Der Westen und die Revolution
Vera Macht
Wir im Westen, wir haben gerne das
Gefühl, dass wir die arabische Welt unter Kontrolle haben.
Die Länder dort sind strategisch wichtig, ölreich, und die
Menschen fremdartig, auf eine uns beunruhigende Art und
Weise. Aber sie sind eben hoffentlich weitestgehend unter
Kontrolle, durch diktatorische Regime und politische oder
auch mal militärische Intervention des Westens. Der
westliche Diskurs dreht sich um die Frage, ob der Islam mit
Demokratie überhaupt kompatibel ist, und ob somit auch
muslimische Einwanderer in die Gesellschaften Europas
integrierbar sind.
Doch nun ist genau diese auf
Unterdrückung stützende Stabilität der arabischen Welt ins
Wanken gekommen. In Tunesien ist der Diktator bereits
gefallen, in Ägypten wackelt der 30 jährige Stuhl Mubaraks
bedrohlich, und auch anderen Diktatoren im arabischen Raum
wird mulmig zumute. Es ist jedoch nicht der heils- und
demokratiebringende Westen, der diese Entwicklung ins Rollen
gebracht hat, nein, dieser hat sie noch nicht einmal
vorhersehen können, weshalb auch erstmal kein westlicher
Politiker wusste, wie er reagieren soll.
Es waren die Menschen dieser Länder
selber, die genug hatten, von Unterdrückung, Armut und
Diktaturen. Die Millionen von Menschen, die dort auf die
Straßen strömten, sind genau die, deren Religion und
Mentalität Menschen- und Bürgerrechten in einem freien
politischen System gegenüber zu stehen schienen. Millionen
von Ägyptern harren nun seit zwei Wochen auf dem Platz der
Befreiung aus, vereint im Kampf für Freiheit, Demokratie und
Gerechtigkeit in ihrem Land. Die nur vielleicht
Demokratie-kompatiblen arabischen Muslime riskieren ihr
Leben für ein neues demokratisches System, hunderte von
Todesopfern hat die Revolution bis jetzt gefordert. Muslime
bilden Menschenketten um als menschliche Schutzschilde
betende Christen vor Belästigungen zu bewahren.
Dies alles widerspricht so sehr unserem
Bild von der islamischen Welt, dass es fast etwas beruhigend
ist, wenn man den Erfolg der Revolution auf Medien wie
Facebook oder Twitter zurückführen kann, westliche Medien,
die immerhin wir dorthin exportiert haben und jetzt im
besten Sinne der Demokratie genutzt werden. Und wenn man
sich fragt, während man zu Hause auf dem Sofa sitzt, was man
als sehr Demokratie-kompatibler christlicher Bürger denn als
letztes politisches getan hat, im Kampf für Freiheit und
Gerechtigkeit im eigenen Land, dann fühlt man sich um
einiges besser, wenn man bei Facebook den "teilnehmen" Knopf
für den "virtual march of solidarity with Egypt" gedrückt
hat. Schließlich ist das ja schon die halbe Miete, glaubt
man den überschwänglichen Hochrufen auf die
"Facebook-Revolution" und vergisst, dass die auch ohne
jeglichen Internetzugang sehr gut vernetzt weiter gegangen
ist.
Denn für eine Revolution braucht es mehr,
als einen "gefällt mir" Knopf auf Facebook zu drücken. Man
braucht das nötige Ausmaß an Verzweiflung über die
politische und soziale Lage, vor allem jedoch Kraft, Mut,
und den Glauben an eine bessere Zukunft. Das Internet
spiegelt nur die Realität wieder, es erschafft keine neue.
Wo keine revolutionäre Stimmung ist, schafft auch Facebook
keine, selbst wenn das populäre soziale Netzwerk sehr wohl
zur Mobilisierung der Jugend beigetragen haben mag. Doch um
an den Erfolg
eines Aufstands gegen ein mit
unglaublicher Brutalität und Skrupellosigkeit vorgehendes
Polizeiheer zu glauben, benötigt es eine soziale Vernetzung,
die über online Beziehungen hinausgeht. Auf die Gefahr hin,
am Ende alleine dazustehen, riskiert man nicht sein Leben.
Nein, in Tunesien und Ägypten ist über Jahre hinweg eine
kollektive Wut über die Situation gewachsen, die mit einem
gemeinsamen Akt des Mutes und der kollektiven Stärke
ausgebrochen ist.
In einem Land wie Ägypten, in dem über 40
Prozent der Bevölkerung von zwei Dollar am Tag leben, in dem
28 Prozent Analphabeten sind, war es wohl eher lediglich die
westlich orientierte Elite des Landes, die sich auf Facebook
organisiert hat.
Blickt man somit auf den Platz der
Befreiung zu Gebetszeiten, wenn Abertausende an Menschen
sich in Eintracht zum "Gott ist groß"-Ruf des Muezzin
beugen, so sollte man vielleicht eher seine eigene
Weltkonzeption hinterfragen, als den Milliarden schweren
westlichen Mediengiganten Facebook zu feiern. Denn wollen
wir im Westen am liebsten jeden einzelnen Moslem auf
Demokratie-Fähigkeit überprüfen bevor er sich bei uns
niederlassen darf, sehen wir jetzt im Fernseher tausende von
Muslimen vereint im Gebet und im Kampf für Demokratie.
Vielleicht ist es genau diese Religion,
die uns so Angst macht, die den Menschen jetzt die Stärke
zum weitermachen gibt, vielleicht sind es eher Netzwerke
religiöser Gemeinschaft, die die Menschen fern der
spärlichen Elite so organisiert und vereint auf die Straßen
strömen ließen. Vielleicht ist es genau dieses unbewusste
Wissen, das uns auch leicht besorgt nach Ägypten blicken
lässt, aus gewohnter Angst vor dem in den Köpfen allzeit
präsenten islamistischen Terror.
Vielleicht sollten wir alle einfach mal
die Klappe halten, und von den Ägyptern lernen, was Mut und
Einsatz für Gerechtigkeit, Reform und den Kampf für ein
besseres Morgen bedeutet. Denn dass wir selbst zu Hause auf
dem Sofa sitzend im Geschehen live dabei sind, über Facebook
und Twitter fast direkten Kontakt zu den Demonstranten
haben, das ist auf jeden Fall ein großer Verdienst dieser
Medien, der gewürdigt werden muss. Und genutzt werden
sollte. Denn wenn revolutionäre Ägypter nur einen Mausklick
entfernt sind, dann kann man sich wieder darauf besinnen,
dass Demokratie vor allem auch bedeutet, Menschen nicht in
"wir" und "sie" aufzuteilen. Dass man keine Feindbilder
aufgrund von Fremdartigkeit aufbaut, sondern wieder daran
denkt, dass wir alle, ob in Europa und Ägypten, die gleichen
Ziele und Vorstellungen für unser Leben und unsere
Gesellschaft haben.
Und dann ist es vielleicht an der Zeit,
einfach mal den Laptop zu zu klappen, unsere Facebook Seite
nicht zum hundertsten Male am Tag auf virtuelle Neuigkeiten
im Freundeskreis zu überprüfen, sondern hinaus in die reale
Welt zu treten. Denn auch unsere Gesellschaft braucht den
ägyptischen Funken im Kampf für ein besseres Morgen.
Vera Macht
lebt und arbeitet seit April 2010 in Gaza. Sie ist
Friedensaktivistin und berichtet über den täglichen
Überlebenskampf der Menschen im Gazastreifen (Vera.Macht@uni-jena.de)