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Bitterer
Beigeschmack – Kann man zwischen dem Inhalt und dem Autor trennen?
Von David Hoolly
veröffentlicht in "Der Semit" 2.
Jahrgang Nr. 3 2010
Die Ostwand im Saal ist durch riesige
Fenster aufgebrochen, die in einen leeren Raum blicken. Leer, nicht so
wie der Blick aufs Meer in einer Nacht voller Sterne, sondern leer, als
ob uns der Boden unter den Füssen weggerutscht ist. Unten ein
symbolisches Zeichen für die Grenze der Synagoge, die hier bis zum Krieg
gestanden hat. Oben, im Saal der auf die Leere blickt, auf einer Bühne,
die für ihre Bewohner zu tief ist, unter schweren Leuchter, die
offensichtlich Säulen symbolisieren sollen, die hier in der Glanzzeit
des Gebäudes gestanden haben, zeigt Lala Süßkind, die Vorsitzende der
Jüdischen Gemeinde von Berlin, zu ihrer Rechten auf ein Podium wichtiger
Menschen, drei Männer und eine Frau, drei kleine Männer, winzig kleine
und eine riesengroße Frau.
Der leere Raum draußen ist ebenfalls
riesengroß. Wie ein Denkmal. Wie der Raum, den die Jüdische Gemeinde
füllen musste seit dem Krieg. Heute ist dieser Raum bis zum Rande voll,
sogar übervoll, mit unendlichem Widerhall von Misstönen aus dem
Widderhorn des zionistischen Staates. Und die Synagoge? Die Synagoge von
einst ist der leere Raum, den man aus dem Fenster erblickt. Die Synagoge
von heute? Ist vollkommen versteckt unter einem schwarzen Schatten des
Staates Israel. Die Sonne scheint an anderen Plätzen.
Lala Süßkind greift Minuten lang Iris
Hefets an. Beschuldigt sie des Rassismus, dreht ihre Worte um und reißt
sie aus dem Zusammenhang heraus. Hier gibt es kein Erbarmen, keine
Diplomatie. Hier gibt es einen Lynch, der sich nicht nur gegen ein
System von Ideen wendet, sondern auch gegen die Person, die diese Ideen
vorgestellt hat. Jenseits des Angriffs auf Iris Hefets und ihren Worten,
gibt es hier nichts. Die Leere draußen zieht sich zusammen.
Lala Süßkind strahlte in rot, wählt ihre
Worte mit einer rollenden Zunge, siegt schon am Anfang der Sätze, noch
bevor sie zum Ende gekommen sind, wie eine Politikerin bei einem
Heimspiel. Die Sätze verfolgen sich gegenseitig bei dem Bestreben zuerst
anzukommen. Und als sie angekommen sind, krönen sie Lala Süßkind als
Siegerin noch bevor die Debatte begonnen hatte.
Könnt ihr euch vorstellen die kalte Dusche,
die sie empfangen hat in dem Moment als sie verstanden hatte, dass es im
Saal auch andere Töne gibt. Nicht nur den Abklatsch vom Widerhall von
trüben zionistischen Widderhörnern, sondern auch laute Töne des Tags des
jüngsten Gerichts. Als sie ihre Worte beendet hatte, nickten die auf dem
Podium sitzenden zustimmend mit ihrem Kopf in der Art von Menschen, die
auf ihre Stellung stolz sind. Es wurde mit den Händen geklatscht, wie
üblich bei einer solchen Gelegenheit. Eine leichte Verbeugung und das
festhalten der Papiere aus dem Rednerpult in ihrer Hand und es sah fast
schon so aus, als ob man sie mit dem Siegeskranz auf ihrem Kopf
ausschmücken würde, und dann…
Der Saal war so voll, dass der Kopfschmuck
genötigt war in die Leere von unten auszuweichen. Eine Vielfalt von
Menschen, ein einsamer Durchgang in der Mitte, zwischen den Reihen von
blauen Sitzen und einem schwarzen Mikrophon – das gebogen da stand,
krumm, auf seine Chance wartend, die Worte des Publikums im Saal hörbar
zu machen. Interessant wer ihn gekrümmt hat? Frage ich mich und noch
mehr, wann wird er sich aufrichten? Ich entdecke einen Ausdruck von
Selbstzufriedenheit auf den Gesichtern der Männer, die auf dem Podium
sitzen. Sie betrachten ihre Texte, legen ein Blatt aus dem Anfang des
Haufens nach unten, bereiten sich auf den großen kleinen Augenblick, an
dem sie zeigen könnten, was sie vorbereitet haben, dem Augenblick an dem
sie mit einem natürlich intellektuellen Schritt, mit viel political
correctness selbstverständlich, uns allen im Saal erklären könnten, wie
sehr der schauerliche zionistische Widerhall, der sich hin und her
zwischen den Wänden der Jüdischen Gemeinde bewegt, der jede Nische
füllt, jede Kammer, jede Zelle und jede Bodenkachel hier füllt, die
ultimative und authentische jüdische Musik sei, die man bewahren müsste
im Gedenken an die Schuld. Nicht sie, antworte ich mir leise, sie werden
das Mikrophon nicht gerade biegen. Die einzige Frau im Podium, immer
noch auf einer Höhe mit den Kollegen an ihrer Seite, in ihren Augen sehe
ich aber eine andere Farbe.
Das Klatschen der Hände beruhigt sich
ziemlich schnell.
Und dann…plötzlich, stellen sich
demonstrativ überall im Saal, zur Überraschung der anderen und besonders
zur Überraschung des Podium und ganz besonders zur Überraschung der
Vertreter der Gemeinde im Saal und insbesondere zur Überraschung von
Lala Süßkind und zur Überraschung der zionistischen Widerhalle im Saal,
die eine ganz andere Disziplin gewohnt sind. Von ihren Sitzplätzen
schwingen einige Dutzend Menschen Plakate auf Deutsch und Hebräisch nach
jeder Seite: WIR SIND ALLE IRIS HEFETS!
Das Podium, das sich mit der Frage
beschäftigen wollte, die schon zur Ermüdung durchgekaut wurde, über „den
Umgang deutscher Medien mit Erinnerungskultur, Israelkritik und
Antisemitismus“, aber in Wirklichkeit nur nu, nu, nu sagen sollte…saß
zur Zufriedenheit der Tanten und Onkel im Saal, am Beginn des Abend,
sicher auf seinen Plätzen und erhob einen warnenden Zeigefinger gegen
jeden, der es wagen sollte, zur Seite zu blicken, besonders diese
Linken, diese…. Die drei Männer, die in ihrer Fantasie sicherlich ihre
Hände gerieben haben bei dem Gedanken an den Moment an dem sie die Frau,
Ines Pohl, die Chefredakteurin der taz, die immer noch gleiche Augenhöhe
mit ihnen bewahrte, nach unten in die Ecke drängen würden. Thomas
Schmid, der Herausgeber von DIE WELT zu ihrer Linken, Stephan Andreas
Casdorff, der Chefredakteur des TAGESSPIEGEL weit rechts und in der Nähe
und von rechts der Moderator des Abends Thierry Chervel, der Gründer
und Chefredakteur des online Magazin Perlentaucher.
Iris Hefets schrieb unlängst einen Artikel,
der in der taz veröffentlicht wurde, der Protest ausdrückte gegen die
Annullierung einiger Vorträge in bekannten Institutionen, von Menschen,
die lautstark gegen die Politik Israels protestiert haben. Die
Befürchtung, die Iris zum Ausdruck brachte war, dass sich hier in
Deutschland eine Bewegung des „zum schweigen bringen“ abzeichnet. Eine
weitere Ebene, die zwangsläufig in einem solchen Artikel auftauchte, war
der Missbrauch den Israel mit dem Holocaust macht, um eine unmoralische
Politik und unmoralische Taten zu rechtfertigen. Es gibt im Beitrag von
Iris Hefets nichts, was man als Tabu bezeichnen könnte. Iris Hefets
repräsentiert nicht eine Minderheit oder eine abwegige oder fantastische
Meinung. Im Gegenteil, ihre Worte sind akzeptabel, unter anderem bei all
diesen Menschen, Juden, Israelis und andere, die demonstrativ aufstanden
und die Plakate hielten – WIR SIND ALLE IRIS HEFETS und gefordert haben,
dass Iris Hefets fairer weise auf das Podium geladen wird. Die Stimme
von Iris Hefets in ihrem Beitrag ist die Stimme vieler Juden, die zum
Teil Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Berlin sind und zum Teil
nicht, die in Berlin wohnen und mit Schmerzen die Lage im Nahen Osten
betrachten und mit Schmerzen das Verhalten Deutschlands und der
Deutschen zur Politik Israels.
Die Demonstranten im Saal verlangten,
vollkommen zur Überraschung aller, die in ihren bequemen Sitzen vertieft
waren, Iris Hefts auf das Podium zu laden, damit sie ihre Position
verteidigen kann. Ich weiß nicht wo der Schock größer war, bei den
Vertretern der Jüdischen Gemeinde, Agenten des Staates Israel, bei dem
Publikum aus den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, das sich auf einen
angenehmen Abend vorbereitet hat, bei dem sie sich wieder als die ewigen
Opfer des Antisemitismus erkennen würden, bei den wenigen nichtjüdischen
Besuchern, die an einem ruhigen, vielleicht auch kultivierten Abend
teilnehmen wollten, oder bei den Männern auf dem Podium, die immer
kleiner wurden.
Draußen tauchte die Sonne zwischen den
Wolken auf, kurz bevor sie unter ging, und die Lichter der Stadt gingen
eines nach dem anderen an. Einst gab es hier draußen die Fortsetzung des
Gebäudes, eine Synagoge für dreitausend Betenden. Heute gibt es dort
eine große Leere voll mit Schatten. Einst las man hier an Samstagen die
Mahnworte der Propheten. Heute wartet die Leere.
Mitten im Tumult, während Funktionäre von
hier nach dort sich bewegten, und andere kamen von dort zurück nach
hier, Aufseher der Gemeinde versuchen, die Protestler zu vertreiben,
Türen öffnen sich, Türen schließen sich. Hände klatschen, Rufe und
Dispute, verkleinerten sich die Männer im Podium auf die Größe von
Erbsen. Frau Ines Pohl stand auf, wurde größer und größer, und ich hatte
den Eindruck, dass sie sogar doppelt so groß wurde. Sie ging zum Pult
und verlangte energisch das Selbstverständliche: Wenn Iris Hefets im
Saal sei, dann muss man sie einladen, an der Podiumsdiskussion
teilzunehmen.
Nach der aggressiven Einführung der
Vorsitzenden, Frau Lala Süßkind, war es klar, dass die Debatte nicht um
ein theoretisches Thema sein wird, sondern über Iris Hefets, ihren
Beitrag und den darin vertretenen Meinungen. In diesem Fall gab es keine
Möglichkeit, nur über den Inhalt zu sprechen, ohne über die Menschen zu
sprechen, die für diesen Inhalt verantwortlich sind. Deshalb war die
Anwesenheit von Iris Hefets an der Podiumsdiskussion notwendig, nicht
nur wegen der intellektuellen Redlichkeit, die es der Sache hinzufügen
würde, sondern ausdrücklich wegen der Ethik, die bei solchen Ereignissen
erwartet wird.
Die Vertreter der Jüdischen Gemeinde
weigerten sich, dieser Forderung nachzugeben und Iris Hefts auf das
Podium einzuladen. Die Demonstranten verließen den Saal demonstrativ
nicht nur aus Protest, sondern weil ihnen klar war, dass ohne Iris
Hefets die Debatte überflüssig ist und uninteressant. Sie hatten recht.
Frau Ines Pohl von der taz verließ auch den Saal, ärgerlich natürlich.
Sie ging wie ein Riese raus.
Was geschah später auf der Bühne?
Nichts! Die Mannschaft verlor jeden
Orientierungspunkt. Es gab schon keine Debatte, eine gestotterte
Widerholung von abgegriffenen zionistischen Mantas, wobei es dem Podium
gelungen ist, grundsätzliche Begriffe wie Zionismus, Judentum, Israel
durcheinanderzubringen, und es war überhaupt nicht mehr klar, worüber
man spricht. Danach sprachen einige aus dem Publikum über dies und das,
durch das krumme schwarze Mikrophon, das sich weigerte mitzumachen und
hierin und dorthin gefallen ist und die Stimme leiser machte statt sie
stärker zu machen, und ausging und anging usw., usw….habt ihr
verstanden…man braucht keinen Lautsprecher, um die Wahrheit zu schreien,
die Stimme der Wahrheit hat schon vorher im Protest den Saal verlassen.
Was kam am Ende dabei raus?
Es gibt keinen Zweifel daran, dass ähnliche
Beiträge wie der von Iris Hefets öfters erscheinen müssen und sollen. Es
gibt keinen Zweifel daran, dass die Zeit gekommen ist, dass es endlich
eine klare Trennung zwischen Judentum, Zionismus und Israel gibt Es ist
die Zeit gekommen, dass mindestens die führenden deutschen Journalisten
diese Unterschiede erkennen können. Es ist endlich die Zeit gekommen,
dass die Jüdische Gemeinde in Berlin aufhört, automatisch die Botschaft
des Staates Israel zu sein. Es ist die Zeit gekommen, dass auch die
Jüdische Gemeinde unterscheiden lernt zwischen Judentum, Zionismus und
Israel. Es ist die Zeit gekommen, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen.
Die taz hat den ersten Schritt gemacht, als sie den Artikel von Iris
Hefets veröffentlicht hat. Bitte macht so weiter.
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