Genozid oder
Auslöschung der Palästinenser
Kathleen und Bill Christison
Während eines
öffentlichen Auftritts im letzten Oktober bei einer Irland-Radio-Show
von Pat Kenny, einem volkstümlichen, nationalen Programm, das täglich im
Irland-Radio ausgestrahlt wird, wurde uns als erstes eine Frage
gestellt, ob man Israel mit dem Nazi-Deutschland vergleichen könne.
Nicht allgemein, sagten wir, aber es gibt sicher einige
Aspekte in Israels Politik gegenüber den Palästinensern, die an die
Unterdrückung durch die Nazis erinnern. „Denken Sie dabei an die Mauer?“
fragte Kenny prompt. Wir stimmten zu und beschrieben die Gettoisierung
und andere Auswirkungen dieses Monstrums. Bevor wir auf anderes
Nazi-Ähnliche in Israels Politik eingehen konnten, stellte Kenny eine
andere Frage. Innerhalb weniger Minuten – während die Sendung noch lief
– kam ein Mitarbeiter des Rundfunk-studios und überreichte Kenny einen
Zettel mit einer Notiz. Später erfuhren wir, dass es eine Anfrage
des neuen israelischen Botschafters war, er wolle selbst bei
dieser Show auftreten. Der Botschafter bezeichnete unsern Vergleich der
israelischen mit der Nazi-Politik als „ungeheuerlich“.
Na und ? Wir
waren über seine Empörung weder überrascht noch beunruhigt. Wir
hatten gerade zwei Wochen in der Westbank verbracht und waren Zeugen der
Unterdrückung – und ich wette – auch wenn der israelische Botschafter
seine Rolle als Propagandist gut gespielt hätte, so hat er keine Ahnung
von der realen Situation in der Westbank, weil er höchstwahrscheinlich
in den letzten Jahren keinen Fuß dorthin gesetzt hat. Im Nachhinein
bedauern wir sogar, uns nicht noch deutlicher ausgedrückt zu haben. Da
wir gerade seit 2003 unsere 5. Reise nach Palästina hinter uns hatten,
hätten wir eigentlich den Mut haben sollen, das, was wir
beobachtet haben, was Israelis den Palästinensern antun, mit dem
richtigen Wort zu benennen: Genozid, Völkermord.
Wir haben lange
überlegt, welches das richtige Wort ist und nannten Israels Politik „Ethnozid“
und meinten damit den Versuch, die Palästinenser als Volk mit einer
besonderen ethnischen Identität zu zerstören. Andere tanzen um das
Problem herum und verwenden den Terminus „Politizid“ (Kimmerling) oder
eine neue Erfindung „Soziozid“, aber keiner dieser Termini
beinhaltet die umfangreiche Zerstörung des Volkes und seiner Identität,
die das wahre israelische Ziel ist. „Genozid“ – von der
UN-Konvention definiert – ist die Absicht, eine „ganze oder einen Teil
einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe zu
zerstören“. Es beschreibt sehr passend und genau Israels Bemühungen
- sehr ähnlich denen der Nazis, ein ganzes Volk auszulöschen (s. auch
William Cook „The Rape of Palestine“ Counterpunch, 7.1.06. Es handelt
sich um eine Diskussion, was ein Genozid ist)
Tatsächlich ist
es völlig egal, wie man es nennt, solange man erkennt, was Israel
beabsichtigt und wohin es zielt. Es ist die Auslöschung des
palästinensischen Volkes aus der palästinensischen Landschaft. Israel
macht sich keine Gedanken darüber, wie systematisch seine Bemühungen des
Auslöschens sind, und wie schnell dies vorangeht – hierin gibt es einen
Unterschied zu den Nazis. Es gibt keine Gaskammern; es eilt nicht.
Gaskammern sind nicht nötig. Eine Runde Raketen auf ein Wohnviertel
mitten in der Nacht hier und einige Millionen Streu- oder Phosphorbomben
dort - entsprechen nach gegebener Zeit leicht der eben zitierten
UN-Definition.
Hier werden
Kinder in Schulklassen erschossen, dort Familien, die ihr Land
bearbeiten, ermordet; hier wird landwirtschaftlich genütztes Land
weggenommen und verbrannt, dort werden Bauern von ihrem Land
abgeschnitten; hier wird ein ganzes Magazin in ein kleines Mädchen
geschossen und dort werden Kinder durch Granatfeuer enthauptet; ein
kleines Massaker hier, und Hungertode dort; hier findet Vertreibung
statt, dort verweigert man die Einreise und reißt Familien aus
einander. Enteignung heißt der Name des Spiels. Nicht funktionierende
Wirtschaft, dahin schwindende Lebensmittelvorräte, geringer werdende
Medikamentenvorräte; keine Möglichkeit, von einem Gebiet in ein anderes
zu kommen, kein Zugang zur Hauptstadt, schwierig zur Schule, Universität
oder ins Krankenhaus zu kommen, kein Gehalt für die Beamten und
Angestellten. Das Volk wird sterben, die Nation wird sterben – auch ohne
Gaskammern – zumindest hoffen dies viele Israelis.
Aufgabe oder
Widerstand
Abgesehen von
der direkten Landenteignung, nationalen Zerstückelung und dem Morden,
womit beabsichtigt ist, das palästinensische Volk im Würgegriff zu
halten und zu zerstören, besteht der größere Teil des israelischen
Planes darin, die Palästinenser psychisch fertig zu machen, bis sie
schließlich einfach freiwillig gehen – falls sie Geld haben - oder
aufgeben und sich damit abfinden, ganz still in kleinen Enklaven unter
dem israelischen Stiefel zu leben. Man fragt sich manchmal, wenn die
Israelis nicht einmal bei diesem Stückchen psychologischer
Kriegsführung Erfolg haben, ob sie dann beim physischen Würgegriff
in der Westbank und im Gazastreifen Erfolg haben werden. Insgesamt
glauben wir nicht, dass sie die Palästinenser an diesen Punkt der
psychischen Aufgabe bringen, auch wenn die Belastungsgrenze heute
näher ist als je zuvor.
Der Zorn und
die Depression, sogar die Verzweiflung sind in diesen Tagen spürbarer
und viel schlimmer als bei unserer letzten Begegnung. Wir trafen
zwei derart entmutigte Palästinenser, die dabei sind, das Land zu
verlassen, obwohl ihre Familien seit Jahrhunderten in diesem
muslimischen Dorf leben. Der andere Fall ist der einer jungen Christin,
auch aus alter einheimischer Familie, die für sich keine
Aussichten mehr sieht, und die sich von ihrer katholischen Kirche
betrogen fühlt, weil diese die palästinensischen Christen im Stich
gelassen hat…
Eine
palästinensische Umfrage, wie man über Auswanderung denke, berichtete
kürzlich, dass die Anzahl der Leute, die ans Auswandern denken, von 20%
nun auf 32 % gestiegen sei. Es sei aus Verzweiflung über die
inner-palästinensischen Kämpfe und wegen der Unfähigkeit der Hamas zu
regieren - auf Grund der israelischen, US und EU-Sanktionen.
Anders als ein
Drittel der Palästinenser, das letzten Endes das Land verlässt oder
wenigstens versucht, das Land zu verlassen, weist die Tendenz der
Ansichten klar auf eine Hoffnungslosigkeit hin, an der ein großer Teil
der Palästinenser leidet. Ein nachdenklicher palästinensischer
Autor, mit dem wir einen Abend verbrachten, fühlt sich so
geschlagen und von den israelischen Beschränkungen so unterdrückt, dass
er meint, Hamas solle seine Prinzipien aufgeben und Israels
Existenzrecht anerkennen, in der Hoffnung, dass diese Konzession die
Israelis dahin bringe, einige der unzähligen Beschränkungen im
Leben der Palästinenser, die militärische Belagerung der
palästinensischen Gebiete und den Landraub aufzugeben und
allgemein das tägliche Elend, das die Palästinenser unter der Besatzung
erleiden, zu verringern. Danach gefragt, ob er glaube, dass eine so
wichtige Konzession der Hamas tatsächlich bedeutende israelische
Konzessionen bringen würde, sagte er, nein; aber vielleicht würde es das
Elend ein wenig mildern. Klar war, dass er keine große Hoffnung
hat. Das Land seines Dorfes verschwand immer mehr hinter der Mauer und
durch Erweiterung der israelischen Siedlungen.
Wir trafen
Europäer, die seit zehn Jahren oder länger in der Westbank lebten
und in verschiedenen NGOs für die Palästinenser arbeiteten, die
nun aus Frustration planten, das Land zu verlassen; denn auch sie
sehen, wie sich die Situation von Jahr zu Jahr verschlimmert und ihre
Arbeit zu nichts führt. Vielen anderen westlichen
Menschenrechtsarbeitern und Pädagogen, besonders an achtenswerten
Institutionen wie der Friends’School in Ramallah und der
Bir-Zeit-Universität wird von den Israelis die Verlängerung der
Aufenthalts-genehmigung abgelehnt. Dies ist ein Teil ihrer bewussten
Kampagne, Besitzer ausländischer Pässe fern zu halten; das schließt
Tausende von Palästinensern mit ein, die mit ihren Familien seit Jahren
in der Westbank gelebt und gearbeitet haben. Die israelische Kampagne,
das Wohnrecht zu entziehen und die Gültigkeit der Passierscheine
nicht zu verlängern, ist ein bewusster Versuch der ethnischen Säuberung.
Man hofft damit, dass wenn ein Ehepartner ausgesperrt wird, er den
Rest der Familie nachholen wird. So habe Israel sich dann mit
weniger Palästinensern abzugeben. Die Kampagne der Einreiseverweigerung
zielt zusätzlich besonders auf die Palästinenser oder Internationalen,
die durch Geschäftsmaßnahmen einen gewissen Wohlstand, Bildung,
medizinische Hilfe oder ganz einfach humanitären Beistand in die
palästinensischen Gebiete bringen.
Die Kampagne
gegen Ausländer, die Palästinensern helfen oder Zeugen ihres
Elends sind , wurde besonders scheußlich, als Mitte November eine
neunzehnjährige schwedische Freiwillige der ISM palästinensische Kinder
auf ihrem Schulweg in Hebron begleitete und von jüdischen Siedlern
brutal angegriffen wurde – während israelische Soldaten dies
(ungerührt) aus der Nähe beobachteten. Die junge Frau, Tove Johansson,
ging mit einigen anderen Freiwilligen durch einen israelischen
Kontrollpunkt, als sie von einer Gruppe von etwa hundert Siedlern
bedrängt wurden, die sangen: „Wir töteten Jesus, wir werden euch auch
töten!“ Einer der Siedler schlug Johansson mit einer zerbrochenen
Flasche ins Gesicht und brachte ihr dort schwere Verletzungen bei.
Als sie blutend am Boden lag, bekundeten die Siedler ihre Freude,
klatschten in die Hände und photographierten sich selbst mit ihr.
Israelische Soldaten befragten kurz drei der Siedler, verhafteten
sie aber nicht und führten kein Verhör durch. Dagegen drohten sie
den Internationalen mit Verhaftung, wenn sie nicht sofort die Gegend
verließen. Der Angriff war so grob und brutal, dass Amnesty
International eine klare Warnung an die Internationalen
veröffentlichte, um sich vor den Siedlern in Acht zu nehmen. Den
US-Medien schien es nicht geeignet, den Vorfall zu berichten, der klar
Teil langjähriger Bemühungen ist, Zeugen von israelischer Brutalität zu
entmutigen und den Palästinensern jeden Schutz gegenüber solcher
Brutalität zu nehmen. (Ich erinnere hier auch an die Ermordung der
ISM-Aktivistin Rachel Corrie im Gazastreifen, 2004. ER)
Der
palästinensische Widerstand spielt in dieser bedrückenden Geschichte
eine wichtige Rolle. In demselben kleinen Dorf, aus dem einer unserer
Bekannten seine Familie herausholt, bauen andere dagegen kleine
Häuser oder sogar mehrstöckige Gebäude, als Zeichen von Widerstand.
Internationale Menschenrechtsaktivisten versuchen noch immer, die
Westbank und den Gazastreifen zu erreichen, um den Palästinensern
beizustehen. Als wir einem palästinensischen Freund von unserm Gespräch
mit dem Schriftsteller erzählten, der möchte, dass Hamas das
Existenzrecht Israels anerkennt, war seine prompte Reaktion: „Auf keinen
Fall.“ Er ist selbst ein säkularer Muslim und Fatahunterstützer, mag die
Hamas nicht und hat auch bei der letzten Wahl nicht für sie gestimmt,
so unterstützt er doch ganz die Verweigerung der Hamas, Israels
Existenzrecht anzuerkennen, bis Israel das Existenzrecht des
palästinensischen Volkes als Nation anerkennt. „Warum soll ich
jemanden anerkennen, der sich illegal auf meinem Land breit macht?“
fragte er zurück.
Die Ansichten
unseres Freundes Ahmed geben das normale Gefühl unter
Palästinensern wieder. Eine Umfrage, die im September von einer
palästinensischen Volksbefragungs-organisation durchgeführt wurde, fand
heraus, dass 67% der Palästinenser denkt, die Hamas solle Israel nicht
anerkennen, um die israelischen und internationalen Forderungen zu
erfüllen, während fast derselbe Anteil, 63% die Anerkennung
Israels unterstützen würde, falls dies mit einem Friedensvertrag
verbunden sei, in dem ein palästinensischer Staat errichtet wird –
in andern Worten, wenn Israel die Palästinenser auch als Nation
anerkennt.
Eine
Kapitulation ist also nicht in Sicht.
Die Möglichkeit,
seine Zelte abzubrechen und Palästina zu verlassen, wies Ahmed weit von
sich. „Warum sollte ich weggehen, um dann später darum zu kämpfen,
zurückkommen zu können? Regime dauern nicht ewig.“ Er erwähnte die
osmanischen Türken, die Briten und die Sowjets, „und die Amerikaner und
Israelis werden auch nicht ewig herrschen. Es mag noch eine Weile
dauern, aber wir können warten.“ Er war zorniger, als wir ihn je
erlebt hatten, und auch weniger kompromissbereit. Und dies aus gutem
Grund: Die Mauer liegt nur wenige Meter von seinem Haus entfernt, dessen
Abriss droht. Ahmed und seine Nachbarn haben vor Gericht gegen den
Mauerverlauf gekämpft. Es gelang ihnen, den Mauerbau über ein Jahr
lang zu verzögern, aber nun geht der Bau weiter. Er muss auf seinem Weg
zur Arbeit schon meilenweit Umwege fahren und wird nur zu
Fuß gehen können, wenn die Mauer fertig ist – falls sein Haus nicht
zerstört worden ist.
Aber er gibt
nicht auf. Er denkt, dass Selbstmordattentäter „Shit“ sind, aber er
glaubt, dass Palästinenser in irgendeiner Weise Widerstand leisten
sollen, und wenn es nur durch Steinewerfen geschieht. Er meint,
eine Explosion sei nicht mehr weit. Wenn Palästinenser gar nichts
tun, dann „werden sich die Israelis zurücklehnen“ und keinen Druck
empfinden, um die Unterdrückung zu beenden. Die Palästinenser müssen
überall den Druck aufrechterhalten. Der Haaretz-Korrespondent Gideon
Levy beschrieb ein Stoffbanner, das unmittelbar nach Israels
Zerstörung in der kleinen Stadt Beit Hanun im Gazastreifen in der
1. Novemberwoche gezeigt wurde: „Tötet, zerstört, zermalmt --- es wird
euch nicht gelingen, uns zu brechen,“ stand auf dem Banner.
…..
Überall in
der Westbank
In Bilin, einem
kleinen Ort westlich von Ramallah, wo es seit fast zwei Jahren an jedem
Freitag einen gewaltfreien Protest gegen die Mauer von Palästinensern,
Israelis und Internationalen gibt, sprach der Dorfführer Ahmad Issa
Yassin über die Lektion, die sein jüngster Sohn letztes Jahr mit
14 Jahren bei einem israelischen Überfall hatte. „Er ist nun mutiger als
vorher und bereiter, Widerstand zu leisten“, sagte Yassin, „So wie ich“.
Wir hatten diesen Jungen ein paar Monate vor seiner Verhaftung
getroffen. Es war ein besonders freundlicher junger Mann. Er begrüßte
uns in diesem Jahr wieder auf sehr freundliche Weise und scherzte
mit uns, als wir ihn fotografierten. Er machte nicht die geringste
Andeutung darüber, dass er zwei Monate lang in Israels schlimmstem
Gefängnis saß oder vom Horror eines nazi-ähnlichen Überfalles mitten in
der Nacht, bei dem er verhaftet worden ist. Vielleicht hat er Steine auf
israelische Soldaten geworfen, die sich mindestens einmal in der Woche
dem Ort nähern und auf gewaltfreie Protestdemonstrationen mit gezieltem
Schießen, Gummigeschossen, Tränengas, Lärmgranaten und Knüppeln
reagieren. Der Junge war kein Terrorist. Aber die Israelis haben den
jungen Mann vielleicht nun zu einem jungen Mann werden lassen, der in
ein paar Jahren gegen den Terror mit Terror zu kämpfen bereit sein wird.
…
Der Widerstand
geht weiter, aber genau so die israelischen Übergriffe. Wir nahmen
zwei sich widersprechende Eindrücke mit uns: der junge Olivenbaum, der
aus den Wurzeln des abgeschlagenen Baumstumpfes sprießt und der
sorgfältig gepflegt wird als Symbol für ein Wiedererwachen und
den Widerstand -- und nicht weit davon entfernt das ständig grollende
Geräusch der Bulldozer in der israelischen Siedlung von Modiin-Illit,
die auf dem Land von Bilin und den benachbarten Dörfern gebaut wird.
Überall gibt es
Anzeichen dafür, wie der israelische Vormarsch sich
rücksichtslos über Anzeichen palästinensischen Widerstandes
hinwegsetzt. Das kleine Dorf von Wadi Fukin, südwestlich von Bethlehem,
einem wunderbaren Dorf, das in einem schmalen fruchtbaren Tal zwischen
Hügelketten liegt, wird auf der einen Seite von der im Bau befindlichen
Mauer und auf der andern Seite von der großen sich schnell
entwickelnden Siedlung von Betar Illit eingeklemmt. Wir sahen noch mehr
Zerstörung: Viele Tonnen von Bauschutt werden wie auf einer
Müllhalde den Abhang hinunter ins Dorf geschüttet. So wird das
landwirtschaftlich genutzte Land immer mehr zerstört. Das fiel uns
in diesem Jahr noch mehr auf als im vergangenen. Die Abwässer der
Siedlung fließen ins Dorf…Israelische Siedler stolzieren
immer öfter durch den Ort, als ob es der ihrige wäre, sie
schwimmen in den vielen Bewässerungsseen, die von natürlichen Brunnen
gespeist werden, deren Ursprünge bis in die römische Zeit reichen.
(Nicht weit davon liegt das liebliche und fruchtbare Tal von Artas, das
ich 1967 kennen lernte. Heute 1.12.06 erfahre ich von Pax Christi, dass
das Land der 4000 Bewohner wegen der Mauer und zur
Erweiterung der jüd. Siedlung Ephrat enteignet wird. ER)
Im Dorf Walaja
ein Stück weiter im Norden und nahe Jerusalem besuchten wir einen Freund
von Ahmed. das Dorf soll, dem Plan nach, vollkommen von der Mauer
eingeschlossen werden, weil es nahe an der Grünen Linie und mitten
zwischen jüdischen Siedlungen liegt. Wir saßen in einem
Obstbaumgarten einer Familie auf einem Hügel und hatten einen
wunderbaren Blick auf das Tal und die Hügel dahinter mit
Jerusalem. Wir bemerkten, dass dies abgesehen von den israelischen
Siedlungen wie ein Paradies sei. Doch unser Gastgeber antwortete mit
verbittertem Lachen, dass es tatsächlich eher die Hölle sei. Selbst die
schönste Gegend verliert ihren Charme, wenn man in ihr wie in einer
Falle gefangen sitzt.
…
Die „großen“
Terminals
Mit der nahen
Vollendung des Mauerbaus haben die Israelis das Westbank-Gefängnis in
ein System gebracht. Seit August 2005 hat sich die Zahl der
Kontrollpunkte in der Westbank um 40% erhöht, von 376 auf 528 –
nach OCHA, dem UN-Büro für die Koordinierung für humanitäre
Angelegenheiten, das nicht nur sorgfältig die Zahl und die Typen der
Kontrollpunkte, sondern auch andere Aspekte des israelischen Würgegriffs
auf die Palästinenser aufzeichnet. Ein Teil dieses Systems ist eine
Reihe raffiniert gebauter Terminals, die nun die Demütigung der
Palästinenser an den größeren Kontrollpunkten, besonders rund um
Jerusalem, verwaltet. Diese Terminals sind wie große Käfige, die
einem Viehhof ähneln. Fußgänger werden in Schlangenlinien
durchdirigiert … Am Ende der Reihe stehen Drehtüren, Röntgenapparate,
Förderbänder und andere Gerätschaften für die Sicherheit (Israels).
Jeder Palästinenser, der aus der Westbank nach Jerusalem zum Arbeiten,
zum Beten in die Al-Aqsa-Moschee oder in die Grabeskirche will,
zur Schule, zu ärztlicher Behandlung oder nur einen Familienbesuch
machen will, muss einen schwer zu erlangenden Passierschein haben. Die
Drehtüren und andere Sicherheitsbarrieren werden von israelischen
Soldaten fern gesteuert, die hinter dicken schusssicheren
Glasscheiben sitzen.
Die „Käfige“
sind im Augenblick noch in leuchtendem Blau gestrichen. Aber man kann
wetten, sollten sie einmal älter sein, dann wird man sich die Arbeit
des Anstreichens nicht noch einmal machen. An den Terminals sind
unangemessene, widersinnige Begrüßungsformeln angebracht. Am Bethlehemer
Terminal kann man z.B. in drei Sprachen lesen: „Friede sei mit
dir!“ Dies ist auf einem riesigen, pastellfarbenen Schild zu sehen, das
vom israelischen Tourismusministerium angebracht wurde, als ob
durch diesen Terminal nur gewöhnliche, normale Touristen gingen. Beim
Qalandia-Terminal zwischen Ramallah und Jerusalem werden die
Palästinenser mit einer großen roten Rose und arabischen
Inschriften begrüßt. Als dieser Terminal Anfang des Jahres
eröffnet wurde, war die Rose auf einem Schild zusammen mit
Sprüchen in drei Sprachen: z.B. „Hoffnung für uns alle.“ Anscheinend
von ihrer eigenen Heuchelei verwirrt und ertappt, entfernten die
Israelis diese Worte wieder und ließen nur die Rose. Eine jüdische
Aktivistin hatte dazu noch folgende Worte auf Deutsch dazu geschrieben,
die einst über dem Eingang von Auschwitz standen: „Arbeit macht frei!“.
Noch immer gibt es ein Schild, auf dem in drei Sprachen steht: „Geh in
Frieden und kehre in Frieden zurück.“ Israelis kapieren noch immer
nicht, was hier los ist.
Auch die
Amerikaner nicht. Die Terminals, die angekündigt worden waren, um den
Palästinensern „das Leben zu erleichtern“, um die Kontrollpunkte
zu verschönern und um das Passieren effizienter zu machen, wurden von
US-Hilfsgeldern gezahlt, die für die palästinensische Autonomiebehörde
(vor der Hamaswahl) gedacht waren, die dann aber zum israelischen
Terminalbau umgeleitet wurden. So halfen die Amerikaner Israel,
die Demütigung der Palästinenser effizienter zu gestalten.
Steven Erlanger (New York Times) und andere Reporter fielen auf diesen
betrügerischen Trick herein und bemerkten, als der Bethlehem-Terminal im
letzten Dezember 2005 eröffnet wurde, dass er nun die Bürde (der
Besatzung) der Palästinenser erleichtern und die internationale Kritik
besänftigen würde“. Er bezeichnete den Bethlehem-Terminal als „großes
Tor“ für die Christen, die Jesu Geburtsstätte besuchen -- ohne
zuzugeben, dass Christen seit bald 2000 Jahren den Ort besuchten
und keine Drehkreuze und Betonmauern als Hindernisse
hatten.
Soweit wie wir
berichten können, wurde die erdrückende Last der Palästinenser nicht
weniger. Wir blieben eine Weile an verschiedenen Terminals und
beobachteten - und fühlten uns wie Voyeure der palästinensischen Misere.
Beim Qalandia-Terminal standen etwa 100 Leute und warteten, um
drei Drehtüren passieren zu können. Eine junge israelische
Soldatin saß in einer verglasten Zelle und bellte Befehle... Es gab
keinen Grund für ihre Wut oder für den Grund, die Drehtüren verschlossen
zu halten. Als sie uns mit einem Fotoapparat bemerkte, gab sie uns
ein deutliches Zeichen, nicht zu fotografieren. Sie mögen keine Zeugen.
Kurz danach aber öffnete sie die Drehtüren.
…
An einem anderen
Kontrollpunkt: Als die Menge der Wartenden größer wurde,
kamen noch mehr Soldaten. In der Menge waren Frauen, Männer, auch
etliche Kinder. Von einem amerikanischen Paar beobachtet, half dieses
kaum, die angespannte Stimmung der Menge zu verbessern.
Ein kleiner
Junge, ordentlich mit Krawatte und gebügeltem weißen Hemd, stand etwas
von seinem Vater entfernt da und schaute sich die Aufregung ein
paar Minuten lang an. Plötzlich brach er in Tränen aus. Ein paar
Minuten später feuerten die Soldaten eine Lärmgranate ab. Die Menge stob
auseinander. Es ist die israelische Weise: lasst sie weinen und
vor Angst weglaufen. Wir gingen auch - verwirrt von unserer eigenen
Hilflosigkeit.
Terminologie
Ist es Genozid,
wenn man ein Kind zum Weinen bringt, weil kriegerisch bewaffnete Männer
ihn und seinen Vater einschüchtern und schließlich beide davonjagt; wenn
man ihnen verbietet, ihre religiösen Zeremonien auszuüben, weil
eine kriegerische Regierung entscheidet, dass sie die falsche Religion
haben; wenn ihre Stadt von einer Mauer umgeben und sie abgeschnitten
sind, weil ein rassistischer Staat entscheidet, dass ihre ethnische
Zugehörigkeit von falscher Art ist ?
Man kann sich
über Terminologie streiten, aber die Wahrheit ist vor Ort und
Stelle offensichtlich. Wo Israel seine Gerichtshoheit ausübt, sind
Palästinenser unwürdiger und weniger wert als Juden. Und im Namen
des jüdischen Volkes hat es sich selbst die Vollmacht gegeben, die
palästinensische Präsens in Palästina auszulöschen --- in andern Worten,
einen Genozid zu begehen, indem man „eine nationale, ethnische,
rassische oder religiöse Gruppe im Ganzen oder in Teilen zerstört“.
Während wir über
die palästinensische Psyche debattieren und sie untersuchen und zu
bestimmen versuchen, ob sie genug durchgemacht hat und aufgeben wird,
oder ob sie durch Widerstand überleben wird, sollte man sich erinnern,
dass das jüdische Volk trotz der unaussprechlichen Tragödie aus dem
Holocaust letztlich triumphierend wieder aufgetaucht ist. Israel und
seine Unterstützer sollten daran denken, dass keine Herrschaft ewig
dauert – wie Ahmed sagte – und große Ungerechtigkeiten, wie sie durch
Nazis und Israel unschuldigen Menschen zugefügt wurden/ werden,
können nicht von langer Dauer sein.
Kathleen Christison ist
frühere politische Analystin der CIA gewesen und hat 30 Jahre lang
über Probleme des Nahen Ostens gearbeitet. Sie ist die Autorin von
„Perceptions of Palestine“ und „The Wound of Dispossession“.
Bill Christison war
ranghoher Angestellter des CIA. Er diente als Geheimdienstoffizier und
als Direktor des CIA-Büros für regionale und politische Analyse. Beide
verbrachten den Oktober 2006 in Palästina und auf einer Vortragsreise
durch Irland, die von der irländischen Palästina Solidaritäts-Kampagne
gesponsert wurde.
(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs) |