TRANSLATE

Die Inside Story über
unseren UN-Report, der Israel als Apartheidstaat
bezeichnet
Richard Falk
- 22.03.2017
Ein Volk kann
nicht auf Dauer auf alle diese Art und Weisen
unterdrückt werden, ohne dass die Struktur, die als
Apartheid in Erscheinung getreten ist, näher angeschaut
wird.
Vor sechs
Monaten hat die UN Economic and Social Commission for
West Asia (ESCWA) Virginia Tilley und mich gebeten, eine
Studie zu verfassen, die die Anwendung des
Apartheidskonzepts des internationalen Strafrechts auf
die Politik und den Praktiken Israels gegenüber dem
palästinensischen Volk prüfen sollte. Wir haben diesen
Auftrag gerne angenommen und unsere Rolle als
Beteiligung an einem akademischen Unterfangen
aufgefasst. ESCWA, eine von mehreren regionalen
UN-Komissionen, forderte die Studie auf einen
konkurrenzlosen Antrag von 18 arabischen Regierungen hin
an, die Mitglieder (in der ESWA) sind.
Innerhalb von
Stunden nach seiner Veröffentlichung am 15. März löste
unser Report etwas aus, das nur als Hysterie bezeichnet
werden kann. Die US-Botschafterin bei den UN, Nikki
Haley, verurteilte ihn und forderte von den UN seine
Zurückweisung. Der neugewählte Generalsekretär Antonio
Guterres forderte ESCWA rasch und öffentlich auf, den
Report von seiner Webseite zurückzuziehen, und als Rima
Khalaf, die Leiterin der Kommission, sich weigerte,
bestand Guterres darauf. Khalaf zog es vor
zurückzutreten als zu gehorchen. Bald darauf wurde der
Report von der Webseite der Kommission entfernt, obwohl
er mit der Haftungsausschussklausel veröffentlicht
worden war, dass er nur die Ansichten seiner Autoren und
nicht notwendigerweise die von ESCWA oder den UN
darstellt.
Was an dieser
Reaktion auffällt, die in vieler Hinsicht der Reaktion
der US-Regierung auf den Goldstone-Report (die
UN-Fact-Finding Mission zum Gaza-Konflikt 2008/09) ist
das Ausmaß, in dem Israel-Unterstützer auf die Kritik
reagieren und bestrebt waren eher den Boten zu
diskreditieren als sich mit der Botschaft
auseinanderzusetzen.
Tilley,
Professorin für politische Wissenschaften an der
Carbondale-Universität in Illinois, und ich wie auch
ESCWA hätten uns über eine substanzielle Diskussion und
ein kritisches Feedback für unseren Report gefreut, und
wir hatten gehofft, dass unsere Analyse und
Schlussfolgerungen die Basis für einen Dialog und
weitere Überlegungen zu den am Schluss angehängten
Empfehlungen geben würde. ESCWA seinerseits hat Schritte
unternommen, um sicherzustellen, dass der Report
wissenschaftlichen Standards genügt und hat die
Textvorlage drei prominenten internationalen Juristen
vorgelegt, die neben einigen Vorschlägen zur
Überarbeitung, die wir dankbar vor der Veröffentlichung
des Textes eingearbeitet haben, eine sehr positive
Bewertung abgaben. Für Regierungsmitglieder und andere
ist es unverantwortlich, unseren Report als eine
einseitige Polemik zurückzuweisen, sowohl gegenüber der
Autorität der UN als auch des internationalen Rechts.
Während
meiner Amtszeit als UN-Sonderberichtserstatter für
Menschenrechte in den besetzten palästinensischen
Gebieten (2008-2014) habe ich gesehen, wie Verteidiger
Israels versuchen Kritik zu diskreditieren. Meine
Berichte in diesem Amt enthielten oft scharfe Kritik an
Israel und anderen Akteuren, angefangen von der (Kritik
an der) Missachtung des internationalen Rechts
(Völkerrechts), der rechtswidrigen Ausbreitung der
Siedlungen, dem exzessiven Gebrauch von Gewalt und der
Komplizenschaft internationaler Konzerne und Banken, die
mit den Siedlungen gewinnorienterte Geschäfte machen. Zu
meiner Überraschung bekam ich für meine Behauptungen nie
eine Zurückweisung, aber ich machte die unangenehme
Erfahrung, dass meine Worte in ganz anderen
Angelegenheiten aus dem Zusammenhang gerissen wurden.
Unter meinen härtesten Kritikern waren nicht nur die
üblichen ultra-zionistischen NGOs, sondern auch die
Diplomaten von Barack Obama bei den UN einschließlich
Susan Rice und Samantha Power sowie der damalige
Generalsekretär Ban Ki-moon. Ich erwähne diese
persönliche Erfahrung nur, um zu zeigen, dass sie zu
einem schon lange bestehenden Muster der Zurückweisung
gehört, das lieber verleumdet als sich an einer
vernünftigen Debatte über wichtige Themen von
Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit zu beteiligen.
Das
internationale Verbrechen der Apartheid wurde 1973 in
der Konvention zur Unterbindung und Bestrafung des
Verbrechens der Apartheid festgelegt. Die wichtigsten
Elemente des Verbrechens bestehen in bewußten und
systematischen Akten rassischer Diskriminierung mit dem
Vorsatz rechtswidrige Strukturen der Herrschaft einer
Rasse über eine andere aufrecht zu erhalten. Unser
Report überlegte auch, ob es angemessen ist, im
Zusammenhang mit der Untersuchung, ob Apartheid
existiert, Juden und Palästinens als verschiedene Rassen
zu betrachten; wir fanden, dass dafür reichlich Gründe
vorhanden sind. Das hat nicht notwendigerweise eine
Korrelation mit biogenetischen Realitäten, die in diesem
Fall eine Überlappung zwischen Juden und Palästinensern
zeigen.
Der Report
geht auch davon aus, dass es von der gesamten Behandlung
des palästinensischen Volkes abhängt, ob es Apatheid
gibt oder nicht. Wir wandten eine innovative Methode an
[...] und teilten die Palästinenser in vier Bereiche
ein, was der Art und Weise entspricht, in der Israel
seit Jahrzehnten seine Regierungsgewalt ausübt, wenn
sich auch spezielle Kontrollmethoden im Lauf der Zeit
verändert haben. In der Vergangenheit hat (bereits) eine
eingehende Untersuchung von internationalen
Rechtsgelehrten ergeben, dass die Praktiken Israels in
den besetzten Gebieten mit Apartheid vereinbar sind. Sie
machte auf die diskriminierende Behandlung von
Palästinensern aufmerksam, die einer Militärverwaltung
unterstehen, im Gegensatz zur jüdischen
Siedlerpopulation, die die vollen Vorteile des
Rechtssystems genießt wie die Juden innerhalb von
Israel. Die Studie fand, dass Merkmale wie "Strassen nur
für Siedler", zweierlei Rechtssysteme und die
drakonische Trennung der beiden Bevölkerungen in
Regionen auf der Grundlage der Rasse kennzeichnend für
Apartheid ist. Repressive Praktiken, die das Leben der
normalen Palästinenser zu einer täglichen Qual machen,
sind Teil dieses Systems, und das internationale Recht
setzt fest, dass die Bestrafung des Widerstands gegen
Apartheid selbst ein Verbrechen der Apartheid ist.
Ein zweiter
Bereich, der im Report untersucht wurde, bezieht sich
auf Palästinenser, die Bewohner von Jerusalem sind. Hier
zeigt sich der Apartheidcharakter der israelischen
Herrschaft in der Art, wie die Regierung die Sicherheit
dieser Palästinenser aushöhlt, indem sie ihre
Residenzrechte manipuliert sowie eine Vielzahl
diskriminierender Praktiken gegen sie durchsetzt, die
von finanzpolitischen Maßnahmen bis zur Erteilung von
Baugenehmigungen reichen. Der dritte Teil betrifft die
palästinensische Minderheit, die in Israel lebt [...].
In dieser Kategorie sind etwa 1,7 Millionen israelische
Bürger, die politische Parteien gründen und bei Wahlen
wählen dürfen. Aber dieser Minderheit, die etwa 20% der
israelischen Gesamtbevölkerung ausmacht, ist es per
Gesetz verboten den proklamierten jüdischen Charakter
des Staates in Frage zu stellen; sie ist einer großen
Vielfalt diskriminierender Nationalgesetze und
administrativer Praktiken unterworfen, die ihre Rechte
stark einschränkt, was sich auf Landerwerb, Eigentum,
Immigration, Familienvereinigung und Freiheit der
ehelichen Lebensgemeinschaft auswirkt.
Ein vierter
Bereich, der die größte demographische Gruppe betrifft,
sind die von den UN registrierten Flüchtlinge bzw. die,
die unter den Bedingungen eines unfreiwilligen Exils
leben. Im Hintergrund steht die Nichtumsetzung der
Resolution 194 (1948) der UN-Generalversammlung, die das
Rückkehrrecht der von Israel 1948 enteigneten oder
vertriebenen Palästinenser bestätigt. Die Resolution
3236 der Generalversammlung hat dieses Rückkehrrecht zum
"unveräußerlichen Recht" erklärt, das vermutlich auch
die zusätzlichen mehreren hunderttausend Palästinenser
umfasst, die im Krieg von 1967 vertrieben wurden. Soviel
bekannt ist, wurde seit der Gründung Israels 1948 keinem
Palästinenser das Rückkehrrecht eingeräumt, damit er
seinen Wohnsitz wieder aufnehmen könnte.
Aus der
Perspektive des Völkerrechts wurde (der Begriff des) das
Verbrechen der Apartheid von seinem historischen
Ursprung in Südafrika abgeleitet. Weder die Konvention
von 1973 noch das Romstatut von 1998, das dem
Internationalen Strafgerichtshof zu Grunde liegt,
verbindet Apartheid mit Südafrika, sondern behandelt
deren Praxis als ein eigenständiges Verbrechen gegen die
Menschlichkeit. Es gibt bedeutende Unterschiede in der
Art, in der Apartheid in Südafrika funktioniert hat, und
der Art, in der sie derzeit gegenüber den Palästinensern
praktiziert ist, aber diese Unterschiede sind nicht
relevant für die Frage, ob (der Begriff) korrekt und
genau zutreffend für Israel gilt. Ein wichtiger
Unterschied ist, dass in Südafrika die Führungsschicht
der Afrikaner ganz offen erklärt hat, Apartheid sei ein
Ausdruck ihrer Ideologie der Rassentrennung, während für
Israel eine solche Struktur der Trennung auf Grundlage
der Rasse geleugnet und zurückgewiesen wird. Es gibt
auch noch andere Unterschiede, die sich auf das Ausmass
der Arbeitsabhängigkeit und der demografischen
Verhältnisse beziehen.
Unser Report
zieht die Schlussfolgerung, dass Israel das
palästinensische Volk bewußt im Verhältnis zu den vier
(genannten) demografischen Bereichen fragmentiert hat,
die auf systematischer Diskriminierung einschließlich
"unmenschlicher Akte" beruhen, um seine Kontrolle
aufrecht zu halten, während es sich territorial zu
Lasten des palästinensischen Volkes ausbreitet. Auf
Grund dieser Feststellungen – unterlegt von
detaillierten Darlegungen empirischer Daten
einschließlich offizieller israelischer Quellen – ziehen
wir die Schlussfolgerung, dass die Behauptung, dass
Apartheid gegenüber dem palästinensischen Volk
angewendet wird, wohl begründet ist.
Wir stellen
fest, dass unser Report die Arbeit von Wissenschaftlern
und nicht die autoritäre Feststellung eines offiziellen
rechtsprechenden Organs oder einer Regierungsinstitution
ist. Diesbezüglich ist er – anders als in
Medienberichten und diplomatischen Denunzierungen
dargestellt – weder von den UN noch überhaupt von ESCWA
unterstützt oder akzeptiert worden. Wir empfehlen eine
solche Unterstützung und bitten die UN, nationale
Regierungen und die Zivilgesellschaft dringend,
Maßnahmen zu ergreifen, die Israel ermutigen sollen sein
Apartheidsregime abzubauen und das palästinensische Volk
entsprechend den Forderungen des internationalen Rechts
und der Menschenrechte sowie der elementaren Ethik (morality)
zu behandeln.
Der breitere
Rahmen im Zusammenhang mit unserer Behauptung, dass
Israel ein Apartheidstaat geworden ist, bezieht sich
darauf, dass es auf dem diplomatischen Horizont keine
friedliche Lösung des Konflikts gibt und somit keine
absehbare Aussicht auf eine Beendigung des
diskriminatorischen Regimes. Diese quasi-permanente
Herrschaftsstruktur kann nicht überzeugend mit dem Bezug
auf israelische Sicherheitsbedürfnisse gerechtfertigt
werden. Ein Volk kann nicht dauerhaft auf so vielfältige
Weise unterdrückt werden, ohne dass die Struktur, die
sich als ein Apartheidregime herausgestellt hat, (als
solche) gesehen wird. Tatsächlich liegt der Grund,
weshalb wir nicht eine mehr formale Beurteilung dieser
Beschuldigungen abgewartet haben, zum Teil in unserem
Gefühl für die dringende Notwendigkeit einer Beendigung
der vielen Arrangements, die so lange für so viel Leiden
und die Verweigerung grundlegender Rechte, insbesondere
des Rechts auf Selbstbestimmung verantwortlich sind.
Es bleibt
unsere zentrale Hoffnung, die von ESCWA geteilt wird,
dass die breite Verfügbarkeit des Reports zu einem
klareren Verständnis der Notlage der Palästinenser
führen wird und zu wirksameren Reaktionen von den UN,
von Regierung und der Zivilgesellschaft ermutigen wird.
Darüber hinaus ist es unser dauerhafter Wunsch, dass
Menschen guten Willens in der ganzen Welt und besonders
in Israel für eine politische Lösung arbeiten werden,
die schließlich Juden und Palästinensern ermöglichen
wird in Frieden und Gerechtigkeit miteinander zu leben.
Quelle:
www.thenation.com/article/the-inside-story-on-our-un-report-calling-israel-an-apartheid-state/
Übersetzung
(leicht gekürzt): K. Nebauer
Der Vollständiger Bericht (englisch)
Israeli Practices towards the Palestinian
People and the Question of Apartheid >>>
Israeli Practices towards the Palestinian
People and the Question of Apartheid:
Palestine and the Israeli Occupation, Issue
No. 1: Executive Summary >>>
Originalquelle
Dokumentation der Rücknahme des Berichts >>>
|