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Eine verbotene Schlacht kämpfen: wie ich das Vertuschen von verborgenem Unrecht stoppte
Jesse Lieberfeld, 11. Klasse, Winchester Thurston, Januar 2012
 

 

Ich gehörte einmal zu einer wunderbaren Religion. Ich gehörte zu einer Religion, die denen von uns, die an sie glaubten, erlaubte, sich so zu fühlen, als wären sie das größte Volk der Welt – und gleichzeitig bemitleidete ich uns. Einmal dachte ich wirklich, in diese Welt der Sicherheit, des Selbstmitleids, der selbsterklärten Intelligenz und der perfekten moralischen Ästhetik zu gehören. Ich dachte von früh an, ich sei etwas Besonderes.  Es wurde mir jedoch bald klar, dass meine Mitglaubenden und ich  kein Teil von so etwas Schmeichelhaftem sind.

 

Obwohl ich froh war, Eltern zu haben, die mich in keine bestimmte Art von Glauben zu drängen versuchten, war es doch unmöglich, während des Erwachsenwerdens dem Jüdischsein zu entkommen. An jedem Feiertag, jedem Gottesdienst, bei jedem Treffen mit der Verwandtschaft wurde dies bestätigt. Ich wurde immer wieder daran erinnert, wie intelligent unsere Familie war, wie wichtig es war, daran zu denken, woher wir kamen und stolz zu sein auf all das Leiden, das unser Volk überwunden hat, um sich endlich seinen Traum,  in der perfekten Gesellschaft  in Israel zu leben, zu erfüllen.

 

Dieser letzte obligatorische Glauben war einer, den ich nie ganz verstand, hatte aber meine Zweifel an Israels guten Ruf immer im Hinterkopf. „Unser Volk“ kämpfte einen Krieg, den ich nicht ganz verstand, natürlich nahm ich an, dass er gerechtfertigt ist. Wir würden niemals so unmoralisch sein, einen ungerechten Krieg zu führen. Doch als ich mehr über den sog. „Konflikt“ mit den Palästinensern  erfuhr, wurde ich nachdenklicher. Routinemäßig hörte ich von unerklärten Massentötungen, Angriffen auf medizinische Einrichtungen und andere alarmierende gewalttätige Aktionen, für die ich keinen  möglichen Grund sehen konnte. „Genozid“ schien mir der passendere Ausdruck zu sein, doch keiner, den ich kannte, würde jemals davon geträumt haben, einen Krieg so zu benennen. Sie beschrieben die Situation immer mit schockierenden neutralen Ausdrücken. Wann immer ich das Thema anschnitt, wurde mir die Antwort gegeben, es würden Fehler auf beiden Seiten gemacht, so dass keiner wirklich angeklagt werden könne – oder einfach, es wäre eine „schwierige Situation.“  Bis zur 8. Klasse wusste ich genau , auf welcher Seite ich stand. An einem Nachmittag  wurde bei einer  Busfahrt nach Hause  von einer neuen Tötungsrunde berichtet. Ich fragte zwei meiner Freunde, die Israel aktiv unterstützen, was sie dazu denken. „Wir müssen unsere Rasse verteidigen“, sagten sie mir, „es ist unser Recht.“

 

„Wir müssen unsere Rasse verteidigen.“

Wo hatte ich dies vorher schon mal gehört? War es nicht dieselbe Entschuldigung unseres eigenen Landes, um seine Misshandlungen der afrikanischen Amerikaner vor 60 Jahren zu rechtfertigen. In dem Augenblick wurde mir klar, wie ähnlich die beiden Kämpfe waren – wie die weißen Radikalen jener Zeit kontrollierten wir das Leben eines anderen Volkes, das wir täglich missbrauchten, und keiner konnte uns widersprechen. Es wäre politisch zu unkorrekt gewesen. Wir hatten zu viel gelitten, haben zu viel Not ertragen und zu viele Verluste hinnehmen müssen, um kritisiert zu werden. Mir wurde klar, dass ich auf keinen Fall ein Teil des „Konfliktes“ war – der Terminus „israelisch-palästinensischer Konflikt“ war genau so wenig korrekt, wie die Bürgerrechtsbewegung  „afro/amerikanischer Konflikt“ genannt wurde. In beiden Fällen war der Ausdruck ein  eklatanter Euphemismus: es machte den Eindruck, dass dies ein Streit unter Gleichen war und dass beide den gleichen Anteil an Schuld hätten. Doch in beiden Fällen gab es eindeutig einen Unterdrücker und einen Unterdrückten. Ich war erschrocken, als mir klar wurde, dass ich von Natur aus auf die Seite der Unterdrücker gehörte. Ich gehörte zu der  rassischen Oberschicht. Ich war Teil einer Gruppe, die tötete, während sie  die eigene Intelligenz und Vernunft lobte. Ich war Teil eines Irrglaubens.

Ich dachte an den Führer der andern unterdrückten Seite vor vielen Jahren, an Martin Luther King . Auch er war ein Teil  eines Kampfes gewesen, der verborgen gehalten wurde und der vertuscht/ beschönigt wurde um der Annehmlichkeiten derjenigen, die gegen ihn kämpften. Wie würde seine Reaktion gewesen sein? Wie  sich herausstellte, war es genau dasselbe wie bei mir. Wie er in seinem Brief aus dem Birmingham-Gefängnis schrieb, war er  davon überzeugt, dass der größte Feind seiner Sache nicht der „weiße Bürgerrat oder die Klu Klux Klaner waren, sondern die weißen Moderaten, die mit einer mythischen Zeitvorstellung leben … eine lauwarme Akzeptanz  ist viel verwirrender als direkte Zurückweisung.“  Als ich diese Worte zum ersten Mal las, hatte ich das Gefühl, als würde ich in einen Spiegel schauen. Mein ganzes Leben war von dem  sog. Konflikt mit derselben Teilnahmslosigkeit bestimmt worden, die King so stark verurteilte. Auch ich spielte die Rolle eines Moderaten, auch ich „lebte in einer mythischen Zeitvorstellung“. Eingehüllt in meine eigene surreale Welt und Glaubensgruppe, die mir zugewiesen worden war. Ich hab mich nie so wie in einer Falle gefühlt.

 

Ich entschied mich, einen  letzten Aufruf an meine Religion zu richten. Wenn sie mir keine Antwort auf meine Bedenken geben kann, dann kann es keiner.  Als ich das nächste Mal in die Synagoge ging, war dort eine Frage und Antwortsitzung über jeden Punkt in unserer Religion. Ich wollte mein Dilemma in so klaren und  einfachen Ausdrücken bringen, wie ich nur konnte. Ich dachte mir die Frage während eines 17minütigen Solocellostückes aus, das immer während eines Gottesdienstes gespielt wurde. Früher hatte ich dies Solo als einen Teil des Programms angesehen, doch jetzt schien es mir, als würde es das Wesentliche unserer Religion aussagen: intelligent und als gute Musikkunst auf Papiergebracht, doch dabei die Außenwelt  vollkommen vergessend. (Der Solist hatte nicht die leiseste Ahnung, wie meisterlich er uns alle zum Schlafen brachte). Als mir dann schließlich die Gelegenheit  gegeben wurde, meine Frage zu stellen, fragte ich: „Ich möchte gern Israel unterstützen. Aber wie kann ich es, wenn es seine Armee so viele töten lässt?“ Ein paar ältere Männer reagierten mit einem zornigen  Blick, aber der Rabbiner antwortete mir. „Es ist eine schreckliche Sache, Aber wir können nichts tun. Es ist ein Teil des Lebens.“ Ich wusste natürlich, dass der Krieg keine einfache Sache ist und dass wir unter keinen Umständen ohne Grund morden, aber unsere Tausenden von Morde als eine „Tatsache des Lebens“ hinzustellen, ging mir zu weit, das konnte ich nicht akzeptieren. Ich dankte ihm und ging kurz danach hinaus. Ich kam niemals wieder zurück. Ich dachte darüber nach, was ich tun könnte. Wenn nichts anderes, dann könnte ich wenigstens mich selbst von der Bürde befreien, die mir mit einem Glauben auferlegt wurde, die ich mit gutem Gewissen nicht tragen konnte. Ich konnte nicht den Rest meines Lebens als einer der mitleiderregenden Moderaten leben, die M.L.King so gut als den schlimmsten Teil des Problems portraitierte. Ich beabsichtigte nicht, als einer der Selbst-Auserwählten zu gehen und mich selbst als ein Teil einer Gruppe zu identifizieren, zu der ich nicht gehöre.

 

Es wurde anders, als ich nicht mehr der ideale jüdische nette Junge war. Der Unterschied wurde subtil,  blieb aber  nicht unberührt. Wann immer dieses Problem  bei jemandem  unserer religiöseren Freunden der Familie  Beachtung fand, dass ich nicht mehr ihren Glauben teile, wurde ich missbilligend angeschaut oder man wechselte schnell das Thema oder es kam  ein alarmierender Ausruf: „Was? Du kümmerst dich nicht mehr um Israel?“

Verwandte sprachen  später nur noch herablassend mit mir. Aber schließlich habe ich nicht mehr darauf geachtet, wie die Erwachsenen rund um mich, mich wahrgenommen haben. Es war mir wichtig, mich nicht länger als jemand zu fühlen, der nur noch ein gefühlsloser Teil einer Maschine war.

 

Ich kann offensichtlich nie erfahren, wie es in den 50er-Jahren  gewesen ist, ein Afro-Amerikaner zu sein. Aber ich habe das Gefühl, als ob ich genau wüsste, wie  sich ein Weißer während dieser Zeit empfand, als er unter einer Aura moralischer Unbesiegbarkeit lebte, an einem unangefochtenen Glauben festhielt und Illusionen  der Überlegenheit ersann, um den einfachen täglichen Wahrheiten aus dem Weg zu gehen. Solch eine Illusion war gut, während sie anhielt, aber ich entschied mich, sie aufzugeben. Nie war ich glücklicher.

 

http://www.hss.cmu.edu/pressreleases/pressreleases/jesselieberfeld.html

(dt. Ellen Rohlfs)

 

 

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