Der israelische Widerstand
Hannah
Safran, März 2009
(
www.redpepper.org.uk:80/The-Israeli-resistance
)
Die
israelischen Medien ignorieren die Gegner des Gazakrieges und der
Besatzung Palästinas – aber ihr Netzwerk wächst. Hannah Safran wirft
einen Blick auf die Lage des Landes und die neue israelische Linke.
Am 8.
Januar 2009 – 13 Tage nach Kriegsanfang kamen 45 Leute – Juden und
Araber in Haifa zusammen, um die Anti-Kriegs-Aktivitäten der nächsten
Zeit mit einander zu besprechen. Jeder der Teilnehmer hatte schon an
mehr als nur einer Aktion gegen diesen Krieg teilgenommen.
In
Haifa selbst, der drittgrößten Stadt Israels gab es wenigstens zwei
Demonstrationen jeden Tag: eine in der Mittagszeit bei der Universität
und die andere am Abend im Stadtzentrum, wo viele palästinensische
Bürger Israels leben. Bei beiden Demonstrationen waren Palästinenser
und Juden beteiligt.
Fünf
Tage vorher – am 1. Samstag nach Kriegsanfang, gingen die meisten
entweder nach Sachnin, einem palästinensischen Ort im Norden Israels, um
sich den 25 000 Leuten einer Demo anzuschließen, oder nach Tel Aviv, wo
weitere 10 000 demonstrierten. Alle Demonstranten waren Bürger Israels,
aber die israelisch-jüdische Presse erwähnte die Demo in Sachnin kaum,
weil es dort vor allem Palästinenser waren. Die Presse erwähnte die
Tel-Aviver Demo auch kaum, weil sie routinemäßig die jüdische Linke
ignoriert.
Wir
hatten alle das Gefühl, dass diese Proteste nicht genügten. Wir wollten
den Israelis, die nicht sehen wollten, die Botschaft bringen, wie ihre
Regierung das Land wieder in einen unnötigen und grausamen Krieg geführt
hat.
Eine wachsende
Öffentlichkeit
Die
meisten, die sich in Haifa trafen, kennen sich vom jahrelangen Protest
gegen die israelische Besetzung der besetzten Gebiete und besonders von
den Anti-Kriegs-Demos während des 2. Libanonkrieges, als Haifa selbst
bombardiert wurde. Doch nun gab es auch neue Gesichter – junge Männer
und Frauen - die einem das Gefühl geben, dass wir mehr werden. Das
lässt die Hoffnung wachsen.
Wir
gehören zu einer wachsenden Öffentlichkeit, der Israels Propaganda –
‚Wir haben keinen Gesprächspartner ‚– nicht verkauft werden kann; auch
nicht die Idee, dass wir uns darum bemühen, Frieden zu machen, aber die
Palästinenser gar nicht daran interessiert seien. Wir sind während der
letzten acht Jahre unseres Kampfes wider Erwarten mündig geworden .
Viele
von uns sind seit langem engagierte Friedensaktivisten. Wir kommen von
verschiedenen Organisationen, den Frauen in Schwarz ( die seit 21 Jahren
Mahnwachen gegen die Besatzung durchführen), der Hadash-Partei ( eine
Koalition von linken Gruppen und der kommunistischen Partei), Ta’ayush (
eine arabisch-jüdische Aktivistengruppe) das Haifaer Universitätsforum
Smol (linke Dozenten und Studenten), Isha L’Ischa, ein feministisches
Zentrum und viele andere Gruppen, die - jede auf ihre Weise - für eine
Politik für soziale Gerechtigkeit und Frieden arbeitet .
Wir
sind jüdische und palästinensische Bürger Haifas, alle Bürger Israels.
Aber keiner der israelischen Mainstream-Politiker oder -Akademiker ist
bereit, diese Allianzen als einen Nukleus für eine neue Linke im Israel
von heute anzuerkennen. Selbst die (einzige) liberale Tageszeitung
Haaretz, behauptet, dass es seit 2000 keine Linke mehr gibt, und
weigert sich zu erkennen, dass sich auf den Ruinen der alten
zionistischen Linken etwas entwickelt.
Haifa
ist mit seinem Grasswurzel-Friedensaktivismus und seiner Fähigkeit,
Leute jenseits politischer Differenzen zusammen zu bringen, nicht
einmalig. Viele Gruppen sind seit vielen Jahren aktiv gewesen und ihre
Zahl hat sich seit Beginn der 2. Intifada hundertfältig vermehrt.
„Das
Schweigen brechen“ sind frühere Soldaten, die berichten, was in den
besetzten Gebieten tatsächlich von Seiten des Militärs passiert. „Die
Anarchisten gegen die Mauer“ - ist eine Gruppe tapferer junger Leute,
die an der vordersten Front gegen die Mauer demonstrieren (sie bekamen
im Dez. 2008 die Ossietzky-Medaille in Berlin ER), „Die Frauenkoalition
für Frieden“ - eine Koalition von neun Frauenorganisationen; New
Profile – sie setzen sich für eine Entmilitarisierung der israelischen
Gesellschaft ein. Dies sind nur ein paar der vielen verschiedenen
Gruppen, die im Lande aktiv sind. *
Dazu
kommen die Menschenrechtsorganisationen, die eine äußerst wichtige
Arbeit tun – trotz des kriegslustigen israelischen Establishments.
Organisationen wie die „Ärzte für Menschenrechte“ PHR und B’tselem habe
engagierte Mitarbeiter und Volontäre, die Teil der Friedensbewegung
sind. Ich sollte auch viele palästinensische Gruppen in Israel nennen,
wie Mossawa ( ‚Gleichheit’), Adalla (‚Gerechtigkeit’) und „Frauen gegen
Gewalt“, die gegen Krieg und Rassismus kämpfen und für kulturelle und
zivile Freiheiten ihrer unterdrückten Gemeinschaften. Diesen
Organisationen schließen sich immer mehr junge Frauen und Männer an, die
sich dem Kampf für Bürgerrechte und Frauenrechte der Palästinenser in
Israel engagieren.
Die Erklärung der
Frauen
Ein
bemerkenswertes Phänomen war die „Erklärung gegen den Krieg“, die
innerhalb von fünf Tagen unter 24 Frauenorganisationen zirkulierte. Die
Erklärung rief zu einem Ende des Bombardements auf und verlangte, dass
der Krieg keine Option mehr sein solle. Die Organisationen, die dieses
Statement unterzeichneten, gingen weit über die der Frauenorganisationen
für Frieden, wie die Frauenkoalition für Frieden hinaus. Dieses Mal
haben sich zum ersten Mal auch Organisationen angeschlossen, die sich
für soziale, rechtliche, finanzielle Rechte der Frauen engagieren.
Die
feministische Organisation Isha L’Isha ging sogar noch einen Schritt
weiter und veröffentlichte ein Statement, die Regierung Israels solle
die grausame Belagerung des Gazastreifens und die Angriffe sofort
beenden, damit die israelischen Bewohner des Südens aus der Rolle als
Geiseln in den Händen der Politiker ohne Zukunft befreit werden. Diese
sollten die Rolle spielen, für die sie gewählt wurden: dem Land
Wohlstand und wirtschaftliche Sicherheit, Frieden und Sicherheit für
heute und die nächsten Generationen bringen und zwar für alle Frauen und
Männer der israelischen Gesellschaft, indem sie wahre Allianzen mit
allen Bewohnern der Region knüpfen.
Wir
sollten diesen Wandel erkennen und hoffen, dass diese Organisationen und
andere zivile Gesellschaftsgruppen wie die Umwelt-Bewegung gemeinsam
agieren. Der Prozess, der das alte Parteiensystem in Israel auflöste,
brachte viele unzufriedene Leute dazu, in lokalen Gemeindegruppen ihre
soziale und politische Unterdrückung zum Ausdruck zu bringen . Diese
Gruppen waren bis jetzt noch nicht in der Lage, sich allgemein für einen
Wandel zu artikulieren; sie sehen sich auch dem vorherrschenden
ashkenazischen Establishment (Juden aus Europa ) gegenüber, das sich
weigert, ihre Existenz und Bedeutung anzuerkennen. Aber trotz eines
gemeinsamen Versuches, die ganze linke Bewegung für Frieden und
Widerstand unsichtbar zu machen, können diese sozialen Kräfte zusammen
mit der neuen Linken eines Tages den Wandel bewirken.
Die
Weigerung, uns anzuerkennen, hat der israelischen Propagandamaschine gut
gedient, besonders in Kriegszeiten. Die israelischen Medien arbeiten
unisono mit der Regierung zusammen, um eine einheitliche Stimme der
jüdischen Bevölkerung zu präsentieren, die die großen und kleinen
militärischen Aktionen befürworten. Diese anscheinend einheitliche
Stimme wird in Opposition zu den Palästinensern in Israel dargestellt,
die natürlich gegen Krieg und Besatzung sind.
Jede
Demonstration, jeder Artikel oder jedes öffentliche Statements gegen den
Krieg wird so dargestellt, als ob sie von Arabern wären und nicht von
Juden. Die „einzige Demokratie im Nahen Osten“, wie sich Israel selbst
portraitiert, erlaubt keine andere Meinung. Wenn man gegen seine
militärische Offensive ist, wird man sofort als Verräter gebrandmarkt.
Damit zusammenhängend folgt der Gedanke, dass allen palästinensischen
Bürgern Israels, die gegen den Krieg sind, die Staatsbürgerschaft
genommen werden soll. Unter solch einem Rassismus müssen wir alle –
Juden und Araber - leiden, wenn wir uns öffentlich gegen den Krieg
aussprechen.
Bereit zu sein, Verräter zu sein.
Es
gibt eine wachsende Anzahl von Menschen, die bereit sind, als Verräter
angesehen zu werden. Als Israel 1967 den Rest des Palästinamandats
eroberte, war es nur eine Handvoll jüdischer Leute, die öffentlich gegen
diese Besetzung eintraten. (Dazu gehörte Arna Mer-Khanis ER)
Die
erste Gruppe war die sog. Matzpen (Kompass), eine Gruppe von vielleicht
weniger als 100 Leuten. Sie begannen einen tapferen Kampf gegen die
israelische Politik der Ausdehnung und Unterdrückung. 40 Jahre später
ist ihr Verständnis und Mut von nun 60 Friedensgruppen verschiedener Art
und 1000 Leuten, die am 1. Abend des Krieges auf Tel Avivs Straßen
demonstrierten, offenkundig geworden.
Es ist
nicht einmal nur die Linke, die gegen Israels Politik ist. Sogar der
„Council for Peace and Security“, eine Gruppe von Ex-Generälen und
hochrangigen Offizieren hat nur einen Monat, bevor der Krieg im
Gazastreifen begann, die Regierung aufgerufen, den Saudi-Friedensplan
anzunehmen und mit der Zweistaatenlösung zu beginnen.
Und
der Protest wächst täglich. Rund um die Welt sprechen Juden gegen den
Mythos von „einem Volk, eine Stimme“. Sie haben es satt, Israel zu
unterstützen, ein Israel mit seiner offensichtlichen Weigerung, eine
friedliche Lösung des Konfliktes anzustreben. Acht jüdisch-kanadische
Frauen fielen in das israelische Konsulat in Toronto ein und sangen dort
anti-israelische Slogans. Eine Gruppe von in Holland lebender Juden
veröffentlichte ein Statement gegen Israels Angriff des Gazastreifens.
Vor einer Woche hat eine Gruppe der Frauen in Schwarz in Melbourne eine
Demo vor dem Regierungsgebäude organisiert und es dahin gebracht, dass
sie in die Hauptnachrichten des Fernsehens kamen. Die „Faculty for
Israeli-Palestinian Peace“ in den USA organisierte eine Petition gegen
die Bombardierung der islamischen Universität in Gaza.
Am
Ende des Tages müssen wir uns fragen, ob die Zahl überhaupt wichtig ist.
Jeder Protest zählt und zweifellos sind die globalen Proteste nur ein
Beweis dafür, dass Israels Politik rund um den Globus immer weniger
populär wird. Doch da Israel an der vordersten Front des westlichen
Krieges gegen den Terrorismus steht, hat es einem Zweck gedient, der
keineswegs nur mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt in
Beziehung steht.
Solange Israel weiter die Wünsche der US-Außenpolitik erfüllt, wird es
keine Protestbewegung in der Welt geben, die Israel davon abbringen
wird, dies zu tun, was ihre Führer für richtig finden. Also, so sehr wir
mit unserer Forderung weitermachen müssen, den Krieg gegen den
Gazastreifen, gegen das palästinensische Volk und gegen die Besatzung zu
stoppen, scheint unsere größte Hoffnung bei Obama zu liegen, der in den
USA einen Wandel versprochen hat.
Dies
mag keine sehr optimistische Vision für unsern Kampf zu sein. Doch wir -
die Widerstandsbewegung in Israel - werden unsern Kampf gegen den Krieg
in Gaza und den Rassismus fortsetzen, der sich in der israelischen
Gesellschaft durchsetzt. Wir werden weiter wachsen, wir werden uns mit
anderen sozialen und Umwelt-Protestgruppen verbünden, und wir werden
voller Hoffnung helfen, unsere Gesellschaft zum Besseren hin zu wandeln.
Dr.
Hannah Safran ist eine feministische Friedensaktivistin und
Mitgründerin der Frauen in Schwarz in Haifa
-
leider hat sie die
Gruppen Gush Shalom, das AIC, die Refuseniks, die Shministim, Yesh
Gvul, Yesh Din, Machsom Watch, die RHR, die EJJP in Europa, „Die
jüdische Stimme“ in der BRD, Not in My Name“ in den USA …. vergessen
zu erwähnen)
(dt.
Ellen Rohlfs)
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