Ist die Bundesregierung antisemitisch?

Von Abraham Melzer

Der Innenminister de Maiziere will einen „Antisemitismus-Beauftragten“ einsetzen. Das war die Nachricht am Sonntagmorgen. Dass er so schnell einknickt nach dem Interview mit dem Zentralrat Vorsitzenden der Juden in Deutschland in der WELT von gestern (Samstag) ist nicht überraschend. Der Druck aus Israel und den USA ist offensichtlich gewaltig.

Dabei ist ein solches Vorhaben eine rein antisemitische Handlung, denn sie macht aus den Juden wieder etwas Besonderes, gibt ihnen Sonderrechte und schafft damit Ressentiments in der Bevölkerung, die sich fragt und fragen muss, warum Juden in diesem Land eine „Sonderbehandlung“ erfahren. Wir Juden haben es schon einmal erlebt, dass wir in Deutschland sonderbehandelt wurden. Das Ergebnis ist bekannt.

Antisemitismus ist nicht mehr und nicht weniger als eine Art von Rassismus. Der Oberbegriff ist Rassismus. Wenn die Bundesregierung einen Rassismus-Beauftragten einsetzen würde, der sich auch um die Probleme von Türken, Sinti und Romas, von Schwarzen und Obdachlosen kümmern würde, dann wäre ich als erster dafür. Von all diesen Gruppen sind doch die Juden die am wenigsten Betroffenen. Oder ist schon einmal ein Jude auf einer Sitzbank verbrannt worden oder 10 Juden in einer Mordserie getötet worden? Juden leben in diesem Land absolut sicher, frei und gleichberechtigt, nein, Entschuldigung, sie haben sogar mehr Rechte als andere Gruppen und mehr Macht als vier Millionen Moslems, Türken, Nordafrikaner und Araber. Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist zwar die Vertretung der Juden in Deutschland, es verhält sich aber wie eine Außenstelle der israelischen Botschaft und vertritt päpstlicher als der Papst israelische Positionen. Sämtliche Zentralrat Vorsitzende, von Heinz Galinski, über Charlotte Knobloch bis zum heutigen Vorsitzenden Josef Schuster, waren nicht müde zu behaupten wie sehr ihr Herz für Israel schlägt und sie ohne Wenn und Aber hinter Israels völkerrechtswidrige Politik stehen.

Wozu brauchen wir einen Antisemitismus Beauftragten? Was soll er machen? Glaubt denn irgendwer, dass es dadurch weniger Antisemitismus geben wird? Im Gegenteil, dadurch wird es mehr Antisemitismus geben, weil es viele Menschen, nicht nur Araber und Palästinenser, empören wird. Es kann doch nicht sein, dass man Deutsche, die mit den Palästinensern Mitleid haben, als Antisemiten brandmarkt. Es kann doch nicht sein, dass man Palästinenser, die in Deutschland Zuflucht vor der israelischen Willkür gefunden haben, als Antisemiten diffamiert, weil sie eine israelische Fahne verbrennen, aus Wut, Zorn und Empörung über die Anerkennung Jerusalems allein als Hauptstadt Israels und Missachtung ihrer Rechte und Verachtung ihrer Würde. Und eine israelische Fahne ist nicht mehr als eine israelische Fahne und keine „jüdische Flagge“ bzw. ein Symbol des Judentums, wie es in manchen Zeitungen zu lesen war. Das Judentum hat keine Flagge und keine Fahne und das Symbol des Judentums ist die Thora.

Ich frage mich ob das Dummheit seitens der Bundesregierung ist, oder vielleicht doch Absicht. In beiden Fällen ist es für mich Antisemitismus. Ich möchte nicht in einem Staat leben, in dem Juden Sonderrechte haben, denn wenn sie heute Sonderrechte haben, könnten ihnen morgen diese Sonderrechte entzogen werden, was sie natürlich als Antisemitismus deuten würden. Keine Gruppe oder Minderheit sollte in unserem Staat Sonderrechte haben.

Nein, ich bin nicht der Meinung von Schuster und de Maizière, dass der Antisemitismus in Deutschland wächst. Aller statistischen Erhebungen, die von der Bundesregierung bisher erhoben wurden, sprechen eine andere Sprache, zumal fast alles, was als Antisemitismus gebrandmarkt wird, nichts anderes als Kritik, und fast immer, berechtigte Kritik, an der Politik des Staates Israel ist. Ob es die Aufregung eines senilen, greisen Juden darüber, dass in einem Vorwahlverzeichnis eines Berliner Hotels die Vorwahl von Israel nicht verzeichnet ist oder ein braver Richter in Frankfurt die Klage eines israelischen agence provokateur ablehnt, der die kuwaitische Airline zwingen wollte ihn mitzunehmen, obwohl Kuwait keine diplomatischen Beziehungen mit Israel unterhält: alles ist Antisemitismus, oder was? Das erinnert immer wieder an die Müller-Milch Werbung: Alles Müller, oder was?

Schon längst ist der Antisemitismus im Eimer, auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Wenn Juden wie Moshe Zuckermann, Rolf Verleger und ich Antisemiten sind, und in meinem Fall sogar ein „berüchtigter Antisemit“, wie mich die Jüdin Charlotte Knobloch bezeichnete, dann ist doch etwas faul in diesem Staat. Wenn der Staat Israel mit allen rechten- und ultrarechten Parteien in Europa gute, enge und sogar herzliche Beziehungen unterhält und die Linken als Antisemiten diffamiert und ablehnt, dann hat man keine andere Wahl, als sich von diesem Staat zu distanzieren und seine Politik abzulehnen.

Wir brauchen keinen Antisemitismus-Beauftragten, der wie ein Kosher-Beauftragter in Israel ein parasitäres Organ sein wird, der ein fürstliches Gehalt für nichts bekommt und den Antisemitismus endgültig begraben, aber nicht beseitigen wird. Ich lebe schon lange genug in diesem Land um festzustellen, dass es hier zwar da und dort Antisemiten gibt, dass es aber keinen „Antisemitismus“ in Deutschland gibt, nicht in den Parteien, Behörden, Kirchen und Organisationen und am aller wenigsten in der Gesellschaft. Es mag noch da und dort Vorbehalte und Vorurteile geben, aber das ist nicht der Antisemitismus vor dem wir uns fürchten müssen, das ist nicht die Gefahr, die Juden wie Schuster und Broder heraufbeschwören, dass in Deutschland sich bald wiederholen könnte, was hinter uns liegt. Nach meiner Beobachtung handelt es sich in den meisten Fällen um Israel und Israel schlägt zurück indem es uns alle, Deutsche und deutsche Juden als Antisemiten brandmarkt. Es handelt nach dem Motto eines ehemaligen israelischen Botschafter in den USA, der, als man ihn fragte was sein größter Erfolg während seiner Zeit in Washington war, geantwortet hat: „Es ist mir gelungen die amerikanische Administration davon zu überzeugen, dass Anti-Zionismus gleich Antisemitismus ist.“

Es scheint als ob es der israelischen Propaganda auch gelungen ist, deutsche Politiker, Gewerkschafter und nicht zuletzt die Presse davon zu überzeugen. Und so handeln heute viele Stadträte in deutschen Städten in einer Art von vorauseilendem Gehorsam und mit der Absicht Israel zu gefallen, wenn sie Veranstaltungen, in denen die israelische Politik kritisiert wird, verbieten bzw. solchen Veranstaltungen Räume vorenthalten. Das Zauberwort heißt BDS. Und so wird jeder, der berechtigte Kritik, an Israel oder auch ein naheliegendes Thema hat, als BDS-Aktivist bezeichnet und als solchen werden ihm einfache und selbstverständliche Rechte, die sich aus unserem Grundgesetz ergeben, verweigert.