Palästinenser als
Testpersonen für Israels Rüstungsindustrie
Interview mit dem israelischen Journalisten Yotam
Feldman über seinen Film „The Lab“ (Das Labor)
Arn Strohmeyer
Israel
gehört, was nur wenige Menschen in Europa wissen, zu den
bedeutendsten Rüstungsinnovatoren und –exporteuren der
Welt. Die Umsätze in diesem lukrativen Industriezweig
verdoppeln sich alle drei Jahre (zur Zeit 5,6 Milliarden
Euro). Israel liegt bei der Waffenausfuhr global bereits
an fünfter Stelle. Israels Rüstungsgüter sind deshalb
so beliebt bei Militärs in aller Welt, weil sie auf dem
neuesten technischen Stand sind und bei Kriegseinsätzen
in den Palästinensergebieten getestet wurden. Sie sind
also „battle tested“, haben sich auf dem Schlachtfeld -
mit den PalästinenserInnen als Testpersonen - bewährt.
Israelische Generäle preisen mit dem Argument des „battle
tested“ auf den internationalen Märkten die
Kriegsprodukte ihres Landes an. Der israelische
Journalist Yotam Feldman geht in seinem investigativen
Dokumentarfilm „The Lab“ (Das Labor) den Praktiken der
Rüstungsindustrie seines Landes nach. Der Film bekam
beim Dokumentarfilmfestival 2013 in Tel Aviv einen
Preis. Feldman zeigt ihn z. Zt. in deutschen Städten.
Ihr Film ist ja auch für
israelische Verhältnissen von großer Brisanz. Wie waren
die ersten Reaktionen in Ihrem Land?
Der Film wurde in mehreren
großen Städten Israels gezeigt, auch beim
Dokumentarfilmfestival in Tel Aviv. Ich war selbst
überrascht darüber, wie oft er inzwischen gezeigt worden
ist, wie groß also das Interesse ist. Auch Leute von der
Armee und der Waffenindustrie haben ihn gesehen. So hat
er bei uns eine breite Diskussion ausgelöst, weil der
Öffentlichkeit das Thema bisher kaum bekannt war. Es ist
ein Tabu. Nur so kann ich mir das große Interesse
erklären.
Sie sind erst seit wenigen
Tagen mit Ihrem Film in Deutschland unterwegs. Wie waren
die ersten Reaktionen?
Ich kann noch nicht allzu
viel sagen, es waren bisher zu wenige Vorführungen.
Wichtig ist mir aber, hier in Deutschland die
Komplizenschaft der europäischen Staaten mit Israel
aufzudecken, die Israel auf der einen Seite wegen seiner
Gewaltanwendung und des Siedlungsbaus auf
palästinensischem Gebiet kritisieren, aber keine
Hemmungen haben, von Israel Waffen zu kaufen. So werden
sie eben zu Komplizen Israels.
Ist es nicht ein
Widerspruch, dass der Staat Israel sich auf der einen
Seite als Staat der Überlebenden des Holocaust
betrachtet, auf der anderen Seite aber mit führend in
der Welt ist beim Erfinden, Produzieren und Ausführen
von Maschinen, die ja Menschen töten sollen? Und es wird
offen zugegeben, dass diese Waffen an den Palästinensern
getestet werden. Wie steht es da mit der Moral?
Für die Israelis ist das
kein Widerspruch. Sie sehen sich ja als Opfer des
Holocaust. Und den Opfern muss erlaubt sein, Waffen zu
produzieren, damit so ein Holocaust nie wieder passieren
kann. Aber das ist natürlich ein moralisches Dilemma und
genau das möchte ich mit dem Film zeigen.
Was sind die Gründe dafür,
dass die israelische Waffenindustrie so einen enormen
Aufschwung genommen hat?
Israel ist der einzige Staat
auf der Welt, der mehr Waffen produziert als er selbst
für seine eigenen Zwecke braucht. Es ist der
sechstgrößte Waffenexporteur der Welt [die Zahl schwankt
je nach betrachtetem Jahr, A.Str.] Die Waffen sind in
der Qualität sehr gut, sie sind an lebenden Personen
getestet und dann entsprechend verbessert worden. Das
hervorragende Engineering, also das Knowhow, und die
Tests haben den Erfolg der israelischen
Rüstungsindustrie bewirkt. Daraus ist aber eine
einseitige ökonomische Abhängigkeit entstanden, die sich
nicht mit dem Bild verträgt, das Israel auch von sich
selbst hat, eben ein Staat zu sein, der für den Frieden
eintritt.
Sind die Palästinenser also
die crash-test-dummies für die israelische Armee und die
Rüstungsindustrie des Staates? Ist es also so: Wenn
Israel eine neue Generation von Waffen entwickelt hat,
braucht es unbedingt eine neue gewaltsame
Auseinandersetzung mit den Palästinensern, um die neuen
Waffen testen zu können?
Der Film ist für das
israelische Publikum gemacht. Die Palästinenser sind
darin kaum sichtbar. Aber sie sind zweifellos die
Testpersonen. Das wirft die essentielle moralische Frage
auf, wie die Israelis die Palästinenser sehen.
Israel hat mit seinen
überlegenen Waffen eine ganz neue Art der Kriegführung
entwickelt. Sie besteht darin, dem Gegner hohe Verluste
an Menschen zuzufügen, die eigenen Verluste aber so
klein wie möglich zu halten. Bestes Beispiel war der
Gazakrieg 2008/09: 1500 Tote auf palästinensischer
Seite, 11 bei den Israelis – und die zumeist durch
eigenes Feuer. War der Gaza-Krieg ein Beispiel für
Israels Waffentests an lebenden Personen?
Die Tests sind ein sehr
wichtiger, aber nicht der Hauptgrund, Gaza mit neuen
Kriegen zu überziehen. Aber 150 000 Arbeitsplätze sind
von der israelischen Rüstungsindustrie abhängig. Krieg
gegen Gaza ist eine sich wiederholende periodische
Erscheinung. Das wird von den Israelis so akzeptiert. Es
ist völlig „normal“ geworden, dass Israel Krieg führt
und dabei Waffen ausprobiert.
Die Grenze zwischen der
israelischen Armee und der Waffenindustrie ist sehr
schmal, wenn nicht fließend. Übt diese Nähe nicht einen
sehr negativen Einfluss auf die israelische Politik aus?
Denn Politik und Militär sind ja auch sehr eng
miteinander verbunden.
Es gibt wie gesagt mehrere
Gründe, in Gaza Krieg zu führen. Die Waffenindustrie ist
dabei nur ein Grund. Die Rüstungsindustrie hat aber eine
sehr starke Lobby, die natürlich auch auf die Politik
und die Armee Druck ausübt, damit die Waffen gekauft
werden. Es handelt sich da um eine neue Art
Kriegführung, weil der Krieg profitabel geworden ist. Es
gibt auf der eigenen israelischen Seite kaum noch
Verluste an Menschen und Material. Das ist eine sehr
düstere Aussicht für die Zukunft. Denn es handelt sich
im Falle Israels um eine Demokratie im dauerhaften
Krieg. Demokratie und permanenter Krieg sind eigentlich
unvereinbar und schließen sich gegenseitig aus.
Wie kommt es, dass die
Mehrheit der Israelis nicht gegen diesen unglaublichen
Zynismus protestiert, dass Waffen an Menschen
ausprobiert werden?
Das haben wahrscheinlich die
wenigsten Israelis wirklich gewusst, dass die Waffen an
den Palästinensern ausprobiert werden. Das war einfach
nicht bekannt. Deshalb habe ich den Film gemacht: um die
Menschen über diesen Sachverhalt aufzuklären. Proteste
gibt es deswegen nicht, weil die israelische Linke sich
aufgelöst oder zersplittert hat. Der größte Protest im
Land kommt von den Palästinensern.
Was ist die Botschaft Ihres
Films für Israel und Europa?
Filme können die Welt nicht
verändern. Ich möchte mit dem Film aber die Wahrheit ans
Licht bringen und Diskussionen anstoßen. Ich möchte mit
dem Film mahnen, dass Politik nicht profitorientiert
sein darf. Sie soll solidarisch und moralisch sein. Den
europäischen Staaten möchte ich ihre Heuchelei vor Augen
führen, dass sie einerseits gegen Israels Politik
protestieren, aber andererseits von diesem Staat Waffen
kaufen und so die israelische Rüstungsindustrie und die
Besatzungspolitik gegenüber den Palästinensern stützen
und aufrechterhalten.