Antisemiten überall
Wie der deutsche
Journalist Daniel Killy vom Bremer Weser-Kurier seinen
Lesern den Nahen Osten darstellt
Arn
Strohmeyer
Der Bremer Weser-Kurier hat einen neuen
Fachmann für Außenpolitik: Daniel Killy. Der Mann ist
bei der einzigen Tageszeitung in Bremen Chef vom Dienst
und nebenbei erklärt er den Lesern noch die Weltlage –
besonders die Vorgänge im Nahen Osten. Killy bringt für
diese Aufgabe einen soliden journalistischen Hintergrund
mit, war er doch immerhin bei den Boulevard-Zeitungen
Morgenpost und BILD-Zeitung
tätig. In einem Interview des Internet-Blogs
Castollux wird er vorgestellt als
„verantwortlicher Redakteur bei BILD , er
ist jüdischer Deutsch-Amerikaner und Experte für
jüdische Themen und antisemitische Medienphänomene.“
Hinzugefügt sei, dass er der Sohn des sehr renommierten
Germanisten Walter Killy ist.
In diesem Interview darf Killy sein
schlichtes und sehr einseitiges Weltbild in Bezug auf
den Nahen Osten darstellen: Die deutschen Printmedien
(aber auch ARD und ZDF) sind
grundsätzlich „antiisraelisch“ eingestellt, was dasselbe
ist wie „antizionistisch“, was wiederum ein Synonym für
„Deutschlands feschen Zeitgeist-Antisemitismus“ ist.
Selbst die FAZ und die Süddeutsche
sind in Killys Sichtweise neben den
Öffentlich-Rechtlichen „ein sicherer Hafen für
anti-israelische Autoren“. Es gebe zwar – so doziert
Killy weiter – dort keinen antiisraelischen
Redaktionskodex, aber alle bösartigen Attacken auf
Israel würden durch einen Wall des „Pluralismus“
geschützt. Wann immer jemand (wie etwa er selbst) diese
Methode offenlege, werfe man ihm reflexartig einen
„Angriff auf die Pressefreiheit“ vor. (Dieser Vorwurf
Killys bedeutet ja, dass die Pressefreiheit in
Deutschland Antisemiten schützt.) Die Sprache der
deutschen Medien sei „vergiftet“, weil sie einseitig
propalästinensisch berichteten. so der ehemalige
Boulevard-Journalist.
Killy fasst in dem Interview seine
Position so zusammen: „Pessimistisch ausgedrückt: Die
Bestie des deutschen Antisemitismus ist nicht zur
Strecke gebracht – sie wurde nur betäubt. Sollte dieses
staatlich verordnete Sedativum seine Wirkung verlieren,
wäre sie wieder quicklebendig. Positiv formuliert heißt
das: Deutschland tut alles, um sicherzustellen, dass
dieses Anästhetikum stets in ausreichender Menge
vorhanden ist.“
Killy sieht also Antisemiten am Werk,
wohin er auch blickt, Die Einseitigkeit, die er den
deutschen Medien in Bezug auf ihre Darstellung des
Nahost-Konflikts (völlig unberechtigt) vorwirft,
praktiziert er selbst in nicht zu übertreffender Art und
Weise. (Dieser Vorwurf des Verfassers dieser Zeilen ist
in seinen Augen vermutlich auch schon wieder
antiisraelisch = antizionistisch = antisemitisch. Wenn
er doch wenigstens diese Begriffe sauber
auseinanderhalten könnte!) Killy ist ein überzeugter
zionistischer Ideologe, der die Welt nur in den
Kategorien Schwarz und Weiß, gut und böse, Engel und
Teufel sehen kann. Und dieses Weltbild vermittelt er in
seinen Artikeln und Kommentaren mit einer Sprache des
abgrundtiefen Hasses: Die Palästinenser sind
grundsätzlich „Terroristen“, und „Terroristen“ sind eben
„Mörder“. Mit solchen Bestien kann man natürlich nicht
verhandeln, weil sie völlig friedensunfähig sind.
Man fühlt sich bei einer solchen Sprache
an Aussagen führender israelischer Politiker über
Palästinenser erinnert. So nannte der frühere
israelische Ministerpräsident Menachim Begin die
Angehörigen dieses Volkes „Tiere auf zwei Beinen“. Sein
Ministerpräsidenten-Kollege Yitzhak Shamir bekannte
öffentlich: „Die Palästinenser sollten wie Heuschrecken
zermalmt werden. Ihre Köpfe sollten an Felsen und Mauern
zerdrückt werden.“ Und der Generalsstabschef der
israelischen Armee, Raphael Eitan, erklärte: „Wenn wir
mit dem Land fertig sind, werden alle Araber in dieser
Hinsicht nur noch in der Lage sein, wie Schaben auf
Drogen in einer Flasche herumzuwursteln.“
Das ist die Sprache des Unmenschen, oder
anders gesagt: blinder Rassismus. So weit geht Killy
natürlich nicht. Aber wer die Palästinenser ständig als
„Terroristen“ und „Mörder“ abtut, ist von dieser Sprache
nicht mehr weit entfernt. Das ist schlimm genug, aber
die Verantwortlichen des Bremer Weser-Kurier scheint es
nicht zu stören. In seinem ideologischen Amoklauf will
er vor allem eines nicht sehen: Wer in dieser
Auseinandersetzung in Israel/Palästina Täter und Opfer,
wer der Kolonialist und wer der Kolonisierte, wer der
Besatzer und wer der Besetzte ist – dass Israel seit
fast 50 Jahren ein brutales Besatzungsregime über ein
ganzes Volk ausübt, das in jeder Hinsicht gegen
Völkerrecht, Menschenrechte und Internationales Recht
verstößt.
Wenn Killy in einem Kommentar schreibt
„Frieden kann nur aus dem Verzicht auf Gewalt
entstehen“, so hat er in diesem Fall ja sogar Recht. Nur
bezieht er diesen Satz ausschließlich auf die
Palästinenser. Israel ist in seinen Augen ein
Unschuldslamm, das ewige Opfer. Dabei ist Israels
brutales Besatzungsregime nichts anderes als nackte
Gewalt, die nur eine einzige Absicht verfolgt (was
aufgeschlossene Israelis auch zugeben): die
Palästinenser so zu demoralisieren und moralisch zu
zerbrechen, dass sie auf ihre politischen Ziele und
jeden Widerstand verzichten – am besten sich in andere
arabische Länder absetzen, damit Israel das ganze Land
in Besitz nehmen kann. Das war immer das Ziel der
Zionisten und wird es auch bleiben. Viele Israelis –
auch führende Politiker – befürworten auch die weitere
Vertreibung, die heute euphemistisch mit „Transit“
umschrieben wird.
Die israelische Gewalt lässt sich sogar
mit Zahlen belegen. Statistiken von (auch israelischen)
Menschenrechtsorganisationen belegen, wer in diesem
Konflikt der Gewalttätigere ist und wer die Opfer sind,
wobei daran erinnert sei, dass Widerstand gegen die
Soldaten einer Besatzungsmacht auch nach dem Völkerrecht
erlaubt ist. Vom 29. September 2000 bis zum August 2013
töteten die Israelis 6829 Palästinenser, die
Palästinenser 1104 Israelis. Im selben Zeitraum kamen
1519 palästinensische Kinder durch israelische Gewalt
um, durch palästinensische Gewalt starben 129
israelische Kinder. Es gab 50 742 Verletzte auf
palästinensischer Seite und 9104 auf israelischer. Von
1967 bis zum September 2013 zerstörten die Israelis 27
000 palästinensische Häuser (inzwischen sind es etwa 30
000), die Palästinenser aber kein einziges israelisches
Gebäude. Während in der Regel einige tausend
Palästinenser (darunter auch einige hunderte Kinder!) in
israelischen Gefängnissen sitzen, gibt es keine
israelischen Gefangenen in palästinensischen
Gefängnissen, was wegen der Machtverhältnisse auch ganz
undenkbar ist.
Wenn Killy sich über „Antisemiten“ in
deutschen Medien beschwert, sollte er sich einmal den
israelischen Journalisten Yonatan Mendel zum Vorbild
nehmen, der die israelischen Medien im Hinblick auf die
Darstellung des israelisch-palästinensischen Konfliktes
untersucht hat. Er stellte fest, dass dort nicht nur
sehr einseitig-merkwürdige Sprachregelungen gelten,
sondern dass dort mit Sprache sogar eine ganz neue
Wirklichkeit geschaffen wird. Mendel konstatiert: Die
israelische Armee tötet z.B. nie absichtlich, geschweige
denn ermordet sie jemanden – „ein Zustand, auf den jede
Armee neidisch wäre“ (Mendel). Der Journalist schreibt:
„Selbst wenn eine Ein-Tonnen-Bombe auf ein dicht
besiedeltes Wohngebiet im Gaza-Streifen fällt und ein
Bewaffneter sowie 14 unschuldige Zivilisten, darunter
neun Kinder ums Leben kommen, ist das kein absichtliches
Töten oder vorsätzlicher Mord. Ein israelischer
Journalist kann dann sagen: ‚Die Soldaten haben
Palästinenser tödlich getroffen,‘ Oder: ‚15
Palästinenser haben den Tod gefunden (als ob sie danach
gesucht hätten). Aber Mord kommt nicht in Frage.‘“
Mendel konstatiert weiter, dass
Palästinenser, die in den besetzten Gebieten leben, in
israelischen Darstellungen nie zur Selbstverteidigung
handeln, während „die israelische Armee sich immer nur
selbst verteidigt“. Obwohl die Statistiken klar das
Gegenteil beweisen, haben nur Palästinenser „Blut an den
Händen“, niemals Israelis – ein Faktum, das bei
Gefangenenfreilassungen eine große Rolle spielt. Mendel
schreibt: „Das heißt nicht, dass Juden keine Araber
töten, aber sie haben danach kein Blut an den Händen.
Ganz zu schweigen von denen, die Blut an den Händen
hatten und Ministerpräsident wurden.“ (Er meint hier
Begin und Shamir, die der jüdischen Terrororganisation
Irgun angehörten.) Zur israelischen Mediensprache gehört
Mendel zufolge auch, dass es keine „besetzten Gebiete“
gibt. Zuerst hießen sie „verwaltete Gebiete“, um die
Tatsache der Besatzung zu verschleiern. Dann wurde in
Begriffen des Alten Testaments von „Judäa“ und „Samaria“
gesprochen. Inzwischen ist in den Medien von „den
Gebieten“ die Rede. Der Terminus hilft, die Vorstellung
zu bewahren, dass Israelis die Opfer sind und stets in
Selbstverteidigung handeln, während die Palästinenser
stets die Angreifer – eben die „Terroristen“ und
„Mörder“ – sind.
Zur Sprache der israelischen Medien
bemerkte der prominente israelische Schriftsteller David
Grossman: „Eine Gesellschaft, die eine Krise durchläuft,
schafft sich ein neues Vokabular. Nach und nach taucht
eine neue Sprache auf, deren Wörter nicht mehr die
Realität beschreiben, sondern sie verbergen.“ Daniel
Killy erweist sich als gelehriger Schüler einer solchen
Orwellschen Propagandasprache. Und mit diesem Vokabular
will er auch seinen Lesern eine Wirklichkeit im Nahen
Osten vorgaukeln, die dort gar nicht existiert.
Wie gut, dass es die Hamas gibt – auf wen
sollte er sonst so verbal einprügeln? Die Bildung der
neuen palästinensischen Regierung, in der auch die Hamas
vertreten ist, ist natürlich der Anlass für den
Weser-Kurier-Außenpolitiker, kräftig auf dieses „Terror“-Bündnis
einzuschlagen und es gleich auch noch in Zusammenhang
mit dem Mord an zwei Israelis in Brüssel zu bringen. Und
immer kann Killy auf die Hamas-Charta verweisen, die zur
Vernichtung Israels aufruft – in der Tat ein Dokument
von allergrößter politischer Dummheit, das schon 30
Jahre alt ist und ganz schnell in den Papierkorb der
Geschichte gehört. Aber einmal abgesehen davon, dass die
radikalen religiösen israelischen Siedler in ihrem
Extremismus der Hamas in Nichts nachstehen (sie sind
sozusagen das Spiegelbild der Hamas in der israelischen
Gesellschaft), hat letztere in den vergangenen Jahren
doch ein erstaunliches Maß an Pragmatismus bewiesen.
Wovon Killy natürlich nichts zu berichten weiß, davon
hat er offenbar nichts mitbekommen oder er will es ganz
bewusst nicht wahrhaben.
Die Hamas hat 2002 rückhaltlos den
arabischen Friedensplan unterstützt, der Israel die
volle Anerkennung aller arabischen Staaten zusagte, wenn
Israel bereit wäre zuzulassen, dass im Westjordanland
und im Gazastreifen ein palästinensischer Staat
errichtet würde. Die israelische Regierung hat dieses
Angebot völlig negiert. 2006 legte die Hamas für die
Wahlen in den Palästinensergebieten ein ausgesprochen
ausgewogenes und vernünftiges Programm vor. Sie gewann
die Wahlen, die auch der Westen mit der Beteiligung der
Hamas gewollt hatte. Aber nun hatte die falsche Partei
gewonnen, die Hamas wurde zur „Terrororganisation“
erklärt – und ihre gewählten Abgeordneten sitzen heute
noch in israelischen Gefängnissen. Da wundert sich
jemand noch über die mögliche Radikalsierung dieser
Organisation! Die Hamas ist dennoch pragmatisch
geblieben und steht zu ihrer Aussage: Sie ist immer noch
bereit, die Bildung eines Palästinenser-Staates in den
Grenzen von vor 1967 zu akzeptieren, wenn das
palästinensische Volk dem in einem Referendum zustimmt.
Was kann man mehr verlangen und dagegen sagen?
Eigentlich nichts – den guten Willen zu einem gerechten
Frieden vorausgesetzt.
So haben die blindwütigen Attacken Killys
auf die „Terror- und Mörderorganisation“ Hamas wie auch
die Antisemitismus-Vorwürfe (soweit sie sich auf Kritik
an der Politik Israels beziehen) nur die eine Funktion:
eine gerechte Lösung des Nahost-Konflikts zu verhindern,
für die Israel sicher infolge seiner Landraub-Politik
den höheren Preise zahlen müsste. Aber der Wind dreht
sich. Das muss auch der Israel-Versteher Killy zugeben.
In seinem letzten Kommentar (Weser-Kurier vom 3.6.2014)
muss er eingestehen, dass die USA und die EU die neue
palästinensischer Regierung unter Einschluss der Hamas
mittragen. Man beginnt in den westlichen Hauptstädten
offenbar endlich zu begreifen, wer im Nahen Osten aus
sehr eigensüchtigen Gründen heraus einen gerechten
Frieden unter allen Umständen verhindern will. Der
Realismus gewinnt an Boden. Aber der WK-Außenpolitiker
wird keine Mühe haben, den Lesern diese Entwicklung als
schrecklichen Verrat und Dolchstoßlegende am so
friedlichen Staat Israel auszulegen.
Sein Arbeitsschema ist so einfach und
deshalb gut durchschaubar: Er überträgt wie so viele
andere seiner Gesinnungsgenossen das europäische Schema
des Antisemitismus, das auf diesem Kontinent so viel
furchtbares Unheil angerichtet hat, auf den Nahen Osten.
Die Palästinenser sind die „neuen Nazis“ (so wird das in
Israel gesehen) – eben „Terroristen“ und „Mörder“. Dass
dieser Konflikt aber seine ganz eigenen Ursachen hat –
eben die israelische Kolonisierung eines voll bewohnten
Landes, deren Einwohner die Zionisten zum großen Teil
vertrieben, deren Kultur und Gesellschaft sie zerstörten
und deren Land sie bis heute weiter rauben – das
einzusehen überschreitet denn doch das
Vorstellungsvermögen eines Daniel Killy.