Die Räder des
Fortschrittes ölen – Frauen arbeiten für den fairen Handel
Eli Ashkenazi, Haaretz, 24.10.05
Mitten in der Industriezone von Kafr Kana zwischen
Möbelgeschäften, Werkstätten, Autowerkstätten und Fabriken gibt es
einen kleinen und ruhigen Ort, der ganz anders als die laute
männliche Umgebung ist. Vier Frauen sitzen an einem langen Tisch mit
sehr kleinen Glasgefäßen und einem Haufen trockener Za’atar-
(Thymian) blätter und einer kleinen Waage. Sie reden leise mit
einander, während sie Za’atarblätter in die Einmachgläser füllen. In
ein paar Tagen wird eine Schiffsladung von 10 000 Gläsern - jedes
wiegt 80 g - nach Belgien gehen.. Sie müssen sich jetzt beeilen.
In der Ecke des
Raumes warten nicht rostende Stahlcontainer auf den Beginn der
Olivenernte und die Olivenölproduktion. Dann kommt der wichtigste
Teil der Arbeit: das Füllen der Flaschen mit Olivenöl für den Markt.
Aus dem nächsten Raum kommt ein strenger Geruch von Seife, die in
Nablus aus Olivenöl hergestellt wird. Die Seifenstücke sind in
großen Pyramiden aufgeschichtet, bis sie trocken genug sind.
Abgesehen von der traditionellen Seife wird auf Bestellung hin auch
Seife aus Milch, Honig, Zitrone oder aus dem Schlamm des Toten
Meeres hergestellt.. Sie drücken in jedes Seifenstück die Worte „Sindyanna
aus Galiläa“ (Galiläa-Eiche), verpacken und verkaufen sie in aller
Welt. Trotz der Probleme, die dem Handel durch die Kontrollpunkte
rund um Nablus auferlegt wurden, konnten im letztem Jahr 60 000
Stück Seife verkauft werden.
Dieser kleine
Betrieb ist das Herz der Aktivitäten der Sindyanna Gesellschaft in
Galiläa, der es nicht nur gelingt, den Frauen zu helfen
voranzukommen und ihnen Beschäftigung gibt, sondern auch
jüdisch-arabische Zusammenarbeit fördert und den Ölbaumbauern in
Galiläa hilft. Die Gesellschaft, die vor fast 10 Jahren gegründet
wurde, entstand aus einer Schule für Mütter, die von zwei Frauen in
Majdal Krum gegründet wurde, von Hadas Lahav aus Haifa und Samia
Nasser Khatib. In der Schule erfuhren die Mütter, wie sie ihren
Kindern bei den Schularbeiten helfen und wie sie sich mehr mit die
Erziehung ihrer Kinder befassen konnten. Lahav sagt, dass ihnen bis
dahin nicht bewusst war, wie sehr sich das Kurrikulum verändert
habe. Sie waren nicht gewohnt, sich in das Schulsystem der Gemeinde
einzumischen.
Aber das
Hauptziel von Sindyanna in Galiläa war gar nicht einmal, den Frauen
zu helfen, sondern ein wirtschaftliches Projekt zu beginnen, das den
arabischen Olivenbauern hilft, ihr Olivenöl zu vermarkten, und sie
so zu einer unabhängigen arabischen Landwirtschaft ermutigt. Das
Projekt hatte begonnen, weil die arabischen Olivenanbauer in Galiläa
immer größere Probleme hatten; ein Schlag nach dem anderen: ( noch
einmal) gekürztes Wasserkontingent, Absperrung des palästinensischen
Marktes auf der Westbank , dessen Händler das Olivenöl vom
Großhandel zu kaufen pflegten und in arabische Länder
weiterverkauften; sie wussten auch nichts von neuen Qualitäts-
Standards für Olivenproduzenten. Zur selben Zeit übernahmen einige
große israelische Firmen den Olivenölmarkt. So wurden die arabischen
Olivenbauer, die keinen Platz in diesen Firmen fanden, an den Rand
gedrückt.
Lahav und Nasser
Khatib entschieden zunächst, für die arabischen Olivenbauer die
Chancen auf dem Olivenölmarkt zu verbessern, indem sie ihnen die
neuen Bedingungen des Marktes bewusst machten. Sie hielten Seminare
für die Olivenanbauer, bei denen Experten ihnen erklärten, welche
Qualität heute vom Olivenöl verlangt wird. Während einem dieser
Seminare erklärte Dr. Fathi Abdel Hadi, ein Berater der
Olivenindustrie im Wirtschaftsministerium: „wenn wir nur Öl
produzieren, das dem hochqualifizierten Olivenöl nicht entspricht,
kann es nicht verkauft werden.“
Die Sache ist
die, dass die Olivenhaine im arabischen Sektor durch Erbschaft
weitergegeben werden und so jedes Mal durch Teilung kleiner werden.
„Das ist aber gegen die wirtschaftliche Logik“, sagte er zu den
Olivenbauern. „So wurden die Moshavin und Kibbuzim die wichtigsten
Produzenten.“
Der Kibbuz
Revivim z.B. der 4000 Dunum bewässerte Olivenhaine hat,
produziert 200kg Olivenöl von jedem Dunum. Das ist eine Menge, die
von den Dörfern Deir Hana, Sachnin, Arabeh und Ilabun zusammen auf
9000 Dunum Land produziert wird. Dies hängt u.a. mit der Bewässerung
und einer besseren Nutzung des Landes zusammen. (Ungleiche
Wasserverteilung!! ER)
Fairer Handel
Frauen zu beschäftigen, war ein natürliches
„Nebenprodukt“ der Tatsache, dass die Gründerinnen von Sindyanna
mit besonderen Erfahrungen kamen. Sie hatten mit Frauen in der
Mütterschule gearbeitet. Nach einigen Jahren begannen sie nach neuem
Aktivitäten Ausschau zu halten, die für die Beschäftigung von
Frauen geeignet ist. Beim letzten Internationalen Tag der Frauen,
sagte Lahav, hätten die Arbeiterinnen der Gesellschaft von ihrem
Wunsch wirtschaftlicher Unabhängigkeit gesprochen und von dem
Selbstwertgefühl, das mit der Arbeit kam. „Dieser Wunsch, ein
Grundrecht jeder Person, ist noch ein ferner Traum von 83%
arabischer Frauen,“ sagte Lahav. „Hier tragen wir große
Verantwortung.“
Für die Gruppe
Frauen war es nicht leicht, unter arabischen Olivenanbauern einen
kommerziellen Status für sich zu erlangen. Der Vorteil von Nasser
Khatib und Lahav lag hauptsächlich darin, dass die Olivenbauern mit
der schnellen Entwicklung des Olivenölmarktes nicht Schritt halten
und es sich nicht leisten konnten, wählerisch zu sein. Hinterher
erfuhren sie auch, dass die Frauen das Öl zu einem fairen Preis
kauften, dass sie sich auf sie verlassen konnten, dass sie ihr Wort
hielten und dass sie nicht versuchten, Vorteile von den Olivenbauern
herauszuschlagen. – die Folge war, dass die Männer bereit waren, mit
den Frauen Geschäfte zu machen.
Nasser Khatib
und Lahav begannen, Öl von über 50 Bauern in Galiläa zu kaufen, sie
füllten es in Flaschen und brachten es auf den Markt. Letztes Jahr
verkauften sie 30 t Öl nach Großbritannien, Japan, die USA, Kanada,
Australien und andere Länder in Europa. Die Produkte der
Gesellschaft werden durch die Internationale Vereinigung „Fairer
Handel“ (IFAT) verteilt, die Produkte liefert, deren Herstellung
nicht mit Ausbeutung oder Rechtsverletzungen zusammenhängt. Beim
Packen sind nur Frauen beschäftigt.
Samia Naamneh
aus Arrabeh, die seit zwei ein halb Jahren in der Gesellschaft
arbeitete, sagte, sie hätte all das gefunden, was man sich bei
einem Arbeitsplatz wünscht: „ich arbeite hier friedlich und ruhig,
ich fühle, dass dies mein Arbeitsplatz ist, und ich niemanden über
mir habe. Wenn sich der Verkauf erhöht, habe ich das Gefühl, es ist
dank meiner Arbeit. Arbeit ist nicht nur Geld. Ich gebe auch etwas
an die Gesellschaft weiter. Ich vergeude keine Zeit.“
Tujan Sharari
aus Nazareth, eine Mutter von drei Kindern und deren Mann krank ist
und nicht arbeiten kann, war arbeitslos, bevor sie einen Platz in
der Gesellschaft fand. Rula Naamneh aus Arrabeh, auch Mutter von
drei Kindern arbeitete bis vor kurzem in jahreszeitlich abhängiger
Landwirtschaft für 80 NIS pro Tag und ohne soziale Vergünstigungen.
„Nun produziere ich Dinge, die Menschen in Japan oder anderen
Ländern wünschen - das freut mich und macht mich stolz,“ sagte sie.
Vor kurzem
machten die Arbeiterinnen eine Fahrt zum Hafen von Haifa, um mit
eigenen Augen zu sehen, wie die von ihnen verpackten Produkte in ein
Handelsschiff geladen wurden.
Für Samia
Naamneh war es die erste Eisenbahnfahrt ihres Lebens, für Rula
Na’amneh der erste Besuch eines Hafens. „Das nächste Mal fahren wir
vielleicht zu Orten, wo unsere Produkte verkauft werden – nach Japan
oder Europa,“ scherzten die Frauen.
Der „Faire
Handel“ entwickelt sich rapide im Ausland. Es ist eine große
Nachfrage für die Produkte von Sindyanna von Galiläa. Aber Lahav und
Nasser Khatib sagen, dass der Grund für die Nachfrage nicht nur mit
der Botschaft von Frieden und jüdisch-arabischer Zusammenarbeit,
sondern auch dank des guten Namens, der Verlässlichkeit und mit der
hohen Qualität ihrer Produkte zusammenhängt. Dies ist ein Status,
den wir seit Jahren nach und nach, Kunde um Kunde aufgebaut haben
und zwar mit Geduld und Entschiedenheit, weil wir die Vision hatten.
Die
Sindyanna-Gesellschaft überlebt finanziell vor allem deshalb,
weil es eine kleine Organisation mit kleiner Hierarchie ist. Es gibt
keinen Manager und keinen Marketingdirektor. Lahav und Nasser Khatib
kaufen selbst das Öl ein. Und sie sind verantwortlich für das
Verpacken und das Marketing. Der Gewinn wird vor allem in Kurse für
die Olivenbauern gesteckt und in die Entwicklung. Das machte den
Umzug aus dem kleinen Ort Majdal Krum in die größeren Räume der
Kafr Kana –Industriezone möglich.
Im Augenblick
versuchen sie, die Olivenbauern dazu zu ermutigen, zu organischem
Anbau überzugehen. Bis heute haben sie nur einen arabischen
Olivenbauer für die Organisation gewinnen können, die sich für
organischen Anbau in Israel verantwortlich weiß. Abdel Majid Hussein
von Dir Hana, der Landwirtschaft studierte und der große Kenntnisse
und Erfahrung im Anbau von Oliven hat, fand es nicht schwierig, zum
organischen Anbau überzugehen. Er sagt, dass die arabischen
Olivenbauern seit Jahren darunter leiden, dass sie von der
Industrie vernachlässigt wurden, aber „die Vernachlässigung von
Seiten der Regierung wurde auch durch Versäumnisse von Seiten der
Bauern begleitet. Dem arabischen Bauern ist der Begriff von
Säuregehalt im Olivenöl nicht bekannt... Für uns ist Olivenöl ein
Grundnahrungsmittel; für den ausländischen Markt bedeutet Olivenöl
noch mehr, etwas Geistiges, das Leib und Seele hilft.“
Hussein, der ein
Mitglied des Vorstandes von Sindyanna in Galiläa ist, schätzt, dass
95% aller Olivenhaine im arabischen Sektor organischer Anbau ist.
Aber ihnen fehlt die offizielle Anerkennung. Tatsächlich ist der
organische Anbau für den arabischen Olivenbauer von Vorteil, der sie
in einen renommierten Markt bringen könnte, der sich weltweit
schnell entwickelt. Aber um mehr Leuten zu helfen, diesen Schritt zu
tun, benötigt man Vollmacht und Einfluss.
Genau wie
Sindyanna in Galiläa den Olivenbauern predigt, auf dem Laufenden zu
bleiben und Neuerungen einzuführen, praktiziert Lahav selbst, was
sie predigt. Nachdem Olivenöl und seine Produkte eingekauft wurden,
begann sie nun auch Za’atar und Sirup vom Johannesbrotbaum
einzukaufen, der in einer Kooperative von 20 Frauen in den Dörfern
Zabuba, Anza und Kafr Dan (bei Jenin) hergestellt wird. Die
Arbeiterinnen dieser Region sind fast alles Witwen oder haben kranke
oder behinderte Ehemänner.
Seit der
„Trennzaun“ (in der Westbank) aber gebaut wurde, ist es ihnen
verboten, nach Israel zu kommen. So ist ihnen der Hauptmarkt für
von ihnen angebauten Za’atar, verloren gegangen. „Wir kaufen die
Waren zu einem fairen Preis und machen auf die Situation der Frauen
aufmerksam, die große Probleme haben, eine Unterhaltsquelle zu
finden,“ sagt Lahav. Bei Sindyanna betonen sie mit Stolz, dass jeder
der diesen Za’atar auf europäischen Märkten kauft, ein Produkt
erhält, das nur von Frauen hergestellt wurde, vom Pflanzen auf
Feldern bei Jenin, das Verpacken in Gläser und das Verladen auf
Paletten in Kafr Kana.
Eine andere
Initiative hat kürzlich begonnen: das Körbe-flechten. Sechs Frauen
sind schon von der Beraterin Ronit Pan eingeübt worden, wie man aus
Olivenzweigen und Palmwedel Körbe flicht. „Diese Arbeit erfordert
viel Geschicklichkeit und körperliche Kraft. Die Entscheidung des
Körbeflechtens wurde mit der Absicht gemacht, den Frauen eine
Möglichkeit zu geben, zu Hause zu arbeiten, damit auch die, die
Schwierigkeiten haben, das Haus zu verlassen, etwas verdienen
können“, sagt Ronit Pan.
„Man muss an
eine Veränderung glauben,“ sagt Samia Nasser Khatib. „Wir glauben an
die kleinen Schritte und Sindyanna ist solch ein kleiner Schritt.
Wir müssen ganz unten anfangen. Wir wenden uns dem schwächsten Teil
der Gesellschaft zu, denen, die sonst keine Hilfe bekommen. Und wir
glauben an ihre Fähigkeiten.“
Oliven-Tourismus
Die Geschichte
von Sindyanna in Galiläa ist Teil eines Mosaiks der
Olivenölindustrie im Norden (Israels). Das Olivenzweigfestival, das
in der letzten Woche begann, wird dieses Jahr von guter
Zusammenarbeit der Bewohner gekennzeichnet sein: von Juden,
Muslimen, Christen und Drusen.
Das Festival
wird bis 12. November dauern. Man wird Olivenhaine,
Olivenölbetriebe und touristische Stätten im Norden besuchen. Es
wird Musikveranstaltungen geben, israelische Kunst, Kulinarisches
und das Olivenpflücken und Konservieren. Auf der Hananyafarm, die
Israels Oliven-Beratungszentrum ist, wird es auch
Gesundheits-Workshops geben und einen Bauernmarkt, auf dem man Öl
und Oliven kosten kann.
(dt. Ellen
Rohlfs)
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