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Von zwei Staaten zu einem
Ran
HaCohen, 10. Mai 2010
http://original.antiwar.com/hacohen/2010/05/09/from-two-states-to--one/
Letzte
Woche verordnete in Tel Aviv ein Richter drei Mietern eine Strafe von
25 000$, weil sie ihren Balkon illegal um 23 qm vergrößert haben. Das
ist nun wirklich kein Knüller. Illegales Bauen ist überall eine
strafbare Tat, auch wenn es keine unmittelbaren Opfer wie in diesem Fall
gibt. Israel ist ein Staat, in dem Gesetz und Ordnung herrschen; man
kann nicht einfach ein Grundstück nehmen und es behalten.
Es sei
denn, man ist in den besetzten Gebieten – natürlich. Indem man
vorübergehend oder auf Dauer eine Wohnung mit oder ohne Erlaubnis nimmt
- und nicht nur Wohnungen, sondern Häuser, Wohngebiete, ja, ganze
Siedlungen – so ist das keine Straftat, sondern gerade eine
zionistische und jüdisch-religiöse Pflicht. Wenn dies ohne unmittelbare
Opfer gemacht wird, ist es ok. Wenn dies einige Palästinenser aus ihren
Häusern und von ihren Feldern zwingt, um so besser.
Genau
wie die Mieter in Tel Aviv werden die Westbankbesetzer bald Besuch vom
Staat erhalten; aber während in Tel Aviv die Besucher die Mieter zum
Gericht mitnehmen, werden sie in der Westbank die „Mieter“ mit dem
Stromnetz und der Wasserleitung verbinden. Sie werden auch ein paar
Soldaten zurücklassen, damit die richtigen Besitzer des gestohlenen
Landes ihnen kein Leid antun oder ihr Gefühl der Sicherheit verletzen. (
Auch diese Soldaten benötigen Wohnraum usw. ) und während in Tel Aviv
die Besetzer/ Mieter – sollten sie zufällig Staatsbeamte sein – für
ihre strafbare Taten ihren Job verlieren könnten, leben ziemlich viele
israelische Offiziere in illegalen Außenposten überall in der Westbank.
Und das Militär „hat keine Richtlinie“, um solche Fälle zu behandeln.
Akiva Eldar, der diese Geschichte in Haaretz veröffentlichte, fragt
sich, „wie ein Offizier, der das Gesetz bricht und gerichtliche Order
ignoriert, für seine Soldaten als Vorbild dienen kann.“ Ich sehe kein
Problem darin: Die Soldaten sind mit demselben Ziel in den besetzten
Gebieten wie ihre Gesetze brechenden Offiziere: und zwar die
Palästinenser zu enteignen. Ich denke, solche Offiziere müssen gerade
eine Gehaltserhöhung bekommen. Tatsächlich erhalten sie eine, da
Siedler weniger Steuern zahlen ( und bessere Dienste erhalten) als
normale Israelis.
Die zwei jüdischen
Staaten
Auch
dies ist kein Knüller. Kritische Israelis – die letzten Mohikaner –
wissen, dass es zwei jüdische Staaten im Land Israel gibt: der Staat
Israel und die besetzten Gebiete. Der erste ist ziemlich demokratisch;
der zweite ist eine Diktatur. Der erste wird von einer Regierung und
Polizei beherrscht, die für Gesetz und Ordnung sorgen; die zweite ist
ein Wilder Osten, der vom Militär regiert und von Siedlern terrorisiert
wird. Ein Verbrechen auf dieser Seite der Grünen Linie ist auf der
andern Seite eine patriotische Tat. Wir leben seit vier Jahrzehnten auf
diese Weise. Die meisten von uns haben nie etwas anderes gekannt.
Tatsächlich sollte dies niemanden überraschen. Haben die Briten in
Indien und in ihren anderen Kolonien nicht dasselbe getan? Die Franzosen
in Algier? Die Holländer in Indonesien? Nur Leute mit Gewissen können
nicht damit leben; die meisten Leute können es. Man überquert eine Linie
und wird ein anderer Mensch.
Fusioniert in Einem
Aber
die rechtsorientierten israelischen Regierungen – und alle israelischen
Regierungen sind rechtsorientiert oder noch schlimmer – mochten nie die
Dinge in der Art sehen, die von der Grünen Linie symbolisiert wird. Die
Grüne Linie macht einen falschen Eindruck: manch einer mag sich irren
und denken, das Gebiet jenseits gehört uns nicht. Deshalb hat Israel,
der alte jüdische Staat, alles getan, um die Linie zu löschen. Fährt man
z.B. auf der Schnellstraße von Tel Aviv nach Petach Tikva – eine
Stadt innerhalb Israels - so sieht man unterwegs ein großes
Straßenhinweisschild nach „Ariel“. Das Schild ist in derselben Form,
Größe und Farbe wie alle anderen. Keiner macht sich die Mühe und sagt
dir, dass Ariel eine illegale israelische Siedlung mitten in der
Westbank ist. Sodass ein Besuch dort die israelische Besatzung
unterstützt. Man kann nicht sagen, wann und wo man die Grüne Linie
überquert hat und wann man vom 1. jüdischen Staat in den zweiten geraten
ist, vom einen mit einer jüdischen Mehrheit und demokratischen
Institutionen zum anderen, wo die jüdische Minderheit ihre militärische
Diktatur einer palästinensischen Mehrheit auferlegt.
Um ein
anderes Beispiel zu geben: letzte Woche bin ich mit einem Taxi von Tel
Aviv nach Jerusalem gefahren. Es war früh am Morgen und ich nickte ein.
Plötzlich hielt das Taxi. Ich muss zugeben, ich vermeide möglichst
(West) Jerusalem – eine spannungsgeladene, arme, hässliche Stadt, von
einer gemischten Menschenmenge gequält, deren einziger gemeinsamer
Nenner es ist, sich gegenseitig zu hassen – aber ich kenne den Weg nach
dort. Der Taxifahrer hatte keinen Grund zu halten, als er dann hielt.
Ich öffnete meine Augen und hatte eine mir unbekannte Aussicht. Der
Fahrer hatte die berüchtigte Apartheid-Schnellstraße genommen, die durch
die besetzen Gebiete geht. Er hatte es nicht für nötig gehalten, mich zu
fragen, ob ich über die Grüne Linie fahren wollte. Das ist normal.
Tatsächlich ist der rechtliche Status der besetzten Gebiete noch stets
anders: das israelische Gesetz wird dorthin „exportiert“ durch
juristische Kasuistik, dies kümmert aber nur ein paar Juristen und
Anwälte. Tatsächlich trägt noch jeder israelische Soldat und Bürger
sozusagen das israelische Gesetz mit sich über die Grenze; der Rest wird
von militärischen Dekreten geregelt - aber für alle praktischen
Erwägungen sind die beiden jüdischen Staaten ein Staat – zumindest was
Juden betrifft.
Aber in welchem ?
Die
Idee hinter dem Löschen der Grünen Linie war, den 2.jüdischen Staat zu
annektieren und in den 1. jüdischen Staat einzuverleiben – d.h. seine
jüdischen Bürger, sein Land und seine Ressourcen, aber nicht die
palästinensischen Bewohner. Aber was jetzt geschieht, ist, dass der
zweite jüdische Staat nicht zu dem Einen vorausgesagten geworden ist.
Die besetzten Gebiete sind nicht von Israel verschlungen worden – sie
haben Israel verschlungen.
Symbolisch, Israels brutaler Außenminister Avigdor Liebermann ist ein
Siedler. Tatsächlich hat die Logik der besetzten Gebiete das eigentliche
Israel übernommen. Die zwielichtige Solidarität nur unter Juden
(solange sie politisch konformistisch sind), die Fremdenfeindlichkeit
und der offene Rassismus gegenüber Nicht-Juden, die Intoleranz gegenüber
jeder Art von Kritik und anderer Meinung, die engstirnige Kultur einer
belagerten Zitadelle, alles macht Israel zu einer vergrößerten
Westbank-Siedlung, umgeben von einem high-tech Zaun und vereinigt durch
einen eingebildeten Ozean von Antisemitismus rund herum. Es ist nicht
nur die Überrepräsentation der Siedler im Militär und in der Politik.
Was zunimmt, sind die Normen der Gesetzlosigkeit und der
Entmenschlichung des anderen (seien es Palästinenser, Gastarbeiter oder
afrikanische Flüchtlinge), religiöser Extremismus in einer verzerrten
Form des Judentums und vor allem vielleicht die Ideologie und das
historische Narrativ der Siedler, in bezug auf alles, was von der
Bedeutung des Begriffes Zionismus bis hin zu der Interpretation der
jüngsten Ereignisse wie dem Rückzug aus dem Gazastreifen oder dem
Libanonkrieg. Dieses Narrativ verbreitet sich weit über die begrenzten
Kreise der tatsächlichen Siedler.
Eine
schreckliche Inkarnation davon sind die Siedler, die jetzt Israel selbst
kolonisieren. In Israels gemischten Städten – von Tel Aviv ( wovon Jaffa
ein Teil ist) bis Akko – errichten jetzt Siedler aus der Westbank
Nester des Hasses in Form von jüdisch-orthodoxen Gruppen, die
zusammenleben und als „Torah-Schulen“ und „Sozialwerke“ kaschiert,
aufhetzen und die Worte verbreiten: Juden rein, Araber raus. Die
Palästinenser werden schikaniert und manchmal tätlich angegriffen. Die
Unruhen in Akko 2008 waren die Folge von solchen Siedlertätigkeiten. Die
Spannungen wachsen schnell in mehreren gemischten Städten,
einschließlich Jaffa, wo Siedler vor kurzem in ein palästinensisches
Haus einbrachen, die Besitzerin angriffen und ihr sagten, dass sie „alle
Araber aus Jaffa hinauswerfen werden.“
Während die ganze arabische Welt zu einem Kompromiss bereit ist und
Israel akzeptieren will wie nie zuvor, und während weise Köpfe in Israel
und außerhalb noch immer die ewige Debatte „Ein Staat gegen zwei
Staaten“ wiederkäuen, ist die Einstaatenlösung bereits erfüllt, da sich
Israel von einem Staat mit einer Kolonie in eine Kolonie mit einem Staat
verwandelt hat.
Ran
HaCohen wurde 1964 in den Niederlanden geboren und wuchs in Israel auf.
er hat ein BA in Computerwissenschaft, ein MA in Vergleichender
Literatur und ein Ph.D. in Jüdischen Studien. Er ist Dozent an einer Uni
in Israel. Er arbeitet auch als Übersetzer von Literatur (aus dem
Deutschen, Englischen und Holländischen) „Briefe aus Israel“
erscheinen gelegentlich bei Antiwar.com.
(dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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