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Die palästinensische Bar-Mitzwah

 


AUTOR:  Bassam ARAMIN

Übersetzt von  Miriam Asnes & Ellen Rohlfs


 

 

Mein Sohn Arab ist 14, genau in dem Alter, in dem seine jüdisch-israelischen Gleichaltrigen ihre Bar Mitzwah feiern. Diese Zeremonie ist im jüdischen Kulturkreis  ein Ritus, der den Eintritt in die Realitäten und Verantwortlichkeiten des Erwachsenseins kennzeichnet. Und letzte Woche hat mein Sohn etwas erfahren, das einer palästinensischen Bar Mitzwa ähnlich ist…

Der 12. Juli war ein wunderschöner Tag, als  Arab mit seinen Freunden an den Strand von Tiberias fuhr. Ich wollte es ihm zunächst nicht erlauben, erinnerte mich dann aber meine Tochter Abir

Abir war 10, als sie von  der israelischen Besatzungsarmee am 16.1. 2007 vor ihrer Schule in Anata getötet wurde. Als sie an jenem Morgen ihre Mutter und mich  fragte, ob sie nach der Schule noch mit ihren Freundinnen spielen dürfe, erlaubte ich dies nicht. Ich sagte  zu ihr: „Komme gleich nach der Schule heim, damit du deine nächste Prüfung vorbereiten kannst. Und sie antwortete mir bockig und unschuldig mit den letzten Worten, die ich je von ihr zu hören bekam: „Ich werde spät kommen“. Sie war mir böse. Sie war an jenem Tag spät, aber nicht weil sie ihre Freundinnen traf. Eine Kugel von einer israelischen Grenzpatrouille  traf sie im Kopf  -- und so kam sie nie wieder zurück. Ich bedauerte, ihre Bitte abgelehnt zu haben; es war ihre letzte…

Als ich sah wie sehr Arab sich wünschte mitzugehen, dachte ich an Abir und gab die Erlaubnis unter der Bedingung, dass er auf sich aufpasst und ständig mit mir in Telefonkontakt bleibt. 

Arab und seine Freunde Rafet, Saleh und Mohammad machten sich für diesen Tag am Strand fertig . der Bus fuhr um 7 Uhr los. Es waren etwa 45 Leute: Arab und seine neun Freunde, die zwischen 14 und 17 waren. Der Rest waren Familien mit Kindern und eine Gruppe Mädchen in Arabs Alter – alle legale Bewohner Israels mit einem Ost-Jerusalemer Ausweis. Ich freute mich zu sehen, wie glücklich er  bei der Abfahrt war. Arab liebte seine Schwester Abir sehr und ihr Tod war  besonders für ihn dem ältesten der Geschwister ein schwerer Schlag. Nun war ich froh, ihn wieder fröhlich zu sehen.

Um 23 Uhr kam ein Anruf. Er sagte, sie seien auf dem Rückweg und in einer halben Stunde müssten sie zu Hause sein. Es wurde 23 Uhr 30 . Um genau 24 Uhr rief ich ihn etwas böse an, warum er so spät sei. Er antwortete mit  gedämpfter Stimme und mit Worten, die mich beunruhigten.

‚Hier sind eine Menge Soldaten. Die Polizei hat den Bus angehalten, wir wissen nicht warum. Wir sind in Jerusalem – der Soldat verbietet uns, am Telefon zu reden. Ich ruf dich später an.’ .. Ich konnte nicht verstehen, warum der Bus nach Jerusalem hineingefahren ist …

Ich  war schrecklich aufgeregt, weil ich nicht wusste, was meinem Sohn geschah. Ich versuchte, ihn anzurufen, bekam aber erst anderthalb Stunden später Kontakt mit ihm. Er antwortete schnell: ‚Wir sind jetzt in der israelischen Polizeistation, alle im Bus wurden verhaftet, sie kontrollieren jeden einzelnen von uns, und eigentlich darf ich jetzt gar nicht mit dir reden – wir werden bald entlassen’ – und machte Schluss.

Es gibt keine Worte, die meinen Zustand in diesen Stunden beschrieben, während ich auf den nächsten Anruf wartete und fürchtete, er würde nicht kommen. Um 2 Uhr 30 rief er noch mal an und sagte, sie seien nun in der  Moskobije-Haftanstalt in Jerusalem. Ich fragte, warum sie verhaftet worden seien. Er sagte, er wüsste es nicht. Ich sagte ihm ‚Geh zu dem Soldaten und sage ihm, er solle mit seinem Vater reden, er weiß nicht, wer ich bin.’

Er antwortete, dass er zu viel Angst habe, dies zu tun. Sie hätten schon so viele Kinder geschlagen, weil sie gesprochen haben, was man ihnen verboten hatte. ‚Aber ich vertrau dir, Papa!’

Ich sagte ihm, er wäre tapfer und er sollte keine Angst vor dem Soldat haben. ‚Rede mit ihm auf Hebräisch,’ sagte ich ihm . Ich hatte allen meinen Kindern von klein auf hebräisch beigebracht. Ich konnte hören, wie Arab zum Soldaten ging und zu ihm sprach: ‚Bitte sprich mit meinem Vater!’ Der Soldat aber  sagte ihm, er solle den Mund halten .

‚Wenn dein Vater dich sehen will, dann soll er hierher kommen’, sagte er.

Ich war außer mir. Ich schrie mit meiner lautesten Stimme: „Ihr Mörder! Wo ist mein Sohn?

Wollt Ihr ihn auch töten, wie ihr vor einem Jahr seine Schwester getötet habt. Ich sagte zu Arab, er solle das Telefon auf laut stellen, damit der Soldat hören kann, was ich sage. Aber er hatte einen besseren Einblick in die Situation und sagte mir: ‚Papa, keine Angst, ich bin ok. Sie werden uns bald gehen lassen, sagten sie.  Ich werde  bald mit dir sprechen. Und machte Schluss.

Um genau 3 Uhr nachts ließen die isr. Besatzungstruppen die Gruppe gehen, und ich saß wie auf glühenden Kohlen bis 3 Uhr 40, als Arab nach Hause kam. Er war völlig erschöpft. Also sagte ich ihm,  er solle ins Bett gehen, wie können morgen reden. Das Wichtigste war, dass er  gesund war.

Am ich am nächsten Tag abends von der Arbeit zurückkam, fand ich Arab und Rafet im Haus und erfuhr, was geschehen war.

Im Industrieviertel von Wad al-Joz in Jerusalem war eine Spezialgruppe des isr. Militärs auf Motorrädern  zusammen mit Militär und Armeeverstärkung auf der Straße stationiert, auf der der Bus von Tiberias seine Passagiere – alles legale Bewohner Israels - nach Hause bringen  wollte. Sie ließen den Fahrer anhalten. Einer der Soldaten bestieg den Bus und sagte:’ Jeder der seinen Kopf bewegt, bekommt eine Kugel in ihn’, sagte Arab zu mir.  ‚Ich konnte nur noch an Abir denken, die wirklich in den Kopf geschossen wurde.’

Der Soldat fuhr fort: „Wir sind von der nationalen Sicherheit.“ Dann sagte er den jungen Männern – es waren etwa zehn – sie sollten sich im Bus ausziehen, vor den Frauen und Mädchen. Dann ließ er einen nach dem anderen aussteigen und sich  bäuchlings auf die schmutzige Straße legen, die voller Steine und Glassplitter war. Sie begannen mit Ahmed, der 16 Jahre alt ist. Dann mussten sich alle jungen Männer ausziehen, aussteigen und sich auf die Straße legen. Einer von ihnen verletzte sich am Bauch mit einem Glassplitter. Arab fragte mich: ‚Wie können sie nur von den jungen Männern verlangen, sich vor den Frauen auszuziehen. Sie haben keine Moral!’

Ich fragte ihn, ob er meine, dass sie wenigstens grundlegenden Anstand hätten.

Er:  ‚nichts davon’. Ich erklärte ihm, dass solch eine Demütigung durch erzwungene Nacktheit nicht nur seinen Freunden geschehen ist; Das wird im israelischen Militär schon lange angewendet. Als wir in ihren Gefängnissen waren, ohne uns irgendwie verteidigen zu können, hatten unsere Gefängniswärter sadistisches Vergnügen daran, uns nackt zu sehen, um uns zu demütigen.

Arab, als der jüngste der Jungen, blieb mit den Frauen und Kindern im Bus. Dann bestieg eine

Soldatin den Bus und rief einem andern Soldaten – Avichai - zu, er möge den Hund bringen.

Arab sagte: ‚ich dachte zuerst, dass es Avichai Sharon sei, mein Freund und Kollege von den ‚Kämpfern für den Frieden’. Der auch zu der Organisation ‚Das Schweigen brechen’ gehört, einer Organisation, die die barbarischen und kriminellen Praktiken der israelischen Besatzungskräfte in Hebron veröffentlicht….Aber dann sah er, dass dieser Avichai nicht unser Freund war und er ihm gar nicht ähnelte… Der Soldat ließ den Hund gegen die Frauen und die Kinder los und zog ihn erst im letzten Augenblick zurück. Er hatte sein Vergnügen daran, wie Um Shams, die Verantwortliche dieses Ausflugs, bewusstlos wurde, und er lachte als zwei Kinder, 4 und 5, vor Angst und Schrecken in die Hose machten. Die Soldaten kontrollierten jeden, öffneten sogar die Windeln eines Einjährigen. Sie hatten also auch Angst vor unsern noch nicht entwöhnten Babys.. ‚Sie verfluchten uns mit allen hässlichen und beleidigenden Ausdrücken, die sie nur kannten. Einer von ihnen sagte; ‚alle Araber seien Abfall’ --- sie sind Rassisten! Alle Passagiere im Bus waren absolut legale Bewohner von Ost-Jerusalem, die überall in Israel  herumreisen dürfen, wo sie nur hinwollen.

Ich sagte zu meinem Sohn: ‚Einige von ihnen sind Rassisten, aber nicht jeder jüdische Israeli ist so wie sie. Es gibt welche, die nicht von diesem Rassismus berührt sind, aber es färbt auf die israelische Gesellschaft ab. Es ist kein Wunder, dass die UN vor 30 Jahren entschieden hatte, dass der Zionismus eine rassistische Bewegung sei. Nun, man hat diese Entscheidung wieder zurückgenommen, aber der Rassismus ist tief verwurzelt. Die meisten denken gar nicht daran, dass die Palästinenser  fortgesetzt diskriminiert  werden, seien es die auf der Westbank, von Gaza oder die Bewohner Ost-Jerusalems oder israelische Bürger…Sie versuchen es so zu drehen, dass es ‚aus Sicherheitsgründen’  nötig sei. Wenigstens einige Leute in der israelischen Gesellschaft sehen die schändliche Wahrheit wie sie ist, ohne zu beschönigen. Und sie sind nicht allein. Kürzlich war eine Delegation von Menschenrechtsaktivisten, Rechtsanwälten und Richter aus Südafrika hier, einem Land, dass sehr unter dem  Joch der Apartheid litt, und  besuchte unsere Region. Sie erklärten, dass das, was sie in Israel sahen, schlimmer war als nur rassistische Trennung – es war ein von der Regierung gesponserter Rassismus, eine diskriminierende Politik gegenüber Palästinensern.

Arab fragte mich weiter, warum die israelischen Soldaten das taten, was sie gegenüber den Palästinensern taten. An einem Punkt war er  fast dabei, vor Zorn zu explodieren. Und dann änderte sich seine Stimme und er sagte etwas sehr Unerwartetes. ‚Ich wünschte, du wärest bei uns gewesen, Papa, und hättest ihnen eine Lektion erteilt und uns so die Demütigung erspart. Du hättest mit ihnen auf Hebräisch gesprochen und ihnen verständlich gemacht, dass sie unrecht tun, so wie du es immer an den Kontrollpunkten tust, wie damals, als wir nach Galiläa fuhren und der Soldat uns … anschrie . dann sprachst du mit ihm und schließlich entschuldigte er sich bei dir und wünschte, wir könnten alle zusammen in Frieden leben’. 

Dann sagte er etwas, was mich noch mehr überraschte: ‚Ich möchte, dass  du mich das nächste Mal mitnimmst, wenn du in Israel  wieder einen Vortrag hältst, dann kann ich den Israelis erzählen, wie ihre Soldaten uns in jener Nacht behandelten.’ Ich fragte ihn, ob er das ernst meint – Arab hatte bis jetzt meine Bereitschaft mit der anderen Seite zu reden und  sich mit Israelis bei einem Forum wie dem der ‚Kämpfer für den Frieden’ zusammen zu setzen. Aber er bestand darauf und sagte:’ Sie müssen wissen, was so geschieht, damit die Eltern dieser Soldaten ihren Kindern verbieten können,  sich  gegenüber Frauen und Kindern wieder in dieser Weise  zu verhalten.

Die letzte Demütigung in jener Freitagnacht war, als Salah, Arabs Freund zur Toilette gehen musste und viele Male darum bat, ob er von  der Straße aufstehen könne, um zu urinieren. Avichai verwehrte es ihm jedes Mal. Saleh sprach leise mit Rafet, der  seine Hand und den linken Fuß etwas mehr bewegen konnte. Und sie entschieden, dass Rafet fragen wird, ob er gehen könne und Saleh ihm  dabei helfen dürfe. Schließlich erlaubte Avichai  dem Rafet, austreten zu gehen – unter der Bedingung, dass Saleh sich nicht selbst erleichtern würde. Saleh wusste nicht, dass dieser Beschützer der Sicherheit des Staates Israel  ihnen folgte, bis er sich mitten in einer „terroristischen Operation“ befand und versuchte, sich zu erleichtern. Und Achivai begann ihn mit Händen und Füßen  ins Gesicht und über den Kopf zu schlagen, um ihm und  anderen eine Lektion zu erteilen, so geht es, wenn man eine militärische Order nicht ausführt. Man  erinnere sich daran, Saleh und Rafet sind legale Bürger  des Staates Israel.

Was da geschah, ist sehr peinlich und schändlich, aber es ist die Wahrheit. Ich fragte Arab: ‚Haben sie  sich wenigstens entschuldigt, als man euch gehen ließ?’ Er sagte: ‚Sicher, sie sagten zu uns: wie ihr tagsüber nackt am Strand von Tiberias ward, so wart ihr nackt am Strand von Wad al-Joz in der Nacht. Und nun  haut ab!“ er wiederholte diese Worte mit einem ironischen Ausdruck des Gesichtes, wie ich es nie vorher bei ihm gesehen habe.

Und ich dachte, mit einem ähnlichen Maß von Ironie: ‚Heute ist er ein Mann:’


Quelle: http://karmalised.com/?p=3318

Originalartikel veröffentlicht am 18. Juli 2008

Über den Autor

Aus dem Arabischen von
Miriam Asnes ins Englische und von Ellen Rohlfs ins Deutsche übersetzt und geringfügig gekürzt. Diese Übersetzung kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl der Autor, die Übersetzerinnen als auch die Quelle genannt werden.

URL dieses Artikels auf Tlaxcala:
http://www.tlaxcala.es/pp.asp?reference=5562&lg=de
 

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