Wie Mäuse in der Falle
Palästinenser unter dem neuen israelischen „Trennungsplan“
Jamal Juma, 9.1.05
Palästina war wieder
einmal in den Schlagzeilen der westlichen Mainstream-Medien. Die
Vorbereitungen, die zu den Wahlen am 9. Januar führten, haben jedem genug
Stoff zum Veröffentlichen gegeben – bzw. gaben den Medien genug
Nachrichten, um das, was sich tatsächlich vor Ort entwickelt, zuzudecken.
Doch ist die augenblickliche Situation vor Ort eine Situation, die, wenn
sie nicht beizeiten gestoppt wird, die Zukunft des palästinensischen
Volkes mehr beeinflussen wird, als es jeder Wahlprozess tun kann.
Von der internationalen
Aufmerksamkeit nicht beachtet, zeigen die neuen israelischen Pläne klarer
als je zuvor, wie man sich das Schicksal des palästinensischen Volkes in
Zukunft vorstellt. Diese Pläne wurden der Öffentlichkeit in den letzten
Monaten vorgestellt. Die Apartheidmauer mit ihren horrenden Auswirkungen
auf das palästinensische Leben und Land steht nicht allein. Verbunden mit
der seit langer Zeit bestehenden Siedlungspolitik und der Infrastruktur
„Nur für Juden“ (Apartheidstraßen) stellt sie ein umfassendes System
kolonialer Beherrschung und Eroberung dar.
Ein erschreckender Plan
für Palästina nimmt hinter den israelischen Slogans der „Trennung“, hinter
der britischen Initiative, die „Road Map“ zu beleben, Gestalt an. Dazu
gehört auch die US-Bemühung, die Erfüllung von Israels Plänen
durchzusetzen, die die Bantustanisierung des palästinensischen Volkes
abschließt. Alle drei sollen gemeinsam jeden palästinensischen Widerstand
brechen, was als Vorbedingung für die Kontrolle über den Nahen Osten von
Jerusalem bis Bagdad angesehen wird. Insbesondere ist sich die
US-Regierung sehr bewusst, dass jedmögliche Chance für Erfolg einer
Besatzung des Irak und für US-israelische Pläne, den erweiterten Nahen
Osten zu gestalten, von ihrer Fähigkeit abhängt, im israelischen
Kolonialprojekt der Annexion, Vertreibung und Besatzung Palästinas
Stabilität zu schaffen.
Unter den letzten von
Israel angekündigten Plänen sind einige nur Maskeraden für die
internationalen Medien, während andere konkrete Projekte enthüllen. Die
letzte Veränderung der Apartheid-Mauerroute gehörte zu den Plänen der
ersten Gattung. Diese mutmaßlichen Veränderungen waren nur die Folge von
US-amerikanischem und internationalem Druck, Karten anzufordern, die sie
in die Lage versetzen, die Mauer vor ihrer Wählerschaft und der
öffentlichen Meinung zu verteidigen. Die „neue Karte“ der Mauer stellt ein
verzerrtes Zahlen- und Definitionsspiel dar, das die Prozente des durch
die Apartheidmauer gestohlenen und zerstörten Westbanklandes auf 6,1%
herunterdrückt.
Die Medien und
politischen Führer loben den „neuen“ Plan, versäumen aber, darauf
hinzuweisen, dass zu diesen 6,1% die 11.8% des durch Siedlungen
annektierten Landes und die 29,1% des isolierten Landes im Jordantal
hinzugefügt werden müssen. Ohne das für den Bau der Apartheidstraßen
zusätzlich gestohlene Land zu berücksichtigen, sind das im Ganzen 47% der
Westbank. Da gibt es also absolut keinen Unterschied zwischen den 47%, die
Israel vor den mutmaßlichen Veränderungen zu annektieren beabsichtigte.
Dieses Zahlenspiel zielt
auch dahin, der Art und Weise, wie über die Situation vor Ort gesprochen
wird, eine andere Wendung zu geben. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf die
den Palästinensern aufgezwungene Größe der Bantustans, als ob für
Empörung nicht allein die Tatsache genügt, dass unser Volk hinter Mauern
eingesperrt wird. Nun geht es um die Frage, ob diese Ghettos nicht ein
bisschen größer sein sollten. Wir kämpfen aber nicht für größere Ghettos
und farbigere Mauern – wir kämpfen für Freiheit und Gerechtigkeit in
unserem Land.
Das reelle israelische
politische Projekt kann inzwischen im „Trennungsplan“ und in den mit
diesem Plan verbundenen Initiativen gefunden werden. Weit davon entfernt
ein Rückzug zu sein oder den Palästinensern das Recht zu einem (eigenen)
Staat zu geben, grenzt er tatsächlich die volle Bantustanisierung für
unser Volk ab. Die Rhetorik des Planes verbirgt eines der am besten
ausgearbeiteten und am wirksamsten geplanten Projekte für die Versklavung
und Zerstörung eines ganzen Volkes.
Dieser Plan besteht aus
vier Hauptbauprojekten, die der Öffentlichkeit vorgelegt worden sind und
die eng mit dem Bau der Mauer verknüpft sind.
- Der Bau von neuen
Siedlungen und die Erweiterung der bestehenden Siedlungen:
Siedlungen sind schon immer das Kernstück des
kolonialen Projektes gewesen, um Palästina zu kontrollieren. Der
sogenannte „Trennungsplan“ behauptet, es ginge um die Aufgabe von
Siedlungen: d.h. die Evakuierung von Siedlungen im Gazastreifen und um
vier kleine Siedlungen in der Westbank in der Nähe von Jenin . Aber
gleichzeitig hat Israel die Annexion der anderen etwa 200 Siedlungen in
der besetzten Westbank und Jerusalem angekündigt. Zusätzlich ist Israel
zur Zeit dabei, im Raum Tulkarem und Kalkilia neue Siedlungen zu bauen,
um die Annexion des durch die Mauer abgetrennten Landes auf Dauer
abzusichern.
- Noch mehr „nur für
Siedler“ –Straßen: diese eingezäunten Straßen, die sehr vom
israelischen Militär bewacht werden, sind nur für Siedler. Palästinenser
dürfen diese Straßen nicht benützen, ja, nicht einmal überqueren. Sie
zerschneiden die Westbank und zerstören so das palästinensische
Straßensystem, während die Siedler überallhin freien Zugang haben. Auf
diese Weise wird Land annektiert und palästinensische Gemeinden von
einander abgeschnitten, genau wie das die Apartheidmauer tut. Israel hat
den Bau von weiteren 500 km Straßen angekündigt, um dieses
Apartheidstraßensystem zu verstärken. Dies soll sicherstellen, dass
palästinensische Wohngebiete nur mehr wie abgeschlossene Inseln sind,
die völlig isoliert zwischen den Siedlungen und ihrem Straßensystem
liegen.
- Brücken und Tunnel:
Israel plant den Bau von 16 Kreuzungen mit Brücken ( die für Israelis
freie Fahrt garantierten) und Tunnel (von Israel kontrollierte Passagen,
bewacht vom israelischen Militär). Diese werden für die Palästinenser
die einzigen Durchfahrmöglichkeiten sein, um von einer Stadt oder einer
Region der Westbank zur anderen fahren zu können. So schafft man für
die internationale Gemeinschaft eine Fassade von einem „Maximum an
Nähe“ der pal. Gebiete. Auf jeden Fall behauptet man, dass diese
Kreuzungen die pal. Bantustans mit einander verbinden - und so Nähe
schafft. Dieses Projekt zielt aber dahin, die volle israelische
Kontrolle über die Westbank zu garantieren, auch nach einem
Scheinrückzug der israelischen Armee. Alle Tunnel werden mit einem Tor
versehen. (Wie es schon bei Habla (Kalkilia) der Fall ist, wo die
palästinensische Bevölkerung auf die Gnade der Besatzungsmächte
angewiesen ist, um aus ihrem Dorf heraus oder in dieses hinein zu
kommen) So kann Israel über die ganze Westbank eine Ausgangssperre
verhängen, beliebig Kollektivstrafen verhängen und das ganze
palästinensische Leben kontrollieren. Um dies durchzuführen, sind dann
nur noch 16 militärische Fahrzeuge nötig – für jede Kreuzung eines.
- Industriezonen an
der Grenze ( CBIZ): Nachdem wir vollständig unseres Landes, unserer
Ressourcen, des Handels und des Lebensunterhaltes beraubt worden sind,
wird das Projekt der Versklavung des palästinensischen Volkes durch den
Bau von Industriezonen auf unserem gestohlenen Land außerhalb der
Ghettos – von Mauer, Siedlungen und Straßensystem bestimmt -
abgeschlossen. Dies ist die Grundlage, die für den Rest der
israelischen Pläne die Wirtschaftlichkeit liefert. Die Israel gehörenden
Industriezonen werden Stätten für arbeitsintensive Industrie sein, wo
Palästinenser gezwungen werden, als Billiglohnarbeiter zu arbeiten und
so die israelische Wirtschaft zu begünstigen. Für die hinter den Toren
ihrer Ghettos lebenden Palästinenser wird dies die einzige Möglichkeit
sein, einen sehr kargen Lebensunterhalt zu verdienen. Israel hat die USA
und Europa darum gebeten, die CBIZ zu finanzieren und so das israelische
politische Projekt unter dem Vorwand, Arbeitsmöglichkeiten für die
palästinensische Bevölkerung zu schaffen, zu legitimieren. Die CBIZ wird
auch als praktische wirtschaftliche Lösung einer potentiellen
menschlichen Katastrophe dargestellt. Nun wird auch derart
argumentiert, wenn die internationale Gemeinschaft dieses Projekt nicht
finanziert, wird die pal. Bevölkerung von humanitärer Hilfe abhängig
werden ( oder einfach in ihren Ghettos verhungern, was die beobachtende
Welt empören wird). Diese humanitäre Hilfe – wie viele andere Kosten der
Besatzung Palästinas und der Vertreibung von ihrem Land – sollte so
durch die internationale Gemeinschaft bezahlt werden. Auf jeden Fall
wird das pal. Volk unterworfen und versklavt bleiben und jeder
Möglichkeit von Selbstbestimmung beraubt sein.
Die Apartheidmauer erlaubt es Israel, all
diese Taktiken durchzuführen und mit einander zu einem einheitlichen
System zu verbinden . Es vervollständigt die palästinensischen Ghettos,
die von der Siedlungspolitik und dem Straßensystem (längst) vorbereitet
waren. Es bringt Israel auch in die Lage, Jerusalem vollkommen zu
annektieren und von der Westbank abzukoppeln. Israel erhält auf diese
Weise eine direkte und breite Verbindung vom Mittelmeer zum Jordan –
gleichzeitig wird den Palästinensern das Herz Palästinas genommen.
Im Lichte dieser Tatsachen wird deutlich, dass
es einen palästinensischen Staat nicht geben wird. Es wird auch deutlich,
dass die fortgesetzte Verletzung der Rechte der Palästinenser und des
internationalen Gesetzes zur Infrastruktur des neuen israelischen Planes
gehört. Die einzige Zukunft, die für Palästinenser in Aussicht gestellt
wird, ist eine der Ghettos und Bantustans und ein Leben unter andauernder
israelischer Kontrolle, Vorherrschaft und Demütigung.
Ein palästinensischer Bauer steht vor der
durch die Apartheidmauer verursachten Zerstörung in Beit Duqqu und fragt:
Ihr habt unser Land genommen und unsere Kinder getötet. Ihr habt unsere
Häuser zerstört und unsere Felder mit Bulldozern vernichtet und eure
Siedlungen gebaut. Was wollt ihr noch? Warum diese Mauer? Wollt ihr uns
wie Mäuse in einer Falle gefangen halten ? Ihr wollt für uns noch ein
Gefängnistor errichten und beginnt uns zu zählen, als ob wir Vieh wären.
Das palästinensische Volk wird einem Leben
unter solchen Umständen niemals zustimmen, wo die Besatzung durch die
scheinbar endgültige Kolonisierung der Westbank verstärkt wird. Dies
stellt die Vollendung eines Apartheidsystems dar, das das Südafrikas in
seiner dunkelsten Zeit bei weitem übertrifft, da es auf ein vollständiges
Verschwinden unseres Volkes hinzielt.
Wir werden es niemals akzeptieren, dass unser
Land gestohlen und zerstört und unsere Würde von uns genommen, unsere
fundamentalen Rechte täglich verletzt, unsere heiligen Stätten für uns
unzugänglich gemacht und Jerusalem, die historische, kulturelle und
wirtschaftliche Hauptstadt Palästinas annektiert und von unserm Volk
isoliert wird. Wir werden uns diesem Schicksal niemals beugen. Wir warten
aber auf eine klare, wirksame und unmittelbare Reaktion der Welt gegenüber
dieser Absicht, die uns zum Verschwinden bringen will.
Sechs Monate nach der Entscheidung des
Internationalen Gerichtshofes ( ICJ), den illegalen Bau der
Apartheidmauer, die Siedlungspolitik und die Besatzung betreffend, hat
Israel keinerlei Anzeichen getroffen, dass es mit dem Bau der
Apartheidmauer aufhören will. Vielmehr hat es seine kolonialistischen
Pläne verstärkt. Die internationale Kritik hat sich als unfähig erwiesen,
die notwendige Veränderung zu bringen. Die Internationale Gemeinschaft hat
es wieder nicht geschafft, ihre rechtlichen Verpflichtungen zu
übernehmen, dass die ICJ-Entscheidung erfüllt und das internationale Recht
respektiert wird - es ist dasselbe wie mit allen anderen UN-Resolutionen
die die Rechte der Palästinenser betreffen.
Es ist die Weltgemeinschaft, die heute dazu
aufgerufen ist, die Werte von Gerechtigkeit und Freiheit zu verteidigen.
Der Ruf nach Isolierung Israels durch Boykott und Sanktionskampagnen
sollten jeden Tag lauter werden – in jeder Stadt, rund um die Welt.
Einzelne Personen, Organisationen, Netzwerke
und Institutionen unterstützen Boykott und Sanktionskampagnen in aller
Welt. Der Trend zu einer neuen Anti-Apartheid-Bewegung wird stärker. Dies
wäre Unterstützung auf Grassrootebene, auf die sich das palästinensische
Volk angesichts des andauernden Versagens der internationalen
Gemeinschaft verlassen kann (hoffentlich ! d.Ü)
Diese verschiedenen Kampagnen rund um die
Welt sollten der Anfang eines Prozesses sein, der Israel einen Preis für
seine Verbrechen zahlen lässt. Solch eine weltweite Bewegung ist
notwendig, um diese scheußliche Mischung von Besatzung, Vertreibung,
Ghettoisierung zu beenden, die nach den neuen israelischen Plänen – wenn
sie genauer untersucht werden und ohne das Medienspektakel, das den
palästinensischen Wahlprozess umgibt– sonst zur vollständigen Versklavung
eines ganzen Volkes führt.
Jamal Juma ist
der Koordinator der palästinensischen Grassroot Anti-Apartheid-Kampagne,
die eine Reihe von größeren Organisationen der bürgerlichen Gesellschaft
vertritt und über 60 regionale Volkskomittees im ganzen Palästina hat. (www.stopthewall.org)
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