Herzl starb zweimal
Yossi Sarid
Der
Herzl-Tag liegt hinter uns; die staatlichen Feierlichkeiten und
die gelehrten Symposien sind vorbei und hoch über dem Berg, der
nach ihm benannt wurde, fragt der „Staatsvisionär“ nach
dem Schicksal seiner Vision. Es wäre interessant, zu wissen, ob
Binyamin Ze’ev (Theodor) Herzl damit einverstanden wäre oder ob
er sich in seinem Grab umdrehen würde.
Als er schon
krank war, schrieb er an David Wolfson, „ich mache gerade wegen
meines Herzens eine Behandlung durch. Meine Mutter weiß nichts
davon. Sie denkt, ich ruhe mich hier nur aus. Macht nichts
Törichtes, wenn ich gegangen sein werde.“ Es gibt keinen
Zweifel, dass wir törichte Dinge getan haben, und Herzl
ist seit langem tot.
Zwei Tage
vor seinem Tod, sagte er zu seinem letzten Besucher, „grüße das
Land Israel. Ich gab mein Herz für mein Volk“ . Er wusste, wie
man gibt. Wissen wir, wie man empfängt? Hundertzwei Jahre nach
seinem Tod hat das jüdische Volk ihm eine Antwort gegeben
und diese Antwort ist anscheinend so, dass wir vor 1967 ihn
besser - nach 1967 viel weniger verstanden haben.
Bis zum Sechs-Tage-Krieg sind wir mit Herzls Vision viel
umsichtiger umgegangen. Seitdem haben wir uns von dieser
getrennt.
Das
zionistische Unternehmen war eine der Meisterleistungen des 20.
Jahrhunderts. Seine Ursprünge waren spektakulär, dass viele im
Land und außerhalb – einschließlich Ben Gurion - versucht
waren, zu glauben, dass die einheimische Bevölkerung unserem
leuchtenden Vorbild nachfolgen würde. Zu seiner Zeit dachte
Herzl auch so.
Die
komplette Vision ist immer perfekter als die Summe ihrer
täglichen Teile. Aber 1967 ist sie zerstört worden, und heute
wissen wir, wie schwierig es ist, diese Teile wieder zusammen zu
setzen. Ist es überhaupt noch möglich? 1967 waren wir keine
Helden, wir gewannen nicht unsere Ziele, und so eroberten wir
Gebiete mit ihren Bewohnern – Israel wurde daraufhin
der Welt nicht mehr als Vorbild empfohlen. In seinem Buch
Altneuland schrieb Herzl: „Wir werden ein Experiment für die
ganze Menschheit durchführen. Wir wollen also die ersten
in der Sache sein, die mit Liebe gegenüber der Menschheit zu tun
hat, und als neues Land als Experiment und
Vorbild dienen. Wir haben als Vorbild versagt und so bei
Herzl zweifellos ein zweites Mal ein gebrochenes Herz
verursacht. Herzl starb ein 2. Mal.
Herzl
pflegte seiner Zeit weit voraus zu sein, als er seine Ansichten
über das Problem einer Besatzung äußerte, die er auch
voraussah. Er schrieb: es ist nicht der Grund und Boden, die das
Land ausmachen, sondern die Menschen, die durch die Herrschaft
mit eingeschlossen werden. Das jüdische Volk ist das
persönlich-menschliche Fundament, das Land die physische Basis
für den Staat und von diesen beiden Elementen ist das
persönlich-menschliche das Wichtigere.“ Mögen diese Worte eine
Erinnerung für all jene sein, die sie vergessen oder die
sie nie gekannt haben.
In den
vergangenen 40 Jahren haben wir unsere materiellen und geistigen
Ressourcen in die
„physische
Basis“ des Landes gesteckt und nicht in sein
„persönlich-menschliches Fundament“. Wir verschlangen Land, das
wir nicht wieder ausspeien konnten. Das Israel von 2006
schrumpft geistig, während es sich äußerlich aufbläht; wir
erweitern unsere Grenzen und verengen unsern ( geistigen)
Horizont.
Herzl warnte
auch davor, dass aus einer „Republik von Aristokraten“ eine
Theokratie werden könnte: „dem theokratischen Druck
unserer Geistlichkeit/ Rabbiner sollte nicht erlaubt werden, die
Häupter zu erheben.“ Im Gegensatz zu dieser Empfehlung,
sind wir nicht weise genug gewesen, die Rabbiner in den
Synagogen zu halten und auch nicht weise genug gewesen, die
Armee in den Kasernen fest zu halten.
Und wir
hielten auch die Armee nicht fern von den
Staatsgeschäften. „Ihnen sollte nicht erlaubt werden, sich
einzumischen“ – eine andere Warnung von Herzl – damit sie weder
zu hause noch im Ausland Schwierigkeiten machen .“ Es ist nicht
schwer zu erraten, was Herzl in seiner Berg-Rede wohl
gesagt haben würde über eine Regierung mit zu vielen Generälen
und einem Generalstab, der seit Generationen zu viele
Politiker produziert hat.
Herzls
Vision war nicht verkannt worden. Von Anfang an glaubte Herzl
nicht an unsere „Reinheit“; denn wir sind nicht anders als der
Rest der modernen Menschheit, und weil wir in Freiheit
einen Grad von Hybris entwickeln werden.“ Wie Herzl sagte. Er
war kein Utopier wie Thomas Moore. Trotzdem war er davon
überzeugt, dass unser Volk einen enormen Schritt vorwärts
auf Großartiges tun würde.“ Es geschah nicht. Die Hänge von den
Schweizer Alpen in die judäische Ebene haben sich als zu
schlüpfrig erwiesen – voller Sünden, die überall auf dem Wege
lauerten.
Der Prophet
Hesekiel, ein anderer Visionär, verzweifelte nicht, als er im
Tal all die ausgetrockneten Gebeine sah. Er glaubte daran, dass
sich ein Wind erheben und sie alle wieder lebendig machen
werden . Schade, dass es unter uns keinen Hesekiel gibt, der
eine Prophezeiung für die Gebeine seines visionären Kollegen
hat.
(dt. Ellen
Rohlfs) |