PAX CHRIST - ÖSTERREICH
PILGERREISE NACH ISRAEL UND PALÄSTINA
23: BIS 31: August 2008
Donnerstag,
28. August 2008
Parents’ Circle - Begegnung mit
Opfern des israelisch/ palästinensischen Konfliktes
Am
Donnerstagabend sitzen uns zwei Menschen gegenüber: Tal, eine junge
Israelin und Ibrahim, ein Palästinenser. Zuerst erzählt Ibrahim
seine Geschichte, er betont seine tiefe Verbundenheit, die es
zwischen ihm und Tal gibt: Beide haben durch einen Anschlag einen
ihrer liebsten Menschen verloren.
Als er vor 20 Jahren an der Universität in Ramallah studierte,
beschlossen Studenten die 1. Intifada. Sie revanchierten sich für
die vielen Steinwürfe durch Israelis und warfen nun Steine auf
israelische Autos. Das Ergebnis war, dass die israelische Armee die
Uni für ein halbes Jahr zusperrte und 2oo Studenten verhaftete. Als
Ibrahim aus dem Gefängnis entlassen wurde, veranstaltete die
Universität Bir Zeit eine Fahrt an die Uni Jerusalem. Dort lernte er
zum ersten Mal Juden als Menschen kennen und nicht zuerst als
Soldaten. Sie waren freundlich und sprachen über das alltägliche
Leben, weit weg von der Politik. Durch dieses Erlebnis entschied er
für sich, dass er ein Botschafter des Friedens sein wollte und kein
Soldat. Er lud sie in sein Haus in seinem Dorf ein.
Die Stimmung in seiner Familie und in seinem Dorf war eine andere.
Von seinem Vater und seinem Großvater hatte er immer nur gehört,
dass „die“ den Krieg begonnen hatten und die meisten Palästinenser
sagten, dass die Israelis ihre Feinde seien. Dann kam die 2.
Intifada. Diese war von politischen Gruppen organisiert. Man sah im
Fernsehen Palästinenser, die sich im Bus oder in einem Café in die
Luft sprengten und mehrere Menschen mit in den Tod rissen. Die
Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Wenig später kamen
israelische Soldaten in Flüchtlingslager und palästinensische Dörfer
und töteten...
Vor 4 ½ Jahren bekam Ibrahim während der Arbeitszeit einen Anruf:
„Komm sofort, dein Sohn ist verletzt!“ Als er zu seinem Haus kam und
viele Menschen auf der Straße sah, stieg ein mulmiges Gefühl in ihm
hoch. Ein Polizist sagte ihm: „Ein israelischer Siedler hat dein
Kind niedergefahren!“ Sein einziger Sohn lag tot am Boden, Blut rann
aus seinem Ohr. In seinem tiefen Schmerz kam ihm zuerst Rache in den
Sinn. Er erinnert sich: „Das ist eine ganz große Kraft, wie nukleare
Energie. Du kannst gute, helle oder dunkle Energie daraus machen“.
Sein zweiter Gedanke war, dass auch auf der anderen Seite so viele
Menschen und Kinder getötet werden. Und sein Sohn würde durch Rache
nicht mehr lebendig werden.
Tal wuchs mit ihrer Schwester Yaël, die 4 ½ Jahre jünger war als
sie, wohlbehütet in Ashkelon auf. Beide Schwestern besuchten dort
die Kunstschule. Yaël, eine sehr begabte junge Frau, leistete vor
dem Studium ihren Armeedienst ab und wurde sogar
Ausbildungs-offizierin.
Am
9. September 2003 verließ sie am Abend die Militärbasis nahe Ramle
und wartete auf den Bus nach Ashkelon. Da kam ein Auto angefahren,
ein junger Mann stieg aus und stellte sich zu den Wartenden, genau
hinter Yaël. Kurz darauf sprengte er sich in die Luft. Acht Menschen
starben und etwa 30 wurden verletzt. Auch Tals erste natürliche
Reaktion war Rache, um den eigenen Schmerz zu besiegen. Gleichzeitig
war ihr bewusst, dass ein solches Verhalten alles nur noch schlimmer
machen würde.
Etwa 5 Monate später bekam die Familie eine Einladung vom Verein
„Parents’ Circle“.
Dieser Verein wurde 1995 von einem religiösen Juden gegründet,
dessen Sohn am letzten Tag seines Militärdienstes fiel. Das
wichtigste Ziel dieser Gruppe ist es, die Einstellung der Menschen
durch Begegnungen – „Zusammensitzen“, wie Ibrahim sich ausdrückt -
in Zukunft zu verhindern. Sie besuchen vor allem Schulen, bewusst
immer gemeinsam: eine Person aus Israel, eine aus Palästina. Für
viele Kinder ist dies die erste Begegnung mit einem
palästinensischen Menschen, unvermummt, nicht im Fernsehen, sondern
von Angesicht zu Angesicht. Ebenso erleben Kinder aus Palästina zum
ersten Mal Israelis nicht als Soldaten, nicht als aggressive
Siedler, sondern als Menschen wie du und ich. „Siedler“, erklärt
Ibrahim an dieser Stelle, „sind ebenso verschieden wie andere
Menschen auch. Viele nehmen dort Wohnung, weil sie wenig Geld haben
und die israelische Regierung ihnen die Wohnungen sehr billig gibt.
Gefährlich und aggressiv sind die ideologisch verhetzten Siedler.“
Ibrahim meint, dass ihr gemeinsame Auftreten als Betroffene von
beiden Seiten viele Menschen mehr beeinflusst als Politikerreden.
Natürlich gibt es immer wieder Aussagen, wie: „Du verrätst deinen
Sohn, wenn du dich nun mit seinen Mördern zusammensetzt!“ Aber
beide, Tal und Ibrahim, betonen, dass sie niemandem einreden wollen,
dass ihr Weg der richtige ist. Ihre Überzeugung ist: Der Friede muss
im Inneren beginnen. Sie schauen nicht zurück, sondern stecken ihre
ganze Kraft nach vorn in eine friedliche Zukunft.
Etwa 600 Familien gehören dem Verein Parents’ Circle an, allein im
letzten Schuljahr fanden 1200 (!) solche Begegnungen statt. Diese
Arbeit wird ehrenamtlich geleistet.
Der Abend mit Tal und Ibrahim war für alle sehr beeindruckend und
ein Hoffnungsschimmer in diesem verfahrenen Konflikt.
Marianne Lehrner
www.theparentscircle.org |