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Israels scharfes Durchgreifen gegenüber liberalen Juden …
Chris
Hedges, 15.März 2010
Die
israelische Regierung hat, nachdem ihre brutalen Kriegsverbrechen im
Gazastreifen im Detail im UN-Bericht von Richter Goldstone offengelegt
wurden, eine Reihe von drakonischen Maßnahmen unternommen, um
Dissidenten in Misskredit und zum Schweigen zu bringen, auch führende
Intellektuelle und Menschenrechtsorganisationen innerhalb und außerhalb
Israels, die angeklagt werden, mit falschen Aussagen Goldstones
UN-Mitarbeitern beigestanden zu haben . Die Regierung Benyamin
Netanyahu versucht gerade, Israels beste Menschenrechtsorganisationen,
einschließlich B’tselem, des Neuen Israel Fund (NIF) und
der Vereinigung für zivile Rechte in Israel zu schließen. Sie ist
eifrig dabei, Friedensaktivisten und Ausländer aus dem palästinensischen
Gebieten auszuschließen. Wenn die Kampagne unkontrolliert verläuft,
wird sie für die Palästinenser und auch für Israel eine Katastrophe
werden.
Der
Goldstone-Bericht mit über 500 Seiten untersucht Israels 22-tägigen
Angriff auf Gaza aus der Luft und vom Land her vom 27.Dezember 2009 bis
zum 18.Januar 2010. Die UN und das EU-Parlament hat den Bericht
unterstützt. Der Bericht fand, dass Israel unverhältnismäßig
militärische Gewalt gegen Hamas-Militante angewandt hat, während es
gleichzeitig versäumt hat, die zivile Bevölkerung vor dem Angriff zu
schützen. Der Angriff tötete 1434 Menschen, einschließlich 960
Zivilisten nach dem Palästinensischen HR-Center (PHRC). Mehr als 6000
Häuser wurden zerstört oder beschädigt. Es ließ etwa 3 Milliarden
Schaden in einem der ärmsten Gebiete der Erde zurück. Keine Israelis
wurde von Raketen der Hamas getötet, die während des Angriffs nach
Israel abgefeuert wurden. Der Bericht beschränkt sich nicht auf die 22
Tage des Angriffs; er geht auch auf die Besatzung ein. Er untersucht
den Beginn der Besatzung und verurteilt Israel wegen der geschlossenen
Grenze, der Blockade und wegen der Mauer bzw. Sicherheitsanlage auf der
Westbank. Er enthält zwei Referenzen zum Rückkehrrecht, er untersucht
die israelische Folterpraxis und kritisiert die absichtliche Zerstörung
der palästinensischen Wirtschaft.
„Die
Wirkung des Goldstone-Berichtes ist gewaltig“ sagte mir der
Nahost-Experte Norman Finkelstein, als ich ihn in New York erreichte.
„Er lässt Spuren in der Unterstützung Israels in der jüdischen Diaspora
zurück, weil Goldstone ein typischer Diasporajude ist. Er ist ein Anwalt
und Menschenrechtler und liberal. Er ist selbst auf dem Gebiet des
Rechts hoch angesehen. Er nennt sich selbst einen Zionisten. Seine
Mutter war eine Aktivistin in der zionistischen Bewegung. Seine Tochter
ist nach Israel eingewandert. Er ist im Vorstand der Hebräischen
Universität in Jerusalem. Er ist Ehrenmitglied dieser Universität. Er
ist davon überzeugt, dass Juden ein Recht auf einen Staat in Palästina
haben…“
„Liberal hat eine bestimmte Bedeutung“, fuhr Finkelstein fort. Es
bedeutet, an die Herrschaft des Gesetzes zu glauben. Es bedeutet an
internationale Institutionen zu glauben. Es bedeutet an die
Menschenrechte zu glauben. Amnesty international und Human Rights Watch
sind liberale Organisationen. Was das Goldstone-Phänomen registriert und
katalysiert, ist die Tatsache, dass es unmöglich ist, liberale
Überzeugungen mit Israels Verhalten in Einklang zu bringen. Zu viel ist
jetzt über die Geschichte des Konfliktes, die Menschenrechtsberichte und
den sog. Friedensprozess bekannt. Es ist unmöglich, beides zu sein:
liberal und für Israels Politik zu sein. Das war der Konflikt, dem
sich Goldstone gegenüber sah. Ich bezweifle sehr, dass er Israel
verurteilen wollte.
„Israels Liberalismus hat immer eine Funktion in Israels Gesellschaft“,
sagt Finkelstein, dessen neues Buch „Diesmal gingen wir zu weit“
den israelischen Angriff auf Gaza vor einem Jahr untersucht. „Wenn ich
von Liberalen spreche, meine ich Leute wie A.B. Yehoshua, David Grossman
und Amos Oz. Ihre Funktion war diese qualvolle Kritik Israels, die
nicht nur Israels Verbrechen mildert und beschönigt, sondern Israels
Verbrechen lobend hervorhebt. Ist sie nicht wunderbar, die israelische
Seele – hat sie nicht Qualen gelitten wegen dem, was sie getan hat.
….Und nun kommt ein jüdischer Liberaler und sagt: „Spart eure Tränen,
ich bin nur am Gesetz interessiert.“
„
Goldstone tritt nicht in der Rolle des jüdischen Liberalen auf,“ sagt
Finkelstein, „der sich quält und nicht mit Konsequenzen rechnet. Und
plötzlich entdecken israelische liberale Juden,
dass
das Ausführen von Kriegsverbrechen Konsequenzen hat…Sie können es kaum
glauben, sie sind echt geschockt. „Genügt es nicht, wenn wir weinen?
…Nein“, sagte er, „Ihr müsst vor das Gericht“.
Die
Kampagne gegen israelische Dissidenten hat eine Form gehässiger
Denunziationen von Aktivisten und Juristen, einschließlich Richter
Goldstone zur Folge. Es schließt einen Gesetzesentwurf vor dem
israelischen Parlament, der Knesset, ein, der es möglich macht,
Verantwortliche von israelischen Menschenrechtsgruppen zu verhaften,
wenn sie nicht einwilligen, neue Registrierungsbedingungen anzunehmen.
Menschenrechtsaktivisten von außerhalb Israel, die in den
palästinensischen Gebieten arbeiten, werden zusammengetrommelt und
deportiert. Die Regierung weigert sich, Arbeitsgenehmigungen an
Mitarbeiter von 150 NGOs auszugeben, die in den palästinensischen
Gebieten und unter israelischer Besatzung arbeiten, einschließlich
Oxfam, Save the Children, Ärzte ohne Grenzen.
Die neuen Touristenvisen lassen diese Mitarbeiter nicht in die unter
israelischer Besatzung stehenden palästinensischen Gebiete. Professorin
Naomi Chazan, die israelische Chefin von NIF, der Spender in den USA
hat, wird öffentlich von ultranationalistischen Gruppen wie Im Tirzu
diffamiert . Ausländische Spender/ Sponsoren des NIF und anderer
Menschenrechtsgruppen stehen unter Druck, die Spenden einzustellen.
Reklametafeln haben rund um Tel Aviv und Jerusalem groteske Karikaturen
von Chazan verteilt, wo sie von Gruppen wie Im Tirzu als Agentin von
Hamas und dem Iran gebrandmarkt wird: mit einem Horn auf der Stirn;
dabei steht als Titel „Naomi Goldstone-Chazan“. Im Tirzu, die Dach- und
Deckorganisation hinter vielen Angriffen, schließt unter ihren
finanziellen Unterstützern das John Hagee-Ministerium und den New York
Zentral Fond ein, der auch extremistische Siedler-Organisationen
unterstützt.
Unterdessen geschieht eine Säuberung, weil man in der
Netanyahu-Regierung glaubt, dass diese Gruppen und Aktivisten den
Richter Goldstone mit Beweismaterial von Israels Kriegsverbrechen
versorgten. Israel hat nicht die Absicht, die Blockade des Gazastreifens
aufzuheben, die Siedlungsausdehnung zu beenden, einschließlich der 1600
neuen Wohnungen, die in Ost-Jerusalem gebaut werden sollen oder die
Teilung der Westbank in verarmte Ghettos von Palästinensern rückgängig
zu machen. Die wachsende Brutalität und Gewalt der Besatzung, die nicht
länger geleugnet und verborgen werden kann, verbunden mit Israels Status
als internationaler Paria-Staat, hat ein scharfes Durchgreifen gegen
jene im jüdischen Staates ausgelöst, denen die Schuld gegeben wird, dass
Israel ein so schlechtes Image hat. Yuli Edelstein, der Minister für
Diaspora-Angelegenheiten, fasste die Hexenjagd zusammen, als er
verkündete, dass das Kabinett eine Zeit lang mit einigen Gruppen unter
dem Deckmantel von NGOs beschäftigt waren, die von ausländischen Agenten
finanziert werden.
Die
Knesset-Gesetzesvorlage wird, wenn sie durchgeht, Menschenrechtsgruppen
zwingen, sich als politische Körperschaften zu registrieren und die
Adressen und Identitätsnummern aller Mitglieder an die Regierung weiter
zu geben. Diese Gruppen werden ihre Steuerbegünstigungen verlieren. Die
meisten Regierungsorganisationen wie die EU, die ein bedeutender Sponsor
israelischer Menschenrechtsorganisationen (MRO) ist, kann rechtlich
nicht einer anderen Regierung Steuern zahlen. Das neue Gesetz wird
effektiv das Sponsern der EU und anderer Länder beenden. Die Gruppen
werden damit beauftragt, der Regierung sämtliche ausländische Spenden
mitzuteilen…Diejenigen, die es versäumen, sich an diese Richtlinien zu
halten, können mit einem Jahr Gefängnisstrafe rechnen.
„Dies
ist das erste Mal, dass die Menschenrechtsdimension des
Israel-Palästina-Konfliktes in den Mittelpunkt der politischen Bühne
gerückt ist,“ sagte Finkelstein. Sie hat vorübergehend den albernen
Friedensprozess verdrängt. Es ist das erste Mal, dass
Menschenrechtsberichte angesehen werden. Da gibt es buchstäblich – ich
habe sie gelesen – zig wenn nicht hundert Tausende von Seiten von
Menschenrechtsberichten, die Israel verurteilen von der 1. Intifada bis
zur Gegenwart. Die MRO sind seit 1990 mit ihrer Kritik an Israels
Menschenrechtspolitik ziemlich scharf geworden, aber keiner hat diese
Berichte gelesen. Über sie wurde mit wenigen Ausnahmen nie berichtet.
Mit dem Goldstone-Bericht rücken zum ersten Mal die Ergebnisse dieser
MRO ins Zentrum der Bühne. Die Menschen sprechen nicht mehr über den
Friedensprozess, sondern beginnen, über Israels MR-Aufzeichnungen zu
reden.
Unter Israelis gibt es eine wachsende Ernüchterung in bezug auf die
endlose Besatzung des Gazastreifens und der Westbank und der endemischen
Regierungskorruption. Generalmajor Avi Zamir, der Chef der israelischen
Militärpersonalabteilung, gab vor kurzem gegenüber UPI (?) zu, das immer
mehr Israelis sich weigern, in den besetzten Gebieten Militärdienst zu
machen. Berücksichtigen wir auch die arabische Jugend so stehen wir
einer Situation gegenüber, in der 70% der Jugend den Militärdienst
verweigert!, sagte der General der Nachrichtenagentur. Die
Unzufriedenheit zusammen mit der internationalen Verurteilung hindert
Israels Fähigkeit, internationale Unterstützung für weitere Angriffe
zusammen zu bekommen.
„Israel griff den Gazastreifen an, um – wie es sagt - seine
Abschreckungsfähigkeit wieder zu erlangen, seine Fähigkeit, die
arabische Welt mit Terror zu unterwerfen,“ sagte Finkelstein.
Aber
tatsächlich verringerte es seine Abschreckungskapazität, weil es nicht
angreifen kann. Wenn sie jetzt irgendwo angreifen sollten, würde die
Hölle ausbrechen, und sie würden keine Sympathie bekommen.
Die
Zahl der sog. Refuseniks erhöht sich mit Gruppen wie den „Mut
zu verweigern“, den Shministim und New Profile
unterstützt jene, die nicht bei den IDF dienen wollen. Es geht nicht
darum, dass viele Israelis kein Gewissen haben, es geht nicht darum,
dass viele nicht richtig von falsch unterscheiden können; es geht
darum, dass die Netanyahu-Regierung fest entschlossen ist, die mutigen
Stimmen innerhalb Israels - zusammen mit denen der Palästinenser - zum
Schweigen zu bringen .
(dt.
und geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)
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