Brief
aus dem Ketziot-Gefängnis
Adnan Naim Abdallah, 21.8.05, Gefangenen
Nummer 6015
(Adnan ist ein
palästinensischer Pädagoge,
Liebe Freunde, an alle, die mir geschrieben
haben, an alle, die nach mir und nach meiner
Situation im Gefängnis gefragt haben,
an die, die ich kenne und von deren
Menschlichkeit ich weiß.
Eure Briefe, die Ihr sandtet, liegen alle
bei der Verwaltung des Gefängnisses. Als ich
nach ihnen fragte, leugnete man sie. Einige
Monate später brachte man mir einige, einige
waren ein Jahr alt oder älter.
Liebe Freunde in Jerusalem, Tel Aviv, USA
oder wo immer Ihr seid – eure Briefe geben
mir Kraft und Hoffnung für mein Leben.
In meinem Brief möchte meine Gefühle der
Liebe zeigen und mit Bestimmtheit sagen:
Die schönsten Tage sind die, in denen wir
ein Licht der Hoffnung und des
Glücklichseins anzünden.
Mit herzlichen Grüßen! Adnan Abdullah,
Administrativhäftling 6015, Ketziot
Militärgefängnis Military
Mail 01771, Israel
Adnans Bericht über den Mechanismus der
Verwaltungshaft.
Ins
Engl.übersetzt von Mark Marshall)
Ich habe nicht vor, über das Leiden des
palästinensischen Volkes zu reden, über die
grausame Behandlung der Bewohner der
besetzten Gebiete durch die Besatzung,
über den Trennungszaun, der das
palästinensische Volk zerreißt und sicher
nicht über die extra-legalen Exekutionen.
Ich möchte Euch von mir erzählen und über
die letzte Zeit, die für mich die
schwierigste Zeit meines Lebens ist. Und von
Hunderten anderer palästinensischer
Jugendlicher, die dieselben Erfahrungen
machen, ohne zu wissen, wo und wann ihr
Leiden aufhören wird. Ich möchte alle meine
Leser daran erinnern, dass sich Hunderte
in Israels Gefängnissen für einen großen
Teil ihres kurzen und schwierigen
Lebens befinden, ohne den Grund ihrer
Verhaftung und ihrer Haft zu kennen – sie
sind Verwaltungs/ Administrativ-häftlinge.
Die meisten von uns wurden mitten in
der Nacht von der Polizei oder dem
Geheimdienst aus ihren Häusern geholt und
bis heute konnte wir nicht zurückkehren.
Weder wir noch unsere Familien wissen. warum
und wie lange.
Vor ein paar Monaten erklärten diese
Gefangenen ihre Weigerung, sich von
militärischen Gerichten verurteilen zu
lassen. MK Yossi Beilin sprach von dieser
Politik, als er sagte; die Politik der
Verwaltungshaft ist ein schwarzer Fleck auf
Israels Demokratie. Und tatsächlich wurde
entschieden, dass sich die militärischen
Gerichtshöfe aus der Verwaltungshaft
heraushalten sollen.
Ich möchte betonen, dass das Problem mit
Administrativgefangenen das schwierigste
Problem unter Besatzung ist, weil es bei
diesen Fällen keine Gerichtsverhandlung gibt
und selbst die Anwälte der
Angeklagten nicht wissen und nicht wissen
können, was es für eine Anklage gegen ihren
Mandanten gibt. Die Gefangenen selbst
wissen nichts und keiner gibt ihnen eine
Information, die für die Verteidigung
wichtig wäre, weil die Quellen geschützt
werden – die Kollaborateure . Die drei
wichtigsten Personen in einem Fall: der
Angeklagte, der Anwalt und der Richter haben
keinen Zugang zur Anklageakte und wissen
nicht, was vor sich geht. Alles beginnt und
endet mit dem Gutachten des
Geheimdienstes. Es ist der Geheimdienst, der
entscheidet, ob eine Haft verlängert wird
oder nicht – so wird die Haft natürlich
automatisch verlängert, wenn die
autorisierten sechs Monate vorbei sind –
immer darauf gründend, dass der Verhaftete,
der nie wegen irgend etwas angeklagt wurde,
eine Bedrohung für die Sicherheit des
Staates Israel darstellt oder dass es eine
Möglichkeit geben könnte, dass er eine
Bedrohung darstelle.
Die Anwälte können den Gefangnen nicht
helfen, weil sie nicht wissen, um welcher
Sache willen sie verdächtigt werden. Diese
Information wird verborgen, um das
Wohlbefinden und die Sicherheit der
Kollaborateure zu schützen. Und die
unglücklichen Verhafteten warten umsonst,
dass sich ihr Traum erfüllt, zu wissen, wann
ihr Alptraum zu ende ist. Der
Richter entscheidet nicht – er erhält Order
von oben. Nicht nur das – es gibt Gefangene,
die verurteilt wurden, die ihre Haftstrafe
abgesessen haben und die unmittelbar danach
eine sechsmonatige Administrativhaft
erhalten haben. In einem extremen Fall
akzeptierte ein Richter die Argumente eines
Anwalts und verlängerte die Haft des
entlassenen Gefangenen um einen Monat und
danach um weitere fünf Monate ...
Familienbesuch im Ketziot-Gefangenenlager:
Menschenfreundlichkeit ?
Vielleicht wissen dies viele gar nicht und
viele wissen darum und bleiben gleichgültig:
es gibt viele palästinensische
Administrativhäftlinge, denen der
Geheimdienst (Shabak) jahrelang nicht
erlaubt, Besuch von Familienmitgliedern zu
erhalten. Nicht die Kinder, noch die Eltern,
nicht die Ehefrau und nicht einmal die
Kinder, die erst nach ihrer Verhaftung
geboren wurden.
Einige dieser Leute hatten - nach Shabak -
die Erlaubnis, in Israel zu arbeiten. Es war
ihnen also erlaubt, in Israel zu arbeiten,
sie stellten dort also keine Gefahr dar –
aber sich mit ihren Familien im Gefängnis zu
treffen, stellt für die Sicherheit Israels
eine Gefahr dar.
Einmal beschwerte ich mich beim
Verwaltungsgericht darüber, dass sie meiner
Familie nicht erlauben, mich zu besuchen:
meinem Vater, meiner Mutter, einer alten und
kranken Frau und nicht einmal meiner Frau.
Die Klage wurde zurückgewiesen.
Aber nach zwei und einem halben Jahr,
durfte mich meine Familie besuchen. Das
heißt also, dass ich keine Gefahr für den
Staat darstelle, sonst würden sie nicht
diese Genehmigung geben.
Meiner Meinung nach haben alle Gefangenen
das Recht, ihre Familien zu treffen oder
sogar mit ihnen auf Urlaub ( wohl
Freigang gemeint?) zu gehen, solange keine
Anklagen gegen sie erhoben worden
sind. Die Verhinderung eines Treffens mit
unsern Familien ist nur eine Strafe, die man
über uns zu verhängen versucht, um uns
unterwürfig zu machen und den
palästinensischen Mann zu beleidigen – egal
wie alt er ist.
Ich stelle mir einen Shabakmann vor: wie er
vor einem Tisch mit Computer sitzt und
Computerspiele spielt oder Rätsel aus der
Zeitung löst. Er hat keinerlei Interesse an
unseren Gefühlen als menschliche Wesen.
Äußerste Gleichgültigkeit gegenüber dem
Leiden von Menschen, die nicht wissen, wann
, und ob überhaupt, ihr Leiden endet.
Nach einer langen Haftperiode erhielt meine
Frau endlich über das Rote Kreuz eine
Erlaubnis, mich zu besuchen. In ihrer Freude
darüber bereitete sie Süßigkeiten und
Kleidung vor. Wir hatten uns seit 2 Jahren
nicht gesehen und sie kam voller Freude an.
Sie musste eine demütigende Durchsuchung
über sich ergehen lassen und kam dann beim
letzten Tor an. Die Offizierin (Orna Zohar)
hielt sie an – Augenblicke vor unserem
Treffen - und hinderte sie daran,
einzutreten. Sie sagte, dass sie keine
Genehmigung habe, einzutreten. Wie war das
nur möglich, da man sie bis dahin
durchgelassen hatte ???
Meine Frau versuchte, sie davon zu
überzeugen, dass sie mich schon sehr lange
nicht gesehen habe und dass sie von weither
käme – aber es nützte nichts. Die Offizierin
weigerte sich, auf sie einzugehen. Die arme
Frau kehrte traurig und elend zurück, voller
Hass gegen die Offizierin, die kein
menschliches Gefühl hatte.
Auf Grund von Bemühungen von Verwandten,
Bekannten und Freunden und von Ha-Moked,
einer Menschenrechtsorganisation, und
anderen Organisationen erlaubte man meiner
Familie am 4.5.05 einen Besuch. Es war der
Tag, an dem die Haftperiode zu Ende sein
sollte. Sollte mein Traum ( der Freiheit)
Wirklichkeit werden oder würde ich wieder
enttäuscht? Wie gewöhnlich, wurde ich wieder
enttäuscht: meine Haft wurde um weitere drei
Monate verlängert und der Traum eines
Treffens außerhalb der Gefängnismauern wurde
zu einem Treffen hinter Mauern, aber
trotzdem war er freudig, wenn auch in
Grenzen.
Mein Vater und meine Frau hatten sich seit
dem Abend zuvor vorbereitet, verließen das
Haus um 3 Uhr nachts, um zum Sammelplatz des
Roten Kreuzes zu gelangen. Von dort wurden
sie zu einem israelischen Treffpunkt
transportiert. Sie mussten unterwegs
alle möglichen Kontrollen über sich ergehen
lassen. Die schlimmste und demütigendste war
die, als sie den Bus wechselten, der sie zum
Gefängnis bringen sollte, es waren
beleidigende Sicherheitskontrollen.
Schließlich kamen sie an. Aber der Ort, an
dem wir uns treffen sollten, war nicht ein
Ort, an dem sich Menschen treffen,
vielleicht für Tiere. Ein sehr kleiner Raum,
geteilt in zwei Vierecke und getrennt von
einer Plastikwand mit einem Metallnetz und
sehr kleinen Löchern , durch die man nicht
einmal eine Zigarette durchschieben kann.
Ich saß auf der einen Seite – auf der andern
Seite meine Familie. Ich konnte sie kaum
durch diese kleinen Löcher sehen, geschweige
denn, dass ich meiner Tochter oder meinem
Sohn Süßigkeiten geben konnte? Wie hätte mir
mein Sohn ein Stück Kuchen geben können, das
er extra für mich aufgehoben hatte.
Wie sollte ich die Hand meiner Frau berühren
können? oder meinen Vater küssen können? ...
Aber nach all dem gab mir mein Vater, der es
nach einer halben Stunde unter diesen
Umständen nicht mehr ausgehalten hatte, die
Hoffnung, dass er sicher sei, dass wir uns
wieder sehen werden. Aber unter anderen
Umständen und nicht an diesem Ort und weit
weg von dieser dunklen Plastikwand, hinter
der ich stand.
Es grüßt euch
der Gefangene Adnan.
(dt. Ellen
Rohlfs) |