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Ethnische Säuberung zurück auf Israels Agenda
Johann Hari, 13.11.06, Independent

 

Das Schweigen über Liebermans Ernennung ist ein schlechtes Zeichen dafür, wie weit Israel nach rechts abgedriftet ist.

Als Jörg Haiders extrem-rechte Partei sich im Jahr 2000 der Regierungskoalition Österreichs anschloss, bot die Weltgemeinschaft nach einem Würgereflex ein kollektives Isolieren des Landes an. Innerhalb der letzten 14 Tage hat sich ein erschreckend ähnlicher, extrem-rechter Politiker mit Namen Avigdor Lieberman der Regierungskoalition in Israel angeschlossen und zwar mit der hohen Stellung eines stellvertretenden Ministerpräsidenten. Doch der Würgereflex der Welt hat noch nicht reagiert.

 

Lieberman ist ein ehemaliger Nachtklub-Rausschmeißer, der auch schon mal verhaftet worden war, weil er einen Jungen angegriffen hatte, der seinen Sohn beleidigt haben soll.

Seine Partei Yisrael Beitenu (Israel, unser Haus) machte Kampagnen zu zwei hässlichen Fragen. Die erste war die Behauptung, dass Israels zwei Millionen arabische Bürger „für das Land eine Gefahr“ seien, die mit ethnischer Säuberung beseitigt werden müsste. Liebermann wollte tausende von entlassenen palästinensischen Gefangenen mit einem Bus ans Tote Meer bringen, um sie dort zu ertränken.

Heute hat er seinen Standpunkt gemäßigt und will nur viele hunderttausende israelischer Araber – mit Gewalt -- in die noch übrig gebliebenen Landreste „transferieren“, die Palästina genannt werden sollen, nachdem Israel die größeren Siedlungsblöcke annektiert hat….

 

Sein Vorbild ist Zypern, 1970, wo die gemischte türkisch-griechische Bevölkerung mit gezogener Waffe getrennt wurde.. „Das Endergebnis war besser,“ seufzte er, „Minoritäten sind das größte Problem in der Welt.“ Er würde mit dieser rassistischen Vertreibung mit einem einfachen und schnellen Schritt beginnen: die israelisch-arabischen Mitglieder der Knesset exekutieren; denn sie haben mit der demokratisch gewählten palästinensischen Führung gesprochen. Sie sind „Verräter“, behauptet Liebermann.

 

Sein zweiter Fall ist ein Versuch gewesen, die Macht in die Hände eines starken Mannes zu geben. Lieberman wuchs in der Sowjetunion auf. Er wird vor allem von der einen Million  - nach dem Fall des Kommunismus - aus Russland emigrierter Juden unterstützt. So sehr sie den sowjetischen Antisemitismus verachten, so haben doch viele die sowjetischen Ansichten in sich aufgenommen und sehen nicht ein, dass man sich mit Koalitionen und dem Obersten Gerichtshof herumärgern soll, dem es erlaubt ist, sich in den Weg eines „Großen Führers“ zu stellen, der den „Großen Feind“ erledigen will.

 

Es ist wichtig zu betonen, dass Ehud Olmert, der Ministerpräsident, sagt, er weise Liebermans Ansichten zurück und er wolle seine Politik nicht ausführen. Aber er hat Lieberman mit dem größten einzelnen Problem der israelischen Politik beauftragt: wie man auf Irans drohende Atombombe reagieren soll. Wir kennen seine Ansichten darüber: Lieberman rief seit 2001 dazu auf, den Iran zu bombardieren und sagt: „Israel liegt an der Front, wo die Religionen auf einander stoßen.“

 

Das Stillehalten der Welt, als Lieberman in die Regierung geholt wurde, ist ein düsteres Zeichen dafür, wie weit Israel nach rechts abgedriftet ist. 1980 tauchte der Faschist Rabbi Meir Kahane auf und rief  à la Lieberman einen „rein jüdischen Staat“ aus, der von „arabischen Verunreinigungen gereinigt“ und „von liberalen demokratischen Illusionen“ befreit werden müsse. Er wurde von jedem verflucht und vom Obersten Gerichtshof aus der Knesset verbannt, sogar als Randmitglied.

Doch heute gibt es nur eine Handvoll heroischer Israelis, die gegen diese Ernennung als stellvertretender Ministerpräsident protestiert haben. Und nur ein Kabinettsminister ist zurückgetreten. Er sagte, es würde ein Verrat an allem sein, was Juden erfahren haben, wenn sie nun neben „einem Rassisten“ sitzen würden.

 

Es sagt viel aus, wenn ethnische Säuberung jetzt wieder als ein Problem des Mainstream in der israelischen Politik auftaucht, da das Land einen nationalen Nervenzusammenbruch durchmacht. In diesem Sommer verlor Israel im Sand des Libanon tatsächlich das erste Mal einen Krieg. (In seinem Zeugnis vor einem Knesset-Komitee reduzierte Olmert trotzig prahlend: “Der halbe Libanon ist zerstört – ist das denn ein totaler Reinfall?“) Die politische Klasse des Landes hängt an lebenserhaltenden Apparaten so wie Ariel Sharon, der Präsident sieht sich Anklagen wegen Vergewaltigung gegenüber und Olmert vor einer Reihe von Korruptionsanklagen.

 

Und mitten drin löst sich ein nationales Tabu auf. Jeder, der die Geschichte mit offenen Augen studiert, kann jetzt sehen, dass die ethnische Säuberung der ursprünglichen Bevölkerung Palästinas eine Erbsünde Israels war, eine Voraussetzung für den werdenden Staat. Heute hat das israelische Volk das Gefühl, dass seine Existenz noch einmal bedroht ist; drum ändert es seine Einstellung – nach Lieberman – und kehrt auf der Suche nach Lösungen zu den Anfangsverbrechen zurück.

 

David Ben Gurion, Israels Gründungsvater, schrieb 1937:“Ich unterstützte Zwangsvertreibung. Ich sehe nichts Unmoralisches darin ….die Araber müssen gehen. Wir brauchen nur eine Gelegenheit, um dies auszuführen, so etwas wie einen Krieg.“ Der mutige Historiker Ilan Pappe dokumentiert in seinem neuen Buch: “Die ethnische Säuberung Palästinas“ im Details, wie Ben Gurions Plan 1948 ausgeführt wurde: Dorf um Dorf und Stadt um Stadt. Die jüdischen Soldaten, die dieses Verbrechen ausführten, waren zum Teil noch von den Nazi-KZs ausgemergelt und versuchten verzweifelt, sich selbst zu überzeugen, dass diese total unschuldigen arabischen Bauern irgendwie den Nazis ähnlich waren, dass sich Hitler in Ramallah, Bethlehem oder Nablus versteckte.

 

Libermans Argument ist, dass die ethnische Säuberung von 1948 nicht gründlich genug geschehen ist. Es sind zwar ca. 800 000 vertrieben worden – aber etwa genau so viele sind als „5.Kolonne“ in Israel zurück geblieben, mit denen man sich jetzt befassen müsste.

Das beste Symbol dazu, wie das israelische Denken zerbrochen ist und zu einer früheren Eingebung zurückgekehrt ist, ist der Historiker Benny Morris, mit dem ich mich getroffen habe, als er das letzte Mal in London war. In den 80ern wurde Morris für die israelische und internationale Linke ein Held, weil er der erste war, der mutig genug war, über den geheim gehaltenen israelischen militärischen Archive von 1940 zu brüten und aufzuzeigen, wie Israels Gründer die Vertreibung der Palästinenser ausgeführt haben.

 

Dann aber mitten in der 2.Intifada gab er ein Interview, in dem er sagte, er sei all die Jahre missverstanden worden. Die ganze Zeit habe er von ethnischer Säuberung gesprochen und er habe dies nicht als schlimme Sache angesehen. „Man kann doch kein Omelette machen, ohne Eier zu zerbrechen. Man muss sich die Hände schmutzig machen,“ sagte er. Es wäre „viel besser“ gewesen, wenn man damals alle Araber hinausgetrieben hätte, erklärte er.

 

Die hässlichsten Merkmale im israelischen politischen Denken kommen an die Oberfläche. Es gab immer einige antidemokratische Kräfte im Land – Sharons militärischer Coup 1967 z.B. Es gab immer ethnische „Säuberer“, von Ben Gurion bis zu den Politikern, die heute die Genehmigung geben, „nicht genehmigte“ arabische (nicht jüdische) Häuser in Ost-Jerusalem in die Luft zu jagen – ein Prozess, den ich selbst beobachten konnte.

 

Aber Lieberman ist ein Logo für all dies und auf extremste Weise. Er ist nur wenige Schritte von der Präsidentschaft entfernt. Um der Palästinenser und um Israel selbst willen, wäre es jetzt höchste Zeit für die Welt, Israel wachzurütteln, so wie wir Österreich von seinem finstern Tanz mit der extremen Rechten wachgerüttelt haben.

 

(dt. Ellen Rohlfs)

 

 

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