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Broders taktischer
Rückzieher
Das infame Spiel mit dem Antisemitismus-Vorwurf wird
weitergehen
Arn Strohmeyer
Da schafft Israel mit der
Besetzung und Besiedlung eines fremden Territoriums seit
Jahrzehnten eine Gefahr für den Weltfrieden, aber man soll
nicht darüber reden dürfen! Absurd! Da werden seit
Jahrzehnten Menschenrechte und Völkerrecht durch Israel
permanent verletzt, aber man soll nicht dazu Stellung nehmen
dürfen! Widersinnig! Wenn Menschenrechte und Völkerrecht als
Regeln des Zusammenlebens auf diesem Planeten überhaupt
einen Sinn haben, dann nur, wenn sie für alle Völker und
Staaten in gleicher Weise gelten! Auch für Israel darf es
kein Sonderrecht geben, das wäre umgekehrter Rassismus!
Genau in diesem
universalistischen Sinne hat Jakob Augstein seine Kolumnen
geschrieben und wurde vom Simon-Wiesenthal-Zentrum dafür auf
Platz 9 der Ranking-Skala der schlimmsten Antisemiten des
Jahres 2012 gesetzt. Henryk W. Broder hatte die Vorarbeit zu
dieser infamen Inszenierung geleistet. Nun hat er (wie auch
das Wiesenthal) Zentrum einen Rückzieher gemacht und sich
entschuldigt. Ist er zur Besinnung gekommen und reuig
geworden? Ist aus dem Saulus ein Paulus geworden? Weit
gefehlt! Diesem Mann ist das Diffamieren und Anprangern von
vermeintlichen „Antisemiten“ zur zweiten Natur geworden.
Dass er der Sache, die er vertritt, mit seinen Ausfällen
mehr schadet als nützt, ist er unfähig einzusehen. Sein
Rückzug jetzt ist rein taktisch zu verstehen, denn er hat
schlicht gemerkt, dass er es zu weit getrieben hat und die
Angelegenheit sich zu einem Rohrkrepierer entwickelte.
Denn die große Mehrheit der
deutschen Journalisten hatte sich – erstaunlich genug! -
schützend vor Augstein gestellt und ihn verteidigt. Das hat
mehrere Gründe: 1. lässt sich Augsteins Kritik an der
israelischen Politik nicht widerlegen. Jeder, der Augen hat
zu sehen und Ohren zu hören, weiß, was im Nahen Osten vor
sich geht. 2. ist Augstein nicht nur ein ausgezeichneter
kritischer Analytiker politischer Zustände, er ist zugleich
als Teilhaber des SPIEGEL und Besitzer des „Freitag“ ein
sehr wichtiges Mitglied des Medien-Establishments in
Deutschland. Und da muss man vorsichtig sein!
Da war Gefahr im Verzuge: Broder
und seine Leute (wie übrigens auch der Zentralrat) mussten
befürchten, dass der Wind sich drehen würde und plötzlich
das so lange gehütete Tabu, Kritik an Israels Politik zu
üben, fallen würde. Da musste sofort gegengerudert werden.
Der ganze skandalöse Vorgang der Denunziation Augsteins hat
aber auch sein Gutes. Der Israeli Moshe Zuckermann hat es so
formuliert: „Es
wurde höchste Zeit, dass das miese Unwesen, das diverse
Diffamierer im deutschen Diskurs mit dem
Antisemitismus-Vorwurf betreiben, endlich als das vorgeführt
wird, was es ist: als perfide ideologische Praxis zur
Abfertigung und Zurichtung politischer Feinde. Dass es
diesmal jemanden getroffen hat, der nicht zu den ‚üblichen
Verdächtigten‘ gehört, ist, so besehen, ein günstiger Fall.
Plötzlich verteidigen ihn Leute, die in dieser Hinsicht
selbst einiges auf dem Kerbholz haben.“
Man muss kein Prophet sein, um
vorauszusehen, das das Diffamierungsspiel wie gehabt auch in
Zukunft weiter geht. Egal, was Israel politisch oder
militärisch tut, Kritik an diesem Vorgehen wird weiter unter
dem Antisemitismus-Vorwurf stehen. Das Schlimmste, was
diesen Diffamierern passieren könnte, wäre, wenn die Masche
mit dem leichtfertigen und inflationären
Antisemitismus-Vorwurf durchschaut würde und man wirklich
ohne Tabus über Israels Politik debattieren könnte. In
diesem Fall wäre aber der Kampf gegen den realen - ja
zweifellos existierenden - Antisemitismus sehr viel leichter
– in dem Sinne, dass man ihn aufklärerisch entlarven und so
unschädlich machen könnte. Die Inszenierung um Jakob
Augstein hat auf jeden Fall manchem in diesem Lande die
Augen geöffnet! |