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IM GESPRÄCH MIT DEN GRÜNDERN VON
GAZA YOUTH BREAKS OUT (GYBO)
Vera Macht
Abu Yazen ist nervös, er hat lange nicht geschlafen. Dass das
alles so groß werden würde, so schnell gehen, das hat er nicht
geahnt. Er heißt auch gar nicht Abu Yazen, aber seinen richtigen
Namen angeben, das geht nicht mehr. Zu groß ist die Gefahr, wenn
man an einem Ort wie Gaza seinen Frust in Worte fasst, seinen
Ärger auf alles und jeden, die Regierungen und die Welt, die
junge Menschen wie ihn vergessen zu haben scheint. Er ist nur
einer von 800000 jungen Menschen in Gaza, die Hälfte der
Bevölkerung in dem kleinen, abgeriegelten Küstenstreifen ist
unter 18. Er ist einer von denen, die während der ersten
Intifada geboren wurden, ihre Kindheit unter israelischer
Besatzung verbracht haben, inmitten einer zweiten Intifada,
eines Bürgerkriegs, und letztendlich den israelischen Angriff
auf Gaza im Winter 2008/9 überlebt haben, dem insgesamt 1400
Menschen zum Opfer fielen. Rund 400 davon waren Kinder. Und seit
2007 lebt er - wie alle hier - unter einer vollkommenen
Blockade, auferlegt von Israel, stillschweigend hingenommen von
der Weltöffentlichkeit. Sein Zuhause ist ein Gefängnis inmitten
des alltäglichen Terrors eines nun mehr als 60 Jahre dauernden
Konflikts. „Ich bin jung, ich will mein Leben leben, aber wo ist
meine Freiheit“, sagt Abu Yazen leise. „Über mir ist der Lärm
der F16, nach ein paar Kilometern treffe ich in jeder Richtung
auf von Scharfschützen bewachte Grenzen, und auf dem Meer sehe
ich die israelischen Kriegsschiffe.“ Doch normalerweise spricht
Abu Yazen nicht leise. Jetzt vielleicht, jetzt ist er müde und
erschöpft, und man weiß ja auch nie wer zuhört, am Nachbartisch.
Doch normalerweise spricht Abu Yazen sehr laut aus, was ihn hier
so frustriert, was ihn verzweifeln lässt. Er ist Mitglied von
Gaza Youth Breaks Out, einer Gruppe von fünf jungen Männern und
drei jungen Frauen, die ein Aufsehen erregendes Manifest
verfasst haben. Ihre Facebook Seite hat innerhalb von ein paar
Tagen 13000 Mitglieder angesammelt, die Presse dieser Welt steht
Schlange. Doch Abu Yazen und seine Gruppe sind vorsichtig, ihre
Facebook-Seite wurde für ihre Kommentare schon vorübergehend
gesperrt, und in Gaza kritisiert man die Mächtigen besser nicht
öffentlich.
Aber es ist der Gruppe wichtig klar zustellen, dass sich ihre
Wut nicht hauptsächlich gegen die entzweiten palästinensischen
Parteien richtet, vor allem seit sich die Presse auf ihre
Hamas-Kritik gestürzt hat wie auf ein gefundenes Fressen. Aus
diesem Grund haben sie ihr Manifest extra noch einmal
umgeschrieben, es beginnt nun nicht mehr mit der provokanten
Äußerung „Fuck Hamas“.
„[Wir sind] krank, als Terroristen hingestellt zu werden, als
hausgemachte Fanatiker mit Sprengstoff in unseren Taschen und
dem Bösen in unseren Augen“ so schreiben sie in ihrem Manifest.
Abu Yazen stellt klar: „Wir wollen nicht als politisches
Werkzeug für die Hetze gegen islamischen Terror missbraucht
werden. Israel rechtfertigt sein ganzes Handeln gegen uns damit,
dass Hamas an der Macht ist. Aber wir leben seit 60 Jahren unter
Besatzung. Die Blockade verstärkt nur den Konflikt zwischen den
Parteien, die Spaltung von Palästina, und verhindert, dass wir
endlich einen eigenen Staat haben.“ Sie fühlen sich alleine
gelassen, ja, inmitten des politischen Streits um Macht und
Recht. Im Stich gelassen von ihrer Regierung, von den
palästinensischen Parteien, und von der UN, die hier in Gaza
überall sichtbar ist, durch ihre Flaggen, ihre gepanzerten
Fahrzeuge, aber nur redet, nicht handelt, das werfen sie ihr
vor. „Unsere Forderung ist, dass die Blockade endlich beendet
wird, und unsere elementaren Menschenrechte von Israel
eingehalten werden“, macht einer von ihnen deutlich.“Wenn das
erfüllt ist, dann können wir auch unsere innenpolitischen
Probleme
angehen. Dann werden wir in einer neuen Wahl frei und
selbstständig unsere Regierung bestimmen können.“
Sie haben ihr Manifest geschrieben weil sie sahen, wie ihre
Situation schlechter anstatt besser wurde, wie aus Besatzung
Blockade wurde, aus Gewalt Krieg. Weil sie nicht sahen, dass
jemand aktiv für sie Partei ergreift, und sie ihr Schicksal
selbst in die Hand nehmen wollten.
„Wir wollen schreien und diese Mauer aus Schweigen,
Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit so durchbrechen wie die
israelischen F16 die Schallmauer; [...]“, so schreiben sie mit
Feuer und Wut. „Wir sind krank davon, in diesem politischen
Kampf gefangen zu sein; [...]; krank von der Schand-Mauer, die
uns vom Rest unseres Landes trennt und uns auf einem Stück Land
von der Größe einer Briefmarke gefangen hält; krank von der
Gleichgültigkeit, die uns von der internationalen Gemeinschaft
entgegenkommt, [...]; wir sind krank und müde, ein beschissenes
Leben zu leben.“
Gamila ist eine hübsche junge Frau, und wenn sie spricht, dann
klingt ihre Stimme klar und bestimmt, man merkt gleich, sie weiß
was sie will. Sie ist eine der drei Frauen von Gaza Youth Breaks
Out, und was sie will ist ein Leben in Sicherheit und Freiheit
für sich und ihre Familie. Sie will erzählen warum sie Mitglied
dieser Gruppe ist, wo ihre Verzweiflung herkommt, damit die
Menschen „da draußen“ sie verstehen. Denn dass die Menschen „da
draußen“ die Wahrheit kennen lernen, das ist erklärtes Ziel der
Gruppe.
Gamila lebte ein Jahr in einem Haus ohne Fenster. Fenster
gehören zu den Dingen, die von Israel als „Luxusgüter“ erklärt
wurden, und nicht auf der eineinhalb Seiten langen Liste an
Gegenständen und Nahrungsmitteln standen, deren Einfuhr Israel
zur Hochzeit der Blockade an Versorgung für 1,5 Millionen
Menschen hineingelassen hat. Für die reicheren Familien Gazas,
kommen solche Dinge durch die Tunnel, aber Menschen wie Gamila
nützt das wenig. Ein Jahr lebte sie ohne Fenster, bis sie sie im
Winter mit Holz verriegelte. Ihre Mutter hatte Krebs, Gazas
Krankenhäuser konnten ihr nicht die benötigte Strahlentherapie
bieten, die sie brauchte. Als der Arzt ihr sagte, dass sie
binnen einer Woche nach Ägypten müsste, da sich ihr Krebs
schnell ausbreitete, dauerte es zwei Monate, bis sie die
benötigten Genehmigungen erhielt. Zu diesem Zeitpunkt war Krieg,
sie fuhr quer durch Gaza inmitten der fallenden Bomben.
„Der Krieg war das Schlimmste, was je in meinem Leben passiert
ist“, sagt Gamila. „Ich habe mein Haus verlassen, weil es nahe
der Grenze ist, und in einer Unterkunft gebetet, dass ich und
meine Familie überleben würden.“ Und nun findet sie keine
Arbeit, obwohl sie studiert hat, in der desaströsen
Wirtschaftslage Gazas, bei der die Arbeitslosigkeit seit der
Blockade bei über 45 Prozent liegt. Ein Zustand, der von Israel
so geplant wurde, wie Wikileaks kürzlich enthüllt hat: „Im
Rahmen ihres umfassenden Embargo-Plans gegen Gaza haben
israelische Beamte mehrmals bestätigt, dass sie beabsichtigen,
die Wirtschaft Gazas am Rande des Zusammenbruchs zu halten, ohne
sie in den Abgrund zu schieben." Eine Ausreisegenehmigung zu
bekommen, um woanders Arbeit zu finden, oder ihren Master im
Ausland zu. machen, hat Gamila wie die meisten anderen jungen
Menschen Gazas vergeblich versucht.
Doch die Hoffnung aufgeben, das kommt für die Gruppe nicht in
Frage. „Wir haben ein Ziel vor Augen, und dafür kämpfen wir“,
sagt Abu Yazen, und diesem Moment spürt man die Kraft und
Willensstärke, die das Manifest verkörpert. Er spricht wieder
laut, vergessen ist die Erschöpfung und Bedrohung, die sie von
allen Seiten empfinden.
Alle Acht sind gebildet und sprechen sehr gutes Englisch. Sie
sind normale junge Menschen, nicht außergewöhnlich reich oder
arm, nicht aus außergewöhnlichen Familien, sie verlangen keine
außergewöhnlichen Dinge. Außergewöhnlich mutig, das vielleicht
sind sie. Mutig genug, um in die Öffentlichkeit zu treten und
das zu verlangen, was jedem jungen Menschen dieser Welt zustehen
sollte: die elementaren Menschenrechte. Sie mögen aktive
Unterstützung der Weltöffentlichkeit und Regierungen brauchen,
um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, aber jemanden der
für sie spricht, das brauchen sie bestimmt nicht. Das können Abu
Yazen, Gamila und die anderen sehr gut selbst.
„Wir wollen drei Dinge: Wir wollen frei sein. Wir wollen in der
Lage sein, ein normales Leben zu leben. Wir wollen Frieden. Ist
das zu viel verlangt? Wir sind eine Friedensbewegung, die aus
jungen Leuten in Gaza und Unterstützung an anderen Orten
besteht. Wie werden nicht ruhen, bis jeder auf dieser Welt die
Wahrheit über Gaza kennt, und zwar so, dass keine stille
Zustimmung oder laute Gleichgültigkeit mehr akzeptiert werden
wird.
Wir werden damit beginnen, die Besatzung zu zerstören, die uns
selber umgibt. Wir werden aus diesem geistigen Gefängnis
ausbrechen und unsere Würde und unsere Selbstachtung
wiedergewinnen. Wir werden unsere Köpfe hoch tragen, auch dann,
wenn wir auf Widerstand stoßen. Wir werden Tag und Nacht daran
arbeiten, die elenden Umstände zu verändern, in denen wir
leben.Wir werden Träume bauen, wo wir auf Mauern treffen.“
Vera Macht lebt und arbeitet seit April 2010 in Gaza. Sie ist
Friedensaktivistin und berichtet über den täglichen
Überlebenskampf der Menschen im Gazastreifen.
Die deutsche Übersetzung des Manifestes findet sich hier
http://www.facebook.com/pages/Gaza-Youth-Breaks-Out-GYBO/118914244840679?v=wall#!/note.php?note_id=117989621603108