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Acht Stunden auf
einem anderen Planeten im Kishon-Gefängnis
David Nir, Occupation Magazin,
7.8.08
Am letzten Dienstag wurden wir – 25
Demonstranten – in der Zichron Yaakov verhaftet.
Die Polizei hatte anscheinend
strikte Befehle erhalten, eine Demonstration zu verhindern. Und
die Anzahl der Soldaten der Spezialtruppe und die der
Polizeiwagen, die dort auf uns wartete und den Zugang zu der
Straße, in der Oberstleutnant Reshev wohnt, blockierte, ließ
wenig Zweifel über das, was folgen sollte. Und tatsächlich in
weniger als 3 Minuten, nachdem wir begonnen hatten, uns
gegenüber vom Einkaufszentrum mit unsern Postern ( auf denen wir
den Mord an dem Kind und dem Jugendlichen durch Schüsse in den
Kopf in Ni’lin verurteilten) aufzustellen, griff uns die Polizei
an und wendete brutale Gewalt an, verletzte einige von uns und
schupste uns in die Polizeiwagen.
Es war etwa 18 Uhr. Ich wurde im
4.(von 5) Wagen zur Zichron-Yaakov-Polizeistation befördert, wo
wir in einem großen Konferenzraum versammelt wurden. Die Handies,
die Ausweise und Fotoapparate wurden weggenommen – damit wir
sie nicht verwenden und vielleicht auch, damit der Geheimdienst
dort etwas für ihn Wichtiges findet. .
Wir wurden der Reihe nach verhört
und eine Strafanzeige gegen uns aufgenommen.
Wir wurden wegen Randale angeklagt
und wir hätten die Polizisten angegriffen ... Wir sollten alle
am nächsten Morgen dem Richter vorgeführt werden. Als nächstes
wurden wir zu kleinen Gefängniszellen begleitet – die Jungen
von den Mädchen getrennt . Sie waren vorübergehend mit
angeklagten Kriminellen besetzt. Wir vermuteten, dass wir die
Nacht dort verbringen werden. Nur 30 Minuten später erfuhren wir
zu unserer Überraschung – wir hatten kaum das Wesentliche der
persönlichen Geschichten unserer traurigen neuen Zellengenossen
erfahren, als neun von uns ausgesucht wurden, um ins
Kishon-Gefängnis gebracht zu werden. Neun der Verhafteten
sollten frei gelassen werden, aber nur zwei waren mit den
Entlassungsbedingungen einverstanden. Die andern weigerten sich
und blieben also in Haft: die drei Männer verbrachten die Nacht
auf der Polizeistation und die vier Frauen wurden mit drei
anderen, denen die Freiheit nicht angeboten wurde, auf die
Haifastation gebracht.
Als nächstes bekamen die neun
Handschellen um, die Füße jeweils an einen Partner gebunden. Das
machte ein schnelles Lernen nötig, wie man koordiniert gemeinsam
die Treppe im Gebäude läuft oder hüpft und dann in die „Zinzana“
in den Gefangenenkäfigwagen. (Ich empfehle diese Übung, um die
Beziehung zwischen Paaren zu verbessern) . Nun wissen wir
wahrlich die traurige Berühmtheit der Zinzana zu schätzen. Es
ist ein Gefängniswagen mit minimaler Air condition, denn die
Gefangenenzellen stinken wie die Hölle vor geologischen
Schichten von Gespucktem und anderen Exkrementen. Sie werden
anscheinend nie gereinigt oder desinfiziert. Etwa um 1 Uhr
fährt die Zinzana ab. Aber das war nur der Anfang.
Nach etwa 40 Minuten öffnete sich
die gepanzerte Tür in einen Gefängnishof und wir gelangten in
die „Empfangsraum-Zone. Unsere persönlichen Dinge werden
weggenommen und weggeschlossen. Einer nach dem andern wird
genauestens untersucht, um auch unsere Strapazierfähigkeit zu
prüfen, dann müssen wir vor einem neugierigen Wärter alles
ausziehen, dessen Aufgabe es ist, sich zu versichern, ob unser
Darmausgang nicht eine Vorratskammer für Sabotage oder Drogen
ist.
Das Konzept eines „anderen
Planeten“ wird klarer: die grobe und demütigende Haltung
einiger Wärter ist ganz offen. Auf dem Boden einer
Warteraumzelle diskutieren wir das Problem und kommen zu dem
Schluss, dass sich auch die Gefangenenwärter selbst wie
Gefangene fühlen; durch ihren Job innerhalb der hässlichen
Gefängnisumgebung, deren Wesen Verachtung der menschlichen Würde
ist. Die Diskussion begann auf Grund eines Zwischenfalls mit
einem der Wärter, dessen „beleidigende“ Reaktion auf eine
Situation uns fragen ließ. Nachdem wir den Vorfall etwas
abgewogen hatten, kam sogar eine Art Mitgefühl in die
anfängliche Kritik: die Gefängniswärter sind Tag um Tag und
manchmal Nacht um Nacht jahrelang an diesen Planeten von
Elendsproduktion gebunden und haben keine Chance dem zu
entfliehen. So nimmt die Selbstverachtung immer mehr zu.
Schließlich waren wir völlig
registriert und es war 5 Uhr morgens. Wir wurden durch ein
Labyrinth schmutziger Gänge, zerstörter Stufen, Wände mit
abgeblätterter Farbe mit schrecklichem Gestank um uns geführt –
in eine „wirkliche“ Zelle. Wir wurden hineingestoßen, ohne
Handschellen. Die schweren Metalltüren schlugen hinter uns zu.
Dann das Geräusch eines schweren Schlosses wie in Filmen. An
geschäftigen Tagen kann die Zelle ein Heim für 16
Gefangene/Sardinen sein. Auch hier ist der Boden bedeckt von“
geologischen Schichten“ von Exkrementen, einige zerrissene
Matratzen, schmutzige metallene zwei -stöckige Bettgestelle,
verseucht von unzähligen kleinen Kakerlaken, die in Panik hin
und herlaufen. …Einige von uns sind so erschöpft und ignorieren
den Schmutz und lehnen sich auf den Betten gegen die Wand.
Andere bleiben stehen und versuchen, möglichst nicht mit dem
Dreck in Berührung zu kommen.
Dann bleiben uns nur noch 40
Minuten, um uns mit unserer neuen Bleibe bekannt zu machen,
bevor wir uns für das Gericht vorbereiten. Diese Zeit verbringen
wir mit kollektiven Scherzen, einige können singen, einige sind
Künstler, die der schon existierenden Gefängniskunstausstellung
noch etwas hinzufügen. Sie schmücken die Wände mit ihren gut
definierten Ansichten über die Besatzung, den Landraub von Nilin
und die IDF als Subunternehmer der Raubpolitik.
Dann war es Zeit: wir kamen
innerhalb der Zelle wieder in Handschellen, wurden in einer
Reihe zu einem äußeren Hof geführt, in den auch andere Bewohner
des „Planeten Kishon“ kamen, also „nicht-Aktivisten . Eine halbe
Stunde später wurden wir in eine Reihe verschlossener Zellen
geführt, getrennt von einander, je nach den Terminen des
Gerichtes. Wir bekamen ein Planeten“-Frühstück ( seit abends
hatte es nichts zu trinken gegeben). Eine halbe Stunde kamen wir
wieder in Handschellen, die Hände und Füße .. wir wurden wieder
in die übliche schmutzige Zinzana geführt, damit sei uns zum
Gericht nach Hadera bringt. Doch der Motor funktionierte nicht
und wir brieten und schwitzten in dem metallenen Käfig eine
halbe Stunde lang, bis der Wärter damit einverstanden war, die
schwere Tür zu öffnen. Die Temperatur fiel schnell um 10 Grad.
(Einer der Wärter war so freundlich und reichte uns eine
Wasserflasche)
Schließlich kam ein Ersatzwagen an
und wir wurden zum Hadera-Gericht gefahren. Die Sitze in diesem
Wagen waren bequemer, kein Gestank und es gab eine Klimaanlage…
Dann wurden wir in eine Kellerzelle
geführt und wie alle anderen Gefangenen behandelt und bekamen
eine Mahlzeit. Nach einer Stunde Beratung durch die
geschlossene Tür mit der phantastischen Anwältin Gaby Lasky -
es ging um die Entlassungsbedingungen, die sie vorher mit dem
Richter abgesprochen hatte – wir erklärten uns mit dem Deal
einverstanden. Genau dies hätte man auch schon am Vorabend
erreichen können, aber sie wollten „uns eine Lektion erteilen“.
Im Gerichtssaal forderte Gaby vom
Richter, dass die Wärter uns die Handschellen abnehmen, was sie
dann auch taten .
Nach sich lang hinziehender
Beratung unterzeichneten wir das Kautionsformular: wir waren
damit einverstanden, 15 Tage langZichron nicht zu betreten, den
Oberstleutnant, voll schlechter Absichten, 30 Tage lang nicht
zu kontaktieren und zu versprechen, dem Staat 5000 Schekel zu
zahlen, wenn wir dies nicht einhalten. Dann waren wir wieder
freie Menschen. Unsere Freunde begrüßten uns voller Freude, als
wir aus dem Gericht kamen. Wunderbare Erfrischungen erwarteten
uns im Schatten. Inzwischen war es 15 Uhr geworden und einige
von uns mussten noch ihre Sachen aus der Zichron Polizeistation
und aus dem Planet Kishon holen.
Es ist 18 Uhr, als die letzten von
uns Tel Aviv erreichen.
Nachgedanken.
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die
Besatzung ist tief (in unsere Gesellschaft) eingedrungen.
Sie ist nicht nur „dort“. Und sie wird von Legionen williger
Helfer unterstützt, denen keine Beschränkungen auferlegt
werden, wenn es sich um Gehorsam ihnen gegenüber und um
Gewalt handelt.
-
Die rundum
Erfahrung (im Gefängnis) gibt uns ein unmittelbares Gespür
für den Mechanismus, wie man Gefangene quält, ihr Gefühl für
Menschlichkeit vernichtet, indem man sie völlig ihrer
persönlichen Freiheit beraubt.
Wir dachten auch darüber nach, dass
das, was wir kaum einen Tag lang durchmachten, nicht mit dem zu
vergleichen ist, was verhaftete Palästinenser und allgemein
Gefangene Jahr für Jahr durchmachen und viele mit wenig
Hoffnung, je wieder frei zu kommen.
Warum veranlasst die „Gesellschaft“
solche Qualen?
(dt. und geringfügig gekürzt: Ellen
Rohlfs)
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