Al-mahsum, Mahsom, Checkpoint,
Kontrollpunkt
Yitzhak
Laor
Immer wieder werden Geister
aus der „jüdischen Vergangenheit“ durch eine verachtenswürdige Tat in
den besetzten Gebieten heraufbeschworen. Irgend jemandem ist es
gelungen, diese zu fotografieren. Da gibt es dann dramatische
Schlagzeilen darüber , wie im Fall des jungen Palästinensers, dem
befohlen worden sei, Geige zu spielen. Aber schnell wurde diese
Angelegenheit eine „Ausnahme“. Die meisten Soldaten zwingen keinen
Geiger, am Checkpoint zu spielen. Die meisten Soldaten töten keine
kleinen Mädchen. Die meisten Soldaten „bestätigen nicht das Töten“
(durch das Leerschießen eines Magazins in den Körper eines
Erschossenen). Aber die Melodramen helfen die umfassenderen Wahrheiten
zu verschleiern. Israelis lieben die Wahrheit nicht. Und die Wahrheit
der Israelis kann tief innerhalb der besetzten Gebiete gefunden werden.
Wenn sich Israelis nicht
selbst täuschen wollen, dann hätten sie längst begriffen, was jeder
Palästinenser weiß: sie hätten ihrem Wortschatz
während der letzten 13 Jahre ein neues Wort hinzugefügt Al-mahsum ( pl.
Almahasim), die arabisierte Form für das hebräische Wort für
Kontrollpunkt (mahsom) .
Tatsächlich sind die
Kontrollpunkte nicht eine Folge der Intifada. Wenn einmal die Wahrheit
über die Geschichte der Kontrollpunkte geschrieben werden wird – und
nicht nur von den Aufzeichnungen der Militärkommandeure übernommen wird
– dann wird klar werden, dass die Kontrollpunkte zum Ausbruch der
Intifada mit beigetragen haben. Sie entstanden 1991, zwei Jahre vor der
Unterzeichnung der Osloabkommen. Ja, sie wurden nach der Unterzeichnung
noch weiter verstärkt. Nur komplette Blindheit auf Seiten der Israelis -
die sehr viel mehr über die schicken Restaurants in New York Bescheid
wissen, als über die Kontrollpunkte in der Westbank, die durch sie
geteilt und in Streifen geschnitten wird und die ihre Bewohner zu Opfern
von guten oder sadistischen Soldaten machen - nur diese Blindheit konnte
die „Überraschung“ vom Herbst 2000 hervorgebracht haben: Was wollen sie
eigentlich? Es war doch alles o.k.
Aber aus der Perspektive von
jemandem, der stundenlang Schlange stehen muss, für den ist es
schließlich egal, ob der Soldat, dem man dann schließlich gegenüber
steht, ein Sadist oder ein netter Kerl ist. Fragt doch mal irgend einen
Israeli, der in der Bank eine Viertelstunde Schlange stehen muss, ob es
einen Unterschied macht, ob der Angestellte, zu dem er schließlich
kommt, nett ist oder nicht. Aber noch Wichtigeres kann von
der Abneigung der Israelis, Schlange zu stehen, gelernt werden: sie
haben nämlich keine Ahnung, was die Palästinenser täglich durchmachen.
Das Checkpointsystem ist kein
Teil der Intifada, aber dank dieser wird es größer und stärker.
Das Checkpointsystem wird auch
nicht zu Ende sein, wenn die Intifada vorüber ist. Das
Checkpointsystem gehört vollkommen zur israelischen Unwilligkeit, alle
Gebiete der Westbank, einschließlich der Siedlungen, aufzugeben. Das
Kontrollpunktsystem ist dafür bestimmt, Israels Kontrolle über das
Leben der Palästinenser garantieren. Deshalb wurde es nach dem
Unterzeichnen der Oslo-Abkommen noch verstärkt.
Aus dieser Perspektive sind
nicht die Siedlungen der Grund für die Checkpoints. Die
„isolierten Siedlungen“ und die Siedlungsblöcke – Teil des neuen Konsens
der Oslo-Ära – sind nur Vorwand für die Checkpoints, aber sie enthüllen
ihre wahre Funktion: wir sind überall präsent, wir werden das
palästinensische Gebiet in jeder Weise aufteilen, und wir werden es
kontrollieren.
Jeder, der die Westbank seit
den Oslo-Abkommen kennt, weiß, wie viel Demütigung Zehntausende von
Leuten an den Kontrollpunkten erfahren haben. Jeder, der die
Oslo-Abkommen von der palästinensischen Seite kennt, weiß, wie sie dort
aussehen: abgesehen von Enteignungen, den Umgehungsstraßen, der
Ausdehnung der Siedlungen - die Checkpoints sind der Alptraum, ein
Alptraum, von dem wir keine Ahnung haben.
Melodramen über die
hartherzigen Soldaten, die einen Palästinenser zwingen, Geige zu
spielen, teilen dies einer Ausnahme zu und verschweigen so das System.
Noch einmal kehren „Generationen des jüdischen Volkes“ ins Zentrum des
Bildes zurück. Noch einmal erinnert es sich an seine
Vergangenheit. Noch einmal geht es um unser Leben, unsere
schlechter werdende Lebenssituation – es geht nicht um das Leiden der
Palästinenser. Und noch einmal werden die Boulevardblätter in
ihren pornographischen Schlagzeilen einen lynchartigen Ton anschlagen .
Aber die Wahrheit ist stärker. Jeder der nicht bereit ist, sich von der
Westbank mit allen Siedlungen zu trennen, wird nicht begreifen, dass er
so für weitere Generationen den Weg für sadistische oder
freundliche Checkpointsoldaten vorbereitet.
Der Generalstabschef wird
jetzt noch einmal „ganz offen“ reden. Noch einmal wird er sagen:
„wir haben etwas falsch gemacht“; wir werden verstehen, dass sein Fehler
unser Fehler ist. Tatsächlich ist es aber kein Fehler; denn wenn der
Generalstabschef wirklich einen Fehler gemacht hätte, dann müsste er
seinen Posten aufgeben, wie der Befehlshaber der Gaza-Division.
Gelegentlich werden wir dann davon hören, was jedes
palästinensische Kind täglich an den Kontrollpunkten erlebt – mit oder
ohne die (zusätzlichen) weichherzigen militärischen Freiwilligen, die
einen „humanen“* Kontrollpunkt schaffen wollen; denn die Entscheidung,
wer nun passieren darf oder nicht, kommt von Ausländern, nicht von
Leuten, die diesen Kontrollpunkt passieren müssen.
Und all dies
geschieht unter der Schirmherrschaft der einzigen Demokratie im
Nahen Osten.
(*Nach einem mir speziell
gesandten Bericht von Viktoria Buch, einer der Machsom Watch-Frauen
erlaube ich mir, dies Wort human in „“ zu setzen)
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs) |