rundfunk als Korrespondent in Israel erhielt Morddrohungen nach
seinem Bericht zur Wassersituation in den Tagesthemen.
Fast überall sind mehr Männer als
Frauen und in der Regel fast nur Jungen auf der Straße. Aber in
Qalqilya treffe ich Rima an der Mauer, dem wahrscheinlichsten
Treffpunkt in der Stadt, die zu 7/8 von Mauern umgeben ist.
Ismuki wa min ayna anti ? fragt sie, ismi Renate ana min
Almanya, wa anti ? Ismi Rima, ana min Falastin – sie strahlt.
Ein stolzes Bekenntnis aus einem Gesicht mit strahlenden Augen.
vor der Mauer. Ich heiße Rima, ich bin aus Palästina.
Wie viele ihrer Gleichaltrigen in
Israel wissen, wo Palästina liegt? Rima weiss jedenfalls wo es
aufhört. Das ist nicht zu übersehen, Ihr werden jeden Tag
Grenzen gesetzt. Ein Blick aus dem Fenster reicht. Zum Glück
wohnt sie nicht ganz oben. Nachbarn ist es untersagt worden,
dass Obergeschoß und das Dach zu betreten. Das sei sicherer für
Israel .
Qalqilya, von hier aus sind es
ungefähr12 km bis zum Strand von Jaffa und Tel Aviv, aber das
Meer bleibt unerreichbar, denn den Einwohnern ist die Fahrt
dorthin nicht gestattet. Vom Schwimmen träumen und Wasser
sparen im Alltag. Nur von hier sichtbar, die Skyline von Tel
Aviv. Nicht gehen können, nicht schwimmen können, nicht fliegen
dürfen- schon gar nicht vom Ben Gurion Flughafen. Es ist ja
schon schwer genug, regelmäßig die eigenen Äcker zu erreichen.
Wir stehen an einem Checkpoint. 2 x 45 Minuten Öffnungszeit pro
Tag, aber nur, wenn die Soldaten kommen.
Und das muss man täglich sehen.
Qalqilya, eng, staubig, aber immerhin noch besser als die 6
1948 nicht registrierten palästinensischen Dörfer, die deswegen
als illegal gelten, Ohne Zugang zu Gesundheitsversorgung,
Bildung, Hilfen im Notfall. Die Begleiterin berichtet von einem
Brand, der nicht gelöscht werden konnte. Die Feuerwehr aus der
nahe gelegenen Siedlung kam nicht zu Hilfe. Eine kleine
Endlösung der Palästinafrage vor Ort ?
Qalqilya, Rima und unsere
Begleiterin- unvergessen am Strand von Jaffa und Tel Aviv.
Hier glitzert die Sonne im Meer. Die schönen Reichen sitzen im
Edelrestaurant , Die Sonne wärmt und Gil (chief bay watch
maintenance) in seinem Container bietet seine erste Hilfe
an mit 5 Sterne- Qualität am Strand: 2 leuchtende Augen, ein
herzliches Lachen, die Spaghetti und Tahini, das Angebot „always
cordially wellcome at my restaurant“ zusammen mit einem
wunderschönen Bild vom Meer , das er mir später auf dem Handy
noch hinterherschickt , Abends im Bus auf der Rückfahrt nach
Jerusalem. Ob Gil am Rettungsversuch von Hasan Hourani beteiligt
war, dem Dorit Rabinyan einen Teil ihres Lebens und ein Buch
gewidmet hat?
Tel Aviv :Die Schönen und Reichen
sitzen im Edelrestaurant, die Armen, die Gefolterten aus den
Camps im Sinai , die ohne Krankenversicherung sitzen im
Wartebereich der Clinic der Physicians of Human Rights . Hier
läuft im besten Fall eine Grundversorgung. Aber was ist bei
chronischen Erkrankungen, z.B. Diabetes, Niereninsuffizienz mit
Dialysebedarf , was bei einer Krebserkrankung ? Da geht es den
Menschen hier ähnlich wie den krebskranken Frauen im Breast
Cancer Center in Ramallah. Keine Chemotherapie , keine
Bestrahlung. Diese scheitert in Tel Aviv jedoch nicht an der
Auffassung, die Isotopen würden zur Bombenproduktion genutzt.
Aber es gibt Gemeinsamkeiten: Die Zugehörigkeit zu einer
Bevölkerungsgruppe entscheidet über Zugang zum Überleben oder
Zugang zum Tod. Selektion auf der Grundlage rassischer
,nationaler und Religionszugehörigkeits-Kriterien (ohne Rampen
und Eisenbahngleise.)
Physisches Leben und Überleben,
untrennbar verbunden mit der Seele und der gelebten Zuneigung.
Auch hier geplante Zersetzung durch das Militär, wie ein Rechtsanwalt von Military Court Watch berichtet:
Ausspielen von Familien in den palästinensischen Dörfern, indem
unterschiedlich permits an verschiedene Familien im gleichen
Dorf gegeben werden. Aber es geht auch anders, wie wir hören. Da
wird ein beliebter Mann aus dem Dorf nachts überfallartig von
den Soldaten aus dem Dorf abgeholt. Für 48 Stunden mitgenommen,
verpflegt, Kein Gespräch und kein Verhör. Aber zur besten
Tageszeit wieder Rücktransport mit überschwänglichen
Dankesbezeugungen gegenüber dem Entführten in der Öffentlichkeit
der Dorfbevölkerung. Die gezielte Zerstörung von Vertrauen mit
der Induzierung des sozialen Flächenbrandes. Mission completed
auch ohne Blockwart. Ob die Soldaten zufrieden mit ihrem
„Erfolg“ sind?
Die Betrachtung aus religiöser
Sicht wird uns auch nahegebracht durch Arik Ashermann, bis vor
kurzem Senior President der Rabbis for Human Rights. Er hat das
Amt inzwischen aufgegeben und eine neue Organisation gegründet,
die vor allen Dingen das Miteinander leben mit allen Bewohnern
des Landes und den Kampf gegen die Menschenrechtsverletzungen
gegenüber den Palästinensern, Bedouinen und Flüchtlingen im
Lande zum Ziel hat. Die Verletzungen sind auch an ihm nicht
spurlos vorüber gegangen, auch nicht der versuchte Messerangriff
im Oktober 2015 durch einen Siedler bei der Unterstützung der
Olivenernte. Und trotzdem- er hat einen weiteren Blick auf die
Gesamtsituation und teilt nicht die Haltung von Hana , die in
ihrer Organisation für jüdisch christliches Miteinander aufruft.
Sie beginnt ihren Vortrag mit dem Beklagen darüber, dass die
Palästinenser den Holocaustopfern bei der Ankunft 1948 nicht
ausreichend Verständnis für deren Elend gezeigt hätten und
äussert später noch die Befürchtung, dass „uns bei einer
Öffnung des Gazastreifens die Palästinenser ins Meer treiben
werden….“. Diese Angst hat Arik Ashermann nicht. Liegt es
daran, dass er ohne die Hasbara aufwachsen konnte und ausserdem
sich auch immer wieder in der Zone A aufhält?
Es können einem ja immer wieder
die Tränen kommen, es reicht hierzu, dem Verstand Raum zu geben.
Aber ein Teil der Gruppe erhält Nachhilfe durch einen
Tränengaseinsatz durch die Polizei gegen Betrunkene vor dem Haus
der Gastfamilie. Tränengas kann noch mehr: es erzeugt Fehl- und
Todgeburten. Das hören vor allen Dingen wir Mütter von
erfahrenen Müttern vor Ort.
Neben der täglichen Unterdrückung
gibt es ja noch die persönlichen Katastrophen. George begleitet
uns erneut mit seiner Sorgfalt und Zuneigung. Er ist traurig,
nachdem sein älterer Bruder tödlich verunglückt ist bei einem
Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden LKW. Der Bruder ist
beerdigt, aber die Schuldfrage und die behördlichen Anhörungen
noch lange nicht. Wozu leben, wozu Geburtstag feiern, mit
welchem Ziel leben. O-Ton: „mit 29 Jahren bin ich schon zu alt
für Palästina. Was soll ich denn jetzt noch machen hier? Was
soll noch kommen?“
Im Rahmen der täglichen
Unterdrückung gibt es ja noch die systemisch praktizierten
Katastrophen. Der 12 jährigen Schülerin wird auf dem Heimweg von
hinten in die Beine geschossen am Checkpoint . Das ist „due to
the law“, denn die Befürchtung, angegriffen zu werden,
rechtfertigt inzwischen den Schusswaffengebrauch, bevor es zu
einer Attacke kommt. Wer ist hier Vogelfrei ?
Im Parents Circle erfahren wir,
wie der Wagen einer palästinensischen Familie in Bethlehem auf
dem Heimweg von Kugeln des israelischen Geheimdienstes
durchsiebt wurde. Eine Tochter starb, ihre Schwester und die
Eltern überlebten. Sie hatten halt das Pech, dass ihr Auto dem
Wagen eines Hamas –Mitgliedes glich. Ein Versehen: zur falschen
Zeit am falschen Ort. Es gab keine Entschuldigung hinterher.
Auch Rami Elhanan weint, als sein
palästinensischer „Bruder“ das erzählt. Rami erzählt vom Tod
seiner Tochter bei einem Bombenattentat in Jerusalem und der
Weigerung seiner Familie, deren Tod für einen Staatsakt zu
missbrauchen. Das hätte sich doch so gut gemacht: Die Enkelin
des berühmten Generals Peled als Opfer der „Araber“.
Stattdessen gründeten seine Frau Nurit Peled-Elhanan , er und
Palästinensische Eltern den Parents Circle. Für den ehemaligen
Mitschüler Nurits, Benjamin Netanjahu, nicht nachvollziehbar.
Rami befindet sich mit uns in der Zone A. Diesen Gesetzesbruch
begehe er immer wieder, „gerne“, wie er betont, seit er so viele
Freunde aus Palästina hat. Auch er weint, und meint sehr mutig:
es hätte erst des Todes seiner Tochter bedurft, um wirklich zu
verstehen, dass es nur ein gleichberechtigtes Miteinander geben
kann.
So sind wir bei Mut und Sumud ,
das heißt Standfestigkeit und Durchhaltevermögen. Der Name für
das Sumud Story House des Arab Education Institutes in Beit
Jala. Unweit des Checkpoints 300 und des Flüchtlingscamps Aida.
Wir erfahren Zuwendung, werden gestärkt, informiert und gepflegt
und unterstützen das wöchentliche Gebet an der Mauer sowie das
Anbringen von 2 neuen Motivtafeln im Wall Museum, die sich auf
die Pax Christi Peace pilgrimage vor einem Jahr beziehen.
Unterstützung durch internationale Präsenz. Wichtig, wie unsere
Gastgeber sagen. Denn in der Nacht und am Morgen hatte es auch
hier Tränengaseinsätze gegeben.
Es entsteht ein wunderschönes Bild
von 3 lachenden Männern. Aaron und George sind dabei. Die
Aufforderung aus der Regie lautete: Stellt Euch vor, wir feiern
gerade den Fall der Mauer……
Es spielt keine Rolle, ob wir in
der Stadt oder auf dem Land sind. Daoud Nassar und seine Familie
in Nahalin bei Bethlehem: seit dem letzten Besuch hat sich die
Situation verschlechtert, Das Militär hat hunderte Obst- und
Olivenbäume vernichtet, weil sie sich angeblich auf Staatsland
befinden. Obwohl der Landbesitz ottomanisch beurkundet ist. Über
20 Jahre gerichtliche Auseinandersetzungen hat er bis jetzt, bis
in die höchste Instanz und von dort wurde das Verfahren gerade
wieder an das Militärgericht zurückgegeben. Kostenaufwand über
100 000 $, wenige Tage nach unserem Besuch wird einmal wieder
ein Gerichtstermin sein. Der Staat Israel hat zur Zeit gerade 20
verschiedene Abrissbefehle verfügt. Auch das Tent of Nations
braucht den Schutz durch ständige internationale Präsenz;
volunteers und Besucher. Israel handelt hier nach dem Motto
„wir weigern uns, Freunde zu sein“.
An anderer Stelle gelingt ein
Besuch in der Pflück- und Bündelstation eines Siedler-betriebes
für Kräuter. Illegal schon an der Außenwand: hier lässt Carmel
produzieren, angeblich Produkte aus Israel. illegal etikettiert,
auf illegal besetztem Land und auch nicht, um Arbeitsplätze für
Palästinenser zu schaffen. Hier arbeiten Männer aus Thailand,
denn diese sind – wenigstens zur Zeit- billiger als
Palästinenser. Welche Rechte haben sie? Mehr oder weniger als
die Palästinenser ? Sicher gibt es die grosse Gemeinsamkeit:
weniger als die Siedler.
Aber an fast allen Orten gelingt
viel, erstaunlich inmitten aller Probleme und Entwürdigungen.
Nachts gegenüber vom Damaskustor am Kiosk noch ein arabischer
Kaffee. Sofort die Frage: „woher kommst Du? Aus Deutschland ?
Dann bist Du Hitler „.
„Wenn ich Hitler bin, dann bist Du
Netanjahu „ Lachen und Kaffeetrinken nach dem Austausch der
Vor-Urteile. Und die Aufforderung: „komm wieder“.
Father Jamal im Latin Patriarchal
Seminary in Bethlehem hält –wie Alle- fest an den Forderungen
von Kairos , auch der Kampagne Boycott Desinvestment Sanctions
BDS.
Und der YMCA betreut
traumatisierte Kinder und Jugendliche nach Administrativhaft
Erschießungen oder Hauszerstörungen und Misshandlungen,
Traumatisierungen können nicht behandelt werden unter
anhaltender Traumatisierung und Besatzung .Es geht ums
Überleben. auch der Behandler. Und sie machen weiter.
Wir werden durch die Gastfamilie
indirekt beteiligt an einer Hochzeit und einem ersten Geburtstag
in Bethlehem. Beides ausgelassene Feste. Darf das sein in all
dem Elend? Darf das sein oder muss das geradezu sein, um
Traurigkeit und der Hoffnungslosigkeit Lebensfreude entgegen zu
setzen?
Mahmoud verkauft Petersilie und
Pfefferminze auf dem Markt, in Bethlehem. Weiss Gott oder Allah
oder Jahwe warum, wir reden. Die Vorstellung, dass Mahmoud noch
mehr verkaufen könnte : bakdunis wa nana wa salaam , also auch
noch Frieden. Er lacht, wenn das ginge, es wäre ein
Verkaufserfolg. Er kann genau herzlich lachen wie Gil am Meer.
Ein Mann, ein Enteigneter und
Entwürdigter, und seine Frau, die unfreiwillig Tränengas-
Erprobte und auch von ihrem Land Vertriebene. Sie geben nicht
auf. Sie lassen uns teilhaben an ihren Erfahrungen aus der
Administrativhaft, genauso wie an ihren klugen Gedanken und
ihrem Humor. Sie sind Lebenskünstler und wertschätzend.
Maurice fällt mir ein. Er sitzt
bei über 40 Grad am Toten Meer Es war Lehrer und einmal im
Jahr mit seinen Schülern hier. Obwohl er nicht schwimmen kann.
„Das erinnert mich an meine
Kindheit,“ meint er. „Als ich klein war, sind wir immer wieder
nachts los gefahren, um hier den Sonnenaufgang zu erleben....
diese Farben und diese Stille, das trage ich in mir.“
George, still und mit aufmerksamen
Blick und sensiblen klugen Geist. Er verschenkt Rosen aus seiner
Stadt, die ihre Spuren hinterlassen.
Brainstorm, mit Aaron und Miriam,
der die Mauer nicht zum Einsturz bringt: nicht nur Tafeln im
Wall Museum, sondern Figuren an die Wand bringen, die auf dem
Weg über die Mauer sind und nachts leuchten. Oder Sterne.
Anlässlich 50 Jahre Besatzung eine Wand aus Feuerwerk oder
Konfetti im Mauerverlauf. Eine Licht -aus Aktion …
Oder ein erhellendes Buch, mit
gemeinsam geschrieben Geschichten. Es beginnt mit der
Schilderung der bedrückenden Wirklichkeit, diese wird von einer
zweiten Person virtuell mit Phantasie in eine gute Entwicklung
fortgeführt
Oder Yad Vashem und die Nakba –
als ein gemeinsame Geh- und Denkstätte wegen
Menschenrechtsverletzungen, Deportationen Vertreibungen,
Enteignungen und Rassismus, unterschiedlich in der tödliche
Dimension, aber gleichermassen tödlich.
Oder ....
Auf der Dachterrasse des
Paulushauses gelingt der Blick über die Altstadt Jerusalems,
den Felsendom und die Gegend bis hin zum Ölberg, zu jeder
Tages-und Nachtzeit.
Am letzten Tag im September
Rückfahrt zum Flughafen, Kein Alltag .Gesperrte Strassen, immer
wieder gesperrter Luftraum. Die Beisetzung von Shimon Peres auf
dem Herzlberg ist der Grund. Er hatte die erste Siedlung
genehmigt.
Am Ende ein kurzes Gespräch mit
dem Techniker auf der Reparaturgangway des Flugzeuges in der
goldenen Nachmittagssonne am Flughafen Ben Gurion. „Wir kriegen
das jetzt wieder hin. Wissen Sie, hier hat immer einer den
Nächsten gefragt und der Letzte hat endlich gewusst, was wir tun
sollen. Keiner kann alleine leben, es geht nur zusammen.“
Stimmt.
Nur eine Woche nach der Rückkehr
sagt Hagai El-Ad von B’Tselem im UN-Sicherheitsrat am 6.
Oktober: „Wir können nicht so weitermachen“. Stimmt.
„Ich habe vor dem
UN-Sicherheitsrat gegen die Besatzung gesprochen, weil ich ein
Mensch sein will. „ Ich stimme ihm zu.
Dr. Eva Renate Marx-Mollière
(19.10.2916)
Ein Teil der Namen wurde geändert.