Die Wahrheit
ist eine unzerstörbare Pflanze. Man kann sie
unter einem Felsen vergraben, sie stößt trotzdem
durch, wenn es an der Zeit ist.
Frank Thiess (deutscher Schriftsteller)
Israel zieht belastende Dokumente
über seine Vergangenheit aus dem Verkehr
Aber die Dämonen der Nakba lassen sich nicht
vertreiben
Arn Strohmeyer
Wie hätte die Welt wohl reagiert, wenn deutsche
Behörden nach dem Krieg 1945 und dem
Zusammenbruch des Hitler-Staates versucht
hätten, Zeugnisse und Dokumente seiner
Verbrechen so zu tilgen, dass die Nachwelt davon
keine Kenntnis mehr hätte nehmen können? Einmal
ganz davon abgesehen, dass das gar nicht möglich
war, weil es zu viele Zeugen der deutschen
Untaten gab. Nun sollen die monströsen
NS-Verbrechen nicht auf eine Stufe mit Israels
Verbrechen an den Palästinensern gestellt
werden, Hitlers Untaten haben eine ganz andere
Dimension, aber die Nakba von 1948 – also die
Vertreibung von 800 000 Palästinensern, der Raub
ihres Landes und Eigentums und damit die
Zerstörung ihrer Gesellschaft und Kultur – war
ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (der
israelische Historiker Ilan Pappe).
Israel hat immer alles getan, dieses furchtbare
Verbrechen vor den Augen der Weltöffentlichkeit
zu verbergen (was ihm auch weitgehend gelungen
ist), aber die jetzt – auf Anordnung von
höchster Stelle – laufende Aktion einer
Sondereinheit des Verteidigungsministeriums,
alle mit der Nakba zusammenhängenden Dokumente
auszusortieren und in sicheren Tresoren
wegzuschließen oder sogar zu tilgen, um sie für
die Wissenschaft und die Medien nicht mehr
zugänglich zu machen, ist die direkte
Fortführung der Verbrechen von 1948, die ohnehin
nie geendet haben, sondern bis heute
kontinuierlich andauern.
Aber diese Aktion ist vor allem eins: ein
Schuldeingeständnis, also genau das, was der
zionistische Staat gerade vermeiden will. Denn
wer nichts zu verbergen hat, der braucht auch
nichts wegzuschließen. Diese Aktion verrät noch
etwas: totalitäres Denken. Mit anderen Worten:
Es gilt nur eine Wahrheit in Bezug auf die
Vergangenheit in diesem Staat – und das ist das
zionistische Narrativ. Was wiederum beweist, wie
wenig dieser Staat eine offene demokratische
Gesellschaft ist.
Die Palästinenser aus dem Land und dem
israelischen Bewusstsein zu verdrängen, hat eine
lange Geschichte. Als die ersten jüdischen
Siedler nach Palästina kamen, sahen sie die dort
seit Jahrhunderten, wenn nicht seit
Jahrtausenden lebenden Menschen gar nicht als
solche an. Der israelische Psychologe Benjamin
Beit-Hallahmi schreibt über diese Zeit: „Für den
Zionismus stellte sich die Frage: Was soll mit
diesen Menschen – der indigenen arabischen
Bevölkerung – geschehen? Die Antwort war klar:
Um einen rein jüdischen Staat zu schaffen,
mussten sich die Zionisten von dieser
‚überschüssigen‘ Bevölkerung befreien. Ihre
Rechte anzuerkennen und mit ihnen
zusammenzuleben haben die Zionisten (von ein
paar human gesinnten ‚Kulturzionisten‘
abgesehen) nie in Erwägung gezogen. Um den
zionistischen Traum zu erfüllen, eben die
Gründung eines eigenen Staates, war man
entschlossen, hart gegen die ‚Eingeborenen‘
vorzugehen, was nicht schwer war, denn diese
waren schwach, rückständig und arm.“
Wie also mit diesen arabischen Menschen umgehen?
Beit-Hallahmi schreibt: „Sie waren nicht Teil
einer Gleichung. Sie waren für die Zionisten
eigentlich gar nicht vorhanden, waren
‚unsichtbar‘ und kamen in den Visionen und
Plänen der Zionisten gar nicht vor. Die
einheimische Bevölkerung musste ausgesondert und
ausgeschieden (eliminated) werden.“ Der Autor
schreibt weiter: „Der Krieg gegen die
Eingeborenen (natives) war schlicht und einfach
ein Teil der Umwandlung der Natur des Landes,
und sie waren ein anderes Element der Natur, man
musste sie [die Eingeborenen] erobern und sie
bekämpfen wie die Sümpfe, die Hitze und die
Malaria.“
Der Zionistenführer und erste israelische
Ministerpräsident Ben Gurion glaubte, das
Problem dadurch lösen zu können, dass das
palästinensische Volk nach seiner Vertreibung in
den umliegenden arabischen Völkern „aufgehen“
werde. In 50 Jahren seien die Palästinenser dann
von der Welt und der Geschichte vergessen. Aber
das war ein großer Irrtum, denn auch 70 Jahre
nach der Gründung Israels steht das
palästinensische Problem ganz oben auf der der
Agenda der internationalen Politik.
Das Wegschließen oder auch Vernichten von
Dokumenten passt gut in die gegenwärtige Politik
Israels: Die Judaisierung ganz Palästinas (also
des besetzten Westjordanlandes) und in Israel
selbst (in Galiläa) geht ununterbrochen weiter,
was die Vertreibung der dort lebenden
Palästinenser bedeutet. Palästinensische Häuser
werden zerstört und Dörfer abgerissen, die
Flüchtlinge in den Lagern erhalten keine
UNRWA-Hilfe mehr, und Israel zahlt die
eingenommenen Steuern nicht an die
palästinensische Autonomie-Behörde (PA) weiter,
wozu es vertraglich verpflichtet ist, d.h. es
dreht den Palästinensern schlicht den Geldhahn
zu, was die Not sehr vieler Menschen vergrößert.
Und in Katar wird ohne die Beteiligung der
Palästinenser ein „Frieden“ für dieses Volk
ausgehandelt!
Was die Israelis jetzt mit dem Wegschließen bzw.
der Tilgung der Nakba-Dokumente tun, ist der
Versuch, einen Schlussstrich unter ihre eigene
Vergangenheit ziehen zu wollen. Man will die
Erinnerung an sie auslöschen. Es ist ein alter
konservativer Irrglaube, dass man sie so
bewältigen und Ruhe vor ihren Dämonen finden
kann. Es gibt aber offensichtlich so etwas wie
ein universal gültiges sozialpsychologisches
Gesetz, dass das nicht funktionieren kann. Der
deutsche Historiker Eberhard Jäckel hat es am
deutschen Beispiel nachgewiesen: Je ferner die
Hitler-Zeit rückte, desto näher kommt sie. Auch
wenn Holocaust und Nakba Verbrechen von ganz
unterschiedlichen Dimensionen sind, das Gesetz
ihrer Aufarbeitung ist von ganz ähnlicher
Dynamik und Struktur: Nur wer seine
Vergangenheit und die seines Volkes schonungslos
und aufrichtig betrachtet, wird von ihr frei.
Israel tut gerade das Gegenteil: Es flüchtet in
die Verdrängung und die innere Unfreiheit.
Das hat seine guten Gründe, wie Ilan Pappe immer
wieder aufgezeigt hat. Denn wenn die Israelis
ihre Verbrechen an den Palästinensern offen
eingestehen und anerkennen würden, würden sie
ihren eigenen Opferstatus in Frage stellen und
dem ganzen zionistischen Projekt die moralische
Legitimation entziehen. Wenn man sich aber
weigert, mit dem Kern des Konflikts
auseinanderzusetzen, ist man friedensunfähig.
Ilan Pappe schreibt: „Jeder Versuch zur Lösung
eines Konflikts muss sich zuallererst mit dessen
Kern auseinandersetzen und dieser Kern findet
sich meistens in seiner Geschichte. Eine
verfälschte oder manipulative Geschichte erklärt
oft gut, warum ein Konflikt nicht beendet wurde,
während eine wahrhaftige, umfassende Betrachtung
der Vergangenheit zu einem dauerhaften Frieden
und einer bleibenden Lösung beitragen kann. Wie
die Untersuchung des Falles Israel/Palästina
zeigt, kann eine falsch verstandene Geschichte
der jüngeren oder ferneren Vergangenheit sogar
noch direkteren Schaden anrichten: Sie kann die
Unterdrückung, Kolonisierung und Besatzung von
heute rechtfertigen. Es überrascht nicht, dass
in solchen Fällen auch die Gegenwart verfälscht
wird, ist sie doch Teil der Geschichte, deren
Vergangenheit bereits entstellt wurde. Diese
Täuschungen über Vergangenheit und Gegenwart
verhindern das Verständnis des fraglichen
Konflikts, erlauben eine Manipulation der Fakten
und richten sich gegen die Interessen all jener,
die Opfer des Konflikts sind.“
Das Verstecken oder Vernichten der
Nakba-Dokumente wird Israel nicht helfen, die
Dämonen der Vergangenheit wird es damit nicht
bannen. Sie werden sich immer wieder ungebeten
einstellen. 4.08.2019
Nach dem Gesagten versteht es sich von selbst,
wie unsinnig Ermlers Behauptung ist, das Bremer
Nahost-Forum halte die wöchentliche
Palästina-Mahnwache vor dem Bremer Dom ab. Also
eine Gruppe, die es gar nicht gibt! Diese
Mahnwache hat sich nach den beiden Gaza-Kriegen
2008/09 und 2014 aus Empörung gebildet, weil
Israel damals mit seinen Angriffen auf den seit
2007 von ihm belagerten Gazastreifen Tausende
von palästinensischen Zivilisten getötet hat.
Die Mahnwache hat aber gar keine feste
Gruppenstruktur, ihre Teilnehmer kommen aus
allen möglichen politischen und kirchlichen
Initiativen – auch mehrere Pastoren sind dabei.
Mit anderen Worten: Jeder oder jede kann daran
teilnehmen, eine offizielle Mitgliedschaft gibt
es nicht. Die Webseite „Nahost-Forum Bremen“ des
AK Nahost kann über die Mahnwache informieren
oder für sie werben, aber es organisiert sie
nicht. Auch hier ist Ermler einem Bären
aufgesessen.
Dass der Dr. Dr. Ermler nicht zwischen
berechtigter Kritik an Israels völkerrechts- und
menschenrechtswidriger Politik gegenüber den
Palästinensern, Antizionismus und Antisemitismus
(und damit auch zwischen Judentum und Zionismus)
unterscheiden kann, offenbart sein
intellektuelles Niveau. In diesem Sinn muss er
auch den Verfasser dieser Zeilen angreifen und
beruft sich dabei auf eine Kritik des
Grünen-Politikers und Vorsitzenden der Bremer
Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Dr.
Hermann Kuhn. Dieser hatte 2016 in der Bremer
Villa Ichon auf einer Veranstaltung gegen mein
zuvor erschienenes Buch „Antisemitismus –
Philosemitismus und der Palästina-Konflikt.
Hitlers langer verhängnisvoller Schatten“
gesprochen, die eine mysteriöse Gruppe namens
„Zaungast“ organisiert hatte, um mir und meinem
Buch Antisemitismus vorzuwerfen.
Da Kuhn aber ganz offensichtlich in meinem Text
gar keinen Antisemitismus entdecken konnte,
griff er zu einem simplen Trick. Er nahm einige
Zitate von jüdischen bzw. israelischen
Intellektuellen heraus, die ich verwendet hatte,
und unterstellte mir ihre Urheberschaft.
Abgesehen davon, dass diese Zitate nichts mit
Antisemitismus zu tun haben, sondern eine
berechtigte Kritik an Israels Politik zum Inhalt
haben, reichten sie für Kuhn aus, um in seiner
Rede die rhetorische Aussage zu formulieren:
„Urteilen Sie selbst, ob Strohmeyer ein
Antisemit ist.“ Dass er damit meinte, ja
suggerieren wollte, dass ich ein Antisemit sei,
versteht sich wohl von selbst. Das war ja der
Sinn und das Ziel der Veranstaltung. (Ich habe
diesen Skandal anschließend in meinem Buch
„Vorsicht Antisemiten! Ist Antizionismus gleich
Antisemitismus?“ dargestellt). Dr. Dr. Ermler
greift Kuhns diffamierende Äußerungen, die heute
noch auf der Webseite der Bremer DIG stehen,
genüsslich auf, um mich auch in die
antisemitische Ecke zu stellen.
Da Ermler mich also auch in den Bremer
„Narrensaum“ von Israel-Hassern und
Antizionisten einreiht, deren Zentrum die
Linkspartei sein soll, muss ich hier darauf
hinweisen, dass ich der Linkspartei als Mitglied
nicht angehöre (auch nie angehört habe) und auch
in keiner Nahost-Gruppe mitarbeite. Auf der
Webseite der Bremer Linkspartei konnte man vor
Jahren aber noch Kritik an Israels Politik
äußern. Die Seite machte damals ein Redakteur,
der mir gewogen war und Nahost-Artikel von mir
mitnahm – sehr zum Ärger des Establishments
dieser Partei. Der Redakteur hielt aber an mir
fest und gab selbst dem größten Druck (auch von
der Parteispitze in Berlin) nicht nach und
brachte weiter meine Artikel – bis man ihn
geschasst hat. Kritik an Israels Politik war
nicht erwünscht. Das ist die stramme
antizionistische bzw. antisemitische Linie
dieser Partei, die Ermler unterstellt. Geradezu
grotesk ist also seine Behauptung, dass die
Bremer Linkspartei Strohmeyer „immer wieder gern
[auch heute noch] ein Forum für seine
Israelfeindlichkeit“ gebe. Er wird auf der
Webseite dieser Partei keinen Artikel aus den
letzten Jahren von mir finden.
Dr. Dr. Ermler fabuliert ein breites
antizionistisches bzw. antisemitisches Bündnis
zusammen, das von der stalinistischen MLPD, den
Trotzkisten, der „Antikapitalistischen Linken“
bis zum Friedensforum, der Palästina-Mahnwache,
dem (nicht-existierenden) Nahost-Forum bis zur
Linkspartei reichen soll. Hier wird eine
Randgruppe – die Arbeitsgemeinschaft
„Antikapitalistische Linke“ – zum politischen
Tonangeber in der Linkspartei hochgespielt. Von
der MLPD und den Trotzkisten hat man im
Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt in Bremen
noch so gut wie nichts vernommen. In der Debatte
der Stadt spielen sie in diesem Zusammenhang
überhaupt keine Rolle.
Von der Bremer Linkspartei hat man in letzter
Zeit zum Israel-Palästina-Konflikt auch nichts
gehört. Ihr ganzes politisches Vorgehen war auf
die Bildung der Koalition mit der SPD und den
Grünen ausgerichtet, jede kritische Äußerung zu
Israel hätte dabei in ihren Augen diese
Koalition gefährdet. Außerdem weiß man, dass
diese Partei in der Nahost-Frage tief gespalten
ist. Bei der SPD liegen die Dinge etwas offener
zu Tage. Gerade erst hat die dieser Partei
angehörende Kulturstaatsrätin Dr. Carmen
Emigholz ein Raumverbot im Überseemuseum für
einen Vortrag über Antisemitismus des Bonner
Theologen Dr. Martin Breidert erteilt, ein
klarer Eingriff in die im Grundgesetz
garantierte Meinungsfreiheit. In Bremen wird in
diesem Zusammenhang also eine ganz andere
politische Linie gefahren als sie der Dr. Dr.
Ermler zusammenfabuliert. Von dieser neuen
Koalition ist – mit dem BDS-Beschluss des
Bundestages im Rücken – mit Sicherheit keine
Kritik an Israels Politik zu erwarten.
Wenn dieser „scharfsinnige“ Publizist vom
„Narrensaum der Bremer Linkspartei“ spricht,
dann muss man fragen, wer hier der Narr ist.
Ermler macht Falschinformationen zum System,
aber – wie schon gesagt – , es geht ja gar nicht
um saubere Information, sondern um
Stimmungsmache. Für ihn gilt wie für andere
Schreiber seiner Denkrichtung: Unfähig zu
wirklicher politischer Auseinandersetzung, weil
sie die reale Situation in Israel/Palästina
nicht sehen wollen, reicht es zu nicht mehr als
zu ständiger Diffamierung. Auf sie trifft zu,
was der Israeli Moshe Zuckermann immer wieder
betont: Es geht ihnen gar nicht um das reale
Israel, von dem sie gar keine Ahnung haben,
sondern um das Austragen von deutschen
Befindlichkeiten.
Man darf nur hoffen, dass der Dr. Dr. Marcus
Ermler in seinen Lehrfächern Mathematik und
Informatik nicht genauso fahrlässig und
schludrig arbeitet, wie er das als Publizist
tut. Sonst muss man um die Qualität dieser
Fächer an der Bremer Universität sehr besorgt
sein.
4.08.2019
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