Liebe FreundInnen,die palästinensischen
Frauenorganisationen haben gemeinsam einen Brief an Kofi Annan
geschrieben mit der Bitte, die Vollversammlung einzuberufen, um den
Kämpfen in Gaza ein Ende zu bewirken und die vielen UN Resolutionen
bezüglich Palästinas wirksam werden zu lassen.
(Leider ist nicht zu erkennen, wo Annan die Macht dazu hernehmen
soll.) Mir selber wird immer dringlicher klar, dass Deutschland als
Verhinderer einer wirksameren Nahostpolitik der EU eine wichtige
Rolle zukommt.
Mich treibt dauernd die Frage um, wie wir effektivere
Öffentlichkeitsarbeit leisten können und vor allem eindeutig mit dem
Problem des Antisemitismus einerseits und der Instrumentalisierung
dieses Begriffs andererseits umgehen können. Die bisherige deutsche
Haltung - Solidarität mit Israel zugleich mit Hilfe (bis zur
Hamaswahl) an beide Seiten ist in sich widersprüchlich und bestärkt
diejenigen, für die jede Israelkritik Antisemitismus darstellt,
indem es sich von der nötigen Kritik gleich zurückhält. Wie können
wir unseren Landsleuten klar machen, dass wir beiden Seiten
gegenüber Verantwortung tragen?
Die Jewish Voice for Peace in USA fordert eindeutig von ihrer
Regierung die Einstellung von Hilfe an Israel. Am wichtigsten aber
ist m.E. eine klare Entsolidarisierung mit der Politik Israels und
eine Bestätigung seines Existenzrechts nur in den Grenzen von 1967.
Wie kommen wir in der Richtung bloß weiter? Ich fahre zur
StopptdieMauer Konferenz nächsten Samstag - ich hoffe, dass auch
einige von euch dort sein werden - und versuche vor allem in diese
Richtung zu wirken.
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Human Rights Watch fordert eine umfassende und unabhängige
Untersuchung der Aktion der israelischen Armee gegen Beit Hanun.
Nach dem Völkerrecht sind alle Angriffe, die hauptsächlich
Zivilisten treffen und kein eindeutiges militärisches Ziel haben
verboten. Auch die Qassamraketen der Palätinenser, die überhaupt
nicht genau zu zielen sind, verletzten das Völkerrecht. Die
Tatsache, dass ein Tag zuvor von einem bestimmten Wohngebiet aus
Raketen gegen Israel gefeuert wurden kann nicht als Legitimation
dienen, dieses Gebiet zum Ziel eines umfangreichen gezielten
Raketenangriff zu machen. "Die israelische Regierung muss sich
fragen, ob die Tragödie von Beit Hanun ein Versehen oder ein
vorhersehbares Resultat der Politik der IDF war, Artillerie gegen
dicht bevölkerte Wohngebiete zu richten."
Unicef berichtet, dass in Gaza im November bisher 17 Kinder
getötet wurden, dazu 2 in der Westbank, weitere 300 wurden verletzt.
Der Bericht hebt die Langzeitwirkung der Situation für die Kinder,
die die Tötung von Familienmitglieder erlebt haben und darüber
hinaus ans Haus gebunden sind ohne Lebensmittel, Wasser oder Strom
verharren müssen. Die Auswirkung kann man sich allerdings noch
klarer ausmalen an Hand dieser Worte eines Mitglied der Al Atamna
Familie die 16 Mitglieder verloren hat, aus einem Bericht in
Haaretz. Er wurde von seinem Bruder angerufen, das Heim der Familie
sei bombardiert worden. Er raste nachhause. Und sagt, "Ihr versteht
gar nicht. Es ist unmöglich, diesen Anblick zu vergessen. Kinder
ohne Hände, ohne Füße, in jede Ecke geschmettert, enorme Zerstörung.
Unsere ganze Familie lebt dort. Das Treppenhaus war völlig zerstört
und ein Verletzter oder Toter in jeder Ecke. Blut und abgerissene
Glieder lagen überall. Sogar die Nachbarn, die zu Hilfe eilten,
wurden durch die letzten Geschosse verletzt." Das Haus wurde von
mindestens sieben Artilleriegeschosse getroffen. "Ich weiß nicht,
was ich sagen soll. Es sind fünf Kinder hier, die ernsthaft verletzt
sind, mir ist nicht klar ob sie die Nacht überleben.
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Ein sensibler Israeli, Benny Ziffer, schreibt Worte in Haaretz,
die tief unter die israelische Haut gehen müssen - und vielleicht
auch unsere durchdringen müsste: Die Toten - im Libanon, in Gaza -
sind nach wenigen Tagen vergessen. "Keiner kannte sie als sie lebten
und gewiss nicht jetzt, wo sie tot sind..." Was bleibt dann, nachdem
das alles bald vergessen ist? "Meiner Meinung nach ist das, was
übrig bleibt, eine Art Sediment, ein Rückstand, der sich bei denen,
die töten, bildet, auch wenn es ein Versehen war. Dieser Rückstand
sammelt sich im Blut. Wir, die wir uns selber davon überzeugen dass
wir einen existentiellen Krieg führen, vergiften uns in wirklichkeit
- langsam, langsam... Jeder solcher Fehler, der den Tod Unschuldiger
zur Folge hat ... fügt unserm Blut ein paar Milliliter dieses Giftes
zu... Ich glaube nicht, dass wir Nazis sind und ich glaube, dass
niemand in der Armee einfach PalästinenserInnen töten will. Aber das
ändert nichts an der Tatsache dass sich dieser Rückstand im Blut
sammelt und wir eines Morgens aufstehen werden und feststellen, dass
wir tot sind. Nicht physisch, aber in unserem Menschsein. Wir werden
in den Spiegel schauen und statt unseres eigenen Gesichts das
zerschlagene Gesicht eines von denen, die aus Versehen getötet
wurden.... Wenn wir Kaffee kochen, wird aus dem Hahn Blut fließen
... geht und überlegt euch, was ihr im Kühlschrank finden werdet...
"Ich sehe schon besorgniserregende Zeichen dieser Vergiftung
unter vielen Menschen hier... Man sieht Menschen, die fast in der
Lage sind, dich umzubringen wenn du dich vordrängst in der Schlange
an der Post.
Jeder in seiner eigenen Luftblase eingeschlossen.... Jeder will
in Ruhe gelassen werden... Dafür ist er bereit einen ständig höher
werdenden Preis zu zahlen, ein Preis der die Müllabfuhr und das
Leitungswasser einschließt aber auch das versehentliche Töten von
PalästinenserInnen.
Und das nicht versehentliche... Es ist ein ungeschriebener
Vertrag (aber trotzdem gültig) zwischen unserem Staat und seinen
BürgerInnen. Ein Vertrag des destillierten Egoismus. Tel Aviv stellt
die Essenz davon dar. Hier beklagt man am meisten, was in Beit Hanun
passiert ist, beschuldigt die Armee und die Besatzung und will so
schnell wie möglich zur ersehnten Ruhe zurück kehren. Hier hat die
größte Zahl ihre Herzen unter diesen geheimen Vertrag gesetzt, ihr
Einverständnis, dass es nicht so schlimm ist dass Leute in Gaza
versehentlich getötet werden, solange es in Tel Aviv relativ ruhig
ist und relativ möglich, Kopfhörer aufzusetzen und Musik zu hören."
"Die beste Metapher dafür ist Ariel Sharon in seiner
gegenwärtigen, vegetativen Lage. Geist und Seele sind am Arsch und
keine Operation kann sie zurückgeben. Was bleibt ist der Körper, der
weiter lebt...
Wir sind ein Staat geworden, der nur aus einem physischen Leib
besteht. Ein Körper hat keine schlechtes Gewissen und hinterfragt
sich nicht..."