Rückkehr zur "Normalität"
in Gaza
Brief von Lama Hourani aus
Gaza-Stadt,
16.
August 2006
Zwei Dinge sind heute passiert, die mich so fühlen
ließen, als wäre das Leben
wieder zu seiner Routine
zurückgekehrt, als ginge alles
wieder seinen normalen Lauf.
Ich erwachte am Morgen, allein - wie üblich in
diesen Tagen - und hörte ein
sehr vertrautes Geräusch, eines
das eine Weile nicht zu hören
gewesen ist. Es war der Lärm der
Bombardements auf den Norden des
Gaza-Streifens. Ich lächelte in
mich hinein. Wir haben diesen
Lärm seit ungefähr zwei Wochen
nicht mehr gehört. Wir haben
sogar gedacht, dass die Israelis
ihr ganzes Kriegsgerät in den
Libanon verlagert haben (als ob
sie nicht genug hätten, um es im
Libanon und in
Gaza-Streifen einsetzen zu
können).
Die andere Sache, die meinen Tag verbesserte, war
das Eintreffen der Zeitungen.
Wir hatten seit 25. Juni in Gaza
keine mehr gehabt. Die drei
palästinensischen Zeitungen
werden in der West Bank gedruckt
und über den Übergang Erez nach
Gaza gebracht. Es war ein sehr
angenehmes Gefühl, wieder eine
Zeitung in den Fingern zu
halten, die durch die Tinte die
Hände schmutzig macht. Und
selbstverständlich, Zeitungen in
Gaza zu haben bedeutet, dass
Erez geöffnet worden war. Es ist
für alles offen, aber sicherlich
nicht für die
PalästinenserInnen.
Ja, am Tagesbeginn fühlte ich mich gut, weil die
Routine - bis zu einem gewissen
Maß - wieder in mein Leben
zurückkehrt war, besonders weil
ich allein bin und ich daher die
häusliche Routine vermisse. Am
Abend sprach ich mit meinem
Vater, der in Wien lebt und
plötzlich hörte ich ein anderes
vertrautes Geräusch. Es waren
die F16, die
Aufklärungsflugzeuge und die
Dauer-Bombardements.
Ich begann zu lachen und mein Vater wunderte sich
über den Grund. Ich sagte ihm,
dass ich mich besser fühle, wenn
ich diesen Lärm höre. Dann weiß
ich, dass das Leben zu seinem
üblichen Rhythmus zurückgekehrt
ist.
Davor war die Situation relativ ruhig, um die
Sprache der Medien zu verwenden.
Der neue Stil, den die
israelische Armee verwendet, ist
folgender: sie rufen auf den
Handys jener BewohnerInnen von
Häusern und Wohnungen an, auf
die gezielt wird und fordern die
Menschen auf, die Räumlichkeiten
innerhalb eines bestimmten
Zeitraums zu verlassen, damit
sie sie bombardieren können. Vor
einiger Zeit gaben sie den
Leuten für die Evakuierung
ungefähr zwei Stunden Zeit,
jetzt aber geben sie ihnen nur
noch 15 Minuten, um ihr Heim zu
verlassen.
In der Nähe meiner Wohnung stehen zwei Häuser unter
so einer Bombendrohung, eines
liegt im Norden und eines im
Süden unseres Gebäudes. Sie
werden bereits seit einigen
Tagen bedroht, aber bis jetzt
sind sie noch nicht bombardiert
worden. Doch die BewohnerInnen
dieser Gebäude leben nicht mehr
dort. Jedes Mal, wenn wir die
Geräusche der israelischen
Flugzeuge in der Luft hören,
glauben wir, dass sie diese
Häuser bombardieren könnten.
Eine andere Sache, die die Israelis noch machen: sie
rufen Festnetztelefone im
Gaza-Streifen mit
aufgezeichneten Nachrichten an
und fordern die Menschen auf,
keine "Terroristen" zu
unterstützen, die gegen Israelis
kämpfen und Mörser-Raketen auf
die israelischen Städte im Süden
schiessen. Manchmal nehmen
Kinder die Telefonate entgegen,
hören diese Nachrichten und
verstehen sie als Drohung und
Aufforderung, ihre Häuser zu
verlassen. Daraufhin tragen die
Familien soviel zusammen wie sie
können, mindestens aber ihre
Dokumente und etwas Kleidung.
Anschliessend kommen sie darauf,
dass es falscher Alarm war und
kehren in die Häuser zurück.
Die Menschen warten auf die Auszahlung ihrer
Gehälter. Es gibt Gerüchte, dass
die Autonomiebehörde einen
ganzen Monatsgehalt auszahlen
soll. Alle warten auf das Geld.
Besonders weil die Schulen bald
wieder beginnen und dafür
Vorbereitungen zu treffen sind.
Aber bis jetzt hat sich noch
nichts an diesem Gerücht
bewahrheitet. Die BeamtInnen
haben seit der Einsetzung der
Hamas-Regierung im März kein
Gehalt mehr bekommen. Ausser
einmal einen Teil und einmal ein
halbes Gehalt. Das betrifft
160.000 Beschäftigte!
Ein anderes Gerücht ist die Öffnung der Grenzen.
Diejenigen, die in verschiedenen
Ländern außerhalb des
Gaza-Streifens angestellt sind,
Universiäts-StudentInnen, die
ihre Verwandten vor dem 25. Juni
besucht haben und im Ausland
studieren, neue StudentInnen,
die in diesem Jahr die höheren
Schulen beendet haben und mit
ihrem Studium an den
Universitäten beginnen wollen
sowie alle PalästinenserInnen,
die aus Arbeitsgründen, wegen
Geschäftsangelegenheiten, aus
Gesundheits- oder sogar
Erholungsgründen ausreisen
wollen, warten voller Unruhe auf
die Öffnung der Grenzen.
Relativ gesprochen, spüren wir die israelische
Präsenz nicht wie vorher, aber
alle unsere Sorgen und
Erwartungen sind mit ihnen
verknüpft und wir warten auf
ihre Zustimmung. Und die Welt
spricht noch immer über den
befreiten Gaza-Streifen und der
erste Jahrestag des israelischen
"Rückzugs" ist Nähe!
Ich muss mich damit zufrieden geben, einmal täglich
mit meiner Familie sprechen zu
können und meinen vier Jahre
alten Sohn sagen zu hören, dass
er zu mir zurückkommt, sobald er
ein Permit (eine Genehmigung)
bekommt.
Lama Hourani
Gaza Stadt
16. August 2006
l_hourani@yahoo.com
Übersetzt von Tina Salhi