Machsom Watch Bericht ,
Dezember 2005
Diese
Frauenorganisation kontrolliert einen der schwierigsten Seiten der
Besatzung: die Einschränkung der freien Bewegung der Palästinenser
in den besetzten Gebieten.
„Hoffnung von uns
allen“
Große Reklameflächen stehen über den Eingängen zu den
neuen Kontrollpunkten. Auf ihnen steht „Die Hoffnung von uns allen“,
was ein israelisches Lied paraphrasiert – die Besatzung, wie
Verzweiflung wäre passender gewesen...der Seufzer der Reklameflächen
ruft eher Schrecken und böse Assoziationen hervor; sie hängen über
dem neuen Kontrollpunkt als ordneten sie das Hineingehen der Leute –
die „Hoffnung von uns allen“ – eine verachtenswürdige, nichtswürdige
Botschaft.
Demütigungen,
körperliche Verletzungen, Verzögerungen, Strafen, Absperrungen,
Mauern, Zerstückelung ( der Westbank), Hauszerstörungen, abgehackte
Olivenbäume, Schikanen, zusätzliche Kontrollpunkte, Schüsse,
Handfesseln, Verweigerung des Durchgangs, um medizinische Versorgung
zu erhalten, Einschüchterung, ....das ist nur eine teilweise Liste
dessen, was ein einziges Wort bedeutet: Besatzung...
Auf der
Schwarzen Liste des Geheimdienstes (GSS)
Offizielle
Berichte stellen fest, dass etwa bis 200 000 Bewohner der besetzten
Gebiete auf einer Schwarzen Liste des Shin Bet stehen ( = „Durchgang
verweigert“ = verboten, die Gebiete zu verlassen. Die Politik der
Verweigerung heißt „kein Zugang zu medizinischer Versorgung,
Verhinderung der Möglichkeit, einem Beruf nachzugehen und Geld zu
verdienen, Trennung von Familienbanden, Verweigerung des Studiums
und Freiheit der Religionsausübung.
Niemand ist
verpflichtet, eine Frage zu beantworten – und natürlich tut das auch
niemand. Die auf der schwarzen Liste stehenden, haben keine Ahnung,
warum sie diesen schrecklichen Titel („blacklisted“) erhalten
haben.
Wusstest du,
dass wenn die IDF absichtlich oder versehentlich einen Verwandten
von dir verletzt, man automatisch ein Risiko wird und kommt auf
die Schwarze Liste.
Wenn man sich
weigert, mit dem Shin Bet zusammen zu arbeiten, um Verwandte oder
Freunde zu beschuldigen, kommt man auf die Schwarze Liste.
Wenn man als
„Illegaler“ in Israel erwischt wird, weil man seine Familie
unterstützen will ...
Jedem jungen
Mann zwischen 16 und 30 wird der Durchgang verweigert.
Und wenn ein
Mann über dreißig ist und nicht verheiratet ist oder verheiratet und
ohne Kinder, dann wird einem der Durchgang verweigert.
So sind es
Zehntausende, völlig verarmte oder wohlhabende, ohne Schulbildung
oder mit Hochschulabschluss, Männer oder Frauen, die auf der
Schwarzen Liste stehen – und nur eins kann sie von der Liste
nehmen....
Es näherte sich
uns ein Mann, dem der Shin Bet eine Arbeitserlaubnis verweigerte und
der bei einem Arbeitsunfall verletzt wurde. Er war aufgefordert
worden, am nächsten Tag zum Nationalen Versicherungskomitee in
Jerusalem zu kommen. Ihm wurde das Durchgehen verweigert. Wir
wandten uns an die Zivilverwaltung, die versuchte, sich mit seiner
Forderung zu beschäftigen. Aber die Antwort war: der Mann könnte am
nächsten Tag nach Jerusalem kommen und mit dem Medizinischen Komitee
verhandeln – doch nur wenn er sich auf eigene Kosten von zwei
Sicherheitsleuten begleiten ließe, die der Sicherheitsdienst
genehmigen würde. Seine Antwort – aus Mangel an einem besseren Wort
– ließ uns nur erstaunen (Etzion DCO, 26. Dez. 2005).Unsere
Nachfrage ergab, dass dieser Mann gefangen wurde, nachdem er 16
jährig Steine geworfen hatte – jetzt ist er 37 – und ein Bruder von
ihm wurde versehentlich von der IDF erschossen und getötet.
„Ein älterer
Mann, der einzige Verdiener einer Familie mit 12 Kindern. Er
arbeitete jahrelang in Israel. Jetzt ist er arbeitslos und hat keine
Möglichkeit, in der Westbank etwas zu verdienen. Jahrelang arbeitete
in einer Siedlung in Gush Etzion und hatte eine Magnetkarte, die
bis Anfang 2006 gültig war.
Vor ein paar
Monaten wurde er zu einem Treffen mit Shin Bet-Agenten aufgefordert.
Am Ende des Treffens wurde ihm gesagt: „Ich helfe dir, wenn du
bereit bist, mir zu helfen.“ Zunächst verstand er nicht, worum er
gebeten wurde. Dann verstand er, falls er einen Passierschein für
Israel haben wolle, dann müsse er mit dem Geheimdienst
zusammenarbeiten. Er lehnte dies ab. Dann sagte der Agent: „dann
werde ich dir Schwierigkeiten machen, und du wirst nie einen
Passierschein nach Israel erhalten.“ (Auszug aus dem Zeugnis, das
wir von dem Mann erhielten)
„Ein älterer
Mann erzählt uns die seltsame Geschichte eines jungen Mannes, der um
eine Magnetkarte bat. Als er das 1. Mal vor einem Monat kam, wurde
ihm gesagt: „Schreib einen Brief und bitte um Gnade, ( was der DCO
einen „Entschuldigungsbrief“ nennt) und dann werden wir sehen. „Er
solle am 12. 12. wieder kommen. An diesem Tag sagte man ihm
dasselbe: „Schreib einen Brief und bitte um Gnade“ und komme am 22.
12. noch einmal. Doch heute am 22.12. haben sie seine Bitte
zurückgewiesen. Und nichts von einem nochmaligen Kommen gesagt. Ist
dies nicht ein neuer demütigender Trick? ( Etzion DCO, 22.12. 05)
Der nächste
Brief muss etwas gekürzt und einige Zeilen ausgelassen werden. Aber
der zeigt die unmögliche Situation, in die Menschen geraten, wenn
sie versuchen, nach einer Arbeits- und Verdienstmöglichkeit zu
suchen .
„Von 1979-82
studierte ich in den USA und danach studierte ich noch englische
Literatur an der Bethlehemer Universität. Ich was Mitglied in der
pal. kommunistischen Partei. Ich wurde verhaftet und kam in
Administrativhaft 3 oder 4 Mal jedes Mal für 18 Tage. Von 1987 bis
1990 arbeitete ich auf dem Bau in Israel. während des Golfkrieges
ging ich in die USA und arbeitete dort und blieb bis Sept. 1999.
2000 schlug mir ein Freund vor, der bei einer amerikanischen Zeitung
arbeitete, dass ich Interviews mit Leuten in der Westbank übersetzen
könnte. Er stellt mich anderen Journalisten vor. Und so begann ich
als Übersetzer zu arbeiten. Das machte ich bis 2002. Da es mir nicht
erlaubt war, mich frei in den besetzten Gebieten zu bewegen, meldete
ich mich bei einem Reiseleiterkurs an. Während dieses Kurses und
während ich einen touristischen Ort in Israel besuchte, wurde ich
von der Polizei verhaftet und kam für vier Monate ins Gefängnis.
Seit meiner Entlassung, Ende 2002 versuche ich eine Arbeit zu
finden, aber da ich auf der schwarzen Liste für Magnet
–Identitätskarten stehe und keine Arbeitserlaubnis habe, sind meine
Aussichten gleich Null. Im Oktober 2002 wurde mir von einer
Europäischen Organisation eine Arbeit als Reiseleiter angeboten. Als
Teil des Vorschlages war ich für drei Monate nach Europa eingeladen,
um die Sprache zu lernen. Aber an der Allenby-Brücke wurde ich
zurückgewiesen und verlor meine Arbeit. Im Augenblick bin ich
berechtigt, mich innerhalb der besetzten Gebiete zu bewegen. Ich
arbeite zeitweise zu Hause mit Übersetzungsarbeiten. Seit 1987 hatte
ich keinerlei Verbindungen zu politischen Organisationen. Und ich
will nichts anderes, als für meine Familie sorgen.“
Wenn
Palästinenser oder ihre Anwälte versuchen, die Gründe zu erfahren,
warum sie auf der Schwarzen Liste stehen, erhalten sie keine
Antwort. Zwischen Juni und Oktober 2005 appelliertem 158 Leute mit
Hilfe von Machsom Watch gegen die Schwarze Liste aus
Sicherheitsgründen. Diese erhielten – bis auf wenige, deren Prozess
noch läuft – eine Antwort. 40 wurden von der Liste gestrichen – und
wir fragen uns, ob es einen gerechtfertigten Grund gab, dass sie auf
der Schwarzen Liste stehen.
Kantonisierung – ein anderes Wort, um die Bewegungsfreiheit zu
verhindern
Die boshafte Absicht, den Würgegriff
über die zivile Bevölkerung der Westbank anzuziehen, wird immer
klarer. Abgesehen von dem Verbot, Israel zu betreten, sind Teile der
West Bank völlig von einander getrennt. So wurden isolierte Kantone
geschaffen, die keinen Kontakt mit einander haben. Bürger von
Tulkarem im Nordwesten der West Bank wird es verboten Nablus zu
betreten. Bewohner aus Jenin und Qalqilia ist es verboten, den
Tapuach-Kontrollpunkt (Zatara) auf dem Weg nach Ramallah zu
passieren. Im Dezember 2005 war Nablus zwei Wochen umzingelt. Um die
Konfusion und die missliche Lage vollkommen zu machen, wird die
Kantonisierung willkürlich in Kraft gesetzt und angekündigt. Keiner
weiß, wann er fahren kann.
Die Soldaten haben nicht die
leiseste Ahnung, wo all die Dörfer liegen, die auf den ID-Karten als
Wohnorte angegeben sind. Also fragen sie die Palästinenser: „Ist es
nah an Huwwara?“ Die glücklichen, die zustimmend mit dem Kopf
nicken, werden durchgelassen. Alle Erklärungen über die Verweigerung
des Durchganges und seine Gründe werden ausschließlich auf hebräisch
gegeben. Es gab keinen
einzigen DCO-Vertreter ( arabisch sprechendes Armee-Personal) .
(Huwwara, 18. dez. 2005)
(dt. Ellen
Rohlfs) |